Ethnomarketing
Das ewige Talent
Burhan Gözüakça ist Mitgründer und Projektleiter der Agentur BEYS marketing & media GmbH. In einem Interview sprechen er und die Marketingexpertin Prof. Dr. Marion Halfmann darüber, wie wichtig die Entwicklung des Ethno-Marketings für deutsche Unternehmen ist.
Von Marcello Buzzanca Dienstag, 22.01.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 27.01.2013, 20:28 Uhr Lesedauer: 10 Minuten |
Das ewige Talent – eine Bezeichnung, die gemeinhin für Fußballer und andere Hochleistungssportler benutzt wird. Sie trägt in sich immer auch eine Melange von Hoffnung und Scheitern und vielleicht das Bild einer Knospe, die es nie zu voller Blüte geschafft hat, weil ihr auf dem Weg dahin die Luft ausging, sie im falschen Boden steckte oder einfach nicht die richtigen äußeren und inneren Umstände zusammenfanden.
Das gilt in gewisser Hinsicht auch für das Ethno-Marketing – zumindest hier in Deutschland. Diese Ansicht vertritt Burhan Gözüakça. Als Mitgründer und Projektleiter der Agentur BEYS marketing & media GmbH in Berlin hat er trotzdem oder gerade aufgrund des dem Ethno-Marketing anhaftenden Labels Ewiges Talent einen Beitrag zu diesem Thema im Herausgeberband Neue Zielgruppen im Konsumentenmarketing (Herausgeberin: Prof. Dr. Marion Halfmann, Springer Gabler Verlag, erscheint voraussichtlich im Mai 2013) verfasst. Vielleicht, weil er die Hoffnung dennoch nicht aufgegeben hat, dass sich dieses Stiefkind des Marketing irgendwann seinen ihm zustehenden Platz in der deutschen Gesellschaft erobern wird?
Burhan Gözüakça lacht. Es sei in jedem Fall so gewesen, dass Prof. Dr. Marion Halfmann ihn angesprochen und um einen Fachbeitrag im Buch gebeten habe. Dazu, so erklärt er in einem Gespräch mit dem MiGAZIN, habe er sich spontan bereit erklärt, viele interessante Materialien gesichtet und – ganz schwäbischer Türke und türkischer Schwabe – als erster Autor seinen Beitrag zu diesem Buch fertiggestellt und abgegeben.
Es gehe dabei um eine fundierte Zielgruppenanalyse, um die Frage, warum die Zielgruppe Migrantinnen und Migranten angesprochen werden soll und um Integrations- bzw. Akkulturationsstufen: Wo stehen deutsche Marken, deutsche Unternehmen und deren Produkte in Bezug auf die Türken in der Türkei, in Europa und in Deutschland? Wie kann das Ethno-Marketing in den USA helfen, auf dass auch hier die Zielgruppe der Migrantinnen und Migranten besser verstanden, erschlossen und bedient wird?
Sind also die Türken in Deutschland mit den Latinos der USA vergleichbar? „In gewisser Weise ja, aber in vielerlei Hinsicht auch wieder nicht,“ erklärt Burhan Gözüakça. Das Selbstverständnis davon, dass die Latinos in den USA – auch bezüglich des Marketings – längst angekommen und größtenteils angenommen sind, fehlt der türkischen Community in Deutschland noch. Ethno-Marketing sollte zwar nicht mit Politik verwechselt werden, doch mitunter könne die (werbliche) Ansprache einer Zielgruppe auch zum besseren Verständnis ihrer Kultur und damit zur Integration beitragen.
Marketingration ist keine Einbahnstraße
Ethno-Marketing ist Zielgruppenmarketing. Türken in Deutschland sind eine Zielgruppe. Die Ansprache der Türken in Deutschland ist ohne Ethno-Marketing kaum denk- und machbar. Dieser Syllogismus ist eine der zentralen Erkenntnisse des Marketing-Spezialisten. Schließlich macht BEYS Ethno-Marketing und das erfolgreich seit 15 Jahren. Burhan Gözüakça weiß also, wovon er spricht und schreibt, wenn er sagt, dass die Vorteile dieser Zielgruppenansprache immer noch nicht in den Büros der Budgetverantwortlichen der Unternehmen angekommen sei. Zu zögerlich, desinteressiert und teilweise auch arrogant werde mit dem Thema Ethno-Marketing umgegangen.
Mit spitzen Fingern würden viele es anpacken, aus Angst, sie könnten mit einer gezielten Ansprache der Türken in Deutschland ihre anderen Kunden abschrecken. Vor allem in der Automobilindustrie und in der Telekommunikationsbranche als die beiden größten Werbespender, fehle ein durchgängiges Ethno-Marketing-Konzept. Dabei seien Projekte wie Ay Yildiz von E-Plus oder auch die Kooperation zwischen Türk Telekom Mobile und O2 oder auch, dass VW Türkisch spricht, zwar Ansätze, aber in jedem Fall noch erweiterungsfähig.
Burhan Gözüakça kennt jedoch aus eigener Praxis die Hürden, die sich auch einer spezialisierten Agentur wie Beys in Bezug auf das Ethno-Marketing täglich zeigen. Meistens müsste man den Entscheidern in Unternehmen nicht nur einiges erklären, sondern ethnisches Marketing mitunter gar rechtfertigen: Zuerst das Prinzip des Ethno-Marketing, dann die Zielgruppe mit detaillierten Daten und Fakten und schließlich auch die Agentur Beys selber.
Nicht minder problematisch sind Marketingverantwortliche, die glauben, schon alles verstanden zu haben. So sind die wenigen Versuche, ethnische Minderheiten anzusprechen nicht selten von Stereotypen geprägt. „In den Marketingabteilungen deutscher Unternehmen ist auch die Auffassung verbreitet, dass Ethnomarketing kein spezielles Thema ist, da man ja ohnehin schon wisse, wie man Türken ansprechen müsse. Der türkische Vater mit Bart und griesgrämiger Miene, die türkische Mutter am Herd mit Kopftuch, kitschige Deko und Apfeltee auf dem Tisch sind da ganz typische Elemente“, führt Marketingexpertin Prof. Dr. Marion Halfmann zum Thema aus.
Über Beys: Die BEYS marketing & media GmbH ist eine Kommunikationsagentur mit interkultureller Kompetenz und arbeitet seit 15 Jahren im Bereich Ethnomarketing. Sie bietet Analyse, Strategieentwicklung, Planung, Konzeption, Kreation, Durchführung und Kontrolle ein- und mehrsprachiger Kampagnen. Neben ihrem Büro in Berlin betreibt die Agentur auch eine Niederlassung in Istanbul.
„Oft treffen wir auf Desinteresse und Ablehnung“, beschreibt Burhan Gözüakça sein Daily Business. „Nicht selten sehen wir uns mit latenten Vorurteilen konfrontiert. Warum sollen wir als Unternehmen unsere Produkte oder unsere Marke(n) auf Türkisch übersetzen? Sollen die Türken in Deutschland doch Deutsch lernen, vermittelt man uns immer wieder. Dabei haben viele einfach noch nicht verstanden, dass es nicht um Politik, sondern um neue Absatzkanäle und eine differenzierte und professionelle Absatzförderung und Steigerung des eigenen Image geht!“
In diesem Zusammenhang fällt Gözüakça immer wieder ein prägnantes Beispiel ein: „Ethno-Marketing ist Zielgruppenmarketing. Wenn ich jetzt von einem Entscheider verlangen würde, dass er auf Homosexuelle fokussierte Werbung aus seinem Etat streichen solle, weil Schwule und Lesben ja auch heterosexuell werden könnten, würde man mich mit großen Augen ansehen! Niemand würde es jemals wagen, das von Homosexuellen zu verlangen, von Migrantinnen und Migranten allerdings schon. Und hier sehe ich eben viel Nachholbedarf.“ Feuilleton Leitartikel
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