Lamyas Welt

“Es sollte lieber auf die Realschule gehen. Das Gymnasium ist für das Kind zu schwer.”

Beinahe alle aus meinem Bekannten- und Freundeskreis mit Migrationshintergrund, die das Abitur gemacht haben, haben nach der Grundschulzeit keine Gymnasialempfehlung bekommen. Bezeichnend oder einfach nur Zufall?

Von Dienstag, 25.01.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 31.10.2011, 19:45 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Diesen Satz mussten meine Eltern vor über 22 Jahren hören, als ich in der vierten Klasse war. Die Grundschullehrerin traute mir den ganz großen Schritt nicht zu. Bei ihrer Empfehlung ging es aber nur bedingt um meine Leistung, sondern vielmehr um ihren subjektiven Eindruck: „Wenn das Kind wirklich etwas will, arbeitet es hervorragend mit. Wenn es aber weniger Interesse zeigt, verliert es schnell Lust am Unterricht. Also schicken Sie es besser nicht aufs Gymnasium.“ (So erinnern sich jedenfalls meine Eltern.)

Die Begründung hätte im Prinzip zunächst einmal auf jeden Schüler zugetroffen, denn jeder arbeitet in Bereichen hervorragend mit, die ihm Spaß machen. Nach wie vor hören Eltern mit nicht-deutscher Herkunft häufig ähnliche Ausführungen, wenn der Wechsel ihres Kinds in die weiterführende Schule ansteht. Beinahe alle aus meinem Bekannten- und Freundeskreis mit Migrationshintergrund, die das Abitur gemacht haben, haben nach der Grundschulzeit keine Gymnasialempfehlung bekommen. Bezeichnend oder einfach nur Zufall?

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Seit mehr als sieben Jahren bin ich nun selbst im Schuldienst tätig und befinde mich mitten im alltäglichen Kampf mit den Schülern um Noten und Benehmen.

Ich arbeite an einer Hauptschule im niederrheinischen Dinslaken und unterrichte ausschließlich „Islamkunde in deutscher Sprache als eigenständiges Fach“. Der Unterricht behandelt je nach Jahrgangsstufe unterschiedliche Facetten, natürlich den Koran, den Propheten Muhammad, die fünf Säulen, die Familie, die Schöpfung, die anderen Religionen, aber es geht auch um Terrorismus, um Sexualität, um Liebe, Ängste und Aggressionen.

Diese Aggressionen bekommen auch wir Lehrer gelegentlich ab. Gott sei Dank passiert es nur selten, dass (meist) ein junger Mann ziemlich gereizt reagiert, wenn er sein Nichtstun oder sein Stören entsprechend bescheinigt bekommt. Bei mir entlud sich der Zorn unter anderem in der Art, dass mich Schüler mit ihren Etuis attackierten, Radiergummis und geknülltes Papier nach mir warfen oder mit geballter Faust plötzlich vor meinem Gesicht rumfuchtelten – die allerdings von ihren Mitschülern gestoppt wurden. Nicht selten kam es auch zu Beschimpfungen meiner eigenen Familienmitglieder. Allerdings gehören solche Ausraster zur absoluten Ausnahme, auf die man gefasst sein sollte, wenn man mit Jugendlichen aus sozial schwachen Milieus arbeitet und Leistung von ihnen abverlangen muss.

Wenn die betroffenen Schüler sich aber erst einmal abreagiert haben, wird meist offensichtlich, was das eigentliche Problem ist – ihr eigenes Leid: zuhause kaum wahrgenommen, in der Freizeit kaum gefordert, in der Schule diskriminiert, im Alltag gewaltbereit und immer wieder mal im Konflikt mit dem Gesetz.

In der Schule diskriminiert? Moment mal! Ich denke, wir Lehrer sind immer die Opfer? Das sieht man doch immer wieder im Fernsehen.

Nun, neulich traf ich einen ehemaligen Schüler, den ich an meiner ersten, mittlerweile geschlossenen Schule unterrichtet hatte. Wir kamen ins Gespräch und plauderten über alte Zeiten. Irgendwann fielen Namen von diesem und jenem Lehrer. Und plötzlich meinte er, Frau X sei eine …. Ich hakte nach und er sagte, Frau X habe ihn als eine „Beleidigung für die Menschheit“ bezeichnet oder mehrfach als „dummen Türken“ und „kriminelle Penner“ beschimpft. Eine Mitschülerin habe sie „Türkenschlampe“ genannt. Das alles sei mitten in der Schule und vor Mitschülern passiert. Was er mir erzählte, schockte mich – allerdings nur bedingt. Denn ähnliche Schilderungen wurden mir früher schon aus anderen Schulen im Bundesgebiet zugetragen – aus Grundschulen ebenso wie aus weiterführenden Schulen. Dezidierte Studien zu diesem Phänomen sind mir zwar nicht bekannt, aber hin und wieder liest man auch in einzelnen Berichten davon. Seitdem bin ich für das Thema sensibilisiert. Offenbar klagen Schüler nicht selten darüber, aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer religiösen Zugehörigkeit ausgerechnet vom Lehrpersonal offen angefeindet zu werden. Die Attacken richten sich demnach wohl vor allem gegen männliche Schüler mit Migrationshintergrund. Wenn bereits solche Schimpfworte fallen, dann will ich von alltäglichen, subtilen Diskriminierungen etwa durch Verwendung von Begriffen wie „Ausländer“, „Migranten“, „Türken“, „Moslems“ gar nicht erst sprechen.

Natürlich kann man jetzt einwenden, dass diese Jugendlichen ihrerseits eben auch ein starkes dissoziales Verhalten an den Tag legen. Ihr Auftreten ist in der Tat manchmal nicht ohne und kann eine Lehrkraft durchaus überfordern. Trotzdem sind solche verbalen Ausfälle ein ernstes Problem, denn sie ziehen einen Rattenschwanz an Folgen nach sich. Aus der Überforderung der Lehrer wiederum resultiert nicht selten eben die Frustration über die eigene Hilflosigkeit und Unfähigkeit. In einigen Fällen können diese Emotionen in Hass oder Rassismus ausarten, sodass es sogar dazu kommen kann, dass Schüler wegen Terrorismusverdacht bei der Polizei angezeigt werden, wie dies kürzlich bei dem Schüler Yasin C. aus Garbsen passiert ist.

Die Folgen müssen natürlich nicht immer so drastisch sein. Aber es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass Lehrer, die zu solchen Ausfällen neigen, bei anderen Lehrerkollegen negativ über bestimmte Schüler reden und damit Stimmungen erzeugen können. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass die aktuellen Debatten solche Haltungen katalysieren können (siehe dazu auch die Arbeiten von Prof. Yasemin Karakasoglu). Und es gehört auch nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass dies unter Umständen Auswirkungen auf Noten und Schulempfehlungen haben könnte.

Und damit sind wir wieder am Anfang dieser Kolumne. Früher ging es vielleicht noch nicht so schlimm an unseren Schulen zu. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich selbst oder einer meiner Mitschüler jemals einen Lehrer meiner Grundschule mit Gegenständen beworfen oder beschimpft hätte. Aber auch damals gab es ähnliche Diskurse über Ausländer- bzw. Gastarbeiterkinder und manchmal bedarf es nicht unbedingt eines Exzesses als Auslöser, um eine ungerecht oder auf Vorurteilen beruhende Behandlung in der Schule zu erfahren.

Wenn wir von der Institution Schule ernsthaft eine Integrationsleistung erwarten wollen, muss es zu allererst darum gehen, die jeweilige Überforderung (soziales Verhalten der Schüler vs. professionelles pädagogisches Verhalten des Lehrers) abzubauen. Dies könnte unter anderem dadurch geschehen, dass Klassen nicht mehr als 20 Schüler umfassen, dass in den Schulen mehr Sozialpädagogen sowie Psychologen anwesend sind und dass mehr Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für Lehrer angeboten werden bzw. dass angehende Pädagogen in ihrem Studium generell intensiver und konsequenter auf die Realität vorbereitet werden. Sicher kostet das alles viel Geld. Aber wenn wir es nicht in unsere Kinder investieren wollen, worin denn dann? Wir vergessen nur allzu oft, wie prägend die Schulzeit für unsere Identität sein kann. Aktuell Meinung

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  1. bogo70 sagt:

    Meine Kinder sollten auch auf die Realschule, ich hatte das Glück hier in NRW selbst entscheiden zu dürfen und habe sie trotzdem auf das Gymnasium geschickt. Was ich bei den Gesprächen um die Schulform kurz vor dem Wechsel und das im Abstand von drei Jahren erfahren habe, bringt mich noch Heute zur Weißglut. Der springende Punkt bei der Empfehlung auf eine Realschule, waren nicht die Noten der Kinder, es waren ihre Ellenbogen, die fehlten. Man was hab ich für schwache Menschen erzogen, da ahnte ich noch nicht das es sarrazenischer Ellenbogen bedarf um hier anerkannt zu werden.

    Grundkonservative Werte wie Ellenbogen, bestimmen die Zukunft unserer Kinder und das liebe Muslime müsst ihr verinnerlichen, dass erwartet diese Gesellschaft von euch. Meine Kinder haben immer noch keine Ellenbogen, aber meine Tochter in gut drei Monaten ihr Abi in der Tasche, dass sie nicht hierbleiben möchte kann ich ihr nicht verdenken und das Deutschland einen Menschen ohne Ellenbogen verliert, so what Deutschland hat genügend Ellenbogen und züchtet weiter.

  2. Sonata sagt:

    Schade, dass solche Aussagen nie mit Fakten hinterlegt werden. Wie viel Prozent dieser „abgelehnten Schüler“ haben dann dann ein gutes oder sehr gutes Abitur geschafft? Oder sprechen wir etwa von Schülern, die dann das Abi mit viel Nachhilfe nur mit Ach und Krach geschafft haben? Dann hätten die ursprünglichen Lehrer mit ihrer Empfehlung auch Recht gehabt.

    Beachtenswert ist natürlich auch das soziale Verhalten der angesprochenen Schüler. Der Vorschlag, die Anzahl der Schüler pro Klasse zu verringern ist verlockend. Allerdings ändert sich dann an dem fehlenden sozialen Verhalten der Schüler nichts. Es liegt an dem inzwischen jungen Erwachsenen, ihr Verhalten entsprechend anzupassen. Komme ich in eine Schule in die Türkei, so mach mich ein T-Shirt mit der Aufschrift „Türkenfrauen sind Huren“ auch nicht besonders ankommen. Mein Empfehlung für das türkische Gymnasium könnte ich wohl vergessen.

    Die Fehler liegen hier also mit großer Wahrscheinlichkeit beim Schüler und beim Elternhaus. Ich würde mich freuen, wenn ich hier beim MIGAZIN mal einen Artikel mit Empfehlungen darüber finden würde.

  3. Sinan A. sagt:

    Jeder weiß, es stimmt, was Lamya Kaddor schildert. Die gleichen Geschichten könnte ich dutzendfach erzählen. Die Herkunft ist ein wichtiger Faktor bei der Schulempfehlung. Das gilt nicht nur für Migranten aus „bestimmten“ Ländern, sondern genauso für die B-Kategorie und für deutsche Arbeiterkinder.

    Der wichtigste Grund ist die IDENTIFIKATION der akademischen, kerndeutschen Lehrer. Kinder aus dem eigenen Herkunftsmillieu betrachten sie eher wohlwollend. Sie sehen mehr ihre Möglichkeiten. Die anderen sehen sie eher abwertend, mehr ihre Schwächen. Außerdem gehen sie gerne den Weg des geringsten Widerstandes. Sie liefern den weiterführenden Schulen das, was von ihnen erwartet wird.

    Diese akademische, kerndeutsche Selbstgefälligkeit müssen wir Stück für Stück abbauen. Was wir also brauchen, sind nicht neue Integrationskurse, sondern neue Lehrer, einen breiteren Anteil aller gesellschaftlichen Gruppen.

  4. Christian Edom sagt:

    Teile der deutschen Gesellschaft kommen nicht mit ihren eigenen negativen Emotionen und Reaktionen auf Konflikte klar. Letztlich führt das Scheitern von idealistischen Multi-Kulti Annahmen über Migranten oftmals zu Hilflosigkeit, ja auch einer Haltlosigkeit..

    „Wir vergessen nur allzu oft, wie prägend die Schulzeit für unsere Identität sein kann.“ – Das gilt besonders für Akademiker. Bei ihnen verblasst die eigene Schulzeit leichter.

    Der Lehrer steht unter dem Druck vorbidlich und absolut fehlerfrei zu handeln. Sonst ist seine Autorität futsch und er ist entlarvt.

  5. MüllerSchorsch sagt:

    „Ich hackte nach …“

    Vorsicht, das kann zu schweren Verletzungen führen! ;-)

  6. Pingback: “Es sollte lieber auf die Realschule gehen. Das Gymnasium ist für das Kind zu schwer” « Lamya-Kaddor-Blog

  7. Hop Singh sagt:

    Lamya Kaddor hackt eben nach! Solche Gymnasiasten und Koranlehrer brauchen wir, da ist mir nicht bange um die Zukunft der Türken in Deutschland. Ja, selbst den Bewurf mit Radiergummis und Pausenbrotpapier prallten an ihr ab, nicht zuletzt durch die sogenannte Prof. Yasemin Karakasoglu-Katalyse. Gut nachgehackt Dr. Kaddor!

  8. Schule ist halt ein Selektionsinstrument. Da ist es ziemlich wurscht, ob das Sieb aktuell mehr Kinder mit Migrationshintergrund aussortiert oder solche aus „sozial-schwachen“ Familien.
    Wenn sich Schule die Kongruenz beider Gruppen herbeidefinieren kann, wird es gleich etwas einfacher zu unterrichten.
    Selbst engagierteste Lehrer(Innen bekommen spätestens nach fünfzehn Berufsjahren ihre persönliche Gewißheit, wie wichtig es sei „Leistung“ zu fordern.
    Ich glaube es übrigens nicht, dass Schule wirklich so prägend für das Leben ist; eher etwas überschätzt.
    Es gibt einzelne Personen, die in der einen oder anderen Weise bleibenden Eindruck hinterlassen. Das System funktioniert nur. Es siebt.

  9. bogo70 sagt:

    Was für billige Kritik und so typisch, auch für unsere Kinder tägliche Realität. Bis auf einige wenige Lehrer und Lehrer mit Migrationshintergrund, die sich um die Kinder sorgen, haben die Kinder mehr schlechte als gute Erfahrungen, mit den meisten Lehrern, diese Ellenbogen scheinen angeboren zu sein und die Überheblichkeit dazu. Sich über einen Buchstaben zuviel aufzuregen, sowas von billig, Oberlehrer der Nation. Hier kommt mir echt manchmal das kotzen, ja ich weiß, dann kann ich ja gehen.

  10. basil sagt:

    @bogo
    Waren Sie in einer NRW Stadt schon mal abends unterwegs?
    Erschütternd wie sich die ellenbogenlose muslimische Jugend verängstigt um die Ecken drückt und wie sie die Strassenseite wechseln müssen wenn wieder so ein Trupp deutscher Schläger unterwegs ist. Ganz schlimm.