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Brückenbauer

Gedankenschnipsel à la Gonca

Gonca Mucuk glaubte, die Türkin in ihr besiegt zu haben - sie kam nie mehr zu spät. Doch dann wurde sie rückfällig. Wie es dazu kam, schreibt sie in ihrer Brückenbauer-Kolumne.

Von Gonca Mucuk Donnerstag, 19.04.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 23.04.2012, 0:59 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Ich bin dran mit dem Schreiben. Und wie immer bin ich zu spät… Diesmal mit der Abgabe dieser Kolumne… Dabei hasse ich es, zu spät zu sein, doch passiert mir dies in letzter Zeit wieder häufiger. Ich sage „wieder“, da ich mir durch jahrelanges Training das Zu-Spät-Kommen und Fristen-Nicht-Einhalten fast abgewöhnt hatte. Ich hatte es tatsächlich geschafft, diesbezüglich „die Türkin“ in mir zu besiegen… Doch manchmal wird man rückfällig. Es gibt Umstände im Leben, die längst abgelegte Gewohnheiten wieder aufblühen lassen, oder aber ganz neue ungeahnte Seiten und Verhaltensweisen in Einem ans Tageslicht befördern.

Nun denn, einer der Gründe für die Verspätung ist die Freiheit, selbst entscheiden zu können, worüber ich schreiben darf. Ich meine es gibt so unendlich viele Themen, die mich interessieren, zu denen ich gerne meine Meinung äußern würde oder aber fachkundig bin. Wie soll ich mich da entscheiden und zu Potte kommen? Ja, die Freiheit ist ein kostbares aber auch verantwortungsforderndes Gut.

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Ursprünglich hatte ich einige Themenvorschläge eingereicht, doch das Brückenbauer-Redaktionsteam überließ den AutorInnen selbst die Themenwahl. Und eigentlich hatte ich vor einigen Wochen schon mit dem Schreiben angefangen… Eigentlich..
Ein Sammelsurium an Presse-Headlines und Vorurteilen, alles im Bezug auf „unser Kernthema“, der Integration. Thematisch ist da ja eine große Vielfalt geboten! Die Medienberichte, die Politik, aber auch der schlichte Alltag als BürgerIn mit Migrationshintergrund bietet uns jeden Tag etlichen neuen Stoff. Ob es die aktuelle und im Höchstmaß fragwürdige Gratis-Koran-Verteilung in unseren Städten ist oder aber die Tatsache, dass für die Opfer der NSU-Morde nun Gedenktafeln aufgestellt werden sollen und die erste Tafel für die getötete Polizistin -die rein zufällig Deutsche war – aufgestellt wurde. Aber auch die nicht mehr enden wollende Debatte über die integrationsunwilligen Muslime oder das Buch des Herren S. nicht zu vergessen, die massenhaft zwangsverheirateten Frauen oder gar Mädchen und natürlich auch die steigende Kriminalität durch Migranten-Jugendliche. Ein weiteres immer wiederkehrendes und beliebtes Thema ist, der Zwang für bestimmte Personengruppen Deutsch zu lernen, beispielsweise die türkisch- oder arabischsprachigen. Die Englischsprachigen müssen nicht… Ach ja, zu guter Letzt der permanente Trugschluss, dass Integration nur durch Bildung möglich wäre und dann aber auch gesichert sei… ts ts ts…

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Ich könnte noch zig Beispiele und die dazugehörigen Gegenargumente liefern, könnte unendlich darüber debattieren und mache dies auch immer wieder. Nicht gern, aber eben immer wieder…

Ich will es aber in diesem Kontext sein lassen. Denn die MiGAZIN-LeserInnen und meine KollegInnen von den Brückenbauern kennen die gesamte Debatte in und auswendig und den meisten hängt es auch schon zum Halse raus. Der Begriff Integration und dessen inflationärer Einsatz ist kaum noch zu ertragen. Aber auch, dass Integration meistens mit Migration gleichgestellt wird und Vielfalt sich überwiegend auf die ethnische oder religiöse Vielfalt bezieht und die Vielfalt an sich innerhalb unserer Gesellschaft völlig außer Acht gelassen wird, ist für mich unverständlich und nervt mich zunehmend. Es gibt in unserer Gesellschaft eben nicht DEN Deutschen oder DEN Migranten oder DEN Schwulen oder DEN Behinderten oder oder oder… Die Lebensformen und -realitäten sind so vielfältig wie Menschen nun mal sind, unabhängig vom Geschlecht, der sexuellen Orientierung, der ethnischen und auch der sozialen Herkunft. So einfach ist das.

Allerdings muss ich hier darauf hinweisen, dass dies auch eine Art Luxus-Diskussion ist, die wir führen. Ja, es gibt nämlich tatsächlich weitaus wichtigere Dinge im Leben als über die gelungene oder misslungene Integration zu debattieren. Beispielsweise das Sichern der eigenen Existenz. In Zeiten in denen die Armut in unserem eigentlich so reichen Land immer größer wird und vor allem Kinder und alleinerziehende Frauen und RentnerInnen davon betroffen sind, gibt es keinen oder kaum Platz für solche Gedankengänge.

Da geht es vielmehr darum, wie man es schafft, die nächste Miete zu begleichen, oder am Monatsende Lebensmittel einzukaufen, oder aber die Klassenfahrt für das Kind zu bezahlen und so weiter und so fort… Um es in einem Satz zu sagen: Es geht ums Überleben.

Ein weiterer Grund für die verspätete Abgabe der Kolumne ist der Erfolgsdruck, den ich mir gemacht habe. Was schreibst Du? Wie schreibst Du? Wirst Du auf ein politisches Thema eingehen? Wirst Du Deinen Artikel mit vielen vielen Fremdwörtern schmücken, um möglichst intellektuell rüber zu kommen? Wird man Dich überhaupt lesen und wenn ja wird es den LeserInnen gefallen? Fragen über Fragen, die natürlich dazu verleiten, sich noch weitere Gedanken um den Inhalt und die Form der Kolumne zu machen. Schließlich möchte man -nein ich- möchte ja nicht schlecht wegkommen… Aber darf man diese Bedenken überhaupt so formulieren und veröffentlichen? Letztendlich habe ich mich entschlossen, das was ich schreiben wollte und so wie ich es schreiben wollte und zwar ganz aus meiner Laune heraus zu schreiben und hoffe, dass es gelesen wird.

Und der letzte aber nicht unerheblichste Grund ist schlichter Zeitmangel. Als Alleinerziehende mit zwei Kindern, die sich mitten im Aufbau ihrer Agentur befindet und dann noch ein politisches –wohlgemerkt ehrenamtliches- Mandat ausführt, ist das kostbarste Gut die Zeit. 24 Stunden für einen Tag sind einfach zu wenig.

Die Rahmenbedingungen für die Vereinbarung von Familie und Beruf sind schlecht in unserem Land. Rahmenbedingungen für die Vereinbarung von Alleinerziehenden und dem Beruf und dann noch einem politischem Ehrenamt sind schlichtweg nicht mal gegeben. Ohne meine Familie und Freunde, also meine persönlichen Netzwerke, könnte ich das gar nicht bewerkstelligen. Und dennoch gibt es Tage, an denen es nicht so wie geplant läuft, dann verschieben sich eben auch Zeitpläne für die Abgabe von Kolumnen. Aktuell Meinung

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  1. Sugus sagt:

    „Ein weiteres immer wiederkehrendes und beliebtes Thema ist, der Zwang für bestimmte Personengruppen Deutsch zu lernen, beispielsweise die türkisch- oder arabischsprachigen. Die Englischsprachigen müssen nicht…“
    – Wer sagt denn, daß die Englischsprachigen nicht müssen?
    – Wie ist das zahlenmäßige Verhältnis türkischer und arabischer Muttersprachler zu englischen Muttersprachlern in Deutschland?
    3,7 Millionen zu 250 000?

  2. Albrecht Hauptmann sagt:

    „Die Englischsprachigen müssen nicht…”

    Vielleicht kann man -gerade auch im hochqualifizierten Berech- mit Englisch mehr anfangen, als mit türkisch oder arabisch?

  3. Merfin Demir sagt:

    Liebe Gonca Mucuk,

    ganz herzlichen Dank für den Interessanten Meinungsbeitrag.

  4. Sevgi sagt:

    Botschaft angekommen! Schön geschrieben liebe Gonca!

  5. pepe sagt:

    @Sugus: Wir sollen uns mal über die sprachlichen Leistungen deutscher Auswanderer in Amerika, Europa und Asien unterhalten.

  6. Sugus sagt:

    @ Pepe
    1.) „Deutsche assimilieren sich auch nicht“ ist ein Kindergarten-Argument.
    Damit entkräften sie nicht die sprachlichen Defizite der Türken beim Deutschlernen.
    2.) „Deutsche assimilieren sich auch nicht“ ist ein Vorurteil, gespeist aus jüngeren Berichten über deutsche Gemeinden z.B. auf Mallorca. In Wahrheit ist der Deutsche heutzutage ziemlich sprachbeflissen und assimiliert sich recht schnell.
    3.) Selbst wenn der Deutsche sich sprachlich nicht assimiliert, kompensiert er durch wirtschaftliche Mehrleistung. Siebenbürger Sachsen, Rußlanddeutsche etc:. Diese Leute haben Land fruchtbar gemacht, Städte gebaut etc.

  7. pepe sagt:

    @Sugus: Wieder einmal zeigen Sie, wie ignorant und wenig belesen Sie wirklich sind:

    1). Kindergarten-Argumente für Menschen, die das geistige Niveau eines 6-Jährigen aufweisen…Das Märchen, dass Türken kein Deutsch können, wird nur durch Stereotypen aufrechterhalten. Viele „Türken“ können gar besseres Deutsch als viele „Bio“-Deutsche.

    2). Genau das hat man in Blumenau (Brasilien) oder in Chile oder in Argentina gesehen. Bestes Beispiel: USA. Deutsche Migranten hatten eigene Kirchen, eigene Schulen, eigene Zeitungen…alles war natürlich auf deutsch. Erst im 19. Jahrhundert wurden sie gezwungen, Englisch als Muttersprache zu haben.

    3). Das tun Migranten überall. Stellen Sie sich vor, es hätte keine Gastarbeiter gegeben. Dann hätte es kein Wirtschaftswunder gegeben. Stellen Sie sich aber auch vor, sämtliche Migranten (mitsamt ihren Familien) würden DE verlassen. Das würde dem Land sehr wohl tun, nicht?

  8. Albrecht Hauptmann sagt:

    @Pepe

    „Dann hätte es kein Wirtschaftswunder gegeben.“

    Das Wirtschaftswunder begann 1948 und endete Anfang der 60er Jahre. Die ersten Türken kamen 61? Ausserdem holt man „Gast“-Arbeiter, um die viele Arbeit zu bewältigen. Hätten sich die Türken an das Abkommen gehlaten, wäre es eine Win-Win-Situation gewesen. Die Türken aber entschieden sich, entgegen aller Abmachungen, hier zu bleiben.

  9. BiKer sagt:

    @ albrecht hauptmann

    so’n quatsch. sie verkürzen in nicht zulässiger weise. die arbeitgeber wollten, dass die gastarbeiter nicht ständig neu eingearbeitet werden müssen weil sie nach zwei jahren wieder zurückgehen und neue kommen. also hat man sie länger an arbeitsplatz und betrieb gebunden. die win-win-situation entstand gerade dadurch, dass die gastarbeiter länger blieben und das bereits erworbene wissen in den betrieb steckten und eben nicht zurückgegangen sind. und dass diese menschen dann irgendwann sehnsucht nach ihrer familie haben und die zu sich holen, kann man wohl kaum als vertragsbruch bezeichnen. hinsetzen. sechs!

  10. Sugus sagt:

    @ Pepe
    Lesen bildet. Ich hatte zu 2.) geschrieben „heutzutage“. Und Sie kommen mir mit dem 19. Jahrhundert.
    Blumenau ist übrigens ein gernbesuchtes Touristikziel in Brasilien.
    Das „Oktoberfest“ ein Wirtschaftsfaktor ersten Ranges für die Stadt.

    Zu 3.): Wenn man die Gastarbeiter nicht geholt hätte, wäre die Ware Arbeitskraft knapp geworden. Folge für die Deutschen? Noch höhere Löhne.
    Zum Wirtschaftswunder: das wurde auch ohne Ausländer geschafft. Oder glauben Sie, die Deutschen lagen 1945-1955 auf der faulen Haut?

    „Stellen Sie sich aber auch vor, sämtliche Migranten (mitsamt ihren Familien) würden DE verlassen. Das würde dem Land sehr wohl tun, nicht?“
    Ich will nicht alle raushaben, Nur bestimmte Gruppen. Unter allen aber sicher jene, die dem Staat auf der Tasche liegen. Ich sehe nicht ein, einen ALGII-beziehenden Nigerianer rauszuschmeissen und einen ALGII-beziehenden Italiener drinzulassen.