Islamunterricht

Was muslimische Studenten wollen – offener Brief an die NRW-Landesregierung

In einem offenen Brief an die NRW-Landesregierung begrüßen unabhängige muslimische Studenten die Einberufung des Koordinationsrats der Muslime in den Beirat für den Islamischen Religionsunterricht. Das MiGAZIN dokumentiert den Brief im Wortlaut:

Dienstag, 13.09.2011, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 15.09.2011, 1:46 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Mit großem Interesse hat die Islamische Hochschulvereinigung/Unabhängige Muslimische Akademiker e.V. Münster (IHV/UMA) die Diskussion um die Einführung eines bekenntnisorientierten Islamunterrichts in NRW verfolgt und begrüßt die Entscheidung der Landesregierung diesen Unterricht nach jahrzehntelangem Tauziehen in NRW ab 2012 flächendeckend einzuführen.

ÜBER UNS
Die IHV/UMA ist eine partei- und verbandspolitisch unabhängige Hochschulgruppe und Vereinigung von muslimischen Studierenden an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und besteht seit 2008. Die IHV/UMA ist eine plurale Vereinigung mit Mitgliedern der verschiedensten Fachrichtungen und kultureller Herkunft. Wir verorten uns selbstbewusst in unserer Heimat Deutschland.

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Nicht wenige unserer Mitglieder studieren an der Universität die Fächer „Islamwissenschaft“, „Islamische Theologie“ oder „Islamischer Religionsunterricht“ bzw. haben als erste Absolventen der WWU Münster und in NRW überhaupt im Fach „Islamunterricht“ den Dienst als Lehrkräfte an einer Schule in NRW aufgenommen.

Darüber hinaus beschäftigen wir uns intensiv mit der Rolle der Muslime in der Gesellschaft aus soziologischer, pädagogischer, theologischer und gesellschaftspolitischer Sicht. Diese Erfahrungen und Einschätzungen unserer Mitglieder wollen wir im Rahmen dieser Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Landesregierung weitergeben und ggf. auch im Rahmen der Anhörung am 14.September im Landtag mitteilen.

Aus unserer Sicht muss neben den Einschätzungen von Jurist/innen, Theolog/innen, Verbandsvertreter/innen und Wissenschaftler/innen auch die Seite der (künftigen) ausgebildeten Islamlehrer/innen und Studierenden gehört werden, um zu einer umfassenden Beurteilung zu kommen.

UNSERE ANMERKUNGEN ZUM GESETZ

Zu den Verbänden des KRM als Ansprechpartner
Zuerst einmal stellen wir fest, dass die im KRM (Koordinationsrat der Muslime) organisierten Verbände derzeit als einzige größere Organisationsform (abgesehen von kleineren unabhängigen Moscheegemeinden) über eine religiöse Infrastruktur verfügen und den größten Teil der in NRW ansässigen Moscheen vertreten.

Diese Infrastruktur umfasst die Organisation von Gottesdiensten, Seelsorge, soziale Arbeit, die Organisation von Pilgerfahrten und Bestattungen, sowie Sprach- und Integrationskursen.

Diese Infrastruktur halten wir überaus für notwendig, weil sie eine wichtige Brückenfunktion übernimmt. Sie gewährleistet, dass ein landesweiter Islamischer Religionsunterricht einen möglichst breiten Rückhalt in der muslimischen Gemeinschaft erhält. Daher halten wir die Zusammenarbeit mit dem KRM und seinen angeschlossenen Verbänden für richtig.

Im geplanten Gesetz wird dies aus unserer Sicht nicht deutlich genug gewürdigt, stattdessen wird im Gesetzesentwurf, aber auch in der Begründung dazu die Legitimation der islamischen Verbände angezweifelt. Dies halten wir für keine gute Ausgangslage für die künftige Zusammenarbeit zwischen der Landesregierung und den im angedachten Beirat vertretenen KRM-Verbänden.

Unsere Einschätzung zur Größe von Moscheevereinen zeigt, dass meistens ein oder zwei Familienangehörige in einer Moscheegemeinde tatsächlich Mitglieder sind, während Kinder und Enkelkinder dies oft nicht sind, aber trotzdem die Angebote eines Moscheevereins wahrnehmen. Wir gehen davon aus, dass die Akzeptanz der Verbände als größte organisierte Interessenvertretung von Muslim/innen in NRW höher ist, als die im Entwurf benannten Größen.

Unsere wenig positiven Erfahrungen mit dem ersten Versuch der Islamlehrer/innenausbildung an der WWU Münster bis 2009 haben uns gezeigt, dass man ein so wichtiges bildungspolitisches Projekt wie die Etablierung eines Islamischen Religionsunterrichtes und das dazu gehörige Studienfach an der Hochschule auf gar keinen Fall an der Mehrheit der Muslime vorbei durchführen kann.

Wir hoffen dabei, dass der Neustart an der WWU Münster im Jahr 2010 mit mehreren Professuren für die Islamische Theologie und zur Ausbildung von Lehrkräften für den islamischen Religionsunterricht von Anfang an die breite Akzeptanz und Unterstützung der Musliminnen und Muslime finden wird und muss.

Wir erwarten dabei auch von den islamischen Organisationen, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind, die sie mit der Vereinbarung mit der Landesregierung für die über 300000 Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens übernehmen.

Dabei setzen wir auch auf eine Weiterentwicklung in den Verbänden, dazu zählt auch eine stärkere Verortung einzelner Verbände in die hiesige plurale Gesellschaft und eine bewusste Öffnung auch für Musliminnen und Muslime anderer kultureller Herkünfte.

Wir wünschen uns von den Verbänden auch eine stärkere und sichtbare innerislamische Debatte um Antworten auf gesellschaftliche Probleme, die wir innerhalb der muslimischen Gemeinschaft und in den Moscheevereinen vor Ort durchaus als vielfältig wahrnehmen.

In der derzeitigen organisatorischen Orientierung einzelner KRM-Verbände sehen wir kein zukunftsträchtiges Modell. Sie sind oft an eines der Herkunftsländer von muslimischen Zuwanderer/innen ausgerichtet. Dies müsste gerade im Zuge der von den Verbänden angestrebten rechtlichen Anerkennung als Religionsgemeinschaft nach einer Übergangsphase überwunden werden.

Ebenfalls erwarten wir von den KRM-Verbänden, dass sie im Zuge der Zusammenarbeit im Beirat kompetentes Personal bereitstellen bzw. benennen können.

Zur Konstruktion des Beirats
Wir begrüßen es, dass man mit dem Modell des Beirates die noch nicht als Religionsgemeinschaften anerkannten, aber de facto als solche fungierenden muslimischen Organisationen auch rechtlich in den Gestaltungsprozess des Islamischen Religionsunterrichtes einbezieht.

Die Aufteilung nach dem 4:4-Modell, bei dem der Konsens von Landesregierung und KRMVertreter/innen bei der weiteren Besetzung der vier anderen Beiratsplätze gelten soll, halten wir durchaus für praktikabel. Beide Seiten haben die Chance diesen Beirat und seine Gestaltungsmöglichkeiten mit den besten und anerkanntesten Expert/innen weiter zu besetzen und zu entwickeln.

Hierbei erwarten wir u.a. Personen, die sich nachweisbar durch akademische und berufliche Qualifikationen in islamischer Theologie und Pädagogik auszeichnen bzw. in der muslimischen Gemeinschaft auch anerkannt sind.

Darüber hinaus sehen wir in dem Beirat lediglich ein Übergangsmodell und Hilfsinstrument bis es eine oder mehrere rechtlich anerkannte islamische Religionsgemeinschaften gibt. Dieser Übergangscharakter müsste noch deutlicher als bisher im neuen Gesetz vermerkt sein. Die Zusammenarbeit zwischen Land und islamischen Organisationen kann dabei einen positiven Einfluss auf deren Anerkennungsprozess ausüben.

Wir vertreten die Auffassung, dass auch islamische Organisationen außerhalb des KRM, sofern sie die Merkmale einer Religionsgemeinschaft (de facto) erfüllen 1, später die Möglichkeit bekommen sollen, an der Gestaltung des islamischen Religionsunterrichtes mitzuwirken.

Den Einbezug von Vereinigungen, die diese Bedingungen nicht erfüllen halten wir nicht für sinnvoll.

Zur Lehrplankommission und den Lehrkräften
Für die zu bildende Lehrplankommission wünschen wir keine weiteren Experimente mit fachfremden Quereinsteiger/innen, die nicht über die nötigen pädagogischen (z.B. 1. und 2. Staatsexamen) und theologischen Qualifikationen verfügen oder eben „exotische (theologische) Positionen“ vertreten, die von der Mehrheit der Muslime in Deutschland schlicht nicht geteilt werden. Dafür fordern wir den Gesetzgeber auf, zusammen mit den islamischen Organisationen eindeutige Kriterien dafür aufzustellen.

Auch müssen hinreichende Kriterien aufgestellt werden, wer künftig islamischen Religionsunterricht an den Schulen erteilen kann. Aus unserer Sicht können das nur Lehrkräfte mit einem eindeutigen Bekenntnis zum islamischen Glauben durchführen.

Schlussbemerkung
Die IHV/UMA hofft, mit ihren Anmerkungen zum Gesetz zur Einführung eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichtes in NRW einen konstruktiven Beitrag geleistet zu haben und steht für Rückfragen Ihrerseits gerne zur Verfügung.

In Hoffnung auf einen guten Start verbleiben Ihnen herzlichst mit freundlichen Grüßen für die IHV/UMA:

  • Sergül Yokus, 1. Vorstandssprecherin der IHV/UMA; Studentin im Fach Islamischer Religionsunterricht
  • Ali Bas, 2. Vorstandssprecher der IHV/UMA; Lehrer/Doktorand d. Erziehungswissenschaft
  • Bochra Masatou, Kassenführerin der IHV/UMA; Studentin der Islamwissenschaft
  • Shazia Saleem, Mitglied der IHV/UMA – Fachbereich Öffentlichkeitsarbeit, Politik und Gesellschaft; Doktorandin d. Graduate School of Politics (GraSP)
  • Bilal Erkin, Mitglied der IHV/UMA – Fachbereich Öffentlichkeitsarbeit und IT; Student der Islamwissenschaft,
  • Sahinder Gelim, Mitglied der IHV/UMA; Lehrerin Biologie/Geschichte/Islamischer Religionsunterricht – Fachbereich Religionspädagogik
  1. „…die Deutsche Islam Konferenz in ihren Arbeitsgruppen eindeutige Kriterien erarbeitet, um zu definieren was eine islamische Religionsgemeinschaft ist. Demnach handelt es sich um vier Merkmale. Eine Religionsgemeinschaft muss erstens aus natürlichen Personen bestehen, zweitens muss ein Minimum an organisatorischer Struktur von Personen getragen werden, die sich zusammengeschlossen haben, um sich für eine längere Zeit der Ausübung der gemeinsamen Religion zu widmen, drittens muss der Zweck der Vereinigung die Pflege des religiösen Bekenntnisses sein und viertens muss sich die Religionsgemeinschaft in einem umfassenden Sinn und nicht nur auf Teilaspekte des Bekenntnisses widmen. Damit ist ein wichtiger Schritt in Richtung der Konstituierung staatlich anerkannte islamischer Religionsgemeinschaften getan.“
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  1. Mehmet Yörük sagt:

    so wie man die forderung der studenten liest wollen sie selbst ernannte islamexperten und religionspädagogen wie kaddor nicht, die ja im ersten experiment neben kalisch auf der ganzen linie versagt hat.