Ich bin nicht deutsch

Ich bin anders

Ich bin eine Koreanerin. Das ist an sich nichts Besonderes. In Korea gibt es Millionen von uns. Allerdings lebe ich in Deutschland. Und hier gibt es schon sehr viel weniger Koreaner. Nur einige 10.000. Das macht mich (und natürlich alle anderen Deutsch-Koreaner auch!) zu etwas Besonderem. Verstehen Sie mich nicht falsch. Nicht besser. Nur anders!

Von Sun-Mi Jung Freitag, 05.10.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 10.10.2012, 6:38 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Früher fand ich das „Anderssein“ sehr schlimm. Aber da war ich erstens noch nicht so lebenserfahren wie heute. Und hatte zweitens auch noch keine „wirklichen“ Probleme, wie zum Beispiel eine Firma aus dem Boden zu stampfen, alternde, vergessliche Eltern zu betreuen oder schmerzhaften Zahnverlust, der durch eine noch schmerzhaftere Implantat-OP ausgeglichen werden muss. (Ich muss meine Zähne besser putzen!)

Aber zurück zu früher. Jedes Kind, Jugendlicher und auch Jungerwachsener möchte unbedingt dazugehören. „Anerkennung“ lautet dieses menschliche Urbedürfnis. (Dieses Bedürfnis nimmt im Laufe der Jahre ab. Glauben Sie mir!) Natürlich wollte auch ich unbedingt dabei sein. Bei mir war das damals so: Einerseits zog ich als kleines, asiatisches Mädchen jede Menge positive Aufmerksamkeit auf mich. (ALLE asiatischen Mädchen sehen nämlich süß aus. Auch die Hässlichen. Eines von denen war ich!)

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Gleichzeitig konnte ich meiner deutschen Umwelt natürlich nicht das liefern, womit sie vertraut war. Nämlich „Deutschsein“. Ich merke das noch heute, wenn ich zum Beispiel auf meine Schwiegereltern treffe. (Natürlich Deutsche. Sonst könnte ich Ihnen das alles ja nicht erzählen.)

Vor allem am Anfang waren diese äußerst liebenswürdigen Menschen stark verunsichert. „In welcher Sprache müssen wir sprechen?“ „Kann sie dasselbe essen wie wir?“ „Wie sollen wir ihren Namen aussprechen?“ „Können wir uns so verhalten, wie sonst auch?“ „Hat sie die gleiche Religion wie wir?“ Mein Schwiegervater versucht bis heute, die Aussprache meines Namens zu vermeiden. Ich glaube, er hat schreckliche Angst, etwas falsch zu machen. Dabei ist er ein gestandener Unternehmer und sehr wohlhabender Mann. Ist das nicht süß? Ich kann ihn sehr gut leiden!

Heute fühlt sich meine deutsche Umwelt also lediglich ein wenig unwohl, wenn sie auf etwas Fremdes -also auf mich- stößt. (Natürlich nicht immer. Viele sind auch sehr interessiert und neugierig. Das sind dann die einfachen Fälle.) Mittlerweile weiß ich das und kann mich perfekt darauf einstellen. Je nach Stimmung und Sympathie bin ich entweder sehr charmant und hole den völlig verunsicherten Menschen dort ab, wo er gerade steht: „Hey, ich sehe zwar anders aus als du. Aber ich spreche deine Sprache und kann dich verstehen. Lass‘ uns Freunde werden.“

Oder ich lasse ihn eiskalt auflaufen: „Ich bin anders, darf das auch sein und wehe Du verhältst dich in irgendeiner Weise politisch inkorrekt. Dann lernst du mich kennen!“ Ist nicht nett von mir, kann aber durchaus vorkommen. Selbst ich habe schlechte Tage. Manchmal.

Früher war das alles ganz anders. Da gab es neben den beiden freundlichen Reaktionen „interessierte Neugier“ und „sympathische Verunsicherung“ noch eine dritte: Ablehnung. Denn trotz aller Integrationsbemühungen meiner lieben Eltern (Mein Vater ist in der dritten Klasse zum Eltern-Kind-Weihnachtsbasteln mitgekommen und war der einzige Mann!) – ALLE deutschen Eigenschaften konnten wir als koreanische Familie selbstverständlich nicht vorweisen. Wie denn auch? Dazu hätten meine Eltern eine deutsche Erziehung und Sozialisierung durchlaufen müssen. Unmöglich.

Und so fiel ich als Kind mit meinem „Anderssein“ automatisch und immer wieder auf. Meine Familie und ich machten viel zu viele Dinge einfach „nicht richtig“, sprich: „nicht deutsch“. Zum Beispiel Weihnachten feiern.

Später kam hinzu, dass ich eines der wenigen (Gast)-arbeiterkinder in einem Gymnasium war, zu welchem alle Unternehmer, Ärzte, Anwälte und Apotheker der Stadt ihre Kinder schickten. Allein die Tatsache, dass viele meiner deutschen Mitschüler Fernreisen, Garten mit Swimmingpool, Ponys und Markenkleidung hatten und ich nicht, grenzte mich aus. Sie wissen ja, wie Kinder sein können…

Heute habe ich zwar immer noch keinen eigenen Swimmingpool. Aber heute – in der Erwachsenenwelt – darf man Menschen nicht mehr einfach so ausschließen, nur weil sie keinen Pool haben. Außerdem ist es Erwachsenen verboten, rassistische Dinge zu sagen oder jemanden wegen seiner ethnischen Herkunft zu diskriminieren. Bei Kindern ist das ja immer noch ganz anders.

Und vielleicht habe ich mich ebenfalls weiterentwickelt? Einem schwachen Kind mit leicht herablassender Ablehnung gegenüberzutreten mag ja noch ganz einfach sein. Aber einer erwachsenen, durchaus dominant auftretenden Frau? Die ihre große Klappe über Jahrzehnte trainiert hat? Es gibt hochgewachsene Männer – die haben Angst vor mir! Außerdem bin ich mittlerweile in der Lage, ein deutsches Weihnachtsfest perfekt zu imitieren. Und wir wissen ja alle, manchmal ist die (asiatische) Kopie viel besser als das Original. Aktuell Meinung

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  1. Cengiz K sagt:

    positiver Rassismus klingt in meinen Augen wie ein Oxymoron..

  2. u. h. sagt:

    Vor einigen Jahren erarbeiteten arabische Schüler im Deuschunterricht ein en Text, in dem sie das Leben in ihrem Heimatland (Palästina) mit dem Leben in Deutschland vergliehen. So etwas geschieht wohl in jedem Fremdsprachenunterricht. Dieser Test wurde als Büchlein veröffentlicht. Es hatte den Titel: Andere sind anders. Als ich es durchgelesen hatte, sah ich die Rückseite des Büchleine, sie sah auf den ersten Blick genau so aus wie die Vorderseite, aber irgendwiedoch nicht. Als ich genau hinsah, entdeckte ich den Unterschied: Da stand: Sind andere anders? Wollen wir die Unterschiede betonnen oder das, was in uns allen gleich ist? Koreaner sehen nun einmal anders aus als wir – wir sehen in Korea anders aus als die Koreaner. Wen das wundert, braucht nur nachzudenken – dann kanm er den andern akzeptieren, wie er ist. Wie schwer ist doch das Denken!