Bades Meinung

Die neue Roma-Zuwanderung: Hysterie statt Engagement

Aufgrund der deutschen Geschichte wurden Juden in Deutschland freundlich aufgenommen. Das Gegenteil galt für „Zigeuner“ aus Osteuropa, schreibt Prof. Klaus J. Bade in seiner neuesten MiGAZIN Kolumne und warnt - Weichenstellungen der Migrations und Integrationspolitik, Folge 4

Von Montag, 18.02.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.02.2013, 23:13 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Vor dem Hintergrund des düstersten Kapitels der deutschen Geschichte fanden Juden aus Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion und der GUS von 1989/90 bis zum Zuwanderungsgesetz von 2005 freundliche Aufnahme im Land des Holocaust im Rahmen von vertraglich vereinbarten Größenordnungen. Schuldgefühle wegen nationalsozialistischer Massenverbrechen wirkten aber nicht bei der Behandlung aller davon betroffenen Minderheiten:

Die Erinnerung, dass Sinti und Roma nach den Juden mit rund 500.000 Opfern die von der nationalsozialistischen Mordmaschinerie am zweitstärksten betroffene Gruppe waren, bot für die zeitgleich aus Mittelost- und Südosteuropa zuwandernden Roma keine Brücke nach Deutschland. Von Anfang 1990 bis zum Inkrafttreten des neuen Asylrechts 1993 gab es rund eine Viertelmillion Roma-Flüchtlinge in Deutschland. Sie kamen vor allem aus Rumänien, aber auch aus Jugoslawien und Bulgarien. Ihre Behandlung zeigte ein strenges Gegenbild zu derjenigen von jüdischen Flüchtlingen aus der GUS.

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Bei Juden ging es um staatlich begleitete dauerhafte Einwanderung unter den integrativen Leitperspektiven von Anerkennung, Akzeptanz und wohlfahrtsstaatlicher Inklusion. Das Gegenteil galt für die unerwünschte Zuwanderung von ‚Zigeunern‘ aus Osteuropa: Exklusion, Zwangsrepatriierung bzw. als ‚Rückführung‘ getarnte Deportation zurück in Länder, in denen sie, wie z.B. in Rumänien, zumindest ebenso ausgekreist waren und sind wie Juden in der GUS.

In anderen mittelost- und südosteuropäischen Ländern sind Roma bis heute betroffen von sozialer Ausgrenzung, Erniedrigung, Entrechtung und Verfolgung. Sie sind sogar Opfer von regelrechten Pogromen, bei denen in den letzten Jahren allein in Tschechien und Ungarn insgesamt mehr als 30 Menschen den Tod fanden, zahllose andere verletzt und unzählige traumatisiert wurden.

Aber heute kommen die Roma wieder – und diesmal als EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien. Von dort kommen, was wenig Beachtung findet, auch viele gut bis sehr gut qualifizierte Zuwanderer. Sie verursachen einen erheblichen Brain Drain in ihren Herkunftsländern und könnten ein großer Gewinn am Arbeitsmarkt in Deutschland sein. Sie werden aber hierzulande häufig noch weit unter Ihrem Qualifikationsniveau ausgebeutet, weil sie wegen der Zugangssperren am Arbeitsmarkt bis 31.12.2013 als abhängig Beschäftigte noch EU-Bürger zweiter Klasse sind: mit Zugang zum Land, aber in der Regel ohne regulären Zugang zum ersten Arbeitsmarkt. Ob und inwieweit diese Unterschichtung durch Ausbeutung unter Qualifikation nach der Aufhebung der Zugangssperren ab 1.1.2014 und durch die Wirkungen des Anerkennungsgesetzes ein Ende finden wird, muß abgewartet und kritisch beobachtet werden.

An diese unauffällige Elitenzuwanderung wird kaum gedacht, wenn von der Zuwanderung aus den neuen EU-Ländern im Osten die Rede ist. Alarmistisch geredet und geschrieben wird stattdessen vorwiegend über die meist noch vergleichsweise kleine, oft wenig oder doch wenig passfähig qualifizierte Minderheit der Roma-Familien, die wegen Ihrer Soziallagen und wegen der auf sie zielenden Vorurteile und Fremdheitszuschreibungen (‚Zigeuner’) umso auffälliger wirken.

Dies ist in der Tat die Kehrseite des Evangeliums der Freizügigkeit, bei dem offensichtlich Viele nur von der Zuwanderung von möglichst hochqualifizierten und in ihren Berufs- bzw. Sozialprofilen hübsch passgerechten Zuwanderern träumten. Sie dachten nicht an eine Armenwanderung, die Rechtsansprüche an die Sozialsysteme hat und die nun nicht mehr zwangsweise umkehrbar ist. Und sie wird wachsen, darüber sollte man sich endlich klar werden.

Die Zuwanderung von Roma mit prekären Soziallagen konfrontiert die Zielländer mit neuen Herausforderungen, mit denen viele nicht gerechnet hatten: einerseits neue Formen der nationalen Integrationsförderung und andererseits supranationale Gestaltungsaufgaben, die alternativlos auf eine Art ‚Entwicklungspolitik‘ mitten in Europa hinauslaufen.

Integration durch Qualifikation in den Zielländern und Bekämpfung der wanderungstreibenden Faktoren in den Ausgangsräumen sind hier zwei Seiten der gleichen Medaille. Das erste ist die nationale, das zweite die supranationale Aufgabe. Das eine geht nicht ohne das andere; denn nur so kann verhindert werden, daß die Freizügigkeit zu einem menschenverachtenden transnationalen Verschiebebahnhof mit dem Export und Import von Sozialproblemen wird.

Aber die 2011 von Brüssel vergeblich um eine nationale Roma-Konzeption gebetene Bundesregierung übte sich – wie auch andere europäische Adressaten – zunächst in defensiver Erkenntnisverweigerung. Sie liess die Kommunen, wieder einmal, mit den Problemen allein. Die von der Bundesregierung Ende vergangenen Jahres, unmittelbar vor Ablauf der Frist, nach Brüssel übermittelte Antwort lautete sinngemäss: Es bestehe kein Handlungsbedarf für eine nationale Roma-Konzeption; denn es gebe in Deutschland schließlich ein komplexes System von Integrationshilfen, insbesondere Integrationskurse mit Sprach- und Orientierungskursen, die die Roma-Zuwanderer doch nur beantragen müssten. Weit gefehlt.

Es hatte sich offenkundig noch nicht bis ins hohe Berlin herumgesprochen, daß eine Bevölkerungsgruppe, die auf Grund jahrhundertelanger Auskreisung, Ächtung und Verfolgung gelernt hat, sich misstrauisch nach außen abzugrenzen und Vertrauen nur gegenüber den familialen Großverbänden zu haben, nicht ohne weiteres in die Regularien der wohlfahrtstechnischen individuellen Integrationsförderung einzuklinken ist.

Hier gibt es, ausnahmsweise, tatsächlich historisch gewachsene, nach außen abgeschottete großfamiliale ‚Parallelgesellschaften‘, die geschlossen zuwandern oder in Kettenwanderung nachrücken. Sie können nur als solche in die staatliche Integrationsförderung einbezogen werden. Unsere Integrationshilfe-Pakete sind dafür nicht geschnürt. Das muß endlich begriffen werden, damit aus ‚spät‘ nicht wieder ‚zu spät’ wird.

Herumgesprochen hat sich offenkundig auch nicht, daß manche Roma-Familien nicht zum ersten Mal in Deutschland sind. Viele haben vor zwei Jahrzehnten schon eine reguläre, als ‚Rückführung‘ geschönte Deportationserfahrung hinter sich gebracht, zum Teil unter Vorspiegelung verlockender und am Ende trügerischer Erwartungen wie in dem großen NRW-Rückführungsprojekt der 1990er Jahre. Aus diesen Erfahrungen und den darüber in Roma-Familien umlaufenden Berichten resultiert bis heute eine Kombination von Enttäuschung und Misstrauen, die nicht gerade eine optimale Integrationsvoraussetzung ist. Vor Illusionen sei also gewarnt.

Wer mit kommunalen Integrationsbeauftragten über diese Probleme spricht, erfährt sogleich, wie vordergründig die Berliner Antwort war. Das zeigt, daß das hier zuständige Bundesministerium des Innern in Sachen Integrationspolitik als Gesellschaftspolitik seine Lektionen noch immer nicht gelernt hat. Statt mit Konzeptionen hat Politik jenseits der kommunalen Ebene vorzugsweise, wieder einmal, mit populistischen Drohgebärden reagiert. Bundesinnenminister Friedrich redete alarmistisch, ohne zureichende Differenzierung und damit zur Verwechslung der Gruppen einladend, von einem „zunehmenden Asylmißbrauch aus den Balkanländern“, der „unverzüglich gestoppt“ werden müsse. Das hätte man, soweit es nötig war, auch still besorgen können. Aber populistischer Radau muß scheinbar sein.

Wissenschaftler hatten lange vergeblich empfohlen, konzeptionell die hier notwendigen Weichenstellungen in der Migrations- und Integrationspolitik zu überdenken, die Kommunen und ihre Bürger darauf vorzubereiten, bevor sich rechtsradikale Gruppen mit ihrer kulturrassistischen Agitation des Themas bemächtigen würden. Das wurde, wieder einmal, überhört. Lautstarke Ersatzhandlungen für fehlendes konzeptionelles Engagement aber treiben nur Wasser auf die Mühlen der Rechtsradikalen.

Die haben, wie warnend vorausgesagt, ihre Chance längst erkannt und sind mit dem Thema ‚Zigeuner‘ bereits bundesweit am Ball. Die Folgen sind absehbar. Und bei der fast allwöchentlichen, geradezu rituellen Roma-Hatz im tschechischen ‚Schluckenauer Zipfel‘ üben deutsche Rechtsradikale schon lange, wie man später mal mit Roma in Deutschland umgehen könnte. Bleibt zu hoffen, daß es nicht zu einem episodischen Nachvollzug der Exzesse der frühen 1990er Jahre kommt. Und wenn es dazu käme, dann würde es sicher wieder einmal heissen, dass das doch wirklich niemand absehen konnte. Aktuell Meinung

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  1. Soli sagt:

    Kann der Autor denn mal ein paar Zahlen geben wie viele „Hochqualifizierte“ aus Rumänien und Bulgairen hierher kommen?
    Die unter den steigenden Lasten (Unterkunft, Gesundheistfürsorge, Integrationsdienste usw usw….) leidenden Kommunen – die mittlerweile nicht mal mehr genug Geld haben um unsere Kindergärten und Schulen in Schuss zu halten – sehen von diesem „Braindrain“ jedenfalls nichts.

    Also bitte – wie sie hier versuchen alles schön zu reden, das geht so nicht.
    Menschlich kann ich das alles vollkommen verstehen, aber auf der anderen Seite muss man auhc die hier lebenden Menschen verstehen. MEine Großeltern und Eltern haben vieles von dem was hier steht für mich und meine Geschwister aufgebaut, und dabei viel entbehrt. Jetzt sehen sie wie andere davon profitieren – ohne je einen Finger gerührt zu haben.
    Das ist genauso unfair.

  2. Anton sagt:

    @Soli: Dazu braucht man sich nur die Bevölkerungsstatistiken der osteuropäischen Staaten anzuschauen und man wird feststellen, dass es in den vergangenen beiden Jahrzehnten zu massiven Abwanderungen gekommen ist. Ich habe 2000-1 an einer osteuropäischen Uni gearbeitet und mit eigenen Augen gesehen, wie amerikanische und skandinavische Firmen junge Naturwissenschaftler und Informatiker abgeworben haben.
    Wenn Sie sich schon auf die Leistung Ihrer Vorfahren beziehen, müssten Sie fairerweise Verantwortung für die Verfolgung und Ermordung der europäischen Roma übernehmen. In Jugoslawien, z.B., wurden die Roma vielfach hinter der Front erschossen. Dies allein wäre schon ein Grund, etwas respektvoller mit Asylbewerbern aus dem Balkan umzugehen.

  3. aloo masala sagt:

    @Soli

    Wozu brauchen Sie Zahlen, wenn Sie von einer völlig falschen Prämisse ausgehen:

    —–
    Die unter den steigenden Lasten (Unterkunft, Gesundheistfürsorge, Integrationsdienste usw usw….) leidenden Kommunen – die mittlerweile nicht mal mehr genug Geld haben um unsere Kindergärten und Schulen in Schuss zu halten –
    —-

    Zunächst einmal ist Bildung Sache der Länder und nicht der Kommunen.

    Zuverlässige Zahlen gibt es zu Bildungsausgaben. Deutschland liegt bei öffentlichen Bildungsausgaben für Kindergärten, Schulen, Hochschulen und die Berufsbildung international weiterhin hinterher. Geld ist also vorhanden, wird aber nicht für Bildung ausgegeben.

  4. Soli sagt:

    @aloo masala – das war nur ein Beispiel unter vielen. Natürlich werden einige der notwendigen Integrations- und Sozialausgaben auch vom Bund gezahlt, nur wenn der kein Geld hat holt er es sich wo – von den Ländern. Wenn die keins haben holen die es sich wo – von den Kommunen.

    Mitterweile haben im übrigen viele Kommunen eigene Kindergärten errichtet.

    Leider haben sie zu den weiteren Punkten nichts gesagt.

    @Anton – für die Taten der Menschen dieser schlimmen Zeit kann ihc nichts, noch habe ich daran Schuld. Eine Verantwortung lehne ich insofern dafür ab, gleichwohl akzeptiere ich das als teil der deutschen Vergangenheit. Nicht mehr, nicht weniger. Wir sollten uns auch mal vom „Schuldkult“ trennen dürfen.
    Übrigens hat mein Vater in keinem Krig gedient und mein Großvater hat mir oft erzählt von den Freundne die desertierten und erschossen wurden, ich hoffe sie kommen niemals in so eine Situation.

  5. Ole sagt:

    @ aloo masala:

    Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu. Die Schul- und Kindergartengebäude und deren Ausstattung müssen allerdings durch Stadt und ggf. Landkreis erbracht werden.

  6. Wolfram Obermanns sagt:

    Eine wirklich gute Ergänzung zu den Ausführungen von Hr. Bade findet sich in der FAZ: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/armutseinwanderung-gefahr-fuer-den-sozialen-frieden-12085341.html
    Dort wird Fokus nicht allein auf den Bund gelenkt, sondern es werden auch die Versäumnisse der Länder angesprochen und die Frage nach den Nutznießern der häufig (meistens?) ausbeuterischen Mietverhältnisse aufgeworfen. Mietverhältnisse die man umgangsprachlich als kriminell bezeichnen würde und auf die denkbar hilflos reagiert wird. Auch da hat die Politik offensichtlich noch ein paar Hausaufgaben zu machen.

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