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Brückenbauer

Das ewige Lamento über die deutsche Sprachkultur

Der vermeintliche Verfall der deutschen Sprache ist in aller Munde – linguistischer Kulturpessimismus oder Realität? Darüber und über "die guten alten Zeiten" schreibt Brückenbauer Fatih Köylüoğlu in seiner neueseten Kolumne.

Von Donnerstag, 02.02.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.03.2016, 15:44 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Die kontroverse Diskussion über den sogenannten Verfall der deutschen Sprache ist wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Umfragen werden durchgeführt und Statistiken erhoben. Ein komplexes Themenfeld, das durchaus viel Freiraum für Interpretationen zulässt.

Viele Politiker und Medien bedienen sich derartiger Statistiken, um ihre Thesen zu untermauern. Oft wird der Inhalt politisch instrumentalisiert und gezielt für opportunistische Zwecke, wie Wahlkampagnen, genutzt.

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65 Prozent aller Deutschen sind der Meinung, die deutsche Sprache verkomme immer mehr. In der Wahrnehmung der Menschen wird nur noch wenig Wert auf eine gepflegte Ausdrucksweise im Elternhaus, in der Schule und in den Medien gelegt. Vor allem Ältere sorgen sich über diesen Entwicklungsprozess.

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Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der Gesellschaft für Deutsche Sprache (GfdS ) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Sprachrat. Eine Aussage, die vor allem zwei Fragen aufwirft:

Sind die Sorgen über den Verfall der deutschen Sprache berechtigt und worin liegen die Gründe für diese mögliche Tendenz?

Längst ist es an der Zeit, den Wahrheitsgehalt der Behauptungen weitestgehend zu überprüfen und Vorurteile und stereotype Denkmuster zu durchbrechen. Zunächst ist es wichtig, das Konzept des Sprachverfalls nicht weiter aus der Perspektive eines Laien zu sehen. Bevor man auf Ursachenforschung geht und pauschale Gründe dafür sucht, warum sich die deutsche Sprachkultur sukzessiv abschafft, muss Grundsätzlicheres zu diesem komplexen Thema geklärt sein. Welche Sprache verfällt hier eigentlich angeblich und wie ist dieser Verfall überhaupt definiert?

Damit eine Sprache tatsächlich verkommt, sich also über einen andauernden Zeitraum verschlechtern kann, muss es als Ausgangspunkt eine optimale, fehlerfreie Sprache gegeben haben. Man stellt sich also einen Muttersprachler vor, der die Sprache, in diesem Fall das Deutsche, perfekt beherrscht und sprachlich versiert ist. Eine klare Illusion, denn jeder produziert fortwährend Normverstöße. Ein Unterschied besteht lediglich darin, in welcher Intensität dies geschieht. Viele Menschen meinen, wenn in der Gegenwart etwas schlecht ist, dann muss es in der Vergangenheit zwangsläufig besser gewesen sein. „Die guten alten Zeiten“, wie man gerne zu sagen pflegt.

Fatal ist es in jedem Fall, bestimmten Gruppen, wie Jugendlichen, Migranten oder – noch schlimmer – herkunftsspezifischen Gruppierungen den Vorwurf zu machen, sie seien für den Niedergang der deutschen Sprache verantwortlich.
Rudolf Hoberg etwa, Sprachwissenschaftler und ehemaliger Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache, geht in diesem Kontext noch einen Schritt weiter. Er hält das Ergebnis der oben genannten Umfrage für eine „gefühlte Wahrnehmung, die von den Tatsachen weit entfernt ist.“ Wahrgenommen werden nur Oberflächenphänomene, also keine tiefer greifenden Veränderungen in der Sprachstruktur.

In Frage gestellt werden muss ebenso die Behauptung, dass Veränderungen in einer Sprache generell zu Verschlechterungen führen. Geht man dieser Aussage auf den Grund, wird man feststellen, dass Sprachen selbstverständlich veränderlich sind und sich sogar verändern müssen. Schließlich sind sie Hauptverständigungsfaktoren, die sich der fortwährend verändernden Umwelt adaptieren.

Ein Fehler wäre es auch, die gesprochene Sprache auf Schulhöfen oder in Talkshows mit der deutschen Schriftsprache zu vergleichen. Zum Beispiel kann man Werke von Goethe nicht mit Slang-Sprachen unter Jugendlichen oder Nicht-Muttersprachlern vergleichen.

Faktoren, die die Befragten in einer Anschlussumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach unter anderem auf die Frage: „Woran liegt es ihrer Meinung nach, dass die deutsche Sprache verkommt?“ , sind nicht haltbar und schlichtweg falsch. Das besonders die Älteren der Ansicht sind, die deutsche Sprache verfalle, liegt daran, das sie den modernen Entwicklungsprozess der Sprache nicht begleiten. Sie meinen, dass Richtige gelernt zu haben, was wiederum suggeriert, dass das, was Jüngere lernen demnach schlechter ist, weil es eben anders ist.

Das laut Umfrage weniger gelesen und mehr ferngesehen wird, ist auch ein Mythos. Dieses Bild wird von den Medien selber vermittelt und geprägt. Insgesamt wäre es aber durchaus angebracht, wenn man immer noch der Ansicht ist, die deutsche Sprache verliere ihr Niveau, bei sich selbst zu beginnen und nicht andere diesbezüglich anzuprangern. Dabei muss immer im Hinterkopf behalten werden: Jede Sprache ist eine hybride Sprache.

15 Prozent des deutschen Wortschatzes besteht aus Fremdwörtern. Dabei haben Anglizismen, aus dem Englischen entlehnte Worte, einen hohen Anteil. Diverse Begriffe und Bezeichnungen wurden ins Deutsche eingebürgert.

Wird von Sprachverfall gesprochen, hängt dies außerdem auch immer ganz eng zusammen mit Kultur- und Gesellschaftskritik. Ein gefährliches Terrain, denn Grenzen können auf diesem Gebiet schnell verschwimmen. Einerseits kann das Bekämpfen von Anglizismen im Deutschen Ausdruck für die Abneigung gegen die alles umfassende Dominanz der USA sein, andererseits kann der platte Vorwurf: „ Ausländer machen unsere Sprache kaputt“, auch schnell in rassistischen Vorwürfen münden.

Schon vor über 100 Jahren denunzierte Gustav Wustmann in seinem Buch „Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Hässlichen“ die Dekadenz der deutschen Sprache:

„Der Deutsche mag so alt werden, wie er will, er wird immer und ewig Affe der anderen Nationen bleiben. Ausländerei, Franzosennachäfferei und Engländernachäfferei sind verbreitet. […] Vor allem sind die Juden an diesem Verfall schuld: Ein großer Teil unseres heutigen Sprachunrats geht ausschließlich auf das Judendeutsch der Berliner und Wiener Tagespresse zurück.“

Eine völlig unangebrachte Folgerung, denn gerade Sprachwissenschaftler stehen dieser Form des Sprachverfalls völlig gelassen gegenüber.

Die gesprochene Sprache unter Jugendlichen, auch „Nähesprache“ genannt, ist bei weitem nicht repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölkerung und somit für die Entwicklung und Zukunft des Deutschen. Diese Unterschiede hat es in der Geschichte immer gegeben. Auch Rudolf Hoberg stellt fest: „Schon seit den alten Ägyptern klagt die Generation der Erwachsenen darüber, dass alles schlechter geworden ist“.

Dieses Phänomen erstreckt sich über alle Zeiten hinweg. Chronologisch betrachtet, hatten schon Platon, Jean-Jacques Rousseau, Helmut Kohl und sogar Prinz Charles, der seine Abneigung gegenüber der Verschmutzung der britischen durch die amerikanische Sprache äußerte, diesen Zustand kritisiert. Aus diesem Grund sollte auch kritisch hinterfragt werden, ob Sprachveränderungen mit mangelndem Stolz der Muttersprachler ihrer Sprache gegenüber zu tun haben könnten.

Insgesamt wird es von immenser Bedeutung sein, auch innerhalb des Deutschen differenzieren zu können. Man kann hierbei einmal das Niveau als Kriterium nehmen, denn es wird immer Menschen geben, die sprachgewandter sind und über einen breiteren Wortschatz verfügen als andere. Zum anderen ist Sprache aber auch immer mehr kontextabhängig. Jugendliche etwa kommunizieren untereinander sicherlich oft in einer Art Sub-Sprache, die von Akademikern und Eliten, als unangemessen empfunden wird.

Offensichtlich funktioniert diese Kommunikation aber hinreichend und das ist doch letztlich das Ziel einer jeden Sprache. Wichtig wird es für diese jungen Menschen, sich in späteren Phasen ihres Lebens innerhalb des Deutschen zu entwickeln und sich schwerpunktmäßig der offiziellen Hochsprache zumindest anzunähern.

Je mehr ihnen das gelingt, desto größer sind ihre Chancen in Bildung und im Berufsleben. Eine einfache Formel, die außerdem erkennen lässt, dass die deutsche Sprache in ihrem Kern nicht verfällt, sondern weiterhin Maßstab bleibt, um in Deutschland etwas erreichen zu können. Zwischen Migranten und dem sogenannten Sprachverfall im Deutschen jedenfalls einen ursächlichen Zusammenhang zu sehen, wäre eine unlogische und schlicht falsche Betrachtungsweise.

Sprache ist ein seit Jahrhunderten probates Mittel der Kommunikation und Interaktion unter den Menschen, die sich fortlaufend verändert und weiterentwickelt hat. An dieser Stelle sollte auch noch einmal betont werden:

Die guten alten Zeiten waren auch mal die schlechten neuen Zeiten. Aktuell Meinung

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  1. Sugus sagt:

    Einen Verfall der Sprachkultur kann ich eindeutig belegen. Die Print- und Onlineauftritte der großen Zeitungen wimmeln heutzutage nur so von Fehlern. Warum? Man spart sich den Korrektor und denkt, der Computer erledigt das. Pustekuchen.

  2. Dr. Rita Zellerhoff sagt:

    Die deutsche Sprache ist aus vielen Dialekten hervorgegangen und ist in ihrer geschichtlichen Entwicklung als Hochsprache erst zwei Jahrhunderte alt.
    Im Barock gab es „Sprachorden“, die sich um ihre Weiterentwicklung bemüht haben. Jede Epoche hat das ihre dazu beigetragen, dass sich die Sprache weiterentwickelen konnte, so kamen im „Sturm und Drang“ etwa viele Empfindungswörter hinzu. Heutzutage verlangt der riesige Bereich der Technik nach neuen Wortschöpfungen.
    In den Fachsprachen gibt es viele Begriffe, die als Internationalismen aus dem Griechischen oder römischen Erbe aber auch aus internationalen Verkehrssprachen abgeleitet sind. Das ist ein Gewinn für die globale Verständigung. Wenn diese Termini in den Alltagsgebrauch übergehen, bereichern sie auch den alltäglichen Wortschatz. Dagegen tun sich die Isländer, die als Sprachpuristen keine Fremdwörter verwenden wollen, sehr schwer.
    Rita Zellerhoff

  3. Bierdurst sagt:

    Was der Autor völlig ignoriert ist dass es auch in anderen Nationen (Bsp. Frankreich seit dem 17. Jh.) immer Sprachakademien gegeben hat, die gewisse Normen der Hochsprache vorgegeben haben.
    Sprache hat auch viel mit Sozialprestige zu tun.
    Gerade hier im MIGAZIN-Umfeld müsste doch viel daran gelegen sein, den Migranten standardisiertes Hochdeutsch beizubringen.

    Anderswo ist das Gegenteil der Fall: Da wird sogenanntes Kiezdeutsch als Dialekt abgefeiert, die Opfer dieses Aufdenschildhebens sind letztendlich die Kiezdeutschen selbst, die mit Ihrem Stammeldialekt natürlich nirgendwo einen anständigen Arbeitsplatz finden.
    Aber wer weiß, vielleich ist das sogar heimlich so gewollt…

  4. Pepe sagt:

    Schade, dass sich die meisten Deutschen schwertun, wenn es um das Sprechen einer gepflegten, schönen Sprache geht.

    Der Großteil der Deutschen kann sich ein Stück vom Herrn hier abschneiden.

  5. R.Y. sagt:

    Toller Artikel!

    Es ist doch so, dass etwas geschriebenes, also schriftlich festgehaltenes normalerweise nicht verkommen kann. Wenn die deutsche Sprache, also samt seiner Worte und Verwendungsregeln schriftlich festgehalten worden wäre, könnte sie nicht verkommen.
    Aber dafür müsste das Geschriebene perfekt bzw. optimal/allumfassend sein. Dem ist aber nicht so. Die Sprache ist nämlich nichts, das man schriftlich festhalten und begrenzen kann. Die Sprache vor zig Tausend Jahren ist nicht ausreichend für die heutige Zeit. Es fehlen Begriffe für beispielsweise den ganzen technischen Fortschritt oder die Fortschritte in der Medizin etc. Also werden tagtäglich neue Begriffe der deutschen Sprache hinzugefügt. Nicht zu vergessen die tollen Begriffe wie „Integrationsverweigerer“ oder „Döner-Morde“.
    Abgesehen davon wird an der Rechtschreibung gefeilt. Die Sprache wird also dem Wandel angepasst und ständig verändert. Irgendwelche schlauen Köpfe meinen, die deutsche Sprache durch kleine Veränderungen/Verfeinerungen verbessern zu müssen. Also wird beispielsweise das „ß“ durch „ss“ ersetzt und es folgen weitere Rechtschreibreformen. Da hat keiner einen Aufstand gemacht, dass die deutsche Sprache verkommt. Das Problem ist eigentlich nicht der, dass die deutsche Sprache angeblich verkommt, sondern es wird händeringend nach Gründen gesucht, um das Dorn im Auge (=die Antipathie Migranten gegenüber) zu rechtfertigen.

    Es gibt einfach nicht DIE eine deutsche Sprache. Sprache ist etwas Individuelles und ist Teil der Persönlichkeit eines jeden Menschen. Wo der Eine für sein gehobenes Deutsch Ansehen erntet, erntet wo anders Jemand für sein falsches bzw. individuell umgeformt und mit erfundenen Ausdrücken geschmücktes Deutsch Anerkennung. Es gibt Schichten, da würde man schief angeguckt, sogar gemobbt, werden, würde man die deutsche Sprache richtig anwenden. Andersherum gilt das gleiche.

    Es leben über 81Mio Menschen in Deutschland. Man lehrt uns in der Schule, wie facettenreichreich die Bevölkerung mit seinen demographischen/sozialen/kulturellen/politischen und religiösen Unterschieden ist und will ungeachtet dessen Alle über einen Kamm scheren und Jedem die perfekte deutsche Sprache, die es nicht gibt, verordnen/aufdrücken? Bi gidin yaaa!

    Es scheint so, als gäbe es keine anderen Probleme. Wenn die deutsche Sprache verkommt, sind es nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund schuld. Dann sollen gefälligst sämtliche Dialekte abgeschafft werden. Besser noch, es sollen Geldstrafen für die falsche Verwendung der deutschen Sprache verhängt werden.
    Man man man, das ist so lächerlich! Ich mache hier lieber ein Punkt, sonst könnte es ein Buch werden, wenn ich mir den ganzen Frust von der Seele schreiben wollte.

    PS: Einen in Deutschland geborenen Menschen für sein gutes Deutsch zu loben ist kein Kavaliersdelikt und rassistisch obendrein!!!

  6. Ardita Azemi sagt:

    Fatih Köylüoglu ist zu danken für diese sehr differenzierte Betrachtung der deutschen Sprachentwicklung und für den klaren Hinweis, dass Jugendliche und Migranten nicht für den vermeintlichen Verfall der deutschen Sprache verantwortlich zu machen sind!

    Sprache ist ein sehr lebendiger Organismus, der besonders im heutigen schnellen Internetzeitalter in Sekundenschnelle neue Wortprägungen, Sprachverkürzungen, originelle Wortschöpfungen sofort aufnimmt und in die mediale Öffentlichkeit katapultiert. Die Klage über den Sprachzerfall ist in der Tat wahrscheinlich so alt wie die Menschheit und liegt vor allem daran, dass die meisten Menschen mit dem Neuen, Fremden, Anderen (Vokabular) nicht offen umzugehen wissen. Diese sprachlich-kulturelle Weltoffenheit meist auch erziehungsmäßig nicht gelernt haben. Wenn heute die Kenntnis von mindestens zwei Fremdsprachen und Praktika und Schüleraufenthalte im Ausland fast schon unverzichtbar sind für einen strebsamen jungen Menschen, dann mutet die Klage über den Verfall der deutschen Sprachkultur fast schon wieder kleingeistig und typisch deutsch-kleinkariert an.

    Auch ich stelle gewisse Sprachschludrigkeiten in deutschen Tageszeitungen fest. Ob dies allerdings an der Einsparung von Korrektoren liegt, weiß ich nicht – vielleicht liegt es auch eher am ungeheuren Neuigkeiten-Druck, der in Zeiten von Internet-Journalismus, jederzeit aktiven Bloggern und Twitter-Aktivisten noch zugenommen hat. Leider ist auch im Radio in renommierten Sendungen wie dem WDR-Mittagsmagazin so manche Sprachnachlässigkeit und -unsicherheit zu hören. In WDR 3 oder 5 verhält es sich mit dem Sprachniveau meist schon wieder ganz anders. Im SPIEGEL und besonders in der ZEIT ist meines Erachtens das Sprachlevel nach wie vor besonders hoch und anspruchsvoll.

    Sprachveränderungen sind normal, erfolgen heute sicher schneller als früher. Ältere kommen da in der Regel kaum noch mit. Ältere Lehrer haben mit der „Nähesprache“ der Jugendlichen enorme Schwierigkeiten. Aber auch unter Jugendlichen schälen sich die Sprachbegabten und Sprachgewandten sehr schnell heraus. Ein hinreichend intelligentes Migrantenkind erkennt – ganz unabhängig von seiner Familiensprache – rasch, dass in Deutschland die deutsche Sprache Maßstab seines Fortkommens und seiner Zukunftsentwicklung ist. Da nützt auch kein Lamentieren über Rückstände beim Sprachförderbedarf in Kindertagesstätten oder Schulen oder die Fehlersuche bei anderen: Mit Anstrengung, Fleiss und Strebsamkeit sind Sprachdefizite schnell aufzuholen. In Zusammensicht mit der Kenntnis der eigenen, nicht-deutschen Kultur und dem kulturellen Wissen um fremde Mentalitäten, fremde Sprachbilder haben Migrantenkinder dann einen riesigen sozial-empathischen Vorsprung gegenüber einsprachig aufgewachsenen deutschen Kindern, den sie allerdings zu nutzen lernen müssen. Die Sprache Goethes ist so schön wie die von Hafis – das hat schon Goethe in seinem West-östlichen Diwan zu würdigen gewusst. Nur: auf dem Diwan sollte niemand einschlafen! Er sollte das Sprungbrett zu neuen sprachlich-literarischen und alltagssprachlichen Höhenflügen sein…

  7. u. h. sagt:

    Über diesen Artikel und über die Diskussionsbeiträge habe ich mich gefreut. Mir ist beim Lesen ein Erlebnis eingefallen, das ich vor etwa einem halben Jahr hatte: Da hat ein Firmenchef arabischer Abstammung eine seiner Angestellten hergebeten, um uns einander vorzustellen mit der Begründung, ich spräche so ein gepflegtes Deutsch. Er legt also auch bei seinen Angestellten Wert auf ein gutes Deutsch.

    Man sollte klarer zwischen gesprochenem und geschriebenem Deutsch unterscheiden. Im mündlichen Gegenüber kann man Mißverständnisse durch Rückfragen schnell aufklären, da kommt es nicht so sehr auf Genauigkeit im Sprechen an. Verfällt man dabei aber in den Fahler, sein – schlechtes -Sprechen ins schriftliche Miteinander zu übertragen, ist der Fehler unbehebbar in der Welt. Wer nun nicht in zwei Sprachen denken, sprechen und schreiben will – schlecht und schludrig einerseits, andererseits korrekt – tut gut daran, sich auch beim Sprechen zusammenzureißen und auf Korrektheit zu achten. Wer aufmerksam liest, stößt oft auf Doppeldeutigkeiten. Der Schreiber hat sie gar nicht erkannt, weil für ihn das Gemeinte klar ist, dem Leser fällt es auf und macht sich womöglich andern gegenüber, vielleicht sogar unter Namensnennung, darüber lustig. Der Schreiber merkt beim nächsten Zusammentreffen gar nicht , warum er nicht mehr ernst genommen wird.

    Zu den mehrmals genannten Rechtschreibfahlern in Zeitungen: Die Rechtschreibung ist ein Dienst am Leser. Sie erleichtert ihm das Verständnis des geschriebenen Wortes, wo Tonfall und Mienenspiel nicht unterstützend wirken können.

    Mir ist aufgefallen, daß die im MiGazin veröffentlichten Texte sprachlich von ausgezeichneeter Qualität sind. Dazu muß ich dieser Zeitung gratulieren. Es gibt leider nur noch wenig deutsche Zeitungen ähnlicher Sprachqualität.

    Können Sie sich vorstellen, wie ich mich gefreut habe, als mir gestern eine Frau armenischer Herkunft, die 2000 erstmals deutschen Boden betreten hat, ihr erstes Wort zu mir war: „English, please“ erzählte, sie habe jetzt aufgrund einer Prüfung ein Zertifikat über ihre Kenntnisse in „Deutsch als Muttersprache“ mit der Note „sher gut“ erhalten. Solche guten Kennnisse wünsche ich allen, die sich hier auf Dauer niederlassen wollen – und leider auch vielen mit deutschen Wurzeln.

  8. Alpay sagt:

    Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. Goethe

  9. Pingback: Lamento über Sprachverfall? Ein Diskussionsbeitrag |

  10. guste sagt:

    Erst einmal muss ich mich entschuldigen, dass ich einen lange ruhendes Thema wieder aufgreife.

    Immer wieder ärgere ich mich

    1. darüber, dass sowohl in Funk und Fernsehen und auch den Printmedien die einfachsten Formen nicht geläufig sind. Wie oft geht es z. B. um das Mädchen, über das im nächsten Satz mit „sie“ statt „es“ berichtet wird?

    2. Bin ich der Meinung, dass die Werbung der absolute Sprachkiller ist. Was bedeutet der Satz „so geht Technik“? Oder welchen Sinn macht es, Worte, die im Plural sowieso schon oft nicht richtig benannt werden, noch mehr zu verhunzen? Z. B. Lexikon wird fälschlich häufiger in der Mehrzahl mit Lexikons benannt – warum nun noch die Steigerung auf Lexikonse?

    Das waren nur Beispiele aus der aktuellen Werbung. Soll es so weitergehen? Werbung zieht viel Aufmerksamkeit auf sich. Gibt es keine Möglichkeit, da an den Anstand zu appelieren? Oder ist die Werbewirksamkeit so hoch, dass jeder Anstand auf der Strecken bleiben muss?