Theater
Die Schafspelzratten – eine migrantische Studie?
Emre Akals Stück "Die Schafspelzratten" wird in höchsten Tönen gelobt. Der Saal ist voll. Nur die Presse fehlt, trotz professioneller PR-Arbeit. Ein typisches Problem von PoC Künstlern? - Über den Versuch, mit der Normalität als PoC Künstler_in umzugehen - von Dr. Azadeh Sharifi
Von Azadeh Sharifi Freitag, 05.10.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 11.10.2012, 7:21 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Vor gut vier Monaten schrieb mir Emre Akal zu seiner Theaterpremiere:
Mein Stück hatte einen super Auftritt. Es ist jeden Tag voll, wir müssen ständig Leute vertrösten, weil sogar die Stehplätze weg sind. Die Zuschauer sind bunt gemischt: jung, alt, deutsch, migrantisch. Die Zuschauer sind begeistert. Aber ich selbst bin wütend: Von der Presse kam niemand! – trotz professioneller PR und obwohl die Presse mehr als einmal eingeladen worden war! Das ist für mich als junger Autor und Regisseur fatal. Jetzt frage ich dich: wo stehen wir postmigrantischen Künstler_innen in Deutschland? Wo steht Migration und vor allem wo das postmigrantische Theater? Ist München Deutschland?“
Emre Akal ist ein junger Schauspieler und Regisseur, den ich während meiner Recherche für meine Arbeit über „The Impact of Migration for Contemporary European Theatre“ Anfang des Jahres kennengelernt habe. Wir haben uns in München, in der Goethestraße in einem türkischen Café getroffen. Die Goethestraße gilt als vibrierendes Zentrum der Münchner Migration. Abgehend vom Hauptbahnhof reihen sich dort Obst- und Gemüse-Geschäfte, Cafés, Bars und Hotels und verweisen mit all ihren Praktiken, Produkten und Personen auf die vielfältigen Geschichten der Stadt München. In dieser Straße hat Emre Akal auch sein Stück Die Schafspelzratten – eine migrantische Studie inszeniert.
Im Gespräch erzählt mir Emre Akal seine enttäuschende Begegnung mit einer Pressefrau, die als eine der wenigen in München freies Theater wahrnehme, gleichzeitig aber Emre’s Einladung zu seiner Premiere mit der Begründung abgelehnt habe, dass sie gerade mit den Augsburger Theatertagen beschäftigt seien. Das müsse er verstehen.
Ich bin zunächst etwas ratlos über die mediale Absage, die Emre erhält. Ich halte ihn für einen klugen, jungen Künstler, der es mehr als nur verdient hat, von der Theaterwelt wahrgenommen zu werden. Ich bin der Ansicht, dass er sich auf innovativer Weise mit seiner eigenen Biografie und den Zuschreibungen, die er als PoC erfährt, künstlerisch auseinandersetzt. Gleichzeitig frage ich mich, ob es nicht das Schicksal einer/s jeden jungen Künstler(s)_in ist, großartige Ideen zu haben, aber oft nicht von den richtigen Personenkreisen gehört und gesehen zu werden.
Wir diskutieren zunächst per Email weiter. Zeitgleich mit der Aufführung von Die Schafspelzratten findet die wieder präsente – und dann ohne Ergebnis in der Versenkung verschwindende – Debatte über Quote in den Theaterbetrieben statt. Die Süddeutsche Zeitung hat ein Gespräch mit dem Intendanten des Münchener Residenztheater abgedruckt. Es wird wieder festgestellt, dass jeder fünfte Deutsche „ausländische Wurzeln“ hat. „Auf den heimischen Theaterbühnen sind jedoch kaum ausländischstämmige Schauspieler zu sehen“. Abgesehen von der Bezeichnung „ausländischstämmige Künstler“, womit wohl eher PoC Künstler_innen gemeint sind, ist die Zielrichtung des Artikels für eine Repräsentation der gesellschaftlichen Realität Deutschlands im Theater. Um das zu erreichen, stellt Martin Kusej fest, „ bedürfe es eben noch an mehrerer Menschen mit Migrationshintergrund im künstlerischen Bereich“.
Emre Akal schreibt mir, dass er Martin Kusej angeschrieben und zu seiner Produktion eingeladen habe. Wenn jemand aus München ein solches Plädoyer für die Vielfalt am Theater hält, dann muss er sich auch für die Künstler_innen interessieren. Er habe aber keine Antwort erhalten. „Sie schreien nach mehr Migranten, aber wenn der Migrant Kunst macht, kommt kein Einziger. Nur die Hürriyet habe ich gestern reinbekommen. Die türkische Bildzeitung“
Ich schlage schließlich vor, dass wir uns in einem Skypegespräch mit der Situation auseinandersetzen. Um verschiedene Meinungen und Perspektiven zu haben, bitten wir Tunay Önder an der Diskussion teilzunehmen. Tunay schreibt für den Blog Migrantenstadl dasmigrantenstadl.blogspot.de und hat dort über Die Schafspelzratten berichtet. In ihrer Rezension beschreibt sie das Stück als eine „Reihe von vortrefflichen Metaphern für all das, was auf dem Weg der Wanderung auf der Strecke blieb, was nicht erzählt, gezeigt, gesehen und gefühlt wurde.“ Emre Akal sei der Beginn eines „postmigrantischem Selbstverständnis in München“ gelungen.
Emre hat hundert Interviews mit Freunden und Familienangehörigen aus den verschiedenen Generationen der Auswanderung und Einwanderung geführt. Er hat diese dann aus seiner eigenen Perspektive dramatisch auf zwei Figuren verdichtet. Zunächst hat er seinen Text erfolglos beim Wettbewerb der Stadt München und der Münchener Kammerspiele eingereicht. In einer gekürzten Fassung konnte er eine kleine Performance anlässlich des Jubiläums “50 Jahre Anwerbeabkommen zwischen der Türkei und Deutschland” bei “München sagt Danke” des Münchner Stadtmuseums im November 2011 präsentieren. 2012 hat er die Debütförderung der Stadt München erhalten. Als Einziger in diesem Jahr, wie er sehr stolz erzählt. Im Veröffentlichungstext über die „Vergabe der Tanz- und Theaterförderung 2012“ auf der Homepage der Stadt München ist Emre Akal als „bayrisch-türkischer Regisseur und Schauspieler“ aufgelistet. Die anderen geförderten Künstler_innen bleiben ethnisch unmarkiert.
Trotz des Erfolges bleibt der fade Nachgeschmack über das Desinteresse der Presse. Am Telefon abgewimmelt zu werden mit der Begründung „Für sowas haben wir keine Zeit“ , ist für Emre eine leidvolle Erfahrung. Er sagt, dass es schon schwer sei als PoC Schauspieler, weil man entweder gar keine Rollen bekomme oder nur als stereotype Figuren besetzt werde. Aber noch schwerer sei ihm nun sein Debüt als Regisseur mit einem Migrationsthema vorgekommen.
Wir beginnen zu diskutieren, um einen objektiven Grund zu finden, warum die Presse Emre Akals Stück nicht besucht hat. Es geht uns vor allem aber auch darum, den Schwert des Damokles abzuwenden. Das immer präsente Gefühl, dass ein „Kanake“ aufgrund seiner nicht-Weißheit exkludiert wird. Im Fall des Theaters wird das über die sogenannte Kategorie „Qualität“ begründet. Immer riecht es förmlich nach etwas anderem, es kann aber nicht offen benannt werden.
Emre glaubt, dass es an dem Titel seines Stückes gelegen haben könnte. Nicht so sehr an Die Schafspelzratten, sondern an dem Zusatz „eine migrantische Studie“. Seiner Ansicht nach ist „postmigrantisch“ für die Presse der Inbegriff von innovativer und kreativer Kunst von Künstler_innen der Zweiten Generation. Während „migrantisch“ für die Presse einen soziokulturellen Touch hat und meist mit Laientheater assoziiert wird. Die Presse geht dann lieber dorthin, wo das Phänomen schon existiert bzw. sichtbar ist. Ballhaus Naunynstraße ist so ein Phänomen, der institutionalisierte Ort von innovativ postmigrantischem Theater. Eine solche Institution fehle in München. Wir diskutieren lange darüber. Wir stellen fest, dass unser Begriff der Migration ebenfalls unterschiedlich, aber differenziert ist. Wir stellen letztlich fest, dass wir Migration als das wichtigste Gesellschaftsphänomen verstehen, das nicht an „erlebter“/“vererbter“ Erfahrung festzumachen ist, sondern an der Perspektive wie wir auf unsere Migrationsgesellschaft schauen. Wir fragen uns, ob die Theaterkritiker aus den Feuilletons ebenfalls eine differenzierte Meinung über Migration und „migrantisch“ haben.
Tunay Önder wirft ein, dass es möglicherweise an dem Ort der Inszenierung gelegen haben könnte. Der ehemalige Supermarkt Import-Export in der Münchener Goethestraße wurde 2010 als Festivalzentrum des Munich Central Projektes der Münchner Kammerspiele eingerichtet. Seitdem wird es als transnationaler Raum für Konzerte, Parties, soziokulturelle Projekte, aber auch Theater genutzt. Wäre Emre Akals Stück also besser in einer Institution aufgehoben gewesen als an dem Ort, wo die Fiktion Teil der Realität wird?
In München gibt es drei Feuilletons (SZ, Merkur, Abendzeitung), meist wird jedoch über die renommierte Theaterhäuser geschrieben und nicht über die Freie Tanz-, Theater- und Performance-Szene. Wir fragen uns, ob Emre nicht eine quasi Institutionalisierung durch die Debütförderung erfahren hat? Oder liegt es an dem alten Duell „Freie Szene vs. Kulturinstitutionen“?
Im Laufe unseres Gesprächs werfen sich viele weitere Fragen auf. Wir fragen uns, ob es einem jungen weißen deutschen Künstler mit einer Shakespeare-Inszenierung nicht genauso gegangen wäre. Wir fragen uns, ob die Debütanten der vorherigen Jahre ebenso übergangen wurden? Wir fragen uns, ob wir mit unserer Annahme, dass eine Debütförderung ein Türöffner für die hiesige Presse, völlig falsch liegen? Und wir fragen uns, inwieweit die fehlende mediale Aufmerksamkeit mit einer ethnischen Markierung des Künstlers Emre Akal zusammenhängt.
Die darauffolgenden Monate versuchen wir unseren vielen offenen Fragen nachzugehen. Ich hadere daran, ob ich tatsächlich einen Artikel veröffentlichen will, in dem ich mehr Fragen aufwerfe als ich Antworten gebe. Schließlich entscheide ich mich für diese offene Form. In diesem vage gehaltenen Raum sollen zumindest die Momente des Schicksals eines jungen „bayrisch-türkischen“ Künstlers erhalten bleiben. Feuilleton Leitartikel
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Erst einmal Gratulation für die tolle Arbeit.
Die leidvolle Erkenntnis, die hier beschrieben wird erfahren sicherlich viele engagierte Menschen und Organisationen, die nicht dem noch Mainstreem, der Mehrheitsgesellschaft folgen, sondern das eigentliche sich geänderte Menschen- und Gesellschaftsbild im hier und jetzt Abbilden bzw. thematiesieren …
… jedoch, auch wenn kein großer Trost, ist es in Bereichen, iwe Bildung nicht viel anders. Da wo unsere Zukunft sitzt und eigentlcih heranwachsen soll, um … die alternde Gesellschaft zu retten …
… JA, genau da sitzen sie, in ihrem Elfenbeinturm, umgeben von swchützenden und zuweil unüberwindbaren Mauern aus Gesetzen/ Vorschriften und wohl behütet vom Zuständigkeitsgerangel ziwschen disziplinarer und materieller Zusändigkeit …
Da passt einfach nur der Spruch „nicht den Kopf in den Sand stecken!“ und immer dran bleiben nach dem Motto „stehter Tropfen höhlt den Stein!“ …
Als junger Künstler sollte man sich auf jeden Fall vernetzen. Ein leider inzwischen anscheinend eingestelltes Projekt ist der dramablog (http://www.dramablog.de/), in dem man die Probleme gerade von Dramatikern nachlesen kann sowie auch Lösungsmöglichkeiten. Aus diesen Erfahrungen heraus lassen sich dann auch die im Text gestellten Fragen sicherlich leichter beantworten. Die gut dotierte Förderung ist auf jeden Fall ein großer Erfolg, auf den sicher viele Dramatiker neidisch wären.
Ansonsten kann man auch in den Redaktionen der Zeitungen nachfragen, falls nicht geschehen.
Anstatt darüber nachzudenken warum er von der Presse niht wahrgenommen wird sollte er sich auf sein jetztiges und nächstes Stück konzentrieren. Dann kommt vielleicht auch eher die Presse.
Jetzt krampfhaft ein Scenario zu erdichten das ihm Presse aufgrund seines Hintergrundes versagt klingt einfach nur überheblich. Es gibt genug andere Kleinkunt die ebenso unbeachtet bleibt, egal ob Migrant oder nicht. Vielleicht ist es wirklich einfach zu unwichtig für die SAZ ?
Tja, hätte er ein Stück über Ehrenmord und Zwangsheirat aufgeführt, müsste er die Leute nicht einmal einladen. Erfolge wie „Gegen die Wand“ usw. sind ein gutes Beispiel, welche Kunst vom „Migranten“ erwartet wird.
Ich hab mir das Stück angesehen und war absolut begeistert!
Ich kann nicht verstehen warum die Münchner Presse so ignorant ist und gar kein Interesse zeigt. Über jeden Furz wird geschrieben und jeder Mist ist gleich eine Sensation, aber über ein wirklich sehr gelungenes Theaterstück wird wiedermal nichts geschrieben. Ich kann nur sagen typisch Münchner Presse! Ich kauf mir das nächste Mal eine Zeitung wenn ich abgedruckten Müll lesen will. Wertvolle Informationen und Tipps für wirklich sehenswertes werde ich wohl in der Münchner Presse nicht lesen können. Traurig, dass wahre Kunst mittlerweile keine Beachtung mehr findet :-(