Finanzministerium meint es ernst
Verfassungsschutz soll bestimmen, was Gemeinwohl ist
Der Verfassungsschutz soll in Zukunft bestimmen, welche Vereinigungen dem Gemeinwohl dienen. Das sei mit rechtstaatlichen Prinzipien vereinbar, erklärt das Finanzministerium in einer Bundestagsdrucksache. Bei näherer Betrachtung fallen Mängel auf.
Von Birol Kocaman Donnerstag, 26.07.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 01.08.2012, 0:00 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Auf die Zuverlässigkeit des Verfassungsschutzes und seine Meinung dürfte spätestens nach dem Bekanntwerden des NSU-Terrors selbst Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nicht mehr wetten. Ganz anders der ehemalige Innen- und amtierende Finanzminister Wolfgang Schäuble (CSU). Er scheint die Meinung der Sicherheitsdienste so sehr zu schätzen, dass er dafür sogar rechtsstaatliche Grundsätze hinten anstellt. Darauf läuft der Entwurf für das Jahressteuergesetz 2013 hinaus, wie jetzt auch aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion hervorgeht.
Darin erkundigt sich die Linksfraktion nach einem Vorhaben des Bundesfinanzministeriums. Danach soll das Finanzamt Vereinigungen automatisch die Gemeinnützigkeit entziehen, sobald sie in einem der Verfassungsschutzberichte als „verfassungsfeindlich“ aufgeführt werden. Ein Beurteilungsspielraum soll dem Finanzamt nicht zustehen. Sollte der Vorwurf nicht zutreffen, so könne sich die Vereinigung „dagegen in einem gerichtlichen Verfahren zur Wehr … setzen“, heißt es in der Gesetzesbegründung.
Verfassungsschutz bestimmt Gemeinwohl
Für die Praxis bedeutet das, dass die Verfassungsschutzämter darüber entscheiden, ob eine Vereinigung dem Gemeinwohl dient. Rechtlich gesehen steht dem Verfassungsschutz diese Entscheidungsbefugnis nicht zu, wie es die Bundesregierung einräumt. Allerdings werde die Gemeinnützigkeit ja nicht durch den Verfassungsschutz, sondern (formell) vom Finanzamt entzogen. Dieser Kniff soll die Balken geradebiegen.
Gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstoße das Vorhaben ebenfalls nicht. Auch nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Denn die Organisation müsse im Verfassungsschutzbericht „ausdrücklich als als extremistisch … aufgeführt werden“, so die Begründung des Finanzministeriums. „Der bloße Verdacht einer extremistischen Ausrichtung“ reiche hingegen nicht aus.
Gerüttelt wird an rechtsstaatlichen Grundsätzen
Im Jahr 2009 lautete die Antwort auf eine ähnliche Frage noch anders: „Nach den Grundsätzen unseres Rechtsstaats reicht ein Verdacht oder eine Beobachtung 1 durch den Verfassungsschutz noch nicht für eine Sanktion – hier: Aberkennung der Gemeinnützigkeit – aus“. Ein kleiner aber wesentlicher Unterschied, um die sich die Bundesregierung jetzt herumformuliert.
Denn im Gegensatz zur jetzigen Formulierung schließt eine Beobachtung auch jene Organisationen mit ein, die vom Verfassungsschutz als „verfassungsfeindlich“ eingestuft werden – eine unverbindliche Einschätzung, wie das Finanzministerium selbst einräumt. Logisch: Denn lägen ausreichend Erkenntnisse vor, die die Verfassungsfeindlichkeit belegen, müsste der Staat die Vereinigung verbieten. Solange das nicht geschieht, muss davon ausgegangen werden, dass es sich lediglich um einen Verdacht handelt. Mithin müsste es in dubio pro reo heißen – die Unschuldsvermutung als ein rechtsstaatliches Grundprinzip.
Die Moral dieser Realität?
Offensichtlich ist man sich in Regierungskreisen der Tragweite des NSU-Skandals immer noch nicht richtig bewusst. Hätte man aus den unzähligen NSU-Pannen, Fehlern, Versäumnissen, Aktenvernichtungen und sonstigen Vertuschungsaktionen innerhalb der Verfassungsschutzbehörden Lehren gezogen, würde man ihm nicht neue Machtbefugnisse einräumen, während der Bundesinnenminister vermeintliche Reformen ankündigt.
Bereits heute entscheidet der Verfassungsschutz nicht nur über die Gemeinnützigkeit von Vereinigungen, sondern auch darüber, ob jemand beispielsweise im Paketdienst einer Frachtgesellschaft am Flughafen arbeiten darf weil er Sicherheitsbereiche betreten muss. Selbst bei Einbürgerungen hat der Verfassungsschutz ein entscheidendes Wort mitzureden, wie der Fall der Linkspolitikerin Jannine Menger-Hamilton im Jahr 2010 offenlegte. Sie wurde nicht eingebürgert, weil der Verfassungsschutz ihrer Einbürgerung aufgrund der Beobachtung der Linkspartei nicht zustimmte. Gegen die Linkspolitikerin persönlich lag nichts vor. Ein System, das hierzulande vor allem Muslime trifft. Bei ihnen reicht es nicht selten schon aus, wenn sie eine Moschee zum Beten aufsuchen. Sie verlieren ihre Jobs, werden trotz bester Integration nicht eingebürgert oder sind in Zkunft nicht mehr Gemeinnützig, nur weil der Verfassungsschutz das behauptet. Kein Scherz.
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