Paukenschlag gegen Rassismus

Von fremden und vertrauten Tönen und der göttlichen Sprache

Als der englische Biologe Charles Darwin 1859 seine Untersuchung „Über den Ursprung der Arten“ durch natürliche Zuchtwahl (Evolutionstheorie) veröffentlichte und die daraus gewonnenen Beobachtungen 1871 auf die Menschen übertrug, nahm das Unheil seinen Lauf.

Von Montag, 05.12.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 07.12.2011, 8:09 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Rasch verbreitete sich der Evolutionsgedanke, nahm Europa in seinen Bann und schwappte später auch auf den Balkan über. Als zahlreiche Persönlichkeiten, unter anderem der französische Schriftsteller Joseph Arthur Graf von Gobineau (1816-1883), diesen Gedanken aufgriffen und den aus der Tier- und Pflanzenzucht bekannten Begriff der Rasse nun auch auf Menschen übertrugen, wurde der Fremde plötzlich zum Feind.

In seinem Buch, „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen“ (4 Bände 1853-59), kommt Graf von Gobineau zu der Überzeugung, dass sich Menschen bestimmter Sprachgruppen nicht nur aufgrund ihrer äußeren Merkmalen, wie Haut-, Augen- und Haarfarbe unterscheiden, sondern auch im Charakter und Fähigkeiten verschieden seien und dass diese auch noch vererbbar seien. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die „arische Rasse“ anderen Rassen körperlich, geistig und moralisch überlegen sei. Der Sozialdarwinismus mit seinem Prinzip „survival of the fittest“, sowie das Gefühl der eigenen Überlegenheit und damit verbunden die Geringschätzung als auch die Ablehnung des Fremden, des Anderen ergriffen jetzt auch weitere gesellschaftliche Bereiche. Mit fatalen Folgen, bis heute.

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Zeitgleich zum Sozialdarwinismus erlebte auch die westliche Musik tief greifende Veränderungen. Ließen sich große Musiker wie Franz Joseph Haydn (1732-1809), Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) oder Ludwig van Beethoven (1770-1827) noch von fremden Tönen inspirieren, beschloss man – aufgrund des Wunsches nach dem gleichen Hörgenuss – 1788 in Paris den Kammerton „a“ auf 409 Hz festzulegen. Bis zu dieser Regelung waren Kompositionen „alla turca“ eigentlich sehr modern und auch sonst herrschte rege Vielfalt in der westlichen Musikwelt. So war die Stimmhöhe der westlichen Musik, von Ort, Region, Art der Musik und dem Musiker sehr individuell und unterschiedlich, doch im 19. Jahrhundert fiel diese musikalische Individualität dem Wunsch nach Gleichklang zum Opfer. Also wurde der Kammerton „a“, nach dem sich das Orchestra einstimmt, 1858 durch die französische Akademie per Gesetz auf 435 Hz festgelegt. Ab diesem Zeitpunkt herrschte nicht nur in Frankreich, sondern auch in den Nachbarstaaten die „Pariser Stimmung,“ die allerdings im Jahr 1939 beendet und europaweit auf 440 Hz standardisiert wurde. Europa hatte nun einen neuen gemeinsamen Ton.

Mit diesen 440 Hz kommen die Menschen aus dem türkischen Kulturraum nicht in Stimmung. Sie bevorzugen andere Töne. Die klassisch türkische Musik richtet sich auch nicht nach dem „temperierten Klavier“ und teilt keinen Ganzton in Halbtonschritte ein, sondern in Neunteltonschritte. Auch kennt sie kein Dur und Moll, sondern vierer und fünfer Tonketten und auf Grund dieser Tonschritte kennt sie über 400 Makame (Module). Zugegeben für mitteleuropäische Ohren, die an das temperierte Klavier gewöhnt sind, klingt klassisch türkische Musik oft fremd oder falsch und für manche als Katzengejammer und es wundert daher nicht, wenn der Musiker Daniel Speer (1636-1707) konstatierte, die türkische Musik sei „absurd … in Instrumenten und Thon“, „gantz unordentlich bestellt“ und ohne jede „Lieblichkeit“.

Aber so sind nun mal die Hörgewohnheiten, individuell verschieden und immer von der jeweiligen Kultur geprägt. Und das lässt sich sogar in Hirnaktivitäten nachweisen. Gefällt uns ein Musikstück, sind Teile des Stirnlappens und des Schläfenlappens in der linken Gehirnhälfte aktiv, Dissonante Musik hingegen aktivierte die rechte Gehirnhälfte. Wenn europäische Ohren türkische Musik hören, dürfte folglich bei vielen die rechte Gehirnhälfte „vibrieren.“

Die Homogenisierung der Musik im 19. Jahrhundert hat abendländische Ohren für die morgenländische Musik untauglich gemacht. Fremde Töne werden nicht wahrgenommen oder als störend empfunden. Zur türkischen Musik und europäische Ohren konstatiert Dr. Martin Greve vom Konservatorium Rotterdam: „Die Unterschiede zwischen ihnen sind jedoch oft so fein, dass ein europäisch, an mehrstimmiger Musik geschultes Ohr eine Modulation oft überhaupt nicht bemerkt.“

Wie heißt es so schön? Der Ton macht die Musik, aber es gibt Hoffnung. Trotz unserer unterschiedlich angepassten Ohren und kulturell bedingten verschiedenen Hörgewohnheiten, können wir uns auf fremde Töne einstimmen. Eckart Altenmüller, Prof. für Musikphysiologie und Musiker-Medizin an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover, konnte mit seiner groß angelegten Studie nachweisen, dass Musik nicht nur in unterschiedlichen Hirnregionen verarbeitet wird, sondern dass die Hirnaktivität durch die Musik „beträchtlich“ veränderbar ist.

“O ihr Menschen, Wir haben euch von einem männlichen und weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Verbänden und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennen lernt.“ (Kuran 49:13)

Auch wir müssen in der Integrationsdebatte unsere Hörgewohnheiten ändern, wenn wir denn endlich etwas Neues hören wollen. Kein Mensch erträgt permanent die gleiche Leier. Vielleicht können wir die Dissonanz im interkulturellen Dialog überwinden, indem wir unsere Ohren neu temperieren und uns auf den Anderen einstimmen? Bedingung ist allerdings, dass wir zeitweise vertraute Notenblätter und das eigene fertige Repertoire verlassen. Gut möglich, dass es Einheimischen und Einwanderern gelingt, etwas Neues, etwas Gemeinsames, etwas zuvor noch nie „Gehörtes“ zu improvisieren. Vorausgesetzt, wir lassen uns von „fremden“ Tönen nicht abschrecken, sondern inspirieren.

Mit der Sprache hat es nicht geklappt, denn obgleich wir die deutsche Sprache sprechen, ist die Integrationsdebatte geprägt von Misstönen. Versuchen wir es mit Musik. Wir müssen nur noch einen gemeinsamen Ton treffen. Und damit es keine Arie wird, könnten wir uns vielleicht an den alten Osmanen orientieren, deren multiethnische Tradition auf der Einheit der Vielfalt beruht.

Dafür ist Musik ist ein geeignetes Medium, es hat etwas Göttliches. „Müzik Allah’ın dilidir,“ Musik ist die Sprache Gottes sagte einst der sufische Dichter Mevlana. Vermutlich werden Einheimische und Einwanderer keine Oper gegen Rassismus komponieren können, aber wie wäre es mit einem Paukenschlag? Aktuell Meinung

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  1. Marc Fischer sagt:

    ich habe schon sehr viel zu Integration gelesen, aber die kombi mit der Musik ist großartig. Mit leichten Tönen haben Sie ein schweres Thema im neuen Klang „komponiert“. Vielen Dank.

  2. Horst Herberg sagt:

    Eine sehr gute Beschreibung. Wir müssen die Hörgewohnheiten ändern. Diese Darstellung gefällt mir. Ein sehr guter Aufsatz.

  3. Zensus sagt:

    Ich weiß nicht ob es türkischen Menschen möglich ist zu erkennen, daß es NICHT rassistisch ist, wenn man die Musik der Osmanen nicht mag.
    Die türkische Kultur ist nicht der Nabel der Welt, es wäre gut diese Anbiederungen zu unterlassen.

  4. Ein wunderschön geschriebener Artikel mit der originellsten Behandlung des Themas, die ich je gelesen habe! Vielen Dank, liebe Zerrin!!
    Die Evolutionstheorie Darwins mit ihrem Mechanismus der natürlichen Selektion ist immer wieder übel mißbraucht worden, indem man ihn einfach auf gesellschaftliche Verhältnisse übertrug. Das war kein Versehen, sondern es ging darum soziale Ungerechtigkeiten (wer arm war, dem war nicht zu helfen, denn er hatte halt „schlechte“ Gene, welche ohnehin aussortiert gehörten) und den Imperialismus (Herrschaft der „höherwertigen“ über die „minderwertigen“ Rassen) zu rechtfertigen.
    Dabei war es die natürlich Selektion, welche die Spiegelneuronen hervorbrachte, Nervenzellen im Gehirn, die ihren Träger (höhere Tiere und der Mensch) befähigen mitzufühlen und damit auch Mitleid zu empfinden. Damit hatte die natürliche Selektion selbst die Grundlage dafür geschaffen, ihr eigenes unerbittliches „natürliches“ Gesetz zu überwinden!
    Zudem gibt es ja auch nicht nur die Evolution der Gene, sondern auch die Evolution der Meme, also der Gedanken und Ideen: http://ethologiepsychologie.wordpress.com/2011/11/04/richard-dawkins-und-die-meme/

  5. saliha balkan sagt:

    Ich kann Jens Christian Heuer nur zustimmen und sogar weitergehen…Es ist einer der besten Artikel, den ich von dir gelesen habe. Die Geschichte und die Wissenschaft der Musik, die Erläuterungen dazu waren sehr informativ und der Bogen zur Integration wunderbar konzipiert.Ich bin auch der Meinung, dass Musik Gewohnheitssache ist. Der Grund für die Ablehnung von bestimmten musikalischen Stücken ist durchaus das Fehlen bestimmter Takte darin, die befremdlich und unangenehm ankommen. Dies hat natürlich mit Rassismus nichts zu tun, eher die Verschlossenheit vor der Vielfalt, was sich eben in Musik aber auch in verschiedenen Bereich bemerkbar macht.

  6. saggse sagt:

    Abgesehen davon, daß Gobineaus Abhandlungen bereits fünf Jahre vor dem Erscheinen von Darwins „Entstehung der Arten“ verfaßt worden sind, frage ich mich, was dieser Ausflug in die Musikgeschichte soll. Glaubt die Künstlerin wirklich, daß seit dem 19.Jh. in der europäischen Musik – im Unterschied zum facettenreichen und illustren „a la turka“ . nur Gleichklang herrschte ?
    Wer die Nachfolger Mozarts und Beethovens – also von Schubert, Mendelssohn, Brahms, Verdi, Liszt über die Sträusse, Offenbach, Tschaikowki, Chopin usw. bis zu Orff oder Theodorakis als musikalischen Einheitsbrei verhackstückt ist entweder selbst nicht frei von chauvinistischen Ambitionen oder sollte einfach mal einen HNO-Arzt konsultieren.
    Also – was will die Künstlerin uns mit ihrer Collage sagen ?

    P.S. Wagner habe ich ausgelassen. Da bin ich mit dem bekannten Musikkritiker Mark Twain einer Meinung – „Zahnschmerzen in der Magengrube“.

  7. John Mayloni sagt:

    Mein Gott. Sie sind göttlich. Was für ein Geist, was für ein Esprit? Vom Bienchen zum Tönchen und dann zur knallharten elend langen Integration und das alles mit leichtem Schritt. Wie viel Wissen kann-pardon-darf ein einzelner Mensch haben, bevor andere in Neid ersinken? Neidlos meine Hochachtung vor diesem Spagat. Ich hoffe, man bezahlt Sie anständig, sonst wechseln Sie zur FAZ oder Süddeutschen.

  8. Sinan Sayman sagt:

    zensuz und saggse, ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass Sie immer die Autorin „kritisieren“, egal, was Sie schreibt, immer eins drauf halten, aber immerhin haben Sie es gelesen und das versucht Ihnen jetzt Bauchschmerzen, von Rassismus in der Musik hat sie doch nichts erzählz, nur das die Vielfalt dahin ist, und das europäische Ohren die feinen Unterschiede nicht wahr nehmen können, sieht man ja bei Ihnen, Sie haben den Text gelesen und nicht verstanden. Wie peinlich.

  9. @saggse: Gobineau veröffentlichte seine Hauptschrift vor Darwin, das stimmt. Seine Theorien über die Reinheit der Rassen und die Überlegenheit der weissen Rasse leitete er vermutlich von dem damals Bekanntem über Tier- und Pflanzenzucht ab. Mit Darwin hatte Gobineau wohl eher Probleme, da er sehr bibelgläubig war.
    Allerdings wurden Darwins Theorien, wie in meinem ersten Kommentar oben schon angedeutet politisch mißbraucht, indem der Mechanismus der natürlichen Selektion auf die gesellschaftlichen Verhältnisse übertragen wurde. So liess sich allerhand rechtfertigen. Darwin verwahrte sich wiederholt gegen diese Vereinnahmung seiner Theorie, stolperte aber selbst beinahe in diese sozialdarwinistische Falle. In seinem Buch über die Abstammung des Menschen schrieb er u.a. :
    “ Bei Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt und die, welche leben bleiben, zeigen gewöhnlich einen Zustand kräftiger Gesundheit. Auf der andern Seite thun wir civilisierte Menschen alles nur Mögliche, um den Process dieser Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken; wir erlassen Armengesetze und unsere Aerzte strengen die grösste Geschicklichkeit an, das Leben eines Jeden bis zum letzten Moment noch zu erhalten. (…) Hierdurch geschieht es, dass auch die schwächeren Glieder der civilisirten Gesellschaft ihre Art fortpflanzen. Niemand, welcher der Zucht domesticirter Thiere seine Aufmerksamkeit gewidmet hat, wird daran zweifeln, dass dies für die Rasse des Menschen im höchsten Grade schädlich sein muss. Es ist überraschend, wie bald ein Mangel an Sorgfalt oder eine unrecht geleitete Sorgfalt zur Degeneration einer domesticirten Rasse führt; aber mit Ausnahme des den Menschen selbst betreffenden Falls ist wohl kaum ein Züchter so unwissend, dass er seine schlechtesten Thiere zur Nachzucht zuliesse.“
    Dann kriegte er aber doch noch die Kurve:
    „Die Hülfe, welche dem Hülflosen zu widmen wir uns getrieben fühlen, ist hauptsächlich das Resultat des Instincts der Sympathie, welcher ursprünglich als ein Theil der socialen Instincte erlangt, aber später in der oben bezeichneten Art und Weise zarter gemacht und weiter verbreitet wurde. Auch könnten wir unsere Sympathie, wenn sie durch den Verstand hart bedrängt würde, nicht hemmen, ohne den edelsten Theil unserer Natur herabzusetzen. (…) Wir müssen daher die ganz zweifellos schlechte Wirkung des Lebenbleibens und der Vermehrung der Schwachen ertragen; doch scheint wenigstens ein Hinderniss für die beständige Wirksamkeit dieses Moments zu existiren, in dem Umstände nämlich, dass die schwächeren und untergeordneteren Glieder der Gesellschaft nicht so häufig als die Gesunden heirathen; und dies Hemmnis könnte noch ganz ausserordentlich verstärkt werden, trotzdem man es mehr hoffen als erwarten kann, wenn die an Körper und Geist Schwachen sich des Heirathens enthielten.“ (zitiert nach Wikipedia).

    Die Zusammenhänge wurden von Zerrin Konyalioglu also richtig dargestellt!

  10. Yasar Erdogan sagt:

    Liebe Zerrin,
    Du hast nochmal gezeigt,dass ohne HÖREN(können), keinem etwas GE-HÖREN kann. Ich hoffe nur, die bürokratisierte Hörmuschel finden
    deine Sichtweise nicht UN-ERHÖRT !