Ethnomarketing

Das ewige Talent

Burhan Gözüakça ist Mitgründer und Projektleiter der Agentur BEYS marketing & media GmbH. In einem Interview sprechen er und die Marketingexpertin Prof. Dr. Marion Halfmann darüber, wie wichtig die Entwicklung des Ethno-Marketings für deutsche Unternehmen ist.

Das ewige Talent – eine Bezeichnung, die gemeinhin für Fußballer und andere Hochleistungssportler benutzt wird. Sie trägt in sich immer auch eine Melange von Hoffnung und Scheitern und vielleicht das Bild einer Knospe, die es nie zu voller Blüte geschafft hat, weil ihr auf dem Weg dahin die Luft ausging, sie im falschen Boden steckte oder einfach nicht die richtigen äußeren und inneren Umstände zusammenfanden.

Das gilt in gewisser Hinsicht auch für das Ethno-Marketing – zumindest hier in Deutschland. Diese Ansicht vertritt Burhan Gözüakça. Als Mitgründer und Projektleiter der Agentur BEYS marketing & media GmbH in Berlin hat er trotzdem oder gerade aufgrund des dem Ethno-Marketing anhaftenden Labels Ewiges Talent einen Beitrag zu diesem Thema im Herausgeberband Neue Zielgruppen im Konsumentenmarketing (Herausgeberin: Prof. Dr. Marion Halfmann, Springer Gabler Verlag, erscheint voraussichtlich im Mai 2013) verfasst. Vielleicht, weil er die Hoffnung dennoch nicht aufgegeben hat, dass sich dieses Stiefkind des Marketing irgendwann seinen ihm zustehenden Platz in der deutschen Gesellschaft erobern wird?

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Burhan Gözüakça lacht. Es sei in jedem Fall so gewesen, dass Prof. Dr. Marion Halfmann ihn angesprochen und um einen Fachbeitrag im Buch gebeten habe. Dazu, so erklärt er in einem Gespräch mit dem MiGAZIN, habe er sich spontan bereit erklärt, viele interessante Materialien gesichtet und – ganz schwäbischer Türke und türkischer Schwabe – als erster Autor seinen Beitrag zu diesem Buch fertiggestellt und abgegeben.

Es gehe dabei um eine fundierte Zielgruppenanalyse, um die Frage, warum die Zielgruppe Migrantinnen und Migranten angesprochen werden soll und um Integrations- bzw. Akkulturationsstufen: Wo stehen deutsche Marken, deutsche Unternehmen und deren Produkte in Bezug auf die Türken in der Türkei, in Europa und in Deutschland? Wie kann das Ethno-Marketing in den USA helfen, auf dass auch hier die Zielgruppe der Migrantinnen und Migranten besser verstanden, erschlossen und bedient wird?

Sind also die Türken in Deutschland mit den Latinos der USA vergleichbar? „In gewisser Weise ja, aber in vielerlei Hinsicht auch wieder nicht,“ erklärt Burhan Gözüakça. Das Selbstverständnis davon, dass die Latinos in den USA – auch bezüglich des Marketings – längst angekommen und größtenteils angenommen sind, fehlt der türkischen Community in Deutschland noch. Ethno-Marketing sollte zwar nicht mit Politik verwechselt werden, doch mitunter könne die (werbliche) Ansprache einer Zielgruppe auch zum besseren Verständnis ihrer Kultur und damit zur Integration beitragen.

Marketingration ist keine Einbahnstraße
Ethno-Marketing ist Zielgruppenmarketing. Türken in Deutschland sind eine Zielgruppe. Die Ansprache der Türken in Deutschland ist ohne Ethno-Marketing kaum denk- und machbar. Dieser Syllogismus ist eine der zentralen Erkenntnisse des Marketing-Spezialisten. Schließlich macht BEYS Ethno-Marketing und das erfolgreich seit 15 Jahren. Burhan Gözüakça weiß also, wovon er spricht und schreibt, wenn er sagt, dass die Vorteile dieser Zielgruppenansprache immer noch nicht in den Büros der Budgetverantwortlichen der Unternehmen angekommen sei. Zu zögerlich, desinteressiert und teilweise auch arrogant werde mit dem Thema Ethno-Marketing umgegangen.

Mit spitzen Fingern würden viele es anpacken, aus Angst, sie könnten mit einer gezielten Ansprache der Türken in Deutschland ihre anderen Kunden abschrecken. Vor allem in der Automobilindustrie und in der Telekommunikationsbranche als die beiden größten Werbespender, fehle ein durchgängiges Ethno-Marketing-Konzept. Dabei seien Projekte wie Ay Yildiz von E-Plus oder auch die Kooperation zwischen Türk Telekom Mobile und O2 oder auch, dass VW Türkisch spricht, zwar Ansätze, aber in jedem Fall noch erweiterungsfähig.

Burhan Gözüakça kennt jedoch aus eigener Praxis die Hürden, die sich auch einer spezialisierten Agentur wie Beys in Bezug auf das Ethno-Marketing täglich zeigen. Meistens müsste man den Entscheidern in Unternehmen nicht nur einiges erklären, sondern ethnisches Marketing mitunter gar rechtfertigen: Zuerst das Prinzip des Ethno-Marketing, dann die Zielgruppe mit detaillierten Daten und Fakten und schließlich auch die Agentur Beys selber.

Nicht minder problematisch sind Marketingverantwortliche, die glauben, schon alles verstanden zu haben. So sind die wenigen Versuche, ethnische Minderheiten anzusprechen nicht selten von Stereotypen geprägt. „In den Marketingabteilungen deutscher Unternehmen ist auch die Auffassung verbreitet, dass Ethnomarketing kein spezielles Thema ist, da man ja ohnehin schon wisse, wie man Türken ansprechen müsse. Der türkische Vater mit Bart und griesgrämiger Miene, die türkische Mutter am Herd mit Kopftuch, kitschige Deko und Apfeltee auf dem Tisch sind da ganz typische Elemente“, führt Marketingexpertin Prof. Dr. Marion Halfmann zum Thema aus.

Über Beys: Die BEYS marketing & media GmbH ist eine Kommunikationsagentur mit interkultureller Kompetenz und arbeitet seit 15 Jahren im Bereich Ethnomarketing. Sie bietet Analyse, Strategieentwicklung, Planung, Konzeption, Kreation, Durchführung und Kontrolle ein- und mehrsprachiger Kampagnen. Neben ihrem Büro in Berlin betreibt die Agentur auch eine Niederlassung in Istanbul.

„Oft treffen wir auf Desinteresse und Ablehnung“, beschreibt Burhan Gözüakça sein Daily Business. „Nicht selten sehen wir uns mit latenten Vorurteilen konfrontiert. Warum sollen wir als Unternehmen unsere Produkte oder unsere Marke(n) auf Türkisch übersetzen? Sollen die Türken in Deutschland doch Deutsch lernen, vermittelt man uns immer wieder. Dabei haben viele einfach noch nicht verstanden, dass es nicht um Politik, sondern um neue Absatzkanäle und eine differenzierte und professionelle Absatzförderung und Steigerung des eigenen Image geht!“

In diesem Zusammenhang fällt Gözüakça immer wieder ein prägnantes Beispiel ein: „Ethno-Marketing ist Zielgruppenmarketing. Wenn ich jetzt von einem Entscheider verlangen würde, dass er auf Homosexuelle fokussierte Werbung aus seinem Etat streichen solle, weil Schwule und Lesben ja auch heterosexuell werden könnten, würde man mich mit großen Augen ansehen! Niemand würde es jemals wagen, das von Homosexuellen zu verlangen, von Migrantinnen und Migranten allerdings schon. Und hier sehe ich eben viel Nachholbedarf.“

Übersetzen oder übertragen – Hauptsache, man macht es
Wie genau Ethno-Marketing aussehen kann, hängt natürlich von der Zielgruppe, vom Produkt, dem Unternehmen und der Marke ab. Generell aber sollte sowohl seitens der Agentur wie auch seitens der Unternehmen ein gegenseitiges Interesse an der Kultur bestehen. Ob nun Werbespots und Flyer einfach nur übersetzt werden, es zielgruppenspezifische Kommunikationskonzepte und zweisprachige Verkaufsberater/innen gibt oder aber, dass spezielle Produkte für die Zielgruppe aufgesetzt werden – „alles, so Burhan Gözüakça, ist besser als dass man das Potential des Ethno-Marketings einfach verkommen lässt.“

Natürlich, fügt er hinzu, könnten Banken und Sparkassen beispielsweise einen Hochzeitskredit- oder Sparplan für Türkinnen und Türken (oder ebenso für andere Migrantengruppen) einführen, der dann zur Volljährigkeit fällig oder ausgezahlt wird. Doch viele deutsche Bankberater und Portfoliomanager würden davor wahrscheinlich zurückschrecken, weil sie denken, dass man doch mit 18 Jahren noch nicht heiraten solle.

Es sind diese fehlenden Kenntnisse der „anderen“ Kultur und auch das manchmal nicht vorhandene Interesse, die Ethno-Marketing zum Dasein als ewiges Talent verdammen. Gözüakça illustriert den Verlust an einigen Zahlen: Die Werbeausgaben lagen 2012 in Deutschland bei rund 16-18 Milliarden Euro. Die Türken machen 3% der Bevölkerung aus. Folglich müssten rund 500 Millionen Etat für sie drin sein. Tatsächlich waren es aber nur 20 Millionen. Ein ebenso großer Faktor ist der demografische Wandel, auch im Marketing. Die Türken in Deutschland sind jung, kauffreudig und markenbewusst. Sie wollen konsumieren, auch wenn es etwas teurer ist. Warum also nutzen viele Unternehmen dieses Potential nicht?

Vernetzen und Berge versetzen
„Es fehlt an Vernetzung und mitunter auch an Empathie, Empirie und Sympathie für Migranten und deren Konsumverhalten. Es ist erschreckend, dass die Ignoranz der deutschen Wirtschaft gegenüber den Migranten so viel an Potential verschwendet.“ Burhan Gözüakça kann trotz seiner langjährigen Erfahrung im Marketing einfach nicht verstehen, warum es deutschen Unternehmen so schwer fällt, ihre Produkte auch auf Deutsch in diesen Markt und in die Zielgruppe Migranten zu bringen. „Dazu benötigt man Informationen, was die Lebensbedingungen und das Kaufverhalten angeht, “ sagt er. Und: Man muss es wollen.

Einige der Mitarbeiter bei Beys sind Deutsche und Ethno-Marketing-Profis. Ein anderes Beispiel für eine gelungene Integration im wirtschaftlichen Sinne sei Sebastian Sönksen Referent für Presse-und Öffentlichkeitsarbeit der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer (TDIHK): Ein Deutscher, der Pressemeldungen auf Türkisch schreibt – und auf Deutsch. Ein Multiplikator und Netzwerker, der die strategische Wichtigkeit seiner Position erkannt habe. Und die Macht der Kommunikation.

Auch Kultur und Politik sind Ethno-Marketing
Auch die Etats der mit Steuergeldern subventionierten Konzerthäuser und Theater, wie auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen sind willkommene Kanäle, um Ethno-Marketing zu profilieren. Dabei seien Projekte wie die Untertitelung von Stücken der Komischen Oper Berlin in Türkisch sicher ein Schritt in die richtige Richtung.

Aber Marketing ist immer auch Kommunikation und damit ein Vehikel der besseren Verständigung. Auch deshalb hat Gözüakças Agentur Beys die Wahlfibel „Du hast die Wahl“ Seçim senin zur Bundestagswahl 2009 herausgebracht. Die Broschüre entstand 2009 in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, und der Integrationsbeauftragten des Bezirks Tempelhof-Schöneberg. Sie erklärt den rund 700.000 eingebürgerten Deutschen mit türkischem Hintergrund einfach und zweisprachig, wie Wählen in Deutschland funktioniert – und dass es ein Mittel der aktiven Partizipation ist. Marketing für Merkel? Nein, aber für die Teilhabe an Politik.

Weniger Teilhabe und Identifikation lösen Gözüakças Meinung nach Formate wie Türkisch für Anfänger oder auch Schauspieler wie Erol Sander und die Serie Tatort Istanbul aus: “ Die meisten Türken können damit überhaupt nichts anfangen“, sagt er. Nicht umsonst würden 70% der türkischen Haushalte türkisches Fernsehen schauen…“ weil sie sich von Formaten des deutschen TV nicht angesprochen fühlen. Dabei habe die öffentlich-rechtlichen Sender – egal ob TV oder Radio – doch einen Bildungsauftrag ALLEN – also auch den Migrantinnen und Migranten gegenüber. Diesem kommen sie nicht wirklich nach. Stattdessen geben sie Studien in Auftrag.“

Ich glotz‘ TV – TV bakıyorum
Burhan Gözüakça führt von die von der ARD/ZDF-Medienkommission durchgeführte Studie MIGRANTEN UND MEDIEN 2011 an. Da sei zu lesen, dass unter den 6 größten Migrantengruppen (ehemalige UdSSR, Türkei, Polen, ehemaliges Yugoslawien, Italien und Griechenland) das deutsche Fernsehen als Medium dominiere. Dies sei aber eine Frage der Interpretation der Zahlen. Schließlich würde der Schnitt auch aus Migrantengruppen gebildet, die im Verhältnis zu den großen Communities eher klein seien (beispielsweise Italiener und Griechen). Doch selbst wenn die Anteilnahme der Migrantinnen und Migranten am deutschen TV groß sei, sei es umso schlimmer, dass das Ethno-Marketing als gezielte Ansprache auch dort immer noch nicht angekommen sei. Insgesamt müsse man sich vor Augen halten, dass man auf Produktebene auf die Zielgruppe eingehen sollte, egal in welchem Medium und Format.

Das beginne an der Fleischtheke, wo vielleicht ein Halal-Labeling wichtig ist, und erstrecke sich auch auf andere Bereiche, beispielsweise Brautmode, Telekommunikation und Autos. Die Kunst besteht darin, die Zielgruppe mit zugeschnittenen Angeboten zu umwerben ohne sich offensichtlich anzubiedern oder gängige Vorurteile zu bedienen. Denn in dieser Hinsicht sind Türken nicht anders als andere Zielgruppen, die im Marketing hoch gehandelt werden. Ob Türken, Frauen, Senioren, Jugendliche – Produkte sollten die Besonderheiten der Zielgruppe berücksichtigen, ohne sie als Schwächen explizit in den Vordergrund zu rücken, so Prof. Dr. Halfmann. Bemühtes Übersetzen und umständliches Erklären einfachster Sachverhalte kommt gerade bei den hierzulande voll integrierten Türken eher negativ an.

Für die Zukunft sieht Burhan Gözüakça in jedem Fall noch viel Auf- und Erklärungsarbeit auf sich und andere Ethno-Marketing-Spezialisten zukommen – gut für seine Agentur und gut für die Entwicklung des Ethno-Marketings vom ewigen Talent zum Spielmacher.