Wochenrückblick

KW 6/11 – Ägypten, Stadtkewitz, Özdemir, NPD, Muslime, Bierkrise

Themen der 6. Kalenderwoche:Ägypten; Stadtkewitz; Mappus contra Özdemir; NPD und rechtsradikale Aussiedler; Muslime und Holocaust; Abu Adam; Bierkrise in Bayern

Von Leo Brux Montag, 14.02.2011, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 20.02.2011, 17:52 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Ägypten – die arabische Volksbewegung überrascht uns
Das Ereignis der Woche war natürlich der Abtritt Mubaraks, der Erfolg des Volksaufstands in Ägypten. Der Analysen dazu gibt es viele; eine besonders tief gehende – und zugleich optimistische und bisher zumindest richtig liegende – gibt Paul Amar. Die erste davon erschien in der FAZ am Montag, den 7. Februar.

Worin besteht der harte Kern dieser Volksbewegung?

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Eine Gruppe neuer Bewegungen orientiert sich an internationalen Normen und Organisationen, und so neigen denn viele zu weltoffenen, laizistischen Perspektiven und Diskursen.

Eine zweite Gruppe orientiert sich an der sehr aktiven und durchsetzungsfähigen Rechtskultur und den unabhängigen rechtlichen Institutionen Ägyptens. Diese starke Rechtskultur ist gewiss kein Import westlicher Menschenrechtsideale. Anwälte, Richter und Millionen von Rechtssuchenden – Männer und Frauen, Arbeiter, Bauern und Angehörige der Elite – halten das Rechtssystem lebendig und können auf eine lange, ungebrochene Geschichte des Widerstands gegen autoritäre Herrschaft und des Eintretens für Rechtsansprüche aller Art zurückblicken.

Eine dritte Gruppe neuer sozialer Bewegungen besteht aus einem Geflecht international ausgerichteter NGOs, für Rechtsstaatlichkeit eintretender Gruppen und neuer linksgerichteter, feministischer, ländlicher sowie gewerkschaftlicher sozialer Bewegungen. Die zuletzt genannte Gruppe kritisiert den Universalismus der laizistischen Diskurse der UN und der NGOs und stützt sich auf die Macht der ägyptischen Rechts- und Gewerkschaftsaktivisten, verfügt aber auch über eigene innovative Strategien und Lösungen – von denen viele in dieser Woche auf den Straßen deutlich vorgeführt wurden.

Diese Bewegung hat es aus sich heraus geschafft, ein stabil verankertes diktatorisches Regime aus den Angeln zu heben. Wer hätte das „diesen Arabern“ zugetraut? Und kein Wort, keine Parole zur Religion. Sie beten am Freitag, als Kopten am Sonntag, sie sind gläubige Muslime und Christen – aber auf eine überraschend moderne Weise.

Nicht nur das Regime hat verloren, oder Israel, oder die USA. Auch Al Qaida und der Salafismus, auch – und das ist für uns hier ein Punkt, der besonders zählt: die sogenannten Islamkritiker, die gläubigen Muslimen keine Demokratie und keine Modernität zutrauen wollen.

Eine zweite, ebenso aufschlussreiche – und optimistische – Analyse von Paul Amar liegt nur in Englisch vor, auf der Jadaliyya-Website.

Die Freiheit – Stadtkewitz zu Besuch in Dänemark
Spiegel Online hat ein langes, sanftes, liebenswertes Interview mit dem Gründer einer neuen, ambitiösen Partei: René Stadtkewitz, Berlin. Sparen wir uns die Verharmlosungen. Hören wir uns mal an, was so alles gesagt wird, als Stadtkewitz auf Stippvisite in Dänemark ist:

Vorn am Podium steht Peter Skaarup von der Dänischen Volkspartei. „Der neue Totalitarismus des 21. Jahrhunderts wird ohne Zweifel der politische Islam sein“, sagt Skaarup. Die dänische Volkspartei ist die drittstärkste Partei in Dänemark.

Später spricht Jimmie Akesson von den Schwedendemokraten, die gerade ins schwedische Parlament eingezogen sind. „Der Islam versteckt sich nur hinter der Religion. Er ist eine politische Ideologie“, sagt Akesson. …

Eine Frau aus dem Publikum schlägt vor, dass alle Muslime in Schweden nur noch zwei Kinder bekommen dürfen, per Gesetz.

So geht es immer weiter. All die Leute im Saal, die Redner, die Parteien, Stadtkewitz – sie sitzen in ihrem Weltbild wie in einer Parallelgesellschaft der Abwehr, der Angst. Aber sie glauben, sie kämpften für das Gute: die Freiheit, die Moderne, die Werte des Westens. Sie sehen sich als Kämpfer gegen die dunkle Gefahr aus dem Morgenland. Das macht ihre Islamophobie für viele Ängstliche wählbar.

Und nun halten wir die Bilder aus Kairo dagegen.

Die Islamfeinde haben ihre liebe Mühe, das, was in Ägypten und Tunesien geschehen ist, zu verdauen: Diese gläubigen Muslime „aus dem Morgenlande“ sind so anders … und nicht nur einzelne, sondern riesige Menschenmengen fordern durch ihr friedliches, demokratisches Verhalten die Angstvisionen und Ressentiments und Dogmatismen unserer Islamophoben heraus.

Mappus und Özdemir im Clinch
Einen politisch interessanten Schlagabtausch gab es im Vorfeld der Landtagswahlen in Baden-Württemberg zwischen Mappus und Özdemir.

Ausgangspunkt war dieser Teil eines Interviews in der WELT:

Mappus: Ich spreche eher von Richtungswahl, aber es ist schon eine Schicksalswahl. Wenn ausgerechnet Baden-Württemberg, wo das niemand erwartet hätte, nach 58 Jahren Herrn Özdemir oder Herrn Kretschmann oder wen auch immer als grünen Ministerpräsidenten hätte, wäre das ein völliger Paradigmenwechsel, der natürlich erhebliche Auswirkungen hätte auf Berlin.

Welt Online: Sie glauben, Cem Özdemir würde Anspruch auf das Amt erheben?

Mappus: Schon in der Hochphase der Auseinandersetzungen um Stuttgart21 haben die Herren Özdemir und Palmer Herrn Kretschmann das Heft aus der Hand genommen. Auch dass die Grünen den von der überwältigenden Mehrheit begrüßten Schlichterspruch nicht akzeptieren, trägt deren Handschrift.

Cem Özdemir, von dem eigentlich alle wissen, dass er für die Baden-Württembergische Landespolitik nicht zur Verfügung steht und dass er nicht einmal für den Landtag kandidiert, war sauer und meinte, Mappus schüre „ausländerfeindliche Ressentiments“. Özdemir, der sich zur Zeit in Argentinien aufhält, sagte dem ARD-Hörfunk: „Nach dem Motto: da steht ein Türke zur Wahl. Ihr wählt zwar den Kretschmann, bekommt aber dann den Deutsch-Türken Özdemir. Das ist schon perfide, was Mappus da macht.“

(Quelle: Stuttgarter Zeitung)

Das Politblog Sprengsatz kommentiert Özdemirs Interpretation ungnädig:

Es ist nicht zulässig, dass ein deutscher Politiker seinen Migrationshintergrund instrumentalisiert, um den politischen Gegner ins Abseits zu stellen.

Eine „machiavellistische“ Analyse dieses Schlagabtausches findet sich auf meinem Blog.

Abu Adam – der Imam hat doch nicht geprügelt.
Dem Imam der Münchner Moschee Darul-Quran war vorgeworfen worden, er habe seine 31jährige Drittfrau aus Syrien krankenhausreif geprügelt. Mehrere Monate saß er dafür in Untersuchungshaft.

Die Süddeutsche berichtet:

Die Frau erklärte am Freitag nach SZ-Informationen, sie habe die Vorwürfe erfunden, um das Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Kinder zu erhalten und die Scheidung nach islamischer Tradition durchzusetzen. Die Auseinandersetzung am Abend vor dem Polizeieinsatz sei ein Ehestreit gewesen, der in gegenseitige Handgreiflichkeiten ausartete. Sie selbst habe aber mit den Tätlichkeiten begonnen. Ihre früheren Knochenbrüche seien auf Stürze zurückzuführen, so die Frau. Im Haftbefehl waren dem Imam fünf Gewalttaten vorgeworfen worden. Mit ihrer korrigierten Aussage wolle sie ihr Gewissen entlasten, erklärte die Drittfrau des Imam.

Wer skeptisch bezüglich der eilfertigen Vorverurteilungen war, darf sich (einmal wieder) bestätigt sehen. Mehr zu diesem Fall auf meinem Blog.

Türken, Muslime, Holocaust
In welcher Weise können oder sollen Deutschtürken bzw. Muslime sich dem historischen deutschen Verbrechen des Holocaust stellen? Es gibt da Probleme, und das Deutschlandradio spricht mal darüber.

„Das ist doch eure deutsche Geschichte, was geht uns als Migranten das an, und dann kann man jetzt antworten: Ja, ihr seid jetzt Deutsche und seid in kollektiver Mitverantwortung dafür, und dann ist die Antwort wiederum: Aber ihr interessiert euch doch auch nicht für unsere Geschichte, was wir erlebt haben …

So reagieren junge Muslime typischerweise. Die Reaktion junger Bio-Deutscher ist dem nicht unähnlich: Der Holocaust ist Geschichte. Was hat er mit uns noch zu tun?

Im Fall der jungen Deutschtürken verbindet sich diese Absage an die Geschichte mit der Wut auf Israel und führt oft zu explizit antisemitischer Haltung. Was ließe sich dagegen tun?

„Wenn wir das Gefühl vermitteln, dass hier Migranten willkommen sind, Teil der Gesellschaft, und eben nicht abgrenzen nach Religion oder nach Herkunft und anderen Dingen, wenn wir das schaffen und sagen: Ihr seid Teil, dann haben wir es auch einfacher, gegen Vorurteile anzugehen und dann haben wir es auch im Grunde genommen einfacher, dass Menschen, Migranten, auch die Geschichte für sich adaptieren.“

Ein Dilemma für die NPD
Es gibt – vor allem ältere – Russland-Deutsche, die begeisterte Rechtsradikale sind und gern in der NPD heimisch würden. Bei 3 Millionen Spätaussiedlern wäre so eine Erweiterung der Wählerbasis für die schmalbrüstige NPD durchaus ein Segen, und der eine oder andere NPDler hätte nichts dagegen – aber da stellt sich die NPD mit der eigenen Fremdenfeindlichkeit selber ein Bein. Die taz berichtet – und grinst:

Die Bereitschaft, Aussiedler als „Volksgenossen“ anzuerkennen, ist in Teilen der Partei gering. Bereits 2003 warb die NPD zum ersten Mal in einem Flugblatt um die Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion. Verärgert über „die Possenspiele der Parteiführung“ trat der Vorstand der Jungen Nationaldemokraten (JN) von Hessen zurück und erklärte den Parteiaustritt unter anderem damit, dass die NPD in dem Flugblatt einen Sprachtest für die „deutschen Brüder und Schwestern“ ablehne.

In einschlägigen Foren kann man heute noch ähnliche Diskussionen beobachten. Im Oktober 2010 beschwerten sich die Veranstalter einer JN-Demonstration in Halberstadt in einem Internetforum über die mangelnde Disziplin und das Erscheinungsbild ihrer Demonstrationsteilnehmer. Schon mittags sei der Kräuterlikör reihum gegangen. Für einen der Kommentatoren ist klar, dass es sich dabei nur um Russlanddeutsche handeln kann. Die NPD sei selbst schuld, wenn sie bei ihnen werbe. „Dies ist übrigens der Hauptgrund für mich, die NPD nicht mehr zu wählen, da ich mich in Deutschland unter Deutschen wissen will und nicht unter besoffenen Russen oder Polacken.“

Bierkrise in Bayern – Migranten sind schuld!
Gelegentlich wird das Migrationsproblem auch mal richtig lustig. Die Abendzeitung nimmt sich den Bayerischen Brauerbund zur Brust. Jemand von denen erklärt sich nämlich – nach der vierten Maß? – den Rückgang des Bierkonsums in Deutschland

mit dem Bevölkerungswandel und zielt damit vor allem auf Migranten.

Von „demographischer Entwicklung“ ist die Rede, von „sinkender Bevölkerung“ und schließlich vom „steigendem Anteil von Mitbürgern mit Migrationshintergrund, deren Bieraffinität weit hinter der bayerischen zurückbleibt – wenn sie denn überhaupt Alkohol zu sich nehmen“

Am nächsten Tag, wieder nüchtern, re-interpretiert der Brauerbundler die Sache bayerisch-schlau:

Migration sei selbstverständlich als Synonym für „Umziehen“ zu verstehen, auch innerhalb Deutschlands. „Das Verhältnis echter Bayern zum Bier ist ein anderes als das von Leuten aus anderen Kulturkreisen.“ Wie Niedersachsen und Westfalen..

Dassas wiss’z, es Saupreißn! Wochenschau

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  1. halil sagt:

    Ja ich breche mir auch immer die Knochen bei jedem Sturz!
    Wer soll das glauben???

  2. Loewe sagt:

    Halil,

    meine erste Reaktion war eher Kopfschütteln und das Gefühl, da stimmt vielleicht was nicht.

    Wenn diejenigen, die am Fall beteiligt sind, aber sagen, das ist glaubwürdig so, wie die Frau es jetzt zu Protokoll gibt, dann führt mich mein vom kategorischen Imperativ angeleitetes Gutmenschentum dazu, dies auch persönlich zu akzeptieren:

    Ich würde – auch im persönlichen Interesse – darum bitten, dass man nicht vorverurteilt und nicht über das, was festgestellt werden kann, hinaus sich seinen Vorurteilen hingibt. Wir alle mögen es nicht so gern, wenn andere dieses Spiel mit uns treiben, also sollten wir es auch bei anderen nicht spielen.

    Dass man „nia nix gnaus woas“, und dass es auf dieser Welt kaum jemals wirklich hunderprozentig sichere Annahmen gibt, sei zugestanden. Mir genügen 99% Sicherheit, um eine Sache entspannt auf sich beruhen zu lassen.

    Dass der Imam in Vielehe lebt und das alleinige Sorgerecht für die Kinder beansprucht, spricht beides dagegen, ihm eine positive Rolle, eine Vorbildrolle im interreligiösen Dialog zuzugestehen. Beides ist, so wie er es macht, rechtlich nicht zu beanstanden, aber es ist kulturell problematisch, und ein Imam sollte ein positives Beispiel geben, genauso wie ein Priester, Lehrer, Politiker oder Psychologe.