Buchtipp zum Wochenende

Ehrenmord oder … der Versuch zu erklären, warum eine Frau besser tot ist als dass sie Schande über ihre Familie bringt…

„Ein Mann ist wie ein Goldbarren, eine Frau wie ein Stück Seide. Wenn Gold schmutzig wird, wischt man es einfach ab. Wenn Seide schmutzig wird, kann man es genauso gut wegschmeißen!“ (Ayfer Yazgan „Morde ohne Ehre“, Seite 21/22)

Von Freitag, 03.08.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.08.2012, 0:58 Uhr Lesedauer: 10 Minuten  |  

Jährlich werden mindestens 5.000 Mädchen und Frauen im Namen der Ehre ermordet, sagt eine UN-Studie aus dem Jahr 2000. Schätzungen besagen, dass die Dunkelziffer mindestens das Zehnfache beträgt, da viele dieser Morde als Selbstmord oder Unfall getarnt werden. In den letzten Jahren sind verschiedene Dissertationen, Sachbücher und Studien zu diesem Thema erschienen. Insbesondere nach dem Mord an Hatun Sürücü (2005 in Berlin) ist das Thema in Deutschland in der Öffentlichkeit angekommen. In „Ehrenmord – ein deutsches Schicksal“ widmen sich Matthias Deiß und Jo Goll diesem Fall und beschreiben alle Details aus dem Leben der Familie Sürücü und versuchen dem Leser verständlich zu machen, warum eine Familie die Hinrichtung der eigenen Tochter beschließt.

Was ist ein Ehrenmord? Wie kann man einen Ehrenmord definieren, erklären, abgrenzen? Die Opfer dieser Morde sind überwiegend Frauen, die Täter Männer, die dem Opfer nahe standen, der Vater, Bruder, Cousin oder Onkel.

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Die wissenschaftliche Arbeit „Ehrenmord in Deutschland“ von Anna Caroline Cöster nähert sich den Hintergründen und untersucht die Ehrenmorde im Zeitraum 1997 bis 2005 in Deutschland. Die Dissertation „Morde ohne Ehre“ von Ayfer Yazgan erklärt das Phänomen Ehrenmord in der modernen Türkei. Esma Cakir-Ceylan hat Gewalttaten untersucht und in „Gewalt im Namen der Ehre“ zusammengefasst. Allen Werken ist eine sehr gute Definition zentraler Begriffe im Zusammenhang mit Ehrenmord gemeinsam. Sie analysieren alle wichtigen Aspekte, insbesondere die Familienstrukturen, die familiären und traditionellen Hintergründe und vor allem die hohe gesellschaftliche Akzeptanz und Zustimmung zu Ehrenmorden, die sich z. B. in der Türkei durch jahrelange mildernde Strafen für die Täter zeigte. Esma Cakir-Ceylan geht auch ausführlich auf das Strafrecht ein. Sie beschreibt, wie in islamischen Ländern Ehrenmorde bestraft werden. Sie schildert, dass die Täter kaum bzw. mit sehr milden Urteilen davon kommen, was damit zusammenhängt, dass dieses Phänomen gesellschaftlich auf sehr große Akzeptanz stößt. Sie geht auch auf das neue reformierte türkische Strafgesetzbuch von 2005 ein.

Ehrenmord ist ein Phänomen, das weltweit in allen Kulturen vorkommt, die Wurzel dieser Tat findet sich in ländlichen Gegenden, wo die Menschen noch sehr traditionell und in patriarchalen Strukturen leben. Dem Begriff „Ehre“ wird in diesen Gesellschaften häufig ein überdimensionaler Wert beigemessen, da die Ehre für viele das wertvollste Kapital ist, das sie besitzen. Die traditionellen und klar vorgegebenen Geschlechterrollen sind innerhalb dieser Familien einzuhalten, denn nur so funktioniert das Wertesystem und Fortbestehen in diesen kollektivistischen Gesellschaften. Nur wer ehrenhaft lebt, wird von den anderen geachtet und angesehen.

In allen Büchern wird darauf eingegangen, dass die Ehre der Frau in patriarchal-archaischen Gesellschaften sich über ihre unbedingte Keuschheit und Reinheit bis zur Ehe und ihr absolut normkonformes Verhalten innerhalb der Gemeinschaft definiert. Das kann von einer vorgeschriebenen bestimmten Kleiderordnung, dem respektvollen Verhalten Älteren gegenüber bis zur Erfüllung ihrer Rolle als Mutter und gehorsame Ehefrau gehen. Der Alltag in diesen Familien wird durch jahrhundertealte Traditionen und Leitsätze vorgeschrieben, von den einzelnen wird Anpassung erwartet, was übrigens auch für die Männer gilt. Ihre Ehre definiert sich darüber, wie gut sie ihre Frauen und Töchter (insbesondere deren Sexualität) unter Kontrolle haben und wie stark sie ihre Familie nach außen schützen können. Das unangemessene Verhalten eines Familienmitglieds kann schlimmstenfalls der Gesichtsverlust für die ganze Familie bedeuten. Eine Frau, die den ausgewählten Ehemann nicht heiraten möchte oder sich westlich kleidet verletzt das Ehrgefühlt ihres Vaters. Ebenso eine Frau, die sich von ihrem Mann trennen möchte, weil sie andere Vorstellungen von einer Ehe hat. Diese Frauen passen sich den Regeln innerhalb der Gesellschaft nicht an und sorgen für Unruhe. Die Familie wird verhöhnt, die männlichen Mitglieder sind in ihrer Männlichkeit verletzt, da sie ihre ungehorsame Tochter oder Ehefrau nicht im Griff haben. Diese Schande ist für die Familien schlimmer als der Tod dieser Tochter oder Ehefrau. Folgendes Bild beschreibt die Denkweise deutlicher: Ist in einer Kiste voller Äpfel ein fauler Apfel, so muss dieser zum Schutz der anderen Äpfel schnell entfernt werden.

Dadurch, dass die Frauen ihren Platz zu Hause haben und eine größere Unterdrückung erfahren, fällt ihr Leid für den Betrachter größer ins Gewicht. Männer haben mehr Freiheiten, da sie sich außerhalb des Hauses bewegen und Entscheidungen treffen. Männer können ihre Sexualität auch viel freier ausleben, diese Tatsache bringt der Familie keine Schande, solange sie keine ehrenwerten Töchter beschmutzen. Zwar müssen sich Männer auch den Traditionen, Werten und Normen anpassen und sich dem Willen der Gesellschaft beugen, haben aber hierzulande viele Möglichkeiten, diese für sich zu nutzen, weil sie in einer ganz anderen Machtposition sind als die Frauen.

In modernen, deutschen Großstädten kommen uns diese veralteten Strukturen einer Dorfgemeinschaft fremd vor, sie erschrecken uns. Aber haben wir sie nicht in all den Jahren zugelassen? Haben wir nicht unterdrückten Töchter und Bräute von der Ferne bemitleidet und belächelt, wie komisch sie sind? Doch solange diese Töchter und Kreaturen Putzfrauen waren und niemanden gestört haben, haben wir nicht genauer hingesehen, inwieweit die Menschenrechte auch für sie Gültigkeit haben und wie sie ihren Nachwuchs erziehen. Kulturelle Traditionen sollten ihren Raum haben und bedeuten ja universelle Vielfalt. Diese Argumentation haben die betroffenen Familien eigentlich nie verstanden, aber da alles so bleiben konnte, wie sie es in ihrem Dorf gewohnt waren und es keine zu erfüllenden Auflagen gab, waren alle miteinander d’accord.

Aber wie lange können Widersprüche nebeneinander funktionieren? Vor allem zu welchem Preis? Wie kann man in einer modernen Großstadt in den Strukturen einer Dorfgesellschaft leben? Die jungen Mädchen, ob sie nun in Deutschland geboren wurden, als Bräute herkamen oder warum auch immer hier sind und in streng patriarchalen Strukturen leben, erkranken irgendwann an dieser Belastung, wenn sie sie denn bewusst wahrnehmen. Das ist ein Grund dafür, warum junge türkische Mädchen fast drei Mal so oft einen Selbstmordversuch begehen, wie ihre deutschen Altersgenossinnen wie Studien ergeben. Oder sie leiden still vor sich hin, ordnen sich der Tradition unter und nennen es Schicksal, wie schon ihre Mütter und Großmütter, mit dem Unterschied, dass diese tatsächlich keine Alternativen hatten in ihren Dörfern. Aber sind die Alternativen in Deutschland besser? Haben diese Frauen eine Chance aus den Familien auszubrechen und ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen?

Die Antwort aus den streng abgeschottet lebenden Familien lesen wir dann leider als Skandalmeldung in den Zeitungen: sie werden erschossen, niedergestochen oder auf noch brutalere Weise hingerichtet. Sind diese Taten nicht ein Angriff auf unsere Gesellschaft und unser Gesetz, die uns allen Gleichberechtigung, Freiheit, Bildung, freie Meinungsäußerung und freie Wahl des Partners garantieren? Anstatt genau hinzusehen, was da wirklich passiert ist und wie man den Opfern schon präventiv helfen kann, melden sich dann entweder die Deutschen, die alle Klischees bestätigt sehen und schon immer vor den Barbaren gewarnt hatten und sich jetzt noch ein Stück mehr abgrenzen zu Wort oder die modernen Migranten, die mit noch erschreckterer Miene als die Deutschen klar ausdrücken, dass seien ja nicht ihre Landsleute und überhaupt könne man nicht alle Muslime in einen Topf werfen, nur weil eine verrückte Familie ausgerastet sei. Natürlich und zum Glück sind diese Familien nur Randphänomene und eine kleine Minderheit, auch unter den Migranten. Wir reden also von Einzelfällen. Selbstverständlich ist jedes Leben, das zerstört wird, beklagenswert, wenn man aber auf die Konflikte, Probleme und häufig ausweglose Lebenssituation einiger Familien schaut, wird man feststellen, dass diese Ehrenmorde die Ausnahme sind. Aktuell Rezension

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  1. rumburac sagt:

    Sehr geehrte Frau Cankiran,

    in interessanter und guter Artikel.

    Aber der unterschwellige Versuch, hier der Mehrheitsgesellschaft die Schuld daran unterzuschieben, ist schon recht unverschämt.

    Wie werden den Publizisten oder Kritiker GERADE von den Islamverbänden angegriffen, wenn sie auf diese Dinge hinweisen?

    Wäre es nicht zu allerserst die Aufgabe von z.B. DITIB und IGMG, in den Moscheen, z.b. beim Freitagsgebet klar und deutlich auf die Rolle der Männer darin hinzuweisen? Haben Sie, Frau Cankiran einmal versucht, dort einen Vortrag zu halten ?

    Was glauben Sie, wie würden die dort freitags in den Moscheen sitzenden Männer wohl darauf reagieren, wenn man ihnen das so
    „drastisch“ klar machen würde ? Der Aufstand wäre vorprogrammiert.

    Ursache und Auswirkungen liegen in den Zuwanderer-Communitys, NICHT in der Mehrheitsgesellschaft, denn die hätte gerne mal eine klare Aussage, ob sie sich einmischen soll/darf, oder nicht.

  2. Kadir sagt:

    @ rumburac

    Sie werden sich wundern aber in den Moscheen wird das klipp und klar gesagt und teilweise – je nach Prediger – sogar deutlicher. Ich bin an jedem Freitag in der Moschee. Klar ist das nicht an jedem Freitag ein Thema. Aber wenn die Thematik wieder einmal hochkommt, wird auch darauf eingegangen – und das nicht nur in den DITIB und IGMG-Moscheen. Was dort aber auch gesagt wird, dass Menschen wie Sie solche Themen entweder aus Unwissenheit oder Vorsatz dazu nutzen, Vorurteile zu verbreiten.

  3. Pingback: Willkommen im Mittelalter... - Seite 11

  4. schwesteringeborg sagt:

    Ein Familienmitglied wegen eines sozial unerwünschten Verhaltens mit dem Tod zu bestrafen, war in der christlichen Kultur nie verankert..

    Das heißt natürlich nicht, dass es solche Morde an Familienangehörigen nie gegeben hat, aber sie waren weder von der Familie selbst noch von der sozialen Umgebung je akzeptiert.

    Die traditionelle Sanktionierung unerwünschten oder auch objektiv schädigenden Verhaltens (z.B. Trunksucht) war und ist bis heute das Verstoßen aus der familiären Gemeinschaft.
    Dies ist für den Betroffenen hart genug und läßt die Möglichkeit der Rehabilitation und der Versöhnung offen.

    Tötungen aus gekränkter Ehre waren im westlichen Kulturkreis das Duells und die Blutrache.
    Beim Duell fordert ein in seiner Ehre gekränkter Mann seinen Kontrahenten zum offenen Kampf heraus. Bei der Blutrache wird ein Angehöriger einer anderen Familie umgebracht

    Dann gibt es noch den Eifersuchtsmord, der vom Ehrenmord ebenfalls streng zu unterscheiden ist.

    Die Behauptung, dass Ehrenmorde in allen patriarchalen Kulturen verbreitet waren, ist schlicht nicht haltbar.

  5. Mika sagt:

    Ehrenmorde werden in allen Kulturen und Ländern vollzogen; nur werden sie hierzulande unter dem Begriff „Familientragödie“ verlautbart!

  6. Mo sagt:

    @Schwesteringeborg:
    Danke für die Aufklärung und die Differenzierung. Nach Ihrem Kommentar sollte eigentlich jedem klar sein, dass man Ehrenmorde und Eifersuchtsmorde nicht in einen Topf werfen kann.

  7. epze sagt:

    @Mika

    offff yaaaa …

    … wann wird auch dem letzten Leugen (- warum eigentlich ist die Realität so schwer zur Kenntnis zu nehmen???) klar, daß das sehr wohl ein gravierender!! Unterschied ist …….
    :-(

  8. Mathis sagt:

    Das Elend der Frauen wird in den Moscheegemeinden nicht einmal gesehen.Von dort ist schon einmal keine Veränderung zu erwarten.Die Veränderungen müssen aus der Gesellschaft heraus gefordert werden.Dazu muss eine Gesellschaft aber informiert sein.Die Medien sind also ein unverzichtbarer Bestandteil, wenn es darum geht, Veränderungsprozesse in einer pluralen Gesellschaft mit auf den Weg zu bringen.
    Die Islamverbände könnten tätig werden, anstatt die „Medien“ oder die „Öffentlichkeit“ für kritische Positionen der „Islamphobie“ zu bezichtigen.