NSU-Prozess

Die Waage der Justitia und ein Kommunikationsdesaster

Der NSU-Prozess und das „Versagen der Sicherheitsbehörden“ wird die Blicke der Welt nach Deutschland lenken. Diese historische Gerichtsverhandlung ist eine Chance, das verlorengegangene Vertrauen in die Sicherheitsdienste, in Politik und Rechtsstaat wiederherzustellen. Die Verantwortlichen setzen aber alles daran, diese Chance zu verspielen.

Von Mittwoch, 03.04.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.12.2015, 9:27 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Am 17. April 2013 beginnt einer der wichtigsten und brisantesten Gerichtsprozesse der deutschen Nachkriegszeit. Es geht um den Mord an zehn Menschen, darunter acht Türken, einen Griechen sowie einer deutsche Polizeikommissarin. Bei diesem Prozess steht Deutschland national wie international unter besonderer Beobachtung.

Das, was oftmals euphemistisch als „Versagen der Sicherheitsbehörden“ genannt wird, lenkt in den nächsten Wochen die Blicke der Welt nach Deutschland. Diese historische Gerichtsverhandlung ist zugleich eine Chance. Eine einmalige Chance, das verlorengegangene Vertrauen in die Sicherheitsdienste, in Politik und Rechtsstaat wiederherzustellen. Es geht, daran gibt es keinen Zweifel, auch darum, etwas wiedergutzumachen. Die Mentalität von einigen, leitenden Juristen jedoch scheint zu sein: „Angriff ist die beste Verteidigung“. Beobachter vermuten zudem, dass eine „Einmischung“ der Türkei mit allen Mitteln verhindert werden soll. Wie ist es sonst zu erklären, dass dem türkischen Botschafter in Deutschland, Hüseyin Avni Karslıoğlu und dem Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, Ayhan Sefer Üstün, bereits vor einigen Wochen ein fester Platz als Beobachter im Gerichtssaal verwehrt wurden?

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Dieselben Verantwortlichen haben nun die türkischen Medienvertreter und Nachrichtenagenturen abgewiesen. Dafür stehen gleich sieben öffentlich-rechtliche Medien auf der Liste: „Bayerischer Rundfunk (BR)“, „Deutschlandradio“, „Norddeutscher Rundfunk (NDR)“, „Südwest Rundfunk (SWR)“, „Mitteldeutscher Rundfunk (MDR)“, „Westdeutscher Rundfunk (WDR)“, „Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF)“. Überdies sind kleine Lokalradios wie „Radio Arabella“ oder die „Bayerische Lokal – Radioprogramme (BLR)“ sowie viele weitere freie Journalisten auf der Akkreditierungsliste, die die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Karfreitagsausgabe bekannt gab.

Die türkischen Medienvertreter, die sich um einen Platz beworben hatten, lauten: Nachrichtenagentur Anadolu (AA), Nachrichtenagentur Cihan, Tageszeitung „Hürriyet“, Nachrichtenagentur „İhlas“, Tageszeitung „Sabah“, Tageszeitung „Türkiye“ sowie die Tageszeitung „Zaman“. Kein einziger türkischer Journalist wurde jedoch in die Akkreditierungsliste aufgenommen. Das heißt im Klartext: Türkische Medienvertreter werden gemeinsam mit vielen weiteren namhaften ausländischen Medien keine Sitzplatzreservierung im Gerichtssaal haben. Auch international anerkannte Medienvertreter wie „Agence France Press (AFP)“, „Al Jazeera“, „Associated Press (AP)“, „Neue Züricher Zeitung (NZZ)“ oder die „New York Times“ zählen dazu. Sie alle können sich kein eigenes Bild von der Verhandlung machen und wären lediglich auf die Berichte ihrer mehrheitlich deutschen Kollegen angewiesen.

Der ehemalige türkischstämmige SPD-Europaabgeordneter Ozan Ceyhun bezeichnet die Ereignisse im Berliner „Tagesspiegel“ als „Schande“. Hakkı Keskin, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Linkspartei geht dagegen noch weiter. In der „Süddeutschen Zeitung (SZ)“ wirft er „Teilen der Gesellschaft, Politik und Justiz […] nicht nur fehlende Sensibilität, sondern eine bewusste Ignoranz“ und Diskriminierung vor. „Welt-Online“ bringt es auf den Punkt und titelt: „NSU-Akkreditierungsliste wird zur Blamage“.

Die Akkreditierungsbestimmungen waren ausbaufähig, um nicht zu sagen: suboptimal. Bei der Akkreditierung ging es um Minuten, wenn nicht gar Sekunden. Denn zahlreiche türkische Medienschaffende, wie etwa Celal Özcan von der Tageszeitung „Hürriyet“ berichten, sie hätten sich am Tag der Akkreditierungszulassung eingetragen. Die 50 Plätze seien bereits nach wenigen Stunden voll gewesen. Aber es gibt auch Beispiele dafür, dass es anders geht.

Bei dem Wettermoderator Jörg Kachelmann oder dem damaligen angeklagten Marco Weiss, der 2007 verdächtigt wurde, ein Mädchen missbraucht zu haben, wurde das Herkunftsprinzip bei Journalisten angewandt. Bei Kachelmann haben Schweizer Journalisten aufgrund der ethnischen Herkunft des Wettermoderators ein Kontingent erhalten. Auch bei Marco Weiss durften deutsche Reporter ausgiebig und zum Teil polarisierend über die Gerichtsverhandlung in Antalya berichten.

Dass das Münchner Oberlandesgericht nicht nach ethnischer Zugehörigkeit der Journalisten unterscheidet, ist gewiss ein gutes Zeichen. Aber vor dem Hintergrund, dass es sich bei den Mordopfern mehrheitlich um türkische- oder türkischstämmige Bürger handelt, deutet die Verhaltensweise des Gerichts auf eine Mischung zwischen Provokation und Nervosität hin. Eine souveräne Haltung sieht anders aus. Hier hätten das Gericht und sein Präsident ein wenig mehr Augenmaß, Empathie und Flexibilität an den Tag legen können. Gerade wenn es um Mord und die mögliche Verwicklung von V-Leuten geht, wäre Deeskalation statt Provokation eine weitsichtigere Maßnahme gewesen. Unser Rechtssystem hat ja wohl nichts zu verbergen.

Viele Türkischstämmige, vor allem jüngere Menschen, zweifeln an dem Respekt der Verantwortlichen vor den Mordopfern und deren Angehörigen. Die Art und Weise, wie mit türkischen Medien umgegangen wird, ist ein Kommunikationsdesaster. Ein Jahrhundertprozess wie dieser hätte nicht unbedingt in einem Saal stattfinden müssen, der nur Platz für insgesamt 250 Menschen, davon allein 50 für Zuschauer und lediglich 50 für Journalisten, bietet. Jedes Hochschulseminar, gerade die juristischen Fakultäten und Hörsäle, bieten Platz für mehr Menschen. Die Gerichtsleitung hätte im Vorfeld angesichts der Relevanz des Mordprozesses intensiver sprechen, kommunizieren und beraten müssen. Eine plausible und wohlwollende Lösung wäre bei so einem weltweit beachteten Prozess sicher nicht schwergefallen. Dies hätte Vertrauen und Transparenz geschaffen. Sturheit und Pedanterie scheinen aber überwogen zu haben.

Eine weitere Kommunikationspanne: Auch die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU), die die Entscheidung des Gerichts verteidigt, kommt mit ihren Erklärungsversuchen und Interviews unglücklich rüber.

Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ wirft auch die EU-Kommission dem Gericht vor, „jedes Gespür fehlen zu lassen“ und „suboptimal“ gehandelt zu haben. Die Zeitung zitiert die EU-Justizkommissarin Viviane Reding, die sagt, dass es „das Normalste von der Welt“ sei, „dass ausländische Medien, erst recht aus Ländern mit Betroffenen“, dem Prozess hätten beiwohnen müssen. Außerdem meldet sich Nils Muiznieks, der Menschenrechtskommissar des Europarats, zu Wort und lässt verlauten, dass er die Entscheidung des Gerichts kaum verstehe. Fatal für das Vertrauen in deutsche Gerichte und andere Behörden sind die Aufmacher türkischer Zeitungen der letzten Tage. Die liberal-nationale „Hürriyet“ titelt: „Türkische Presse nicht erwünscht“ und gleich daneben: „Der Gerichtsprozess beginnt bereits ungerecht“ [„O Mahkeme Daha İlk Gün Adaletsiz Başladı“]. Die „Milliyet“ titelt: „Gerechtigkeit nach deutscher Art“.

Die berühmte Handwaage der Justitia ist von Anfang an in einer Schieflage. Was für ein Bild geben wir mit solchen Vorfällen in der Welt ab? Das ohnehin schon durch die Morde gestörte Vertrauen in Teile der staatlichen Behörden wird durch solche Ereignisse nicht besser. Es dürfte, nach gesundem Menschenverstand, nicht das Ziel staatlicher Einrichtungen sein, die Zuversicht und das Vertrauen in eben diese Einrichtungen und das Rechtsstaatssystem, auf das wir gerade nach dem Zweiten Weltkrieg stolz sein können, zu minimieren. Nicht umsonst schreibt Friedrich Schmidt von der „Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)“, dass das Gericht „jedes Gespür für die menschlichen und politischen Befindlichkeiten“ vermissen lässt. Cemil Şahinöz, Chefredakteur der Zeitschrift „Ayasofya“ und Betreiber der Internetseite www.misawa.de macht jetzt schon “große Zweifel” sowie “ein Nachgeschmack an Ungerechtigkeit” an dem Verfahren aus.

In diesem Gerichtsprozess geht es um mehr als die Zulassung türkischer Medien in die Verhandlung. Es geht auch darum, Schlampereien bei der Aufklärung der Morde zu benennen. Es geht darum, zu prüfen, ob es stimmt, was Markus Decker im „Kölner-Stadt-Anzeiger (KSTA)“ schreibt: „Dass es eine geistige Nähe zwischen Teilen des Inlandsgeheimdienstes und rechten Kreisen gibt“. Decker schreibt, dass es „Zeitgenossen“ gebe, die dies schon „längst für ausgemacht“ halten. Andreas Förster von der „Frankfurter Rundschau (FR)“ ergänzt, dass es ein „über Jahrzehnte gewachsene[s] soziale[s] und politische[s] Beziehungsgeflecht in der rechtsextremen Szene […], das der Zwickauer Zelle Rückhalt geben konnte“, existiert.

Die rechtsradikale Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“, deren Unterstützer und Helfershelfer bestehen nach letzten Erkenntnissen weder aus drei Personen noch aus 129 Personen, so wie in den letzten Tagen erklärt wurde, sondern aus viel mehr Menschen. Förster bezeichnet es als „bemerkenswert“, dass es unter den 129 Verdächtigen „acht inzwischen enttarnte V-Leute des Verfassungsschutzes und – in einem Fall – des Berliner Landeskriminalamts auftauchen“. Er geht davon aus, dass „längst nicht alle Spitzel in die Übersicht aufgenommen wurden“ und nennt eine vorsichtige Schätzung von „knapp zwei Dutzend“ V-Leuten, die mit der rechtsextremistischen Terrorbande in Verbindung standen.

In einem Interview von Eren Güvercin mit dem Anwalt, Publizisten und dem Vizepräsidenten der Internationalen Liga für Menschenrechte Rolf Gössner für die „Islamische Zeitung (IZ)“, äußert sich Letzterer über die Arbeitsweise sowie die „Vertuschungsmanöver und Schredderaktionen“ von Teilen der Dienste. In dem NSU-Prozess des Münchener Oberlandesgerichts wird auch über diese „Ungereimtheiten“ Aufklärung nötig sein. Auf diese Aufklärung sind die türkische Community, Deutschland und die Welt gespannt. Aktuell Meinung

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  1. aloo masala sagt:

    Es ist nicht der Job der Rechtsprechung, das katastrophale Versagen der Politik und der Sicherheitsbehörden wieder glattzubügeln.

    Die Schlampereien der Behörden stehen während des Prozesses ebenfalls nicht zur Debatte. Auf der Anklagebank sitzen Beate Zschäpe und vier weitere Rechtsextremisten und müssen sich wegen ihrer Verbrechen verantworten. Die Klärung der Pannen oder möglicher V-Mann-Verstrickungen ist erst einmal überhaupt nicht Aufgabe des Gerichts. Es werden hier völlig zu Unrecht überzogene Erwartungen geschürt, die natürlich enttäuscht werden müssen und dann in überzogenen Anschuldigungen wie einer rassistischen deutschen Justiz münden (Artikel von Herrn Felten).

    So wie man von Deutschen Sachlichkeit im Umgang mit Ausländerthemen einfordert, so sollte man mit gutem Beispiel vorangehen und mit „Augenmaß“ die ganze Angelegenheit bewerten.

  2. Özcan sagt:

    Nach dem lesen dieses Artikels:
    Sind wir mittlerweile nicht alle kleine Sarrazins geworden?

    Prognose für die Zukunft:
    Die Strafe für Beate Zschäpe wird zu gering ausfallen und das Migazin schlussfolgert daraus, dass der Richter und alle anderen Deutschen in der Republik irgendwie wohl Nazis sein müssen.
    Beweise: Null!
    Vorurteile: aber Hallo!

    Die meisten haben sich ihre Meinung sowieso schon unwiderlegbar zusammengeschustert: die Deutschen sind alle Nazis und wollen alle nur stramm stehen lassen. Und dann stilisiert man die Türken zu den neuen Juden und glaubt dadurch Freunde gewonnen zu haben. Die Masche ist alt!

  3. Lionel sagt:

    Sinn eines Gerichtsverfahrens ist die Wiederherstellung des Rechtsfriedens durch eine verbindliche Entscheidung, dem Urteil – nicht die Wiederherstellung verlorengegangenem Vertrauens in Sicherheitsbehörden oder Politik.
    Insofern kann ich den Ausführungen und dem Appell von aloo masala, zur Sachlichkeit zurückzukehren, völlig zustimmen – nur so lässt sich das Vertrauen wiederherstellen.
    Hierbei stehen Journalisten, Autoren, Politiker, aber auch Kommentatoren in besonderer Verantwortung.

  4. Marie sagt:

    Selbstverständlich stehen in diesem Prozess die Verstrickungen deutscher Behörden sehr wohl zur Debatte – Beate Zschäpe ist ja keinesfalls die Alleintäterin, da geht es selbstverständlich auch darum, von wem die potentiellen Täter Unterstützung, Gelder und Waffen erhalten haben. Das ist die Aufgabe der Richter, zu klären, ob Beate Zschäpe Alleintäterin, Hauptverantwortliche oder nur Randfigur war, danach richtet sich auch das Strafmaß. Es ist schon erstaunlich, dass hier Foristen der Meinung sind, die Klärung des gesamten Mordgeschehens und der Tatumstände seien angeblich nicht Sache des Gerichts.

    Noch erstaunlicher finde ich, dass es angeblich nicht Sache des Gerichts sein soll, durch höchstmögliche Transparenz auch gegenüber dem Ausland verlorengegangenes Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat wieder herzustellen. Selbstverständlich ist das Sache des Gerichts als Teil des deutschen Rechtsstaates. Aber den selbstgerechten Deutschen kümmern weder die berechtigten Vorwürfe der EU-Kommission, nicht die berechtigten Vorwürfe von Verfassungsrichtern und hochkarätigen Rechtsexperten, nicht die von Menschenrechtsbeauftragten, nicht die der Opfer, nicht die der türkischen Medien, nicht die der türkischen Regierung, nicht die zahlloser Kommentatoren im In- und Ausland, der selbstgerechte Deutsche hat immer recht. Ich stimme dem obigen Artikel mit jedem Wort zu, ich unterstreiche jedes Wort, ein ganz hervorragender Beitrag.

    Das Geschrei hätte ich hören wollen, wenn die Türkei in Sachen Marco Weiß den deutschen Reportern, die teilweise in übler, hetzerischer Weise berichtet haben, keinen Zugang gewährleistet hätte. Da wurde in Deutschland trotz des rechtsstaatlichen Zugangs deutscher Journalisten in anmaßender Weise laut geschrieen. Die rechtsstaatlichen Prinzipien, die die Transparenz ausdrücklich einschließen, auch gegenüber dem Ausland und erst recht, wenn es betroffen ist, die gelten in der Türkei, aber nicht in Deutschland.
    In Deutschland gelten die nur dann, wenn der Angeklagte ein Schweizer ist, aber nicht, wenn die Opfer rassistischer Morde Türken sind. Deutschland gegen den Rest der Welt, selbstgerecht, anmaßend, überheblich, skandalös, ungeheuerlich.

  5. Arthur sagt:

    Ganz genau, die Türken sind inzwischen die ’neuen Juden‘. Es gibt immer mehr Parallelen. So leid es mir tut. Ich rufe zur Besonnenheit auf. Die vielen Sarrazins sollen auswandern und die Menschen hier im Land in Frieden lassen.

  6. Rolf Kessler sagt:

    „die Türken sind inzwischen die ‘neuen Juden’“

    Nein Arthur. Die Juden waren Deutsche, bestens integriert, nicht fordern, in die Gemeinde eingebunden. All das sind die Muslime nur zu einem sehr geringen Teil.

  7. Marie sagt:

    Ihre Hetzereien gegen Muslime sind einfach unerträglich, Herr Kessler. Viele Muslime sind auch Deutsche und der größte Teil ist auch integriert. Den größten Hass auf Muslime haben die Deutschen, die mit Muslimen gar nicht in Berührung kommen, die beziehen ihren Hass aus dem TV, den Medien, dem Gehetze von Politikern und Sarrazins und so weiter. Das istb empirisch belegt.

    In meiner Gegend wohnen sehr viele Muslime, lauter nette Leute, an deren Freundlichkeit sich die meisten Deutschen eine dicke Scheibe abschneiden könnten. Die Türken gehen überwiegend arbeiten und zahlen auch in unsere Sozialkassen ein, Jetzt plötzlich waren die Juden bestens integriert, damals hazt man auf genau dieselbe Weise gegen sie hehetzt, wie man es heute mit den Türken und Muslimen macht. Sie tauschen lediglich das Feindbild Juden gegen das Feindbild Türken aus, Herr Kessler. Gehören Sie zu jenen, die mit Transparenten gegen den Bau muslimischer Gotteshäuser demonstrieren und Kopftücher als Bedrohung des Rechtsstaates sehen? Oder täusche ich mich da?

    Arthur hat völlig recht, die Türken sind die neuen Juden. Die verbale Hetze in großen Teilen dieser Gesellschaft steht der verbalen Hetze gegen die Juden kaum nach und der Hass und der Volkszorn entlädt sich immer ungenierter und ohne jeden auch noch so kleinen Rest von Anstand und Menschlichkeit.

  8. aloo masala sagt:

    @Marie

    Ein Prozess verhandelt nur die Anklagepunkte, um (im besten Fall) zu einem abschließenden Urteil gegenüber den Angeklagten gekommen.

    Es ist definitiv nicht die Aufgabe der Gerichte „Schlampereien der Behörden bei der Aufklärung der Morde zu benennen“. Die Aufgabe der Gerichts ist zu einer Entscheidung hinsichtlich der Anklage zu gelangen und einen fairen Prozess zu gewährleisten.

    Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist, dass die Verfehlungen der deutschen Sicherheitsbehörden nicht dem Rechtstaat anzulasten sind. Das Vertrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden ist verloren gegangen, auch bei mir. Es ist nicht der Job des deutschen Rechtstaat, verlorenes Vertrauen in anderen Bereichen zu kompensieren.Das Vertrauen in den deutschen Rechtstaat ist erst dann beschädigt, wenn der Prozess unfair ist.

  9. Lionel sagt:

    Türken sollen die neuen Juden sein?
    Mir ist nicht bekannt, dass es einen Boykott türkischer Geschäfte, systematische Ausgrenzung von Türken in Schulen, Unternehmen und Vereinen, ein Äquivalent zu den Nürnberger Rassegesetzen oder zur Pogromnacht vom 9. November 1938 gegeben hätte.
    Von der Shoah in diesem Zusammenhang wagt man erst gar nicht zu sprechen.

    Zu behaupten, irgendein Bevölkerungsteil im gegenwärtigen Deutschland würde nun die Rolle der Juden zur Zeit des 3. Reiches einnehmen, ist eine unsägliche Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen.

  10. aloo masala sagt:

    @Lionel

    Mit der Rolle der Juden im dritten Reich kann man die heutige Situation der Türken und Muslime in Westeuropa sicher nicht vergleichen.

    Der Antisemitismus beschränkte sich allerdings nicht nur auf die Zeit des dritten Reiches, sondern hatte eine jahrhundertelange Tradition, die letztlich in den Holocaust mündete.

    Nicht nur hinsichtlich der Stereotypen und Klischees sind Muslime in der Tat die neuen Juden. Die Rhetorik der Islamfeinde entspricht die der Antisemiten, wenn man beispielsweise das Wort Jude durch Muslim und das Wort Rasse/Volk durch Kultur ersetzt.

    Worauf Arthur nun seinen Vergleich bezog ist unklar. Allerdings halte ich von diesen Juden-Türken Vergleichen ebenfalls nicht viel. Denn letztlich münden sie in eine Assoziation zum Holocaust, den man dann für seine eigene Opferrolle ausschlachtet. Zum einen sollten sich Muslime nicht selbst in eine hilflose Opferrolle drängen. Zum anderen reicht es völlig aus zu sagen, dass Islamfeindlichkeit ein Problem in Westeuropa ist. Jeder versteht die Dimension dieses Problems und die, die es nicht verstehen, verstehen es erst recht nicht mit Juden-Türken Vergleichen.