Folgen der Islamstudie

Denn sie wissen nicht, was sie tun

Die Empörung über die Schlagzeilen der vergangenen Woche, laut denen angeblich mehr als 20 Prozent der Muslime in Deutschland integrationsunwillig seien, ist groß – bei allen Beteiligten. Die Diskussion über die Ergebnisse der Studie zeigt, wie schnell guter Wille zu bösem Erwachen führen kann.

Von Katharina Pfannkuch Dienstag, 06.03.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 09.03.2012, 7:58 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Absicht von Peter Holtz war zweifelsfrei eine gute: Er habe den in Deutschland lebenden Muslimen, „diesen Menschen, über die in Deutschland so viel geredet wird und mit denen so wenig geredet wird“, durch seine Arbeit eine Stimme geben wollen, schreibt der Mitautor der Untersuchung „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ in einem Gastbeitrag in der aktuellen Ausgabe des Spiegel. Wolfgang Frindte, ebenfalls einer der Autoren, bezog in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung Stellung: Tragisch sei es, dass sich durch die Darstellung der Ergebnisse seiner Studie nun Sarrazin bestätigt fühle. Er und seine Mitarbeiter hätten „große Empörung, sogar Verzweiflung“ aufgrund der Schlagzeilen verspürt. An anderer Stelle war zu lesen, die Mitarbeiter der Studie seien „emotional erregt“ gewesen aufgrund der medialen Auslegung ihrer Erkenntnisse.

Was ist da passiert? Der Abschlussbericht zu den Überlegungen über ein „sozial- und medienwissenschaftliches System zur Analyse, Bewertung und Prävention islamistischer Radikalisierungsprozesse junger Menschen in Deutschland“ – so der Untertitel des Berichts – hat seinen Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Früher als geplant, und auf anderem Wege als geplant, so die Wissenschaftler. Der zitierte Untertitel ging in der Öffentlichkeit ebenso unter wie die Zahlen, die dem schlagzeilenträchtigen „Ergebnis“ von gut 20 Prozent integrationsunwilligen Muslime, die es in Deutschland angeblich gibt, tatsächlich zugrunde liegen. Zu verlockend erschien der BILD-Zeitung die Nachricht über die „Schock-Studie“, die den medial angeheizten Argwohn mancher Bevölkerungsteile gegenüber muslimischen Mitbürgern bestätigte.

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Die ersten kritischen Stimmen, die gegen die plakative Darstellung der Studienergebnisse erhoben wurden – etwa jene der Forschungsgruppe HEYMAT an der Berliner Humboldt-Universität – wurden unmittelbar nach dem Erscheinen der Studie noch einigermaßen erfolgreich abgewehrt. Inzwischen konnten sich jedoch die federführenden Mitarbeiter der mittlerweile als „Islam-Studie“ und „Muslim-Studie“ bezeichneten Untersuchung in den Medien Gehör verschaffen. Verweise auf die nicht vorhandene Repräsentativität der Studie aufgrund zu kleiner Stichproben und Fallzahlen seitens der Forscher selbst und ihrer Kritiker, Einschränkungen und inhaltliche Relativierung sind nun auch in den anerkannten Print- und Rundfunk-Medien zu lesen und zu hören.

Doch der in der kurzen Zeit angerichtete Schaden ist groß. Bei einer Thematik, die es vermag, Ängste und Vorbehalte auf der einen Seite ebenso zu schüren wie Argwohn und das Gefühl von Ablehnung auf der anderen Seite, ist nicht nur ein doppeltes Maß an Vorsicht anzusetzen. Ein mindestens zehnfaches Maß an Umsicht ist hier nötig – gerade, wenn man die beteiligten Seiten einander näher bringen will.

Wen die anfänglich mediale Verzerrung der Studien-Ergebnisse überrascht, der ist im besten Fall gutgläubig. Wer aber in besagter Studie selbst die „Darstellung von Muslimen und Nichtmuslimen in der deutschen, türkischen und arabischen Berichterstattung“ klassischer Verbreitungsmedien analysiert hat (Seite 11 der Studie) und sich trotzdem von der Instrumentalisierung seiner Aussagen überrascht gibt, der ist – bei allem Respekt – mindestens als naiv zu bezeichnen. Es ist nichts Neues, dass sich komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse in den Massenmedien schlecht verkaufen lassen und daher in eingängigen, gern provokant formulierten Schlagzeilen komprimiert widergegeben werden. Das weiß man umso genauer, wenn man zuvor die mediale Darstellung eben jener Gruppen untersucht hat, um die es bei der eigenen Forschung geht.

Wem es um die Prävention von Radikalisierungsprozessen geht, wer die „Lebenswelten“ einer Gruppe in der deutschen Bevölkerung analysieren will und das auch noch im Auftrag eines Bundesministeriums, der muss sich dem Anspruch aussetzen, in alle Richtungen zu denken, bevor er seine Wortwahl trifft und bevor er seinem Auftraggeber einen Abschlussbericht vorlegt. Denn ein Bundesministerium gibt eine Studie in Auftrag, um mit den Ergebnissen zu arbeiten – um mit ihnen Politik zu machen. Diesem Anspruch müssen sich alle stellen, die Aussagen über eine Gruppe treffen. Erst recht müssen sich jene ihrer Verantwortung bewusst sein, die einer vermeintlich nicht zu Wort kommenden Gruppe eine Stimme geben wollen.

Peter Holtz stellt in seinem Beitrag im Spiegel seine eigene Arbeit als Wissenschaftler in Frage: „Sobald man sich als Wissenschaftler auf dieses Spiel einlässt, über ‚die Muslime‘ zu reden und damit selbst diese ganzen 4.000.000 Menschen auf ein einziges Merkmal reduziert – und sei es mit guten Absichten – hat man wohl schon verloren“. Schließlich stellt Holtz sich und den Lesern die Frage „Wäre es dann besser gewesen, gar nichts zu tun und gar nichts zu sagen?“ Seine Antwort lautet „vielleicht“, da so der Beifall eines Thilo Sarrazin hätte vermieden werden können.

Die deutliche Selbstkritik, die Holtz öffentlich übt, ist ihm hoch anzurechnen und verdient Respekt. Zu hoffen ist, dass aus dem „Vielleicht“ ein deutliches „Nein“ wird: Gar nichts zu tun und gar nichts zu sagen kann und darf nicht die Erkenntnis aus dieser Erfahrung der medialen Inanspruchnahme, des medialen Missbrauchs wissenschaftlicher Arbeit sein.

Vielmehr kann diese Erfahrung Ansporn sein, die Arbeit fortzusetzen und dabei noch umsichtiger mit dem so sensiblen wie vielschichtigen Themenkomplex „Integration von Muslimen in Deutschland“ und mit allen darin vorkommenden Begriffen und Aspekten umzugehen: Definitionen von Integration, von Religiosität, von Kultur, von Zugehörigkeit, von Heimat müssen präzise und nachvollziehbar formuliert werden, die Fallzahlen sollten dem Anspruch der Gesamtthematik entsprechend hoch sein, die Bandbreite der zu beantwortenden Fragestellungen könnte eingeschränkt und in Etappen untersucht werden.

Vor allem zeigt die Erfahrung der vergangenen Tage, dass die eigenen Worte mit noch mehr Umsicht zu wählen sind und dass den einschlägigen Boulevard-Medien mit noch mehr Argwohn begegnet werden sollte – denn die wissen, was sie tun. Aktuell Meinung

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  1. Sinan A. sagt:

    Auch die Autoren wussten, was sie tun. Die Hauptaufgabe dieses Büros liegt ja eher in der Marktforschung. Das Zurückrudern nehm ich den Autoren also nicht ganz ab.

    Kapitel 4, eine der Säulen der Studie, befasst sich auf über 80 Seiten mit explizit muslimischen Internet-Foren. Die Autoren unterteilen dabei von gemäßigten bis radikalen Foren und betrachten diese offenbar als ergiebige Informationsquelle. Jedenfalls haben sie sich viel Mühe gegeben, alles auszulesen und zu analysieren. Bei einigen Sätzen hört man förmlich, wie sich der Autor auf die Schenkel klopft, wie auf Seite 452:

    „Auch wird darüber diskutiert, ob und wie man mit Gesichtsschleier oder Burka Auto fahren kann. Diese Diskussion erscheint etwas merkwürdig, da man gemeinhin annehmen würde, dass bei einem derart streng gelebten fundamentalistischen Islam Frauen ohnehin nur im Notfall allein mit dem Auto irgendwo hin fahren sollten.“

    Angesichts solcher Quellen sollte eigentlich jedem einleuchten, dass man hier kaum auf die „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ hochrechnen kann, also auf Millionen von Menschen mit muslimischem Hintergrund.

  2. gedanke sagt:

    Deutschland wie es lebt und leibt anstatt ruhige bahnen zu ziehen werden Rest der Bevölkerung weiterhin auf eine explizite Moslemgefahr hingewiesen.Deutschland sollte es besser mit der Loyalität statt der aufgestülpten Intregation versuchen.Das gesamte leidige Thema geht einem gewaltig auf die Nerven.es wird nur noch eine Politik erzeugt das nur noch auflasten der Moslems geht.

  3. andres sagt:

    Dieser ganze Schwachsinn kommt daher daß niemand klare Regeln geschaffen hat, weder Multikulturalisten noch Konservative…..man überlässt die Diskussion der nicht vorhandenen Bürgerlichkeit….wahrscheinlich wäre es besser das junge Leute aushandeln zu lassen, da würden vermutlich mehr Gemeinsamkeiten entstehen…schliesslich sitzen wir alle im selben Boot….zumindest mehr oder weniger!!!