EU-Marathon der Türkei

Gott sei Dank – Religion ist kein Ausschlusskriterium!

Der gesamte rechtliche Besitzstand der Europäischen Union - Acquis Communautaire - kennt das Kriterium der Religion nicht. Daher fußt die EU ausschließlich auf politischen Werten, welche die Türkei unbedingt auf ihrem langen Weg in die EU erfüllen muss.

Von Freitag, 25.02.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 25.11.2011, 22:55 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Gemeinschaft der politischen Werte
Jeder europäische Staat kann die Mitgliedschaft der Europäischen Union beantragen. Dies besagt Artikel 49 des EU-Vertrags. Im Fall Marokkos (1987) lehnte die EU/EG zum ersten Mal einen Antrag auf Mitgliedschaft mit dem Hinweis auf dieses geographische Kriterium ab.

Ferner verweist dieser Artikel auf die Kernwerte der EU, die ein Beitrittskandidat erfüllen muss, um Mitglied der EU zu werden (Artikel 2 EUV). Diese spiegelten sich auch zuvor in den Kopenhagener Kriterien (1993) wider. Hierzu zählen die Garantie einer stabilen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte, Respekt vor Minderheiten, eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit des Beitrittsstaates, alle aus den EU Verträgen erwachsenen Verpflichtungen nachkommen zu können.

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Europäische Verträge
Der Vertrag von Lissabon, der seit dem 1. Dezember 2009 in Kraft ist, greift die Kernwerte bereits in Artikel 2 auf. Denn hier heißt es: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Personen, die Minderheiten angehören.“ Und das sind die einzigen Werte, welche die EU zusammenschweißen kann und sie seit über 50 Jahren untereinander von kriegerischen Auseinandersetzungen abhält.

Denn die Schaffung des Friedens in Europa war das vorrangige Ziel der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (1952) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1958). Seitdem hat die EU verschiedene Erweiterungen vollzogen, sie wuchs zusammen, sie wurde zu einer wirtschaftlichen Macht und letztendlich auch zu einer Wertegemeinschaft. Durch ihre Attraktivität für andere Staaten in Europa, steht ihr zudem ein außerordentliches Instrument zur Demokratisierung von Beitrittskandidaten oder weiteren Nachbarn zur Verfügung.

Das kleine Wunder von Helsinki (1999)
Die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens (1963) mit der Türkei, auch Ankara-Abkommen genannt, sah bereits in Artikel 28 explizit eine Mitgliedschaft der Türkei vor. Dieses Abkommen und das Zusatzprotokoll (1970) sollten den Weg zunächst zu einer Zollunion ebnen, welche Anfang 1996 verwirklicht werden konnte. Dann geschah das kleine Wunder von Helsinki: Nachdem die EU mit den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOEL) 1998 Beitrittsverhandlungen begonnen und 2002 ihnen bereits das Datum der Mitgliedschaft genannt hatte – außer Rumänien und Bulgarien – wurde der Türkei nach 40 Jahren der Kandidatenstatus verliehen.

Offizielle Verhandlungen mit der Türkei seit dem 3. Oktober 2005
Nach weiteren fünf Jahren nahm die EU Kommission (2004) Stellung zum Beitritt der Türkei und gab grünes Licht für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen, die aus 35 Kapiteln bestehen. Diese haben das Ziel, den gesamten rechtlichen Besitzstand der EU – bestehend aus 80.000 Seiten – auf die Türkei zu übertragen, damit sie befähigt wird, eines Tages Mitglied in der EU zu werden. Anlehnend an diese Stellungnahme der Kommission beschlossen die Europäischen Staats- und Regierungschefs – übrigens auch Deutschland, Frankreich und Österreich – die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu eröffnen. Sie erschwerten jedoch den Beitritt, sodass die Türkei sich durch ein viel kleineres Nadelöhr der Ungereimtheiten hindurch zwängen muss als die Beitrittskandidaten zuvor.

So kann die EU beispielsweise auch im Falle der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, den Beitritt der Türkei endgültig ablehnen. Dann käme die Privilegierte Partnerschaft in Frage – aber nicht für die Türkei! Des Weiteren breitet sich vor der EU die Möglichkeit der dauerhaften Schutzklauseln aus. Denn unter Zuhilfenahme der Schutzklauseln kann sie die Türkei aufnehmen, ohne ihr jedoch die Arbeitnehmerfreizügigkeit, Strukturfonds und Agrarsubventionen zu offerieren.

pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten!

Der Ball ist auf der Seite der Türkei
Der Ball ist nunmehr auf der Seite der Türkei! Wenn sie alle (nicht-religiösen) Bedingungen der EU erfüllt, ist die EU, teils wegen der „sunk costs“ – der Erweiterungsprozess ist nämlich kostspielig -, teils wegen voriger Zusagen, unter Druck, die Türkei aufzunehmen. Denn andernfalls würde sie einen wichtigen Grundsatz des „Abendlandes“ brechen – den des „pacta sunt servanda“. Aktuell Meinung

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  1. Mogli sagt:

    Nun, die überwältigende Mehrheit der Bürger Europas wünscht keinen Beitritt der Türkei. Über die Gründe mag man streiten. Aber sollte das nicht respektiert werden?

    Verträge kann man übrigens kündigen.

  2. Y. sagt:

    Zunächst muss man die Bürger fragen ob ein Beitritt erwünscht ist, dies geschah bis jetzt noch nicht, deswegen finde ich Ihre Aussage nicht berechtigt. Außerdem wurden die Regierungen der EU-Staaten von der Mehrheit ihres Volkes gewählt, also assoziiere ich, dass dies der Wunsch der Mehrheit der Bürger ist.
    Es ist kein Mietvertrag, den man mit 3 Monaten Kündigungsfrist einfach annullieren kann. Die Türkei stellt ihr komplettes System um, verändert ihre Verfassung um der EU gerecht zu sein…Was tut die EU für die Türkei um ihr gerecht zu werden!!!

  3. T. Sahin sagt:

    @Mogli

    Nun, Sie haben ja recht, wenn Sie behaupten, dass die Mehrheit der europäischen Bürger, gegen einen Eintritt der Türkei in die EU ist.

    SIe haben auch recht, wenn Sie dieses zu respektieren wünschen.

    SIe haben auch recht, dass man einen Vertrag kündigen kann.

    Heute mag das Ganze noch so schwierig erscheinen, aber in zehn oder zwanzig Jahren wird sich das Blatt hoffentlich wenden. Dann wird vielleicht Vieles für die Türkei sprechen, weil sie sich endlich von den Fesseln Erdogans befreit hat und demokratisch geworden ist.
    Meine einzige Sorge ist die politische Führung von Erdogan und seines Gleichen. Denn im Hinblick auf die Tatsache des Islamisierungsprozesses wird niemand die Türkei haben wollen.
    Dafür habe ich leider auch Verständnis.

    Liebe Grüße

  4. Leon sagt:

    Wenn die EU der Türkei beitreten wollte, müsste sie sich in der Tat Gedanken machen, was sie tun muss, um türkischen Ansprüchen gerecht zu werden.
    Üblicherweise bestimmt der Verein und nicht der Eintrittskandidat über die Aufnahmebedingungen.
    Im Fall der Türkei scheint alles anders zu sein. Hier möchte man einem Club Spielregeln diktieren, obwohl man noch nicht einmal Mitglied ist.
    Ein schöner Einblick in türkische Denkweisen.

  5. Jos. Blatter sagt:

    Herr Hakan Demir ist ein unverbesserlicher Optimist. Er träumt von einer Mitgliedschaft der Türkei in Europa, noch besser die Überschrift:
    Religion ist kein Ausschlußkriterium.
    Nun müsste er es doch eigentlich besser wissen, ja er übte Tätigkeiten bei Ruprecht Polenz aus, bekannt als Verfechter türkischer Interessen.
    Aber gerade hier wird Herr Demir doch mit vielen Menschen in Kontakt gekommen sein, für die Europa noch etwas bedeutet, die vielleicht noch die EWG gekannt haben. Spätestens da müsste Herr Demir, als intelligenter Mensch und dafür halte ich ihn, erkannt haben, die Türkei wird nie Mitglied der Europäischen Gemeinschaft werden – aus religiösen Gründen, aus islamischen Gründen!
    Der Islam ist nicht nur eine Religion, sondern ein allumfassender politisch-monolithischer Block, der denjenigen, die er beherrscht, jede Lebenssituation vorschreibt, unter Vollzug schwerster Strafen.
    Es wird niemand widersprechen, dass eine solche Ideologie dem Vertrag von Lissabon, der seit dem 1. Dezember 2009 in Kraft ist, diametral entgegen steht.
    Zitat Demir: “ Denn hier heißt es: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Personen, die Minderheiten angehören.““
    Die Türkei muß ihren eigenen Weg gehen.

  6. Karl Willemsen sagt:

    @Leon

    Ein schöner Einblick in türkische Denkweisen.

    Das ist ja das Schöne am migazin, man kriegt hier freihaus, ganz unverblümt und unverhohlen die bunte™ Bandbreite der Meinungsvielfalt™ von Migranten™ und deren Fürsprechern geliefert.

    Ohne diese Möglichkeit der Verifikation könnte man ja irrenderweise auf die Idee kommen unbegründeten Vorurteilen aufzusitzen.

  7. Europa sagt:

    @T. Sahin
    „Heute mag das Ganze noch so schwierig erscheinen, aber in zehn oder zwanzig Jahren wird sich das Blatt hoffentlich wenden. Dann wird vielleicht Vieles für die Türkei sprechen, weil sie sich endlich von den Fesseln Erdogans befreit hat und demokratisch geworden ist.“

    Ich glaube auch dass Erdogan und seine treuen Anhänger in Deutschland eigentlich die Hauptprobleme beim Beitritt darstellen. Die Türken merken einfach überhaupt nicht wie arrogant und überheblich ihr Ministerpräsident in Europa rüber kommt. Man hat manchmal das Gefühl Erdogan will den Beitritt in die EU als Fusion von zwei gleichberechtigten, der EU und Türkei darstellen, aber er wird auch noch lernen sich unter zu ordnen. Die Türkei alleine ist immer noch ein Witz gegenüber der gesamten EU und das scheint er öfter zu vergessen. Wie ich schon öfter angemerkt habe: Die Türken stehn sich eigentlich nur selbst im Weg!
    Wählt Erdogan ab!

  8. Europa sagt:

    Was für ein Zufall!
    Jetzt können wir die Europäer mal mit den Türken vergleichen:

    http://diepresse.com/home/politik/eu/637439/Stimmung-in-Tuerkei_Auslaenderfeindlich-und-sehr-religioes

    Ich weiss, es ist ernüchternd. Die Türken mögen keinen ausser sich selbst.

  9. Ismet sagt:

    Erdogan war und ist der einzige derzeit der sich um eine wirkliche demokratie kümmert. Schritt für schritt führen verbessern sie die Gesetzeslage zu Gunsten des Volkes und der Demokratie.Er war auch der einzige der die Kurden endlich anerkannt und deutlich viele Recht gewährt hat.Wer soll in ersetzen die Nationalsozilistische Partei MHP?
    Ich bin zwar selbst Kurde aber denke trotzdem,dass wir Kurden und Türken selbst dafür Schuld haben,dass wir in EU ungewollt sind, weil denken wir sind hier die Bösse und dürfen uns benehmen wie die Affen. Zurecht sind wir in Deutschland ungewollt, wenn wir uns hier wie die Mafia darstellen.
    Wisst ihr (Türken,Kurden) wenn wir nicht wünschen,dass uns Ausländern von Tag zu Tag,dass Leben hier erschwert wird,dann müssen wir uns zusammenreißen und die anderen bei ihrem Benehmen warnen. Bevor man andere kritisiert muss man in den Spiegel gucken…

  10. Boli sagt:

    Religion ist kein Ausschlusskriterium?

    Vielleicht nicht geschrieben auf irgendeinem Papier aber in der Überzeugung der Menschen schon!!

    Die Türkei hat bisher viel zu viel Geld von der EU bekommen. Das zum Thema „was tut die EU für die Türkei“!!
    Und die Situation verschärft sich zusehends. Der Besuch von Sarkozy zeigt das immer mehr. Bin mal gespannt was morgen abgeht in Düsseldorf. Heißsporn Erdogan wird der Türkei mit irgendeiner dummen Bemerkung wahrscheinlich wieder mal mehr Schaden als helfen.