Brückenbauer

Eine Integrationsoffensive auf Bundesebene, das würde gut zu uns passen!

Ist die Kritik am fünften Integrationsgipfel berechtigt und der Nationale Aktionsplan Integration eine Ansammlung von Unverbindlichkeiten? Nein, schreibt Cemile Giousouf. Sie kritisiert, dass wichtige Dimensionen des Integrationsprozesses gegeneinander ausgespielt werden.

Von Cemile Giousouf Donnerstag, 09.02.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 13.02.2012, 8:48 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Der Zuspruch war diesmal insgesamt sehr groß: Nach einem als eher unspektakulär empfundenen vierten Gipfel wurde auf dem fünften Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt am 31. Januar 2012 von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer der Nationale Aktionsplan Integration vorgestellt. Ergebnisse aus dem Indikatorenbericht von 2005 bis 2010 wurden präsentiert, neue Schwerpunkte und Maßnahmen für die Zukunft erläutert. Naturgemäß hagelte es die übliche Kritik. Der Artikel mit der Überschrift „Unverbindlich, unverbindlicher, Integrationsgipfel“ auf den geschätzten Seiten von MiGAZIN provozierte mich aber, meine Meinung zu Papier zu bringen.

Der Nationale Aktionsplan ist ein Gemeinschaftswerk von Bund, Ländern, Kommunen, Migrantenorganisationen und der Zivilgesellschaft, der in elf Dialogforen vor dem Gipfel erarbeitet wurde. Er ist über 200 Seiten lang, und umfasst minutiös aufgelistet so viele Maßnahmen, dass einem schwindelig wird. Jedes Jahr sollen diese Maßnahmen überprüft werden. Die Überprüfbarkeit wird durch Indikatoren gewährleistet. Zudem wurde ein Bundesgesetz zur Anerkennung von ausländischen Abschlüssen auf den Weg gebracht. Bis 2015 soll als mittelfristiges Ziel die Schulabbrecherquote halbiert werden. Dennoch lautet die Kritik am Gipfel, dass dieser unverbindlich sei, es um Lippenbekenntnisse und Symbolpolitik gehe. Wichtiger seien umfassende Reformen des Staatsangehörigkeitsrechts, des Wahlrechts sowie ein Aktionsplan gegen Rassismus.

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Meine Hauptkritik an dieser Haltung ist, dass wichtige Dimensionen des Integrationsprozesses, der in der Wissenschaft aus der strukturellen Integration (Zugang zu Bildung, Arbeit, Wohnungsmarkt und politischer Partizipation), identikativen Integration (Zugehörigkeitsgefühl), der kulturellen Integration (aufeinander zugehen von Neumitglied und Aufnahmegesellschaft) und der sozialen Integration (soziale Kontakte) besteht, gegeneinander ausgespielt werden. Im politischen Diskurs ist das wenig sinnvoll.

Wie wir alle mittlerweile wissen, erfolgt Integration vor Ort in den Kommunen. Hier entscheidet eine kluge Integrationspolitik über ein gutes Zusammenleben. Wobei der Graben in unserem Land nicht zwischen Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, sondern zwischen denen mit und ohne Zugang zu den Ressourcen verläuft. Wahr ist jedoch, dass Zuwanderern häufiger dieser Zugang versperrt bleibt. Sei es, weil ihnen der Schlüssel wie z.B. Bildung fehlt oder sie durch Diskriminierung außen vor gelassen werden. Wenn ich eine Gewichtung innerhalb der oben genannten Dimensionen vornehme, dann sind für mich persönlich die strukturelle Dimension und der Zugang zu den Ressourcen der Gesellschaft die Wichtigste.

Der Nationale Aktionsplan agiert genau hier. Wenn wir uns vor Augen führen, dass in den 1980er Jahren eine Minderheit der Städte einen Integrationsplan hatte, so sehen wir, dass heute in den Städten und Gemeinden verstärkt Integration als Querschnittsaufgabe verankert ist und nach Wegen der Standardisierung gesucht wird. Seit Jahren werden Projektgelder im Bereich Integration ausgegeben. Nicht immer sind diese Projekte zufriedenstellend, geschweige denn nachhaltig. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass im Nationalen Aktionsplan, ein Wechsel, eine Systematisierung und Steuerung in die Hand genommen wird.

In Zukunft sollen weniger Einzelprojekte gefördert werden, sondern stärker Regelangebote etabliert werden. Ein Beispiel stellt dabei die frühkindliche Bildung dar. In jedem Bundesland gibt es eigene Sprachtests und Sprachfördermaßnahmen. Diese sind nicht immer wirksam. Deshalb soll das Angebotsspektrum frühkindlicher Bildung und Betreuung erfasst und durch eine Forschungsinitiative auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Die Frage wird am Ende sein, wie notwendige strukturelle Veränderungen finanziert und umgesetzt werden sollen. Es wäre beispielsweise zu überlegen, ob Integrationsgipfel auf Länder-Ebene eingerichtet werden könnten, um mit Vertretern auf Landesebene Fragen der Umsetzung abzustimmen.

Der Aktionsplan sieht zudem vor, den Anteil von Migranten im öffentlichen Dienst zu erhöhen und die Zuwanderer im Anerkennungsverfahren ihrer Abschlüsse zu unterstützen. Es gibt Veränderungen im Zuwendungsbereich. Der Bund hat sich verpflichtet, die Richtlinien in der Spitzensportförderung zu modifizieren. Die Förderrichtlinien im Sport- und Kulturbereich werden an Bedingungen (Schulung von Trainern, interkulturelle Kompetenz) geknüpft, die Migranten zugutekommen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Messbarkeit von Integration. Die Indikatorenberichte zeigen auf, wo Integrationsmaßnahmen erfolgreich sind und an welchen Stellen nicht. Der aktuelle Indikatorenbericht macht Erfolge im Bereich Schule und Ausbildung und Misserfolge auf dem Arbeitsmarkt sichtbar. Fazit ist, dass die Bildungs- und Integrationserfolge von Zuwanderern, sich nicht in gleichem Maße auf dem Arbeitsmarkt niederschlagen. Hier muss also weiter an den Strukturen gearbeitet werden.

Die Bedeutung einer Systematisierung von Integrationsarbeit wird auch im Integrationsgesetz in Nordrhein-Westfalen deutlich, welches am 8. Februar vom Landtag mit den Stimmen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen verabschiedet worden ist. Die Landesregierung wird Kommunale Integrationszentren entwickeln, die die Ansätze von KOMM-IN (Innovation in der kommunalen Integrationsarbeit) und RAA (Regionale Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien) zusammenführen. KIZ soll in allen 54 Kreisen und kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen dazu dienen, dass Integration vor Ort gesteuert und koordiniert wird.

Nordrhein-Westfalen übernimmt – wie mit dem Gesetz – in vielen Bereichen eine Vorreiterrolle. Beispielhaft ist die Integrationsoffensive, die im Jahr 2001 von den damaligen Fraktionen SPD, CDU, FDP und Grüne verabschiedet wurde. Ein Integrationskonsens, der die Abmachung beinhaltet, dass Integrationspolitik im Einvernehmen entschieden und nicht auf dem Rücken der Zuwanderer ausgefochten wird. Ein weitsichtiger Schritt, der sich seit nunmehr über zehn Jahren bewiesen hat. Es ist bekannt, wer vom Parteienstreit über Integrationsfragen profitiert. Entsprechend ist der politische Konsens in Zuwanderungsfragen ein wichtiges Mittel, um undemokratischen Kräften entgegenzuwirken. Der kommunizierte Konsens ist das wichtige Signal, welches die Verantwortlichen bei Zuwanderungsthemen ausstrahlen sollten.

Der Untersuchungsausschuss zur National-Sozialistischen-Untergrundorganisation ist ebenfalls in dieser Form gestaltet. Es ist der erste Untersuchungsausschuss, den alle Fraktionen im Bundestag gemeinsam beantragt haben. Das Thema soll nicht zum Kampfmittel im Parteienstreit ausgenutzt werden.

Engin Olguner, Vorsitzender der Türkisch-Deutschen Akademiker Plattform, ist insgesamt zufrieden mit dem fünften Integrationsgipfel. Er erzählt mir, dass er wichtige Kooperationspartner gefunden und es ihn gefreut hat, dass deutliche Worte gegen den NSU-Terror gefunden wurden. Es wurde angekündigt, diesen mit aller Entschiedenheit zu bekämpfen. Er begrüßt das und hofft, dass dazu beim nächsten Integrationsgipfel Ergebnisse präsentiert werden.

Kommen wir zurück zu meiner Ausgangskritik: Integration lässt sich nicht durch Gesetze verordnen. Die von der Opposition geforderte Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft ist für viele Türkeistämmige ein wichtiges Anliegen. Es wäre die Anerkennung ihrer Wurzeln, ihrer Identität. Eine wichtige Komponente der identikativen Integration. Darüber sollten und müssen die Parteien verhandeln. Es ist jedoch falsch, vorhandene Integrationserfolge und Maßnahmen aus politischem Kalkül zu bagatellisieren. Wir müssen bei der Integrationspolitik einen Konsens finden, parteiübergreifend. Wir sollten keine künstliche Disharmonie schaffen, die an den Realitäten vorbeigeht und den falschen Leuten in die Hände spielt. Eine Integrationsoffensive auf Bundesebene wäre eine zukunftsweisende Maßnahme und die würde uns gut zu Gesicht stehen! Aktuell Meinung

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  1. Vielen Dank für diesen Artikel, Cemile!

  2. Wesse Ulrike sagt:

    ..und was ist mit den vielen jungen Menschen, die seit Jahren im Duldungsstatus leben? Oft hier geboren und den Status von den Eltern geerbt. Warum werden sie von Integration ausgeschlossen? Ihnen das Menschenrecht auf Bildung, Ausbildung, gesunde Entwicklung, gleichwertige Teilhabe an der Gesellschaft verwehrt? Es ist menschenunwürdig jahrelang in Angst leben zu müssen. Wie soll da ein Mensch vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden? Diese jungen Menschen bekommen einen Negativstempel aufgedrückt, den sie nicht zu verantworten haben. Sie können nichts dafür, in dem Status geboren zu sein. Ihnen wird jede Chance verwehrt.

  3. Bierdurst sagt:

    Ich frage mich allerdings wozu eine doppelte Staatsbürgerschaft gut sein soll.
    Wenn damit z.B. ein doppeltes Wahlrecht (in den jeweiligen Staaten) in Verbindung steht führt das zu einer Bevorzugung der jeweiligen Doppelstaatler.

  4. Carla Neisse-Hommelsheim sagt:

    Cemile, das hast du gut gemacht!
    Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel und unsere Integrationsbeauftragte Maria Böhmer lassen sich von unsachlicher Kritik nicht vom Weg abbringen und werden weiter im Dialog mit allen Akteuren nachhaltige Integrationspolitik für unser Land entwickeln. Wir können das von der kommunalen Seite nur unterstützen!