Betrug bei Integrationskursen
Wer betrügt wen?
Manipulierte Anwesenheitslisten und bestandene Sprachprüfungen gegen Geldzahlungen - Die Aufregung nach der Aufdeckung von Betrügereien in Integrationskursen ist groß. Aber nicht jeder teilt die öffentliche Empörung.
Von Karl Kirsch Montag, 06.02.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 09.02.2012, 7:18 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Mir, als Lehrer in Integrationskursen, fällt es schwer, die öffentliche Empörung über massiven Betrug mit Teilnehmerzahlen und Prüfungsergebnisse zu teilen. Ich kenne den Sektor zu gut, um nicht sofort zu verstehen, dass in ihm ein Unternehmer nur dann Aussicht hat, überhaupt etwas Geld zu verdienen, wenn er sich auf solche und ähnliche hässliche Praktiken verlegt wie die, derentwegen jetzt die Polizei in Dortmund ermittelt. Es ist so logisch, dass es unter den gegebenen Verhältnissen zu Missbräuchen kommen muss, dass mich höchstens wundert, erst jetzt mit einem Skandal dieses Ausmaßes konfrontiert zu werden.
Ehrliches, fachgerechtes und engagiertes Arbeiten ist bei den Integrationskursen dagegen nur möglich, wenn jemand anderes als die öffentliche Hand ausgenommen und abgezockt wird. Diese anderen sind wir. Die – wie von Amts wegen immer wieder betont wird – hochqualifizierten, vielfach geprüften und streng kontrollierten Lehrkräfte. Die Bundesregierung finanziert die Kurse derart kümmerlich, dass ihr laufender Betrieb einen kontinuierlichen Raubzug gegen uns, die in ihnen beschäftigten Fachkräfte darstellt. Seit 2005. Auf unsere Kosten schmücken sich die Verantwortlichen mit ihrer Integrationspolitik. Ebenfalls seit 2005. Wir haben sie seitdem weitgehend bezahlt und bezahlen sie weiter. Mit Einkommen, die zum Leben nicht reichen, und, todsicher, mit bitterer Armut im Alter. Der eigentliche Skandal sind deshalb nicht die jüngst entdeckten Betrugsfälle. Der eigentliche Skandal bei den Integrationskursen ist ihre Unterfinanzierung.
Würde die Bundesregierung die Integrationskurse endlich so ausstatten, dass in diesem Sektor Anbieter auch dann kostendeckend arbeiten könnten, wenn sie ihre Mitarbeiter ihrer Qualifikation und Leistung angemessen bezahlten, würden Betrugsfälle wie der neuste wahrscheinlich rasch zu einer Marginalie werden. Außerdem könnte die Regierung darüber endlich auch die fachgerechte Förderung aller einzelnen Teilnehmer sicherstellen, sodass niemand, der ein Sprachzertifikat braucht, sich dieses kaufen muss. Solange aber die Regierung an der Unterfinanzierung der Kurse nichts ändert, können wir nur mit Achseln zucken, wenn ihr Integrationsprojekt schamlos abgezockt und ausgenommen wird. Die gleiche Regierung geht nicht weniger schamlos mit uns Lehrkräften um. Sie demonstriert, an uns, jeden Tag, dass ihr die Integration gerad so egal ist wie den Betrügern von Dortmund.
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Symbol der Abschottung Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete sofort stoppen!
- Umbruch in Syrien Was bedeutet der Sturz Assads – auch für Geflüchtete…
- Neue Behörde Ukrainer sollen arbeiten oder zurück in die Heimat
- Debatte über Rückkehr Bamf verhängt Entscheidungsstopp für Asylverfahren…
- Kaum Auslandsüberweisungen Studie entlarvt Lüge zur Einführung von Bezahlkarten
- Abschiebedebatte Ministerin rät Syrern von Heimreisen ab: können…
Der Kollege Karl Kirsch hatt vollkommen Recht: der eigentliche Skandal ist die Tatsache, dass der Staat die Lehrkräfte seit Beginn der Integrationskurse um ihr anfgemessenes Honorar abzockt. Die Bundesregierung hat sogar das Parlament angelogen, um die Hungerlöhne zu beschönigen.
Nicht nur die Lehrkräfte, sondern auch die Träger und KursteilnehmerInnen sind vom Staat abgezockt worden. Die Träger haben sich schon öffentlich über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beschwert, weil viele ihr Geld erst mit monatelangen Verzögerungen bekommen haben.
Die KursteilnehmerInnen haben ihre Fahrtkosten teilweise erst Monate nach Beendigung des Kurses bekommen, meistens ohne Abrechnung und ohne irgendeine Erklärung. Man muss davon ausgehen, dass ein Teil der Fahrtkosten bei den Trägern versackt ist. Das BAMF weiß wie immer von nichts.
Das zuständige Bundesinnenministerium (Herr Friedrich) hat vollkommen versagt. Dieses Ministerium ist nicht dazu in der Lage und hat auch nicht den Willen, die anspruchsvolle interkulturelle Aufgabe der Integrationskurse angemessen zu betreuen. Man hat den Eindruck, dass Herr Friedrich die Kurse gar nicht haben will. Die CDU/CSU betreibt eher eine Politik gegen als für die MigrantInnen. Das Innenministerium ist für Polizei, Verfassungsschutz und Kriminalitätsbekämpfung zuständig. Man fragt sich sowieso, warum Bildungskurse überhaupt von diesem Ministerium verwaltet werden.
Die Integrationskurse sollten vom Bundesministerium für Bildung organisiert werden, und die Lehrkräfte sollten nach demselben Tarif bezahlt werden wie die Lehrkräfte an öffentlichen Schulen.
Weitere Infos unter http://www.mindesthonorar.de
Der Kollege schildert die Realität in Integrationskursen, die Integrationskurse sind nur eine Schaufensterdekoration,mit der sich die Regierung schmückt. Es ist letztendlich eine Fortsetzung der „Mainzer Sprachverbandskurse“, in denen nicht differenziert wurde, ob jemand nur eine fünfjährige Schulbildung oder schon eine abgeschlossene akademische Ausbildung hatte. Es gibt zwar Einstufungstests für die Einstufung der Teilnehmer seit dem die Sprachkurse Integrationskurse heißen, sie sind aber völlig unzureichend.
Auch wenn viel Wahres im Artikel des Dozenten Karl Kirsch und in den zwei weiteren Kommentaren steht, was die Realität der DozentInnen in den Integrationskursen betrifft und die Privatisierung der Staatsaufgabe „Integrationskurs“ mit der völlig unzureichenden Finanzierung durch die Bundesregierung, möchte ich mich von Betrügereien distanzieren und betonen, dass sie nicht gang und gäbe sind. Jedenfalls nirgends, wo ich bisher unterrichtet habe.
Karl Kirsch stellt sich hier als Sprecher für das DaZ-Netzwerk dar. Ich bin Gründerin und ebenfalls Sprecherin des DaZ-Netzwerks und möchte und muss aus diesem Grund darauf hinweisen, dass es keine Diskussion im DaZ-Netzwerk gibt, die die Darstellung seiner Meinung als Mehrheitsmeinung der DozentInnen rechtfertigen würde.
Ich meine, man muss pragmatisch strikt trennen zwischen den Machenschaften von kommerziellen Sprachkursanbietern und der würdelosen Bezahlung von uns DozentInnen. Wenn Zertifikate gekauft werden können, wird die qualitativ hoch- und ehrenwerte Arbeit der allermeisten DozentInnen und Träger abgewertet. Wir fordern gerechte Bezahlung, aber wir rechtfertigen nicht gleichzeitig den Betrug.
Ich empöre mich über die Betrügereien nicht mehr als über die schlechte Bezahlung, ich halte sie auch für eine logische Folge der Privatisierung von Bildung, kann und will sie jedoch nirgends gut heißen oder verstehen!
Ich empöre ich mich über die Privatisierung von Bildung – vor Allem in der öffentlichen Weiterbildung – mit all ihren negativen Folgen!
Ahoi Frau Steinmaier, wie sie logisch die Betrügereien eher den Privaten Bildungsträgern zuordnen ist mir schleierhaft. Dieser Fall beinhaltet eine kriminelle Bereitschaft, die wohl im Einzelfall nicht zu entschuldigen ist. Dass wer hungert auch mal leichter stiehlt, wissen wir alle. Auch dass Private mehr hungern, als z.B. VHSn, deren Verwaltung/Räume typischerweise bereitgestellt werden. Allerdings ist wohl etwas weniger bekannt, wer hungert hat mehr Einfälle. Als Inhaber eines lokal engagierten Bildungsinstituts, das über 25 Jahre beständig Innovationen lieferte, zuletzt mit Deutschkursen für kompliziert Beschäftigte (ohne BAMF und Integrationstopfunterstützung), möchte ich Sie bitten, etwas vorsichtiger mit der Forderung nach allgemeiner Verstaatlichung umzugehen. Ich finde, Salz ist gut für die Suppe.
Spannend, hier wird also Betrug und die Erschleichung von Leistungen als „Lösung“ gesehen. Willkommen in der bunten Republik.
Sollte das Geld knapp bemessen sein (Leben in Armut…) – was spricht dagegen es einfach sein zu lassen? Keiner wird verpflichtet so einen Unterricht zu gestalten, es gibt bestimmt noch einen Platz an der Kasse bei einem Discounter in der Nähe, fragen Sie doch einmal diese wie sie mit dem „knappen“ Geld auskommen – und trotzdem nicht betrügen?
Gleichzeitig gehe ich mal nicht davon aus, dass diese Praxis auf alle Dozenten zutrifft, insofern scheint es also irgendwie doch zu gehen – vielleicht langt es nicht für den Mercedes sondern nur für den gebrauchten Opel – willkommen in der Wirklichkeit!
Vielleicht sollte man auch einfach die Teilnehmer verpflichten den gleichen Betrag noch mal draufzulegen, dann hat auch der Dozent was davon. Immerhin WOLLEN die Teilnehmer ja ZU UNS – also erwarte ich auch eine Leistung von IHNEN. Können Sie nicht bezahlen? Dann lernen sie selbstständig ohne diese Kurse und machen die Prüfung direkt. Geht auch!
Dann könnten wir die vielen hundert Millionen Euro die wir hier verbrennen auch einsparen, statt sinnlos noch mehr Geld da reinzupumpenv um dafür zu Sorgen, das Menschen die eh kaum Interesse haben deutsch zu lernen Unterricht „aufzuzwingen“ den sie nicht möchten.
„Vielleicht sollte man auch einfach die Teilnehmer verpflichten den gleichen Betrag noch mal draufzulegen, dann hat auch der Dozent was davon.“
Nur zur Information: Die Kursteilnehmer zahlen 1 Euro pro Unterrichtsstunde. Diese werden vom Kursträger an das BAMF abgeführt. Das BAMF wiederum zahlt pro Teilnehmer und Stunde 2,35 Euro an den Kursträger.
MIt anderen Worten, bereits jetzt tragen die Kursteilnehmer ca. 43% der Kosten.
Dem stehen zum einen die ALG2-Empfänger gegenüber, die von der Zahlung befreit sind (wie soll das auch anders gehen), zum anderen aber auch viele Kursteilnehmer, die entweder keine Integrationskursberechtigung haben (z. B. weil sie noch auf ihren Aufenthaltstitel warten, aber schon mal die Zeit zum Lernen nutzen wollen), oder die wegen anderer Gründe (ungünstige Arbeitszeiten, Kinderbetreuung) auf nicht subventionierte Sprachkurse zurückgreifen müssen (das ist kein theoretischer Fall, sondern so erging es meiner Frau in der größten Stadt Bayerns; zum Glück können wir uns das leisten) – diese anderen zahlen mehr als 2,35 Euro pro Stunde, tragen also durch ihre Beiträge zur Quersubventionierung der vom BAMF finanzierten Teilnehmer bei.
Und noch ein Kommentar:
„es gibt bestimmt noch einen Platz an der Kasse bei einem Discounter in der Nähe, fragen Sie doch einmal diese wie sie mit dem “knappen” Geld auskommen “
Das zeigt leider nur, wie uninformiert Sie sind (und Sie sind da sicher nicht der einzige)…
Wenn ich den Vergleich zwischen einer Kassiererin beim Discounter und einem typischen DaF-Lehrern ziehe:
– Die Kassiererin bekommt Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, DaF-Lehrer sind „selbständig“ (ich setze das bewusst in Anführungszeichen, tatsächlich wird den DaF-Lehrern vom BAMF minutiös vorgeschrieben, wie sie ihre Arbeit zu machen haben).
– Die Kassiererin genießt Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. DaF-Lehrer können von so was nur träumen.
– Ein Streikrecht, Betriebsräte oder ähnliches gibt es natürlich auch nicht.
– Keine staatliche Behörde schreibt allen Discountern vor, wieviel Geld ihnen für Personal, Miete etc, zur Verfügung steht. Wäre das BAMF ein Unternehmen, hätte die Kartellbehörde längst eingegriffen.
– und so weiter.
Man fragt sich wirklich, warum das irgendjemand noch freiwillig macht. Tatsächlich gibt es bereits jetzt in vielen Städten nicht genug Kursangebote, um den Bedarf zu befriedigen. Warum wohl.
Pingback: News und aktuelle Meldungen