Özoğuz berichtet

Chance nutzen, zusammenwachsen!

Fast vier Millionen Menschen reisten in Folge des Anwerbeabkommens vom 31. Oktober 1961 und später im Zuge der Familienzusammenführung nach Deutschland. Vor nunmehr 50 Jahren wurde dieser Vertrag zwischen der damaligen Bundesrepublik Deutschland und der Türkei geschlossen.

Von Aydan Özoğuz Dienstag, 15.02.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 17.02.2011, 2:46 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Mehr als zwei Millionen von ihnen blieben oder sind Nachkömmlinge ohne eigene Migrationserfahrung. Ungeachtet dessen heißen sie alle Migranten. Und die allgemeine Stimmung in Deutschland ist eher pauschal gegen sie. Erfolge in Bildung und Biographien gelten höchstens als Ausnahmen. Wie begeht man also ein solches Jubiläum unter diesen Umständen?

Täglich lassen sich den Medien Schlagzeilen entnehmen über türkische Migranten, die faul, dumm oder aggressiv sind. Bundesfamilienministerin Schröder spricht von gewaltbereiten „männlichen, muslimischen Jugendlichen“ und von einer zunehmenden Feindlichkeit gegenüber Deutschen. Allerdings verheddert sie sich bei ihren Erklärungsversuchen in theologische Definitionen des nichtexistenten Einheitsislam. Gibt es dann also einen Gewaltislam? Für Sarrazin und viele seiner Anhänger ist dies wohl ein Fakt, obwohl er und vermutlich die meisten seiner Fans ansonsten über muslimische Gruppen und die Religion selbst nicht sehr im Bilde zu sein scheinen. In seinem Buch stilisiert er den Islam zum inneren Feind, wenig später sattelt CSU-Chef Seehofer drauf und fordert einen Zuzugsstopp für Menschen „aus anderen Kulturkreisen“ – sprich für Türken und Araber. Eine Formulierung, die Staatssekretär Ole Schröder nur zu gern bei seinen Reden aufgreift, um dann zu folgern, ob es nicht besser wäre mehr Spanier ins Land zu holen „aus unseren Kulturkreisen“.

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Auch wenn Seehofer und andere in erster Linie eine parteipolitische Positionierung versuchen, so wird diese Borniertheit am Ende dem gesamten Land schaden. Welche Spanier oder Italiener haben denn das Gefühl, dass die Begeisterung für sie jahrzehntelang eine größere war? In Bremen berichtete ein älterer Herr, dass er früher als „Spaghettifresser“ bezeichnet wurde – und dies in einer Zeit, in der es in Deutschland überhaupt keine Esskultur gegeben habe. „Keine Pasta, kein gar nichts.“ Heute sollen sie auf einmal die besseren sein. Wobei es ja gleichzeitig auch schwer zu erklären ist, warum italienische Kinder in deutschen Schulen so große Schwierigkeiten haben – sie sind doch nachweislich keine Muslime…

Nun stellt sich ja immer wieder die Frage, warum in Deutschland die Türken von allen Zuwanderergruppen die am schlechtesten integrierte sei. Was gemeinhin nicht bekannt ist, ist, dass diese Zuwanderergruppe z. B. in den Vereinigten Staaten eher zu der Elite gehört. Warum ist in Deutschland dann das Gegenteil der Fall? Die Erklärung liegt auf der Hand: Seit der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens im Jahr 1961 wurden fast ausschließlich ungelernte Arbeitskräfte aus bildungsfernen Schichten aus dem ländlichen Osten der Türkei in die Bundesrepublik geholt. Sie wurden tatsächlich geholt!

Der „typische” Arbeitsmigrant der ersten Generation, die momentan etwa ein Viertel der türkischen Bevölkerung ausmacht, wollte nicht lange bleiben, sondern schnell Geld verdienen und dann in die Heimat zurückkehren. Dazu ist es allerdings meist nicht gekommen. Aus der Arbeitsmigration, die zeitlich befristet geplant war, ist eine dauerhafte Einwanderung geworden. Die Verbundenheit mit der Türkei hat bei dieser Generation allerdings nie nachgelassen. Und das war für sie selbst sicher auch besser so. Denn Begeisterung für diese Menschen der ersten Generation, die hinter jeder Arbeitskraft stehen, ist hierzulande nie so recht entstanden. Man muss aus heutiger Sicht sagen, dass diejenigen, die sich am meisten auf die deutsche Gesellschaft eingelassen haben, von dieser am heftigsten enttäuscht wurden.

Mit dem Heranwachsen der zweiten Generation von Migranten in Deutschland (circa 35 Prozent sind hier geboren) stellte sich die Integrationsfrage immer mehr. Die Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft an die Kinder dieser ersten Generation sind sehr hoch. Ihre Erfolge und Misserfolge in der Schule und im Beruf werden mit denen der einheimischen Bevölkerung verglichen. Dabei besagt eine OECD-Studie, dass „Bildung und sozioökonomischer Status der Eltern einen wichtigen Einfluss auf den schulischen Erfolg der Kinder haben“. Würden alle Schuljahre als Messgröße für den Bildungsabschluss herangezogen, hätten „Erwachsene der zweiten Generation in Deutschland im Durchschnitt nahezu ein Jahr weniger Schulbesuchszeit als Personen desselben Geschlechts und derselben Altersgruppe, die keinen Migrationshintergrund haben“. Und unser Bildungssystem, in dem es den Schulen und Lehrkräften nicht gelingt, die Kinder individuell zu fördern und sie auch alle als dazugehörig zu betrachten, scheint das Problem eher zu verhärten.

Vergleichen wir die erste und zweite Generation der türkischen Migranten, dann hat letztere einen erkennbaren Bildungsaufstieg zu verzeichnen: 70 Prozent der zweiten Generation hat heute einen Schulabschluss – bei der ersten Generation hatten 87 Prozent keinen. Zwar werden selten aus den Nachkommen der einfachen Arbeiter Akademiker, aber immerhin gab es im Jahr 2009 insgesamt 15. 624 türkeistämmige Studierende an deutschen Hochschulen. Mit 26,5 Prozent war der Anteil der türkischen Studenten an allen Bildungsinländern damit am höchsten. 14 Prozent schafften das deutsche Abitur und mehr als 20 Prozent gehen einer qualifizierten Tätigkeit nach.

Wir wollen nichts schönreden. Immer noch ist der Anteil derer mit keinem oder nur niedrigem Bildungsabschluss viel zu hoch. Geringe Bildung führt zu Arbeitslosigkeit, Sprachdefizite machen die Situation nicht besser. Dennoch sind die Türken in Deutschland besser integriert als allgemein angenommen – nehmen wir die Teilhabe am Arbeitsmarkt nicht als einzigen Maßstab. Eine repräsentative Umfrage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeichnet letztlich ein erfreuliches Bild: Das Gros der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden knapp 6,7 Millionen Migranten ohne deutschen Pass, davon etwa 25 Prozent aus der Türkei, hat sich deutlich besser an das Leben in Deutschland angepasst. So beherrschten die meisten Befragten die deutsche Sprache so gut, „dass sie das alltägliche Leben in Deutschland weitgehend problemlos bewältigten“, schreiben die Forscher. Die Mehrheit habe regelmäßige Kontakte zu Deutschen und meist eine engere Bindung an die Bundesrepublik als an ihr Herkunftsland. Im Mai 2008 lag die Zahl der deutschen Staatsbürger türkischer Herkunft bei 700.000. Die soziale und emotionale Integration ist uns also in Teilen schon ein ganzes Stück gelungen. Aber: Im Jahr 2008 zogen 38.889 Türken aus Deutschland in die Türkei (TASD-Studie). Viele dieser „Rückkehrer“ (für einige ist es wohl die erste Migration ihres Lebens) sind hoch qualifiziert und kehren Deutschland den Rücken, weil sie sich in Deutschland nicht mehr wohlfühlen und „bezweifelten, dass in Deutschland eine glaubwürdige Integrationspolitik betrieben wird“. Das kann am Ende für unser Land kein gutes Ergebnis sein.
In diesem Sinne: Lassen Sie uns das Jubiläum für Nachdenklichkeit und Verbesserungen nutzen, um am Ende zu einer solidarischen Gesellschaft zusammenzuwachsen. Aktuell Meinung

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  1. Manfred O. sagt:

    …dass er früher als „Spaghettifresser“ bezeichnet wurde – und dies in einer Zeit, in der es in Deutschland überhaupt keine Esskultur gegeben habe. „Keine Pasta, kein gar nichts.“….

    Ist ddiese Aussage so zu verstehen, das der Herr nur Pasta und andere italienische Küche als ESSKULTUR akzeptierte? Interessant. Und aben die Deutschen zu seiner Zeit etwas mit den Fingern aus dem Topf gegessen?

    Interessanter aber wird es in obigem Artikel aber hier:

    Zitat

    Vergleichen wir die erste und zweite Generation der türkischen Migranten, dann hat letztere einen erkennbaren Bildungsaufstieg zu verzeichnen: 70 Prozent der zweiten Generation hat heute einen Schulabschluss – bei der ersten Generation hatten 87 Prozent keinen. Zwar werden selten aus den Nachkommen der einfachen Arbeiter Akademiker, aber immerhin gab es im Jahr 2009 insgesamt 15. 624 türkeistämmige Studierende an deutschen Hochschulen. Mit 26,5 Prozent war der Anteil der türkischen Studenten an allen Bildungsinländern damit am höchsten. 14 Prozent schafften das deutsche Abitur und mehr als 20 Prozent gehen einer qualifizierten Tätigkeit nach.
    Zitat Ende

    Daraus ist festzuhalten (mutige Aussage,ehrlich):

    …werden selten aus den Nachkommen der einfachen Arbeiter Akademiker….

    Man möge mir auch einmal erklären, wie DIESE Zahlen zusammengehören:

    15. 624 türkeistämmige Studierende

    26,5 Prozent war der Anteil der türkischen Studenten an allen Bildungsinländern ???????

    14 Prozent schafften das deutsche Abitur ? Und mehr als 20 Prozent gehen einer qualifizierten Tätigkeit nach? Schön. Also 80 % gehen bitte welcher Tätigkeit nach? Und wie viele davon haben überhaupt keine ?

  2. Gast1962 sagt:

    @Fr. Özuguz Sie schreiben „nehmen wir die Teilhabe am Arbeitsmarkt nicht als einzigen Maßstab“. Für mich ist die Teilhabe am Arbeitsmarkt eben der alles entscheidende Maßstab. Die Sozialdemokraten deren Integrationsbeauftragte Sie sind und vor allem die Grünen wollen Deutschland eben gerne als Weltwohlfahrtsbehörde und noch spezifischer als Außenstelle der türkischen Wohlfahrtsbehörden sehen.
    Ich hingegen will wie in der Schweiz und Kanada eine Zuzugssteuerung die ausschlieslich nach Nutzenaspekten ((verwertbare Sprachkenntnisse , berufliche Bildung etc.) ausgerichtet ist. Leute wie ich werden deshalb von dem rechtspolitischen Sprecher der Grünen der zwar keine juristische Bildung besitzt aber dennoch ein begnadeter „Rechtspraktiker“ ist als Nutzenrassist bezeichnet und schon fast kriminalisiert damit wir den Mund halten sollen.

  3. Integrator sagt:

    Frau Özoguz, danke!

  4. Jos. Blatter sagt:

    Nun aber mal ohne jede unnötige Emotionalisierung, der Kulturkreis von Arabern und Türken ist nun mal ein gänzlich anderer, als der deutsche/europäische. Das kann ja wohl niemand allen Ernstes in Frage stellen.
    Die Autorin schreibt von der fehlenden Begeisterung für die Türken der 1. Generation, offensichtlich hat die heutige 3. Generation noch wesentlich weniger Fans. So muß der o.a. Kulturkkreis wohl oder übel zur Kenntnis nehmen, daß der in Deutschland ansässige Kulturkreis wesentlich gegensätzliche Prioritäten hat. Das ist ja auch das Normalste im menschlichen Umgang.
    Etwas, das nicht zusammengehört, sollte man auch nicht künstlich zusammenbringen. Das hat in den vergangenen 50 Jahren nicht funktioniert und wird auch in weiteren 50 Jahren nicht funktionieren. Was solls? Wen stört das?
    PS. Bei Spaniern und Italienern hat es in den vergangenen 50 Jahren funktioniert, trotz der Esskultur! Warum wohl?

  5. Kupthing sagt:

    Zusammenfassend: Alles super und es wird sogar noch viel toller.

  6. Pragmatikerin sagt:

    „In Bremen berichtete ein älterer Herr, dass er früher als „Spaghettifresser“ bezeichnet wurde – und dies in einer Zeit, in der es in Deutschland überhaupt keine Esskultur gegeben habe. „Keine Pasta, kein gar nichts.“

    Ich lach mich kaputt ;-)
    Esskultur hatten wir Deutsche damals mehr als heute; man setzte sich Mittags entweder daheim oder wo man gerade war an einen T i s c h und aß zu Mittag. Man hatte es nicht nötig, in der U- oder S-Bahn z.B. seinen Döner (den es damals noch nicht gab ;-) ) oder seine fettige Bratwurst mit Pommes rot/weiss auszupacken und andere an diesem „Essgenuss“ teilhaben zu lassen. Für einzelne Nationalitäten gab es liebevolle Ulknamen, z.B. nannten uns Deutsche die US-Amerikaner (Besatzungsmacht) die Krauts (wegen unserem delikaten Sauerkraut), wir nannten die Italiener entweder Itacker oder Spaghettis und diese nannten uns im Gegenzug „Kartoffel“ (so werden wir z.B. auch von einigen Türken heute noch genannt)!!!!!. Was ist an diesen Ulknamen so schröcklich? Ich finde sie eher bezeichnend!!!!

    Also ich habe nur gute Erfahrungen mit der ersten Generation Zuwanderer gemacht – auch mit den türkischen – aber im speziellen mit den spanischen Einwanderer (mein Stiefvater war einer -aus Bilbao) und er war – in jeder Beziehung – ein toller Mann und Mensch.

    Jedenfalls sehne ich eher die 60iger Jahre zurück und würde gerne – in Bezug auf Zuwanderung – auf die heutigen Probleme mit einigen türkischen/muslimischen Migranten dafür verzichten.

    Pragmatikerin

  7. BiKer sagt:

    @jos
    in deutschland funktioniert es mit jedem. nur mit einer gruppe hat man schwierigkeiten. und die ändert sich alle 10 bis 20 Jahre. schauen sie sich die geschichte mal an! sie werden mehr finden als nur die türken. von wegen es klappt nur mit den türken nicht. so lange es menschen wie sie gibt, wird sich das auch nicht ändern. daher sind sie das problem. denn wären türken weg, würden sie sich sofort eine andere gruppe aussuchen.

  8. Loewe sagt:

    Jos. Blatter,
    so wie ich die Deutschtürken kenne – und ich kenne persönlich hunderte – kann ich Ihre Auffassung nicht teilen, dass es sich da um Menschen handelt, die nicht zu unserer – ohnehin pluralistischen – Kultur passen würden. Im Gegenteil. Sie fügen sich gut und erfolgreich ein.

    Dass es da noch ein paar Defizite gibt, vor allem im Bildungs- und Ausbildungssektor, hat mit den Problemen Sprache-Schulerfolg-Selektionssystem-Unterschicht zu tun: Wer als Kind nicht so gut Deutsch lernen kann, kommt in unserem Schulsystem meistens nicht weit und landet in der Unterschicht – wodurch sich der Misserfolg fortzusetzen droht. Denn unser Schulsystem zeichnet sich international dadurch aus, dass es die Unterschicht ganz besonders diskriminiert.

    Was würden Sie übrigens für Folgen aus IHRER Analyse für politische Konsequenzen ziehen? Diese Leute, so sagen sie, gehören zu einem anderen Kulturkreis, der sich offensichtlich NIE in den unseren einfügt. Also, was schlagen Sie vor?

    PS: Die Italiener schneiden übrigens schulisch noch schlechter ab als die Deutschtürken. Aber die kommen ja aus einem uns noch fremderen Kulturkreis. Ich sage nur: Neapel! Gegen Neapel ist Istanbul eine beinahe schon deutsche Stadt.

  9. Loewe sagt:

    Gast1962:

    Erstens kommen kaum noch Einwanderer von außerhalb der EU rein, die nicht qualifiziert sind – die Zahlen für Familiennachzug und Asyl sind niedrig.

    Zweitens – was machen wir mit den Millionen, die nun mal da sind? Machen Sie uns doch mal Vorschläge!

    (Sie könnten es sich einfach machen und auf das MiGAZIN verweisen: Da werden all die Vorschläge nach und nach vorgestellt und diskutiert. Aber das MiGAZIN lesen Sie ja nicht … jedenfalls nicht mit dem Ziel, mal was zu lernen.)

  10. migrant sagt:

    ich kann diese pauschalisierung nicht mehr hören.
    die Ausländer werden hier immer benachteiligt.migranten haben kein lobby
    ich erinere 1933-1945 waren nich die böhsen araber oder die türken in deutschland???? wer mußte daran glauben die Juden in deutschland , die deutschen haben leider auch ihre nachbarländer mit ihren rasissmus angestekt siehe Holland ,Dänemark,Schweden.Schweitz macht weiter so , ich wünschte ALLE Ausländer werden von heute auf morgen abhauen dann will ich sehen wie ihr Deutschen als sündenbock wählt vermutlich die ostdeutsche oder die ösis ich finde es reicht mit den rassismus
    übrigens ich kann nur empehlen siet euch den Film Schwarz auf weis Mit Günter Wallraf