Integration im 16:9 Format

Von einer Tigermutter und einem Hasenvater oder Übung macht den Meister

Die chinesischstämmige Erfolgsmutter und amerikanische Yale Professorin Amy Chua, die ihren zwei Töchtern das Siegen beibrachten, lösten mit ihrer Buchveröffentlichung über spartanische Erziehungsmethoden, eine internationale Welle der Empörung aus.

Von Dienstag, 08.02.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 09.05.2020, 1:03 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Nicht nur in ihrer Heimat USA, sondern auch im Land ihrer Eltern, wird kontrovers über Chuas Erziehungsdrill diskutiert und auch in Deutschland, der in internationalen Bildungsvergleichsstudien oftmals einen hinteren Tabellenplatz belegt und sich nichts sehnlicher wünscht, als Anschluss zur internationalen Bildungselite an vorderster Front zu finden.

In Amerika wird Chua mittlerweile als Monster und Tigermutter bezeichnet. Wenn ihre Töchter etwa keine Lust verspürten am Klavier zu üben, drohte Chua, mit einem Stofftier Massaker, einer Puppenspende an die Heilsarmee oder mit Streichung von Geburtstagsfeiern. Diese Drohungen Chuas an ihre Töchter konnte ich nur müde belächeln. Als Sohn koreanischer Migranten war ich als Kind anderes Säbelrasseln und Drohgebärden gewohnt, die nicht nur politische Versprechen blieben, sondern oftmals das Licht der Welt erblickten.

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Viele meiner deutsch-koreanischen Zeitgenossen, in der beide Elternteile koreanisch sind und die weitgehend vom westlichen Einfluss verschont blieben, haben oftmals die harte koreanische Erziehungsschule durchlaufen und das ist wahrlich kein Spaziergang. Die den westlichen Standards nicht ganz entsprechenden Erziehungsmethoden, der einstigen koreanischen Gastarbeiter, die vielen von uns zu Musterschülern gelungener Integration machten, lassen Chuas Erziehungsstil, wie Ferien im Disneyworld erscheinen.

Mein Vater ist kein Mann der vielen Worte, sondern einer der zur Tat schreitet. Mit diesen Voraussetzungen wäre er eigentlich in der Politik gut aufgehoben gewesen. Aber stattdessen kam Vaters Tatkraft dem deutschen Bergbau und der Stahlindustrie zu Gute. Wenn mein Vater, wie Amy Chua damit gedroht hätte, sämtliche Plüschtiere zu verbrennen. Er hätte es ohne weiteres getan. Meine Spielzeugautos an die Heilsarmee spenden – Vater hätte es ohne Zögern getan. Auch ich musste, wie eines der zwei Kinder von Chua Violine lernen und meine Geschwister Klavier, ein Schicksal, das ich wahrscheinlich mit allen asiatischen Kindern teile.

Asiatische Eltern so kann man behaupten, haben ein Fetisch für Tasten und Saiteninstrumente ganz zum Leidwesen ihrer Kinder, die Beethoven, Rachmaninov und Edward Elgar nacheifern müssen. Mein Vater pflegte zu sagen „Übung macht den Meister!“ und das ist kein koreanisches Sprichwort, nämlich ein deutsches. Die einzigen, die so etwas wie Freude an den harten Musikübungsstunden empfunden haben müssen, sind wahrscheinlich der Pianist Lang Lang und der Cellist Yo-Yo Ma.

Mit fünf Jahren fing ich mit dem Eishockey spielen an. Ich habe zwar nie im Madison Square Garden in New York gespielt, dafür aber im Königspalast von Krefeld. Ich erinnere mich nur, dass ich beim Training mit Vater mehr Nacken als Gliederschmerzen hatte. Vater fuhr nämlich mit dem Fahrrad hinter mir her, als er mich durch den Sportplatz mit einem kleinen Bambusstock scheuchte. Wenn ich langsamer wurde, so kam der Taktstock zum Einsatz, wie Vater auf Koreanisch sagte, um mir Anreize zu schaffen. Ich kam mir bei allem nur vor wie Pawlovs Hund.

Weitere Einblicke in die Erziehungsmethoden meines Vater, der nach chinesischem Horoskop ein Hase ist und der seinen Kindern das Siegen beibrachte, „Musterbeispiele gelungener Integration“ produzierte, gebe ich in dem Kapitel meines im Jahr 2008 veröffentlichtem Buch Lautlos-Ja Sprachlos-Nein „Zuhause ist Korea“.

Hier ein kleiner Ausschnitt: „Zuhause gilt stets die eiserne Regel, nach den Prinzipien des Koreas der 60er Jahre zu leben. Unsere Erziehung war demnach konservativ und diszipliniert ausgerichtet. Meinem Vater gab ich in diesem Zusammenhang den Spitznamen „Chinesische Mauer“, weil man ihn nie von den Trends der heutigen Zeit überzeugen konnte und er stur an Altem festhält. Für Vater ist es noch immer ein Dorn im Auge, wenn ich meine Haare mit Gel in Form bringe, inzwischen lässt er mich aber immerhin gewähren. Vater war schon nachsichtig mit meinen Postern von westlichen Rockstars im Zimmer. In der Pubertät, als ich meine Haare etwas länger tragen wollte, nahm er einfach eine Schere und schnitt mir eine Strähne an strategischer Stelle ab, so dass ich notgedrungen zum Friseur musste […]“.

Mein Freund Jürgen hatte mir mal gesagt, dass er sämtliche Erziehungsmethoden durch habe, von streng bis liberal und von allen nicht wirklich etwas profitieren konnte. Meine einheimische deutsche Freundin Dani sagte mir mal, dass man mit Kindern, die ihre Grenzen austesten wollen, ab und an in Hauptsätzen anstelle von Nebensätzen sprechen muss. Ich verstehe die ganze Aufregung um Chuas Buch nicht, denn auch sie hat schließlich Musterbeispiele gelungener Integration produziert. Menschen die sich die Gesellschaft wünscht. Bei der Integration möchte Deutschland weniger Problemmigranten, sondern vielmehr von der Sorte „Musterbeispiel gelungener Integration“, wie es die Vietnamesen und Koreanischstämmigen in Deutschland sind. Erziehungsmethoden, wie man an diesen nutzlosen Titel gelangte, wurden bis Chuas Veröffentlichung nie hinterfragt. Manchmal kann das Nahe so fern sein.

Ich frage mich nun, was will Deutschland eigentlich für Migranten. Sie sollten sich entscheiden. Einerseits kritisieren sie Chuas strenge Kindererziehung und auf der anderen Seite wollen sie integrationskompatible Menschen. Schließlich waren es genau die Erziehungsmethoden von Chua, die die Vietnamesen und Koreaner in Deutschland zu angeblich mustergültigen und Vorzeigemigranten in Deutschland machte. Aktuell Meinung

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  1. kme sagt:

    ich als deutsche will schlichtweg, dass sich alle hier an unser gemeinsames grundgesetz halten und kinder haben nun mal ein recht auf gewaltfreie erziehung (seelische und körperliche wohlgemerkt). dass das ergebnis dieser asiatischen form von erziehung angepasste, leise, fleissige meinschen hervorbringt ändert ja nun wirklich nix an der tatsache, dass diese form der erziehung indiskutabel ist. weil die kinder darunter leiden – PUNKT.

  2. Pragmatikerin sagt:

    Hallo kme
    Sie schrieben: „….dass diese form der erziehung indiskutabel ist. weil die kinder darunter leiden….“

    Was meinen Sie, wie wir – Jahrgang 1946 und früher – erzogen worden sind? Nicht gerade Drill, aber wir haben von unseren Eltern gesagt bekommen, wo es lang geht, auch ab und an eine „Tracht Prügel“ in der Schule und im Elternhaus war auch drinn ;-)

    Unsere Generation hat – meistens – ihr Leben gemeistert. Sie werden selten einen Mann oder eine Frau finden, die Hartz IV oder andere staatliche Zuwendungen in Anspruch nehmen musste. Auch haben viele Frauen aus dieser Generation noch „nebenbei“ (neben der Berufstätigkeit) Kinder bekommen (5 und oft noch mehr) und grossgezogen. Diese heutigen 50jährigen können sich – auch – im Leben behaupten und haben meist familiär und beruflich etwas erreicht, sprich ihr Auskommen.

    Schauen Sie sich die heutigen – verhätschelten – und nicht strafen dürfenden Jugendlichen an? Merken Sie den Unterschied?

    Meine Mutter hat immer gesagt, eine Ohrfeige hat noch nie jemand geschadet, ohne diese allerdings sind einige „verblödet“, lol ;-)

    Pragmatikerin

  3. Thomas sagt:

    @ragmatikerin: Sehe ich genau so wie Sie! Auch ich bin Jahrgang 48 und habe in der Schule noch Ohrfeigen und ähnliches erlebt. Es hat nicht geschadet.