Rechtswidrig und Diskriminierend

Bundesverwaltungsgericht verbietet Gebührenabzocke von Türken in Ausländerbehörden

Ausländerbehörden dürfen von Türken für das Ausstellen von Aufenthaltstiteln nicht mehr Geld verlangen als von EU-Ausländern. Das hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Bisher zahlen Türken einen Aufschlag von mehr als 100 Euro.

Von Mittwoch, 20.03.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 26.03.2013, 7:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Deutlicher hätte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig es nicht formulieren können. Für türkische Staatsbürger gilt Europarecht. Verankert ist das in dem Assoziationsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Danach gilt sowohl ein Diskriminierungsverbot als auch ein Verschlechterungsverbot.

Das bedeutet: Türkische Arbeitnehmer dürfen im Vergleich zu EU-Bürgern weder diskriminiert noch dürfen ihre Freizügigkeitsrechte verschlechtert werden. Maßgeblich dabei ist die Rechtslage aus dem Jahre 1980. Das hat das BVerwG (1 C 12.12) am Dienstag (19.3.2013) klargestellt.

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135 € von Türken, 29 € von EU-Bürgern
Der Entscheidung lag der Fall eines türkischen Arbeitnehmers zugrunde, der innerhalb von wenigen Jahren drei Mal tief in die Tasche greifen musste. Die Behörde verlangte für die Verlängerung und Ausstellung seines Aufenthaltstitels Gebühren in Höhe von 40, 30 und 135 Euro.

Dagegen wehrte sich der Türkei bei der Behörde vergeblich. Es kam zum Rechtsstreit. Sowohl das Verwaltungsgericht als auch das BVerwG sahen den Kläger in vollem Umfang im Recht. Der Betrag sei im Vergleich zu Gebühren, die von Unionsbürgern verlangt würden (8 bzw. 28,80 Euro), „unverhältnismäßig hoch“, führten die Richter aus. Das verstoße gegen das Abkommen mit der Türkei. Die Richter in Leipzig begründen ihre Entscheidung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dem wiederum ein vergleichbarer Fall aus den Niederlanden zugrunde lag.

Bundesregierung in Erklärungsnot
Damit gerät die Bundesregierung in arge Erklärungsnot. Sie weigert sich schon seit Jahren, der Rechtsprechung des EuGH zu folgen – oft in haarspalterischer Manier und juristischer Spitzfindigkeit. So hatte sie im Jahre 2010 auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion noch mitgeteilt, dass die EuGH-Entscheidung gegen die Niederlande auf Deutschland nicht anwendbar sei. Deutschland habe nach Inkrafttreten des Verschlechterungsverbotes im Gegensatz zu den Niederlanden keine neuen Gebühren eingeführt, sondern diese nur angehoben aufgrund höherer Kosten für elektronische Aufenthaltsdokumente.

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Diesem Argument erteilten die Leipziger Richter eine klare Absage. Die höheren Kosten rechtfertigten die verlangten Gebühren nicht, „weil entsprechende Dokumente für die Familienangehörigen von Unionsbürgern mit 28,80 € deutlich weniger kosten“, so die Mitteilung des Gerichts. „Diese unionsrechtliche Begrenzung der Gebühren kommt über das Assoziationsrecht auch türkischen Staatsangehörigen zugute“, führt das BVerwG weiter aus.

Beratung im Innenausschuss
Wie die Bundesregierung darauf reagieren wird, bleibt abzuwarten. Gelegenheit für einen Kurswechsel von der bisherigen sturen Haltung wird sie in einigen Wochen bekommen, wenn im Innenausschuss des Bundestages erstmals über das Assoziationsabkommen beraten wird. Anlass ist ein Antrag der Linksfraktion zur Umsetzung des Assoziationsrechts sowie ein aktueller Gesetzesentwurf der Grünen zur „Klarstellung des assoziationsrechtlichen Rechtsstatus Staatsangehöriger der Türkei“. Ziel beider Initiativen ist es, die sich aus dem Assoziationsabkommen ergebenden Rechte im deutschen Recht zu verankern.

Unterstützt wird der Grünen-Entwurf auch von der SPD. Bei einer ersten (schriftlichen) Debatte im Bundestag Ende Februar lehnte Reinhard Grindel (CDU) den Vorstoß aber kategorisch ab und bezeichnete das Abkommen als „Krücke“. Serkan Tören (FDP) lehnte den Gesetzeswurf ebenfalls ab. Sein Argument: „Wieso sollten wir ein Gesetz verabschieden, wenn der Inhalt längst Gesetz ist?“ Auf das Assoziationsabkommen werde bereits verwiesen.

Assoziationsrecht kaum geregelt
Gemeint ist ein kleiner Passus im Aufenthaltsgesetz, dessen Wortlaut allerdings nicht viel hergibt. Das bemängelt auch Grünen-Abgeordneter Memet Kılıç: „Die Betroffenen, die Ausländerbehörden und die Gerichte sollen endlich die wesentlichen Rechte, die sich aus dem Assoziationsrecht ergeben, mit einem Blick ins Gesetz entnehmen können.“

Paragraf 4 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz: Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

Ein häufig anzutreffendes Problem, das Beamte wie Betroffene überfordert. Die komplexe Rechtslage ist selbst in den Ausländerbehörden weitestgehend unbekannt. Und wenn das Assoziationsabkommen ausnahmsweise doch zur Anwendung kommt, orientieren sich Beamte an den Anwendungshinweisen des Bundesinnenministeriums. Diese stammen allerdings aus dem Jahr 2002 und sind angesichts zahlreicher und wichtiger Entscheidungen des EuGH in den letzten Jahren praktisch nutzlos.

36 Seiten in drei Jahren
Eine Aktualisierung hatte das Ministerium bereits im Mai 2011 angekündigt; ein Jahr später hieß es unverändert, die Anwendungshinweise würden „derzeit überarbeitet“ – und es sei auch „noch nicht absehbar, wann die Überarbeitung abgeschlossen sein wird“. Dabei haben die Anwendungshinweise einen Umfang von 36 Seiten.

Für die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sevim Dağdelen, ist das Vorgehen der Bundesregierung rein taktischer Natur. Sie halte „aus politischen Gründen bewusst am europarechtswidrigen Umgang“ mit türkischen Migranten fest, „solange es nur irgend geht“.

Betroffene können Widerspruch erheben
Mit dem aktuellen Richterspruch könne sich die Bundesregierung aber „schon mal darauf einstellen, dass ihre Politik des Zwangs und der steten Gesetzesverschärfungen im Kern gescheitert ist“. Das betreffe weit mehr als nur die Gebührenbescheide: „Dies betrifft zum Beispiel die Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug im Ausland, aber auch die seit Mitte 2011 gesetzlich vorgesehene Verweigerung einer längerfristigen Aufenthaltserlaubnis, wenn ein Integrationskurs noch nicht erfolgreich beendet wurde – und vieles mehr“, so Dağdelen.

Die Betroffenen fordert die Linkspolitikerin auf, „rückwirkend Widerspruch gegen Gebühren zu erheben. Wenn kein rechtsmittelfähiger Bescheid mit Rechtsbehelfsbelehrung vorliegt, ist dies rückwirkend für ein Jahr möglich.“ Leitartikel Recht

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  1. Solarhorst sagt:

    Zum Ehegattennachzug meiner Frau aus Kenia hab ich auch noch einige Kosten anzumerken:
    je Urkundenprüfung 210 Euro bei drei also 630 Euro. Arbeitsaufwand des Anwalts geschätzt ein Tag, falls überhaupt persönlich die Behörde angefahren wird. Monats! – Verdienst einer Lehrerin ca. 140 Euro
    Visabearbeitungsdauer mittlerweile 4 Monate durch widersprüchliche Verwaltungsvorschriften ect. weitere 6 Monate Prüfung möglich bzw. angekündigt.
    Monatliche Zusatzkosten in Afrika 200 Euro.
    Im Jan beginnt die Schule sinnlose Zusatzkosten für Bücher+Schulgeld 300
    zusätzliche Flugkosten für mich, denn ich will meine Frau an Weihnachten auch mal wieder sehen….Ausgaben für Beruhigungsmittel zur Nervenschonung
    Simon kann gerne meine Email bekommen, dann sind wir schon Zwei :-)

  2. Zeynel Ates sagt:

    Wie funktioniert es mit der Beschwerde ?
    Wie hoch sind die Chancen das man recht bekommt ?
    Schritt für Schritt Anleitung wäre nicht schlecht .
    Wie kann man sich helfen ?