Amtsgericht Hannover
Türkischer Tourist ohne Visum freigesprochen
Ein türkischer Tourist, der ohne Visum in das Bundesgebiet eingereist ist, handelt ohne Vorsatz und Schuld, wenn er aufgrund der Soysal-Entscheidung des EuGH davon ausgegangen ist, dass er kein Visum braucht. Das entschied das Amtsgericht Hannover.
Dienstag, 25.01.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 31.01.2011, 14:11 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Im Namens des Volkes wird der Angeklagte auf Staatskosten freigesprochen, lautet das Urteil des Amtsgerichts (AG) Hannover vom 7. Januar 2011 (123/10), dass jetzt bekannt wurde und dem MiGAZIN vorliegt. Der Entscheidung lag der Fall eines türkischen Staatsbürgers zugrunde, der ohne Visum zu touristischen Zwecken nach Deutschland eingereist war.
Am 28. November 2010 wurde er von der Polizei am Flughafen Langenhagen überprüft und festgenommen. Seit dem befindet er sich in Abschiebehaft in der Justizvollzugsanstalt. So nicht, entschieden die Strafrichter. Denn es sei „schon sehr zweifelhaft“, ob das Verhalten des Angeklagten „überhaupt den Tatbestand des unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet“ erfüllt, so die Richter in der Urteilsbegründung.
Soysal-Entscheidung des EuGH
Der Verteidiger des Angeklagten berief sich auf die so genannte „Soysal-Entscheidung“ des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Februar 2009 (C-228/06). Diese Entscheidung beziehe sich zwar formal nur zur Frage der aktiven Dienstleistungsfreiheit, gelte aber auch für Touristen (passive Dienstleistungsfreiheit). Eine Unterscheidung zwischen der aktiven Dienstleistungserbringung und der Entgegennahme von Dienstleistungen sei nicht möglich, da die eine ohne die andere nicht denkbar sei.
Das Strafgericht schloss sich der Auffassung des Angeklagten „grundsätzlich“ an. Auf die Frage, ob hier die „Soysal-Entscheidung“ greife oder nicht, komme es aber nicht an. Diese Frage, könne nicht einmal von deutschen Juristen mit eindeutig „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Insofern könne man von einem rechts- und sprachunkundigen türkischen Staatsangehörigen erst recht nicht verlangen, dass er die mögliche Strafbarkeit seines Tuns erkennt. Hier liege weder Vorsatz noch Schuld vor weil der Angeklagte auf Grund der „Soysal-Entscheidung“ der Überzeugung gewesen sei, visumsfrei einreisen zu können.
Hintergrund: Weitere Einzelheiten und Hintergründe zur Soysal-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und der Politik der Bundesregierung zur Thematik gibt es im MiG-Dossier „Visumsfreiheit für Türken„.
Bundesregierung erneut unter Druck
Damit setzt auch das AG Hannover die Bundesregierung unter Druck, die sich bisher schwer damit tut, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs umzusetzen. Und das obwohl bereits mehrere Entscheidungen vorliegen, wonach türkische Staatsangehörige kein Visum benötigen, wenn sie zu touristischen Zwecken in das Bundesgebiet einreisen möchten. Es bleibt abzuwarten, wie lange die Bundesregierung die Umsetzung der Soysal-Entscheidung in haarspalterischer Manier noch hinausschieben kann. Die Mühlen der Justiz mahlen bekanntlich langsam, aber sie mahlen. (es)
Recht
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:D :D :D :D :D :D wauuu
….Der Ankläger (Staatsanwalt) wird in die Berufung gehen, ist doch klar!
Amtsgericht ist die unterste Instanz der Deutschen Gerichtsbarkeit.
Pragmatikerin
Warum ist denn der „Tourist“ nicht einfach in die Türkei zurück gekehrt?? Sitz wochenlang in Abschiebehaft und kommt nicht auf diese einfache Idee? Schon komisch…
@ sonata
na weil er festsaß und vors gericht gezerrt wurde von der staatsanwaltschaft. da kannst nicht einfach mal so sagen, gut ich gehe dann mal zurück. da wird darauf bestanden, dass du auch bestraft wirst. aber pustekuchen :)
@BIKer
Das ist Unsinn. Wer ohne Visum einreist, kann jederzeit an der Kontrolle umkehren. Verhaftet wird nur, wenn dem „Tourist“ die Ausreise nicht möglich ist. Entweder er hat kein Ticket, kein Geld für die Rückreise, keine Papiere oder er weigert sich einfach. Einer der Fälle trifft hier zu. Der angebliche Tourist hatte also seine Rückreise gar nicht eingeplant.
@ BiKer
Sie haben wohl kein Unrechtsbewusstsein?
Wenn einer ohne erforderliches Visum nach Deutschland einreist, begeht er eine Straftat und die wird bestraft. Dass das Amtsgericht den Angeklagten freigesprochen hat, hat nichts zu bedeuten. Interessant wäre es nur für ihn, wenn keine Berufung mehr zugelassen worden wäre gegen das Urteil. Davon steht aber nichts in dem Beitrag von MiGAZIN.
Es wird also die nächst höhre Instanz, und das ist das Landgericht von der Staatsanwaltschaft angerufen. Also nix mit „Pustekuchen“, lol
Pragmatikerin
da wird darauf bestanden, dass du auch bestraft wirst. aber pustekuchen
Auch wenn die Staatsanwaltschaft in Berufung geht… was passiert danach? Wird er wieder nach Deutschland geholt, um in Abschiebehaft zu sitzen, oder wie? :D
Sehr skuril muss ich sagen.. vor allem wenn man davon ausgeht/ zu Grunde legt, dass eigentlich ein türkischer Staatsbürger eben doch KEIN Visum zur Einreise braucht..
Außerdem hat nicht nur das AG Hamburg so entschieden… Ein paar Fälle mehr und die Bundesregierung muss einiges nochmal überdenken.. bzw. den Soysal-Urteil mal so langsam in die Tat umsetzen.
Eine Erleichterung wäre ja nicht schlecht…
Es wird langsam Zeit, die Türkei von der EU-Visum zubefreien. Keine soll Angst haben, dass Deutschland von den Türken überfüllt wird, ganz im Gegenteil, viele Türken werden zurückkehren.
Pingback: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht | Life, Liberty and the pursuit of Happiness
Unwissenheit schützt auch weiterhin nicht vor Strafe.
Hier beruft sich der Beschuldigte nicht auf seine Unwissenheit. Im Gegenteil: Er war der Überzeugung, er könne visumsfrei einreisen. Und diese Überzeugung kam nicht von ungefähr. Denn auch das Gericht schließt sich dem Soysal-Urteil grundsätzlich an, wie auch schon andere Gerichte zuvor und auch die herrschende Lehre. ;)