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Vorwurfsvolle Ehrung?

Wer einen Verdienst-Orden verliehen bekommt, wird in aller Regel in höchsten Tönen gelobt. So auch in der Bild-Zeitung - mit einem großen "Aber"! Denn der neueste Ordensträger heißt Mustafa mit Vornamen.

Von Frauke Bindig Montag, 08.10.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 10.10.2012, 7:23 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Vergangene Woche ist in der Bild-Zeitung ein Artikel über den in Bremen lebenden Mustafa Karabacak erschienen, dem kurz zuvor von Bundespräsident Joachim Gauck der Verdienst-Orden der Bundesrepublik Deutschland verliehen wurde. Er war 20 Jahre lang im Betriebsrat der Firma Klöckner und hat sich dort bei Verhandlungsgesprächen mit dem ehemaligen Bre-mer Bürgermeister Henning Scherf für die Rechte und Bedürfnisse der türkischen Mitarbeiter der Firma eingesetzt. Zudem führte er im Bremer Rathaus die Ramadan-Feier ein und setzt sich allgemein für die Kommunikation zwischen den Kulturen ein.

Allgemein erscheint der Artikel der Bild-Zeitung als Loblied über die Integrationsarbeit von Karabacak. Besonders sticht dabei die Darstellung seines Werdegangs heraus. Karabacak, der vor 47 Jahren nach Bremen kam, habe sich vom Fremden zu einem Integrationshelfer entwickelt, der so „gut angekommen“ sei, dass er heute sogar den Bundesverdienst-Orden erhält. Mit Verweis auf seinen Arbeitsalltag bei Klöckner wird erläutert, wie steinig sein Weg gewesen ist, so dass die Beweggründe deutlich werden, die ihn dazu gebracht haben, sich verstärkt für Migranten in Deutschland einzusetzen. Zunächst wird das Leben Karabacaks also lobend beschrieben und als Beispiel für Integrationsfortschritte dargestellt. An manchen Stellen des Artikels lässt sich jedoch eine andere Tendenz festmachen. Bereits die einleitende Frage „…aber warum hat er Deutsch verlernt?“ zeigt, dass laut des Verfassers nicht nur Positives über Karabacak zu erwähnen ist.

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Karabacak lässt sich beim Führen des Interviews von seinem Sohn helfen, der seinem Vater die Fragen des Reporters übersetzt. Er begründet das teilweise Verlernen der Sprache mit seiner Rente und der Tatsache, dass er seitdem er nicht mehr arbeitet, nicht mehr darauf angewiesen ist, Deutsch zu sprechen. Im Rahmen des Artikels wird erwähnt, dass Karabacak unter erschwerten Umständen Deutsch lernen musste, wodurch ein gewisses Maß an Verständnis suggeriert wird. Da die Frage nach seinen aktuellen Deutschkenntnissen jedoch in Form eines negativen Zusatzes zu seiner ansonsten positiven Geschichte über dem Artikel steht, entsteht ein Schatten über dem Loblied über seine Verdienste:

Er hat zwar viel geleistet, „…aber warum hat er Deutsch verlernt?“

Diese Ausdrucksweise vermittelt den Eindruck, dass er aufgrund dieser Tatsache vielleicht doch nicht so gut integriert sei und man sich mit dem Lob zurückhalten sollte.

Zudem fällt auf, dass die Kritik an Vorurteilen über Migranten in diesem Artikel zwar vorhanden ist, jedoch sehr oberflächlich ausfällt. Der zitierte Beitrag Karabacaks „Die meisten Deutschen denken, dass der Islam und Moscheen krank machen“ ist sicherlich eine Formulierung, die bezüglich der ihr inhärenten Kritik und der tatsächlichen Vorurteile der Deutschen erklärungsbedürftig ist, denn was mit „Krank machen“ in diesem Zusammenhang gemeint ist, bleibt offen. Die BILD lässt diesen Kommentar allerdings einfach unkommentiert stehen. Als Lösungsvorschlag für die Integrationsprobleme in Deutschland gibt Karabacak die Etablierung von gegenseitigem Respekt an. Man müsse die jeweils andere Kultur besser kennenlernen, um sie zu verstehen. An dieser Stelle wäre es interessant zu erfahren, wie Karabacak sich diese Verbindung genau vorstellt beziehungsweise was er bereits erreichen konnte, der Artikel geht jedoch nicht weiter darauf ein.

Der Artikel der BILD-Zeitung zeigt also einmal mehr, dass die Integrationsthematik nur dann ausführlich behandelt wird, wenn „schlechte Nachrichten“ involviert sind. Geht es um schlichtes Engagement, kommt es nicht selten vor, dass ein negativer Beigeschmack hinzukommt, der den Leser von einer gänzlich positiven Meinungsbildung abhält. Aktuell Meinung

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  1. Tim B. sagt:

    „Er hat zwar viel geleistet, „…aber warum hat er Deutsch verlernt?“

    Berechtigte Frage! Wie kann man, wenn man in Deutschland lebt, die deutsche Sprache verlernen? Also anders gefragt, wie muss das Leben um einen herum organisiert sein, damit man mit der deutschen Sprache in Deutschland selbst so wenig in Kontakt kommt, dass ein Mann der als Vermittler zwischen den Kulturen bekannt war sein Deutsch verlernt!? Parallelgesellschaft?

  2. Sinan A. sagt:

    Ich glaub, ich muss meinen Vater auch mal für so einen Verdienstorden vorschlagen. Bei der Karriere, vom Fließbandarbeiter bis zum leitenden Angestellten in der Finanzbuchhaltung, nie zu spät, nie krank. Da dürfte locker eine Ehrung erster Klasse drin sein. Aber er war ja auch vorbelastet. Schon mein Großvater war Angestellter bei der Osmanlı Bankası.

    Oder vielleicht ein Interview für die Gastarbeiterforschung. Anfragen bitte an das MiGAZIN. Ich leite das gerne weiter. Und perfekt deutsch spricht er auch noch. Da hätte sogar BILD nix zu meckern.

  3. Hypokraten sagt:

    “ Wie kann man, wenn man in Deutschland lebt, die deutsche Sprache verlernen?“ @ Tim

    Lieber Timmy,

    Dass die Sprache nur ein Aspekt der Integration darstellt sollte sich auch in Hoyerswerda rumgesprochen haben. Oder warum sind Nazis eher nicht in die bundesrepublikanische Demokratie Deutschlands integriert, obwohl sie deutsch sprechen?

    Fazit: Es ist nicht unbedingt wichtig, ob jemand noch mit 60 Deutsch spricht, (wenn ja, hats Vorteile) sondern was er denkt und wie er handelt.
    Einen nichtdeutsch-sprechenden Türken ziehe ich einem Nazi vor.

  4. Molly Grue sagt:

    Es gab mal eine gute Tradition. Ein waschechter Bremer Hanseat verweigert jeden Orden/Auszeichnung. Dies galt für alle Hanseaten. Warum wohl?
    Aus gutem Grund.
    Schlag nach bei wikepedia unter „Hanseat“:
    Die Tatsache, dass die „äußerlich sichtbaren Ordensinsignien den Dekorierten vor seinen Kollegen und Mitbürgern als einen vorzüglicheren auszeichnen sollen“, galt schon damals als ein Umstand, der in entschiedenem Widerspruch zum bürgerlichen Geiste der Verfassung stehe. („Es gibt über dir keinen Herren und unter dir keinen Knecht.“)

    Dahinter steht die Idee, dass man sich von den „Herren“ nicht vereinnahmen lassen will.

    Nochmal Zitat wikipedia:
    Als einziges Bundesland stimmte die Freie Hansestadt Bremen gegen die Stiftung des Bundesverdienstkreuzes.

    Leider sind die Zeiten dieser glorreichen Tradition, ob Hanseat oder nicht, offensichtlich dem Untergang geweiht.

    Es gibt eine Inflation von Auszeichnungen und Ehrungen. Gerne besonders auch an Ehrenamtliche, die für einen warmen Händedruck und eben irgendeinen Verdienstorden, oft die Aufgaben, die der Staat erledigen soll, kostenlos übernehmen.