Anzeige

Debatte im Bundestag

Streit um Fachkräftemangel und Einwanderung nach einem Punktesystem

Die Grünen fordern die Bundesregierung auf, „baldmöglichst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der für die Fachkräfte-Einwanderung ein Auswahlverfahren mit einem Punktesystem einführt“. Darüber wurde am Donnerstag, im Bundestag beraten. MiGAZIN dokumentiert:

Freitag, 21.01.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 21.02.2023, 8:47 Uhr Lesedauer: 104 Minuten  |  

Die Grünen nehmen in ihrem Antrag (17/3862) die USA und Kanada zum Vorbild. Nur die gezielte Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften könne einen Beitrag zur Abmilderung der Folgen des absehbaren Alterungsprozesses der Gesellschaft leisten, heißt es in der Vorlage. Ein „geeignetes, da flexibles und maßgeschneidertes Instrument“ hierfür sei ein Auswahlverfahren mit einem Punktesystem, wie es in klassischen Einwanderungsländern wie den USA und Kanada üblich sei.

Allerdings könne ein solches Punktesystem nur dann sinnvoll durchgeführt werden, wenn eine verlässliche Bewertung der ausländischen Qualifikationen auch für Einwanderungswillige gewährleistet sei, meinen die Abgeordneten. Daher sei ein Gesetz dringend notwendig, das einen Rechtsanspruch auf die bundeseinheitliche Anerkennung ausländischer Abschlüsse und die Bewertung ausländischer Qualifikationen in einem transparenten Verfahren sicherstelle.

___STEADY_PAYWALL___

Gegen den Vorstoß der Grünen stellen sich lediglich die Unionsparteien. Sie sind der Auffassung, dass „nicht mehr Zuwanderung, sondern mehr Integration“, das Gebot der Stunde sei. „Das ist für uns die wichtigste Aufgabe“, so Wolfgang Bosbach (CDU) im Bundestag. Bis auf die Linkspartei findet die Forderung der Grünen gundsätzlich Anklang bei der SPD und der FDP. Geht es allerdings um die Details, sind sich die Parteien uneinig.

Anzeige

Bedarfsanalyse durch das Bundesamt
Für das Punktesystem selbst schlagen die Grünen ein Verfahren vor, wonach das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit einem Beirat zunächst eine Bedarfsanalyse und darauf aufbauend ein Qualifikationsprofil erstellen, das bestimmte Qualifikationen mit Punkten bewertet.

Ein solcher Punktekatalog könne beispielsweise die Kriterien Bildungsabschluss, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, Alter und Herkunft aus einem Entwicklungsland enthalten.

Quoten vorschlagen
Nach den Vorstellungen der Antragsteller soll das Bundesamt der Bundesregierung daraufhin Quoten vorschlagen, wie viele Personen aufgrund dieses Punktesystems innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Deutschland einwandern sollten.

Auf der Grundlage dieser Empfehlungen solle die Regierung die Kriterien für die Auswahl der Einwanderungsbewerber, die Bewertung durch einen Punktekatalog sowie die Quoten durch eine Rechtsverordnung festlegen. Diese solle der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates bedürfen.

Bildungsgrad besonders wichtig
Die Grünen betonen, dass sich eine solche quantitative und qualitative Bedarfsanalyse an gesamtgesellschaftlichen Bedürfnissen orientieren müsse und nicht an den Interessen eines Unternehmers oder einer Branche. Wesentliche Bedeutung bei dem Auswahlverfahren mit einem Punktesystem müsse zudem der Bildungsgrad der künftigen Einwanderer haben.

Als grundsätzliches Problem bei der Förderung der Einwanderung qualifizierter Fachkräfte aus Entwicklungsländern sehen die Grünen den so genannten Braindrain, also die volkswirtschaftlichen Verluste durch die Emigration dieser gut ausgebildeten Menschen für die Herkunftsländer.

Die Redner:
Memet Kilic (B90/GRÜNE)
Wolfgang Bosbach (CDU/CSU)
Rüdiger Veit (SPD)
Hartfrid Wolff (FDP)
Sevim Dagdelen (DIE LINKE)
Dr. Ole Schröder (CDU/CSU)
Daniela Kolbe (SPD)
Johannes Vogel  (FDP)
Jutta Krellmann (DIE LINKE)
Brigitte Pothmer (B90/GRÜNE)
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU)
Manfred Nink (SPD)
Dr. Martin Lindner (FDP)
Swen Schulz (SPD)
Albert Rupprecht (CDU/CSU)

Problem Braindrain
Ein in dieser Hinsicht besorgniserregendes Beispiel sei etwa die Abwanderung von ausgebildetem medizinischem Personal aus Afrika hauptsächlich nach Großbritannien, den USA und Kanada.

Gleichwohl gebe es in jüngster Zeit immer mehr konkrete Beispiele, die belegten, dass zahlreiche Länder auf vielfältige Weise von den Rückwirkungen der Migranten auf ihre Länder profitierten – sei es durch Rücküberweisungen, Anbahnung von Geschäftsbeziehungen, Investitionen und Know-how-Transfer.

Rückkehroption ermöglichen
Klar sei, dass Staaten, die die Einwanderung über ein Punktesystem gestatteten, in besonderer Verantwortung für die Förderung von Bildung und Ausbildung in Entwicklungsländern stünden. Die Ausweitung der Einwanderungsmöglichkeit durch ein Punktesystem müsse daher ergänzt werden durch Maßnahmen, die geeignet seien, die „diesbezüglichen Risiken der Entwicklungsländer zu minimieren“.

Konkret schlagen die Grünen unter anderem aufenthaltsrechtliche Erleichterungen in Form einer Rückkehroption vor, damit Migranten, die in Deutschland leben, in ihren Herkunftsländern beispielsweise arbeiten könnten, ohne ihren legalen Aufenthaltsstatus in einem EU-Mitgliedstaat zu verlieren.

Beratung des Antrags der Abgeordneten Memet Kilic, Tabea Rößner, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Fachkräfteeinwanderung durch ein Punktesystem regeln

Drucksache 17/3862

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

  • Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
  • Ausschuss für Arbeit und Soziales
  • Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
  • Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Memet Kilic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die vorangegangene Debatte ist für die Bundesregierung signifikant. Sie rühmt sich mit den Verdiensten der kleinen und mittelständischen Unternehmen, die mit Mühe und Not sich und unsere Wirtschaft über Wasser gehalten haben, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit Lohnverzicht die Finanzkrise geschultert haben, tut aber selbst nichts Signifikantes für die Verbesserung unserer Wirtschaftslage und der Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Daher wird das Thema der Fachkräfteeinwanderung ein Lackmustest für die Bundesregierung sein.

Ohne kompensatorische Maßnahmen wird die demografische Entwicklung zu einem erheblichen Rückgang nicht nur der allgemeinen Bevölkerungszahl, sondern auch der Zahl der Erwerbspersonen in Deutschland führen. Nach den Berechnungen der statistischen Ämter soll die Zahl der Erwerbstätigen bis 2030 auf 25 Millionen sinken. Das Potenzial an Arbeitskräften in Deutschland werde, so die OECD, in den kommenden zehn Jahren so stark schrumpfen wie in keinem anderen Industrieland. Schon jetzt haben wir in einigen Branchen Personalnot. Allein im naturwissenschaftlich-technischen Bereich fehlen bereits heute 65 000 Fachkräfte. Unter ?Fachkräfte? dürfen nicht nur IT-Spezialisten verstanden werden. Größte Not herrscht und wird herrschen bei den Pflegekräften, insbesondere in der Altenpflege.

Als Reaktion auf die demografische Entwicklung und den daraus resultierenden Rückgang an Arbeitskräften brauchen wir eine kluge Mischung aus Bildung, Qualifizierung, Anerkennung ausländischer Qualifikationen und Aktivierung der inländischen Fachkräftepotenziale.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach den Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute und der Bundesagentur für Arbeit werden diese Maßnahmen allein aber nicht ausreichen. Für sie ist völlig klar: Deutschland braucht Einwanderung, und zwar in weit größerem Umfang als bisher angenommen. Deutschland braucht pro Jahr eine Nettozuwanderung von 200 000 bis 400 000 Menschen.

Das geltende System wird diesen Bedürfnissen nicht gerecht. Auf Grundlage der restriktiven Einwanderungsregelungen entscheiden sich zu wenige ausländische Fachkräfte für ein Leben in Deutschland. So kamen etwa im Jahr 2009 auf Grundlage der Hochqualifiziertenregelung lediglich 169 Personen nach Deutschland, mit Zustimmung vom Arbeitsamt sogar nur 41 Personen.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unerhört!)

Wir Grüne plädieren für eine einladende Einwanderungspolitik für ausländische Fachkräfte. Dafür brauchen wir ein modernes und transparentes Auswahlverfahren mit einem Punktesystem. Mit dem bedarfsorientierten Auswahlverfahren sollen einwanderungswillige Personen, die nach klaren Kriterien ihre Qualifikation und Integrationsfähigkeit unter Beweis gestellt haben, eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive in Deutschland erhalten.

(Beifall des Abg. Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN[/efn_note]

Für dieses Auswahlverfahren schlagen wir vor, dass das Bundesamt für Migration in Zusammenarbeit mit einem Beirat eine Bedarfsanalyse und darauf aufbauend ein Qualifikationsprofil erstellt sowie eine Quote vorschlägt. Ein solcher Punktekatalog kann beispielsweise die Kriterien ?Alter?, ?Sprachkenntnisse? und ?Berufserfahrung? enthalten. Sowohl das Qualifikationsprofil als auch die Quotenregelung erfordern die Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates.

Die Wirtschaft, viele Verbände, der Gewerkschaftsbund und Wirtschaftsforschungsinstitute unterstützen eine solche Forderung nach einem Punktesystem, das deutlich unbürokratischer und einfacher gestaltet ist als das heutige System. Ideologische Blindheit hilft nicht, sondern schadet unserem Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Grund (CDU/CSU[/efn_note]

Wir müssen entscheiden, ob wir ein weltoffenes und modernes Deutschland in einer globalisierten Welt sein wollen, das Einwanderinnen und Einwanderer willkommen heißt und als gleichberechtigte Bürger in unserer Demokratie anerkennt. Wir sind für einen Klimawandel in der Gesellschaft. Einwanderinnen und Einwanderer sollen nicht mehr als Eindringlinge, sondern als Neudeutsche angesehen werden.

Eine einladende Einwanderungspolitik für Fachkräfte kann trotz vieler positiver Effekte auch die Gefahr von Braindrain mit sich bringen. Mit der Abwanderung von Arbeitskräften verlieren die Entwicklungsländer selber wichtige Fachkräfte. Diese Gefahr müssen wir ernst nehmen. Um Härten zu vermeiden, sollte unser Punktesystem daher um Maßnahmen ergänzt werden, die die Risiken für Entwicklungsländer minimieren.

Uns Grünen wird seit einigen Tagen vorgeworfen, die Dagegen-Partei zu sein.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Stimmt doch!)

Wir sind seit Jahren für ein Punktesystem. Blockiert wird die Einführung durch die Unionsparteien. Sie sind die Dagegen-Parteien – nicht wir.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wissen nicht, was Sie wollen. Sie haben keine Ideen und bieten keine Lösungen für den wachsenden Fachkräftebedarf. Sie sind einfach nur dagegen. Das ist billig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rüdiger Veit (SPD[/efn_note]

Während wir Gesetzentwürfe und Anträge in den Bundestag einbringen, um Deutschland für ausländische Fachkräfte attraktiver zu gestalten, verspielt die Bundesregierung Deutschlands Chancen. Außer Streit fällt Schwarz-Gelb zur Beseitigung des Fachkräftemangels und zu Maßnahmen mit Blick auf die Überalterung unserer Gesellschaft nichts ein. Bundesministerin von der Leyen will sich mit marginalen Korrekturen wie der befristeten Aussetzung der Vorrangprüfung in bestimmten Branchen begnügen. Selbst das ist in der Union umstritten. Der Bundesinnenminister kann sich ein Punktesystem überhaupt nicht vorstellen. Er möchte der Fachkräftezuwanderung lediglich ?besondere Aufmerksamkeit? widmen. Wie großzügig! Seehofer und Co. verweigern jegliche Reformen auf diesem Gebiet. Die FDP kann sich wieder einmal mit nichts durchsetzen. Das ist bezeichnend für sie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Aydan Özoguz (SPD[/efn_note]

Deswegen wurde bei den letzten beiden Koalitionsausschüssen im November und Dezember eine Entscheidung zur Fachkräfteeinwanderung vertagt. Mit der Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zeigt die Regierung, wie ineffizient sie arbeitet. Sie ist nicht einmal in der Lage, ihre eigenen Prüfaufträge aus dem Koalitionsvertrag abzuschließen. Seit mehr als einem Jahr tut die schwarz-gelbe Koalition nur so, als ob sie regieren würde. Das ist aber nicht wahr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich zu handeln. Die Einwanderungspolitik muss dem 21. Jahrhundert gerecht werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Wolfgang Bosbach für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Antrag der Grünen nicht zustimmt, ist sicherlich

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Tragisch!)

keine politische Sensation. Wir lehnen den Antrag aber nicht ab, weil er von der Opposition oder speziell von den Grünen kommt – ich füge hinzu: da habe ich schon Schlimmeres von den Grünen gelesen -,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Das geht mir auch so!)

sondern wir lehnen den Antrag ab, weil er erstens aufgrund der darin enthaltenen Vorschläge nicht geeignet ist, einen wirksamen Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels zu leisten. Sie lösen ja gerade die notwendige Verknüpfung von Zuwanderung und Zuwanderung in den Arbeitsmarkt auf einen konkreten Arbeitsplatz auf. Sie verlangen nicht, dass die Zuwanderung nur dann erfolgen darf, wenn damit ein konkreter Arbeitsplatz besetzt werden kann.

Zweitens geht es Ihnen in dem Antrag – mein Kompliment für Ihre Ehrlichkeit – ausdrücklich um eine Ausweitung der Zuwanderung, insbesondere aus Entwicklungsländern. Auch das geht aus dem Antrag hervor.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber qualifizierte Zuwanderung!)

Die Union ist jedoch der Überzeugung: Nicht mehr Zuwanderung, sondern mehr Integration ist das Gebot der Stunde. Das ist für uns die wichtigste Aufgabe.

(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dabei brauchten wir eine qualifizierte Zuwanderung in die Union!)

Im Grunde bietet der Antrag alten Wein in neuen Schläuchen. Hier wird der alte § 20 des Gesetzentwurfes von Rot-Grün zum Aufenthaltsgesetz reanimiert.

(Zuruf des Abg. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN[/efn_note]

Das ist Ihr gutes Recht. Aber die Gründe, die damals dazu geführt haben, diesen § 20 abzulehnen, sind die gleichen, die heute zur Ablehnung führen.

Zunächst einmal zur Prognose. Es ist richtig, die Politik muss hören, was die betriebliche Praxis sagt. Es ist richtig, die Politik muss hören, was die Wissenschaft sagt. Wir müssen aber auch bedenken, was die Wissenschaft uns schon alles gesagt hat. Von dieser Stelle aus haben wir vor zehn Jahren anlässlich der CeBIT 2000 um die Zuwanderung von IT-Fachkräften gerungen. Damals sagten uns sogenannte Experten: Deutschland hat einen Bedarf von 200 000 IT-Fachkräften. Die Bundesregierung hat daraufhin gesagt: So viele müssen es auch nicht sein. Wir rechnen mit der Zuwanderung von 70 000.

Dann hat Rot-Grün aus lauter Vorsicht bei 20 000 eine Obergrenze eingezogen. Schließlich haben Sie die Sonderregelung für die Zuwanderung von IT-Fachkräften auf den Weg gebracht.

Jetzt schauen wir uns die Zahlen einmal an. Bei einem prognostizierten Bedarf von 200 000 kamen 2001 6 400; 2005 kamen dann noch schlappe 2 300.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Das ist traurig! – Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weil unsere Ausländerbehörden sich verweigern!)

Was Sie fordern, ist längst geltendes Recht. Wer IT-Fachkraft ist, kann kommen. Es gibt keine Quoten, es gibt keine Höchstzahlen, es gibt keine Begrenzungen.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur auf fünf Jahre begrenzt!)

– Für Drittstaatsangehörige. – IT-Fachkräfte können kommen. Offensichtlich ist das Problem jedenfalls nicht das Ausländerrecht. Möglicherweise sind andere Staaten mit ihren Möglichkeiten attraktiver als die Bundesrepublik Deutschland und ihre Arbeitgeber.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist es!)

Das hat aber erkennbar nichts mit dem Ausländerrecht zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN[/efn_note]

– Herr Kilic, ich habe Ihnen doch ganz ruhig zugehört.

Ganz interessant ist: Ihr Vorbild im Antrag hinsichtlich der Zuwanderung sind Kanada und die USA. Merkwürdigerweise sind Sie dann nicht konsequent und wollen die Sozialsysteme der USA und von Kanada nicht bei uns einführen. Die wollen Sie natürlich nicht haben.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Natürlich nicht! Die wollen wir nicht!)

Sie können doch nicht gleichzeitig das Zuwanderungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, die Sozialsysteme der Bundesrepublik Deutschland und das Punktesystem angloamerikanischer Länder haben wollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt dort funktioniert gerade deshalb, weil diejenigen, die in die USA oder nach Kanada gehen, genau wissen, dass diese Länder nicht daran denken, Sozialleistungen zu zahlen, ohne dass vorher durch Erwerbstätigkeit in die sozialen Sicherungssysteme eingezahlt worden wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es geht doch jetzt um qualifizierte Zuwanderung! – Zuruf des Abg. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN[/efn_note]

– Herr Kilic, es ist ja schön, dass Sie da Temperament haben, aber ein wenig Respekt vor dem, der eine andere Auffassung hat, sollten wir alle an den Tag legen.

Was ist das beste Mittel gegen den Fachkräftemangel? Das beste Mittel ist erstens Qualifizierung und Vermittlung von Arbeitslosen. Wer den Antrag liest, muss ja glauben, wir hätten fünfmal mehr offene Stellen als Arbeitslose. Es ist genau umgekehrt: Wir haben fünfmal mehr Arbeitslose als offene Stellen.

(Rüdiger Veit (SPD): Dann tun Sie doch was!)

Wir müssen doch zunächst einmal die inländische Erwerbsbevölkerung gleich welcher Staatsangehörigkeit in Beschäftigung bringen, bevor wir nach mehr Zuwanderung rufen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann man doch gleichzeitig tun!)

Zweitens ist eine gute Bildungspolitik zu nennen, und zwar: nicht jedem Kind eine Bildung, sondern jedem Kind seine Bildung. Wir lehnen die Einheitsschule nicht aus ideologischen Gründen ab; wir lehnen sie ab, weil es keine Einheitskinder gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Kinder haben unterschiedliche Interessen, unterschiedliche Talente, unterschiedliche Begabungen, und jedes Kind soll individuell gefördert werden.

Drittens. Ein hoher Stellenwert sollte auch der beruflichen Bildung zukommen.

(Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Was für eine Märchenstunde hier im Parlament!)

Der Mensch beginnt nicht mit dem Akademiker. Wir bewundern tolle Entwürfe von Architekten, aber wir brauchen auch fleißige Bauhandwerker, die in der Lage sind, diese Bauwerke zu errichten. Wir konzentrieren uns fast ausschließlich auf die wissenschaftliche Ausbildung und die Hochschulpolitik. Die berufliche Bildung hat bei uns nicht den Stellenwert, den sie eigentlich haben müsste.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was tun Sie denn dagegen?)

Viertens. Es muss auch, bevor wir nach mehr Zuwanderung rufen, aufhören, dass wir systematisch ältere Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt verdrängen.

(Zuruf des Abg. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN[/efn_note]

Wir alle haben doch Bürgersprechstunden. Ich kann doch nicht der Einzige sein, bei dem 50- oder 55-Jährige mit tollen Zeugnissen und langjähriger beruflicher Erfahrung erklären, dass sie keine Chancen mehr auf dem heimischen Arbeitsmarkt haben. Es kann ja sein, dass die Jüngeren schneller laufen, aber die Älteren kennen die Abkürzungen. Da geht manche Erfahrung verloren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN[/efn_note]

Vieles steht in dem Antrag nicht, was in ihm aber stehen müsste.

(Zuruf von der FDP: Das sehe ich auch so!)

Wir werden ab dem 1. Mai 2011 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für die Menschen aus den neuen EU-Mitgliedstaaten haben. Wir wissen doch noch gar nicht, wie sich das in den nächsten Jahren auswirken wird. In unserem Land haben wir 167 000 arbeitslose Akademiker. Sind sie alle keine Fachkräfte? Ich brauche jetzt keine Belehrung; ich weiß selber, dass demjenigen, der einen Maschinenbauingenieur sucht, mit einem Archäologen nur begrenzt geholfen ist. Aber es kann doch nicht sein, dass wir knapp 170 000 arbeitslose Akademiker haben und gleichzeitig beklagen: Es gibt in unserem Lande keine Fachkräfte.

Zwei Anmerkungen noch zum Schluss. Die für mich problematischste Stelle in dem Antrag ist, wenn Sie davon schwärmen, dass es insbesondere in den USA und in Großbritannien so viele Ärzte aus Afrika gibt.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir schwärmen nicht, wir problematisieren das! Das muss ich richtigstellen!)

– Ich muss Ihnen sagen, Herr Kollege Kilic, dass ich das eher mit Sorgen sehe. Es arbeiten mehr Ärzte aus Mali in England als in Mali selber. England hat eine Relation von 35 Ärzten auf 10 000 Einwohner, in Mali ist es ein Arzt auf 10 000 Einwohner. Sie problematisieren das und lösen das Problem wie folgt – da muss man sich wirklich beim Lesen festhalten -:

Wenn Migrantinnen und Migranten durch Rücküberweisungen, die Anbahnung von Geschäftsbeziehungen, Investitionen und Know-how-Transfer zur wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Herkunftsländer beitragen …

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist auch Fakt! Das geschieht heute!)

Liebe Leute, welchen Know-how-Transfer soll denn ein Arzt aus Mali, der in England arbeitet, für die Patienten in Mali leisten? Denen ist doch nicht mit Geld geholfen, sondern nur mit Zuwendung und ärztlicher Heilkunst.

(Beifall bei der CDU/CSU – Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wieso denken Sie dabei nicht an einen Ingenieur? Wieso denken Sie nicht an einen IT-Spezialisten?)

Kommen wir zum Ärztemangel in Deutschland, den es tatsächlich gibt. In manchen Regionen finden wir keine sogenannten Landärzte mehr und rufen dann nach mehr Zuwanderung. Das hat doch nichts mit Ausländerrecht zu tun, wohl aber jede Menge mit Inländerrecht. Wir hatten 10 800 Zulassungen zum Medizinstudium und über 40 000 Bewerber. Den Ärztemangel in Deutschland beheben wir damit, dass wir jungen Leuten, die Medizin studieren wollen, bei uns eine Chance geben. Dadurch beheben wir den Ärztemangel, aber nicht dadurch, dass wir die Türen weiter aufmachen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind Regierung!)

Der Arbeitsmarkt bei uns ist nicht verriegelt. In den letzten drei Jahren haben über 270 000 Drittstaatsangehörige den Weg nach Deutschland gefunden. Deutschland ist ein weltoffenes und tolerantes Land. Aber wir haben auch die Verpflichtung, zunächst diejenigen in Beschäftigung zu bringen, die in Deutschland arbeitslos sind, und das ist für uns die wichtigste Aufgabe.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Rüdiger Veit (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal ist die Idee – Herr Kollege Bosbach, da haben Sie recht -, die in dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen verfolgt wird, so sensationell neu nicht. Interessanter sind dann vielleicht schon die Debatte und die Positionierungen, die heute – so nehme ich es jedenfalls an – eingenommen werden. Wo die Grünen nun einmal recht haben, haben sie recht.

(Beifall des Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN[/efn_note]

Wir werden in unserer Gesellschaft weniger, und wir werden überdies auch älter. Die Geburtenrate ist zu niedrig; die entsprechende negative Statistik in Europa führen wir zusammen mit den Italienern vom Schluss her an. Der Wanderungssaldo – das haben wir auch gestern noch einmal gehört und besprochen – ist negativ. Herr Kollege Kilic hat zu Recht darauf hingewiesen: Selbst bei der Zuwanderung von Hochqualifizierten und Qualifizierten zum Teil auf sehr konkrete Arbeitsplatzangebote ist ein Rückgang im letzten Jahr im Vergleich zu den Vorjahren zu verzeichnen.

Im Übrigen haben wir deswegen schon im Jahre 2001 in der Unabhängigen Kommission Zuwanderung, die von Frau Professor Süssmuth geleitet wurde – Stellvertreter war Hans-Jochen Vogel -, es für richtig und gut gehalten, ein Auswahlverfahren, ein Punktesystem zu schaffen, mit dem wir Zuwanderung gezielt organisieren. Als rot-grüne Mehrheit haben wir dies damals im Bundestag aufgegriffen und in der Tat, Herr Kollege Bosbach, in dem § 20 umsetzen wollen, wohingegen die Union uns dies mit dem Argument ?Kinder statt Inder? wieder herausgeschossen hat; der eine oder andere wird sich vielleicht noch daran erinnern.

Ich war damals im Übrigen gar nicht so furchtbar traurig darüber, dass dieser Punkt herausgenommen worden ist – jedenfalls nicht so traurig wie bei anderen Punkten -, weil mir klar war: Eines Tages wird der Zeitpunkt kommen, an dem die Wirtschaft selbst oder ihre Interessenvertreter hier im Bundestag, die FDP, angesichts der demografischen Entwicklung auf den Plan treten und sagen werden, dass wir dringend zusätzliche Fachkräfte benötigen und deshalb Zuwanderung organisieren müssen. Diese Diskussion läuft jetzt seit dem letzten Herbst.

Schließlich haben wir, die SPD-Fraktion, in einem Papier vom April 2009 zum Thema Migrationspolitik ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir ein Zuwanderungsverfahren nach Punktesystem für richtig halten.

So ist es, und so bleibt es auch. Damit aber klar wird, welche Prioritäten wir setzen: Wir müssen uns zunächst einmal all denjenigen widmen, die bereits in Deutschland leben. Da gibt es in der Tat gewisse Unterschiede zu Bündnis 90/Die Grünen, auf die ich noch im Einzelnen zu sprechen kommen werde, gerade was den vorliegenden Antrag angeht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, ich finde es – darf ich das so sagen? – vielleicht ein kleines bisschen naiv, ausgerechnet von dieser Bundesregierung zu erwarten, dass sie uns einen Gesetzentwurf dazu vorlegt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Sie sprechen aus Erfahrung, Herr Veit!)

– Ich spreche aus der Erfahrung, die ich in über einem Jahr gesammelt habe. Wir warten noch darauf, dass Sie mit dem Regieren beginnen. Sie sind in einem Lernprozess begriffen, der selten von Erfolg gekrönt ist. Manchmal ist man über die Ergebnisse eher erschrocken. Herr Kollege Dr. Uhl, damit das nicht vergessen wird: Ich bin stolz auf gemeinsame Regierungsjahre; die Große Koalition war gelegentlich besser als ihr verbreiteter Ruf.

(Beifall des Abg. Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) – Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Na ja!)

Wir wollen aber gar nicht nur allgemein über diese Regierung und die Mehrheitsfraktionen reden, sondern über die Frage, wie Sie sich hierzu positionieren. Nun wurde unter der Überschrift ?Zuwanderung: De Maizière blockiert? im Handelsblatt geschrieben, er sei dagegen, grundsätzlich, zunächst. Am Schluss des Berichts wird richtigerweise gesagt, dass Deutschland nach Auffassung der Regierung ?an erster Stelle sein inländisches Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpfen? solle. Darüber kann und muss man in der Tat reden.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Das ist ja nicht falsch!)

– Ich höre sogar Zustimmung von der FDP. – In der Welt vom 20. Januar, also von heute, liest es sich ganz anders: Während die FDP massiv für eine verstärkte gesteuerte Zuwanderung eintritt, so auch Herr Brüderle, der da zitiert wird, ist es nun ausgerechnet Frau Haderthauer, die bayerische Arbeitsministerin, die gesagt hat – das muss ich einfach zitieren -:

?Wir haben keinen echten Fachkräftemangel, solange die Rahmenbedingungen für unsere jungen Leute gekennzeichnet sind von befristeten Arbeitsverträgen, unflexiblen Arbeitszeitmodellen und unbefriedigenden Gehältern.“ Was die Wirtschaft beklage, sei doch in Wirklichkeit ?ein Mangel an Arbeitnehmern, die bereit sind, zu diesen Bedingungen zu arbeiten“.

(Beifall der Abg. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD[/efn_note]

Das ist der Punkt. Diese Übereinstimmung mit der Einschätzung von Frau Haderthauer sollte einen eigentlich nachdenklich stimmen.

Wir wollen Ihnen jedenfalls klar und deutlich sagen, dass man zwar immer darüber reden kann, ob man mit einer kleinen Zahl von Anwerbungen beginnt, um das System auszuprobieren – das war auch 2001 und 2002 unsere Vorstellung -, man aber, bevor man in großer Zahl Zuwanderung organisiert, daran denken muss und soll: Wir haben trotz Aufschwung immer noch 3 Millionen Arbeitslose, von denen etwa ein Drittel länger als ein Jahr arbeitslos ist. Wir haben in Deutschland immer noch 1,5 Millionen Jugendliche ohne Berufsabschluss. Wir haben – auch das ist eine Schande, eine Vergeudung von Ressourcen und eine Beeinträchtigung menschlicher Entwicklungen und Schicksale – immer noch 300 000, 400 000, 500 000 oder 600 000 Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland – lassen Sie uns nicht über die Zahlen streiten -, deren Berufsabschlüsse nicht vernünftig anerkannt werden; da ist diese Koalition und diese Regierung nunmehr endlich gefordert. Wir haben die Problematik, die mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Menschen aus den neuen EU-Mitgliedstaaten ab dem 1. Mai verbunden ist; niemand kann eine Prognose dazu abgeben, jedenfalls fühle ich mich dazu nicht imstande. Wir haben immer noch – ich werde nicht müde, Ihnen das auch an dieser Stelle zu sagen – eine fünfstellige, vielleicht sogar eine sechsstellige Zahl von in Deutschland lebenden lediglich geduldeten Mitbürgerinnen und Mitbürgern – wir haben dieses Thema schon gestern angesprochen -, die ohne Perspektive hier sind und denen man erst einmal Gelegenheit geben sollte, in Deutschland ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele von ihnen sind bereits in Deutschland geboren oder hier aufgewachsen und haben Integrationsleistungen erbracht. Man sollte auf die Gruppe der jetzt schon bei uns lebenden Menschen Rücksicht nehmen und sie mit entsprechender Bildung gezielt fördern, anstatt nur an die Zuwanderung von außen zu denken.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU] und Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind also nach wie vor für eine gesteuerte Zuwanderung nach Punkten und mit Auswahlverfahren. Wir sagen aber auch: Wir brauchen zunächst

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Ja, so halb und halb!)

eine inländische Allianz für Fachkräfte, eine Allianz zwischen den Beteiligten im Wirtschaftsgeschehen, aber auch aller staatlichen Ebenen, von Kommunen, Land und Bund. Auch das tut not. Da gibt es einiges zu regeln.

Ich habe schon die Unterlassungen dieser Regierung und der Koalitionsfraktionen bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse angesprochen. So könnte man das beliebig fortsetzen. Wir brauchen flexible Arbeitszeitmodelle, eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die durch entsprechende Kinderbetreuungsangebote noch besser gelingt – auch das verweigern Sie -, und wir brauchen für eine Reihe von Berufen attraktive Arbeitsbedingungen; das heißt vor allen Dingen attraktive Löhne. Denn es geht ja nicht nur darum, dass es die Leute nicht gibt, um bestimmte Arbeitsplätze zu besetzen; vielmehr werden Arbeitsplätze auch deswegen nicht angenommen, weil sie nicht vernünftig entlohnt werden. Wir brauchen auch Mindestlöhne. Das ist notwendig, aber auch hier verweigert diese Koalition entsprechende Taten. Wir haben hier mehr oder weniger nur hohle und leere Worte gehört.

Noch einmal: In der Tendenz sind wir durchaus bei Bündnis 90/Die Grünen. Wir wollen vorher aber durch eine Allianz für Fachkräfte, durch eine entsprechende Offensive für die bereits in der Bundesrepublik lebenden Menschen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass alle Potenziale genutzt werden. Da sind wir uns mit manchem Diskussionsbeitrag wieder einig.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Hartfrid Wolff für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stimmen für eine Zuwanderungssteuerung nach klaren, transparenten, zusammenhängenden und nachvollziehbaren Kriterien mehren sich in allen Fraktionen und Parteien. Die FDP freut sich darüber. Wir Liberalen haben in den vergangenen Legislaturperioden dafür bereits entscheidende Anstöße gegeben. Nun steht dieses Ziel auch im Koalitionsvertrag mit den Unterschriften von Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer.

Dabei geht es uns nicht einfach nur um die demografische Entwicklung. Es geht auch nicht einfach nur um die Alterung der Gesellschaft oder andere statistisch darstellbare Prozesse. Uns geht es vor allem um die Menschen. Wir Liberalen wollen Chancen eröffnen. Wir wollen nicht falsche Versprechungen auf Kosten anderer Leute machen, sondern Perspektiven eröffnen. Wir wollen, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich ihre Zukunft selbst erarbeiten können.

Das bisherige Recht zur Arbeitsmigration ist voller bürokratischer Hemmnisse,

(Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen: Hört! Hört!)

und zwar nicht nur in der sachlichen Regelung selbst, Herr Staatssekretär, sondern vor allem in seiner unübersichtlichen Struktur, die für einen Außenstehenden kaum zu durchschauen ist.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt!)

Weder Menschen, die sich für die Zuwanderung nach Deutschland interessieren, noch die Menschen hierzulande, die Ängste in Bezug auf die Zuwanderung haben, können das gegenwärtige Zuwanderungsrecht abschätzen oder seine Wirkung durchschauen. Daraus resultieren häufiger Ablehnung und Skepsis in Bezug auf Zuwanderung nach Deutschland, und zwar auf beiden Seiten – bei Inländern und Ausländern.

Wir meinen, Deutschland braucht klare, faire und einfache Regeln. Wir brauchen Vertrauen in eine verlässliche und sinnvoll gesteuerte Zuwanderung.

Die demografische Entwicklung lässt erwarten, dass wir mittelfristig den wirtschaftlichen Standard nicht mehr werden halten können, wenn wir uns nicht für qualifizierte Zuwanderung öffnen. Davon sind alle Menschen in unserem Land betroffen. Unser Wohlstand sowie unsere Fähigkeit, Menschen in Not etwa durch Sozialleistungen zu helfen, gerät in Gefahr, wenn die dafür notwendige Wertschöpfung nicht mehr gelingt.

In Baden-Württemberg etwa hat sich die Koalitionsregierung aus Union und FDP und besonders der für Integration zuständige Minister Professor Goll mit diesen Zukunftsfragen intensiv befasst. Hier fehlen bereits heute rund 37 000 Fachkräfte.

McKinsey hat ermittelt: Deutschland benötigt 2020 – das ist in neun Jahren – rund 250 000 Akademiker und 250 000 Fachkräfte mehr als heute, davon die Hälfte in den eher technisch geprägten Wachstumskernen. Zur Deckung dieses Bedarfs wäre bei heutiger Abbrecherquote ungefähr eine Verdopplung der Studienanfängerzahlen nötig. Lieber Kollege Bosbach und andere, es ist absolut utopisch, zu glauben, eine Verdopplung der Studienanfängerzahlen bei anhaltend niedriger Geburtenquote im eigenen Land erreichen zu können. Das ist mathematisch schlicht nicht möglich.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr richtig!)

Wir werden es selbst bei Verbesserungen im Bildungswesen in einem geradezu unvorstellbaren Ausmaß nicht schaffen, diese Zahlen zu erreichen.

Deshalb hat die Koalition zu Recht vereinbart: Wir brauchen ein System, dass die Zuwanderung nach klaren Kriterien steuert und unsere Interessen und Erwartungen an die Zuwanderer klar definiert. Entscheidend ist: Wen wollen wir nach Deutschland einladen? Wer kann unsere Gesellschaft weiterbringen? Für diese Menschen brauchen wir eine Willkommenskultur, die es Hochqualifizierten und Fachkräften aus dem Ausland leichter macht, sich für Deutschland zu entscheiden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deutschland ist im Wettbewerb um die weltweit besten Köpfe weit zurückgefallen. Deutschland verliert derzeit sogar Fachkräfte: Es wandern mehr Fachkräfte ab als zu. Andere Staaten wie Kanada und natürlich die USA, aber auch Dänemark und Großbritannien ziehen die Besten der Welt an. Wir hingegen erlauben es uns, mit hohen bürokratischen Hürden, intransparenten Regeln und einer mangelhaften Zuwanderungskonzeption die Besten der Welt an Deutschland vorbeiziehen zu lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wir erlauben es uns in Deutschland sogar, ausgebildete Fachkräfte aus Drittstaaten auf dem Arbeitsmarkt nachrangig zu behandeln und sie lieber ziehen zu lassen, als sie hier zu beschäftigen.

Es ist gut, dass diese Koalition verbindlich vereinbart hat, diese kurzsichtige Kirchturmpolitik zu beenden. Wir brauchen eine Systematisierung des bestehenden Rechts zur Fachkräftezuwanderung: klarer, einfacher, transparenter.

(Zuruf von der FDP: Gerechter!)

Wir brauchen schnelle Entscheidungen, also eine Vorrangprüfung bei ausländischen Fachkräften innerhalb von zwei Wochen. Wir brauchen eine Senkung des Mindesteinkommens und gezielte Anwerbemöglichkeiten.

(Rüdiger Veit (SPD): Wir brauchen Mindestlöhne!)

Wir reden nicht über Protektionismen, die Sie gerade angesprochen haben, Herr Kollege Veit. – Als ersten Schritt schlagen wir eine Genehmigungsfiktion für die Vorrangprüfung und die Senkung des Mindesteinkommens auf 40 000 Euro vor.

(Beifall bei der FDP – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben wir ja auch vorgeschlagen!)

Trotz des sympathischen Titels des vorliegenden Antrags der Grünen wollen die Grünen etwas anderes. Sie wollen eine Erhöhung der Nettoeinwanderung. Sie wollen nur kompensatorische Maßnahmen für die befürchtete demografische Entwicklung. Die Grünen wollen die Kriterien, die sie zunächst für die Zuwanderungssteuerung fordern, sofort wieder aushebeln. Bildungsanforderungen sollen nach Auffassung der Grünen nicht mehr gestellt werden, wenn ein Zuwanderer sie, etwa aufgrund der Wahrnehmung von Familienpflichten, nicht erfüllen konnte. Damit wird vor allem der unqualifizierten Zuwanderung aus Regionen mit aus unserer Sicht nicht mehr zeitgemäßen Familienvorstellungen Tür und Tor geöffnet.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat uns jetzt tief getroffen!)

Gesteuerte Zuwanderung ist kein Selbstzweck, sondern ökonomische und gesellschaftliche Notwendigkeit. Verbindliche Kriterien sind notwendig.

(Rüdiger Veit (SPD): Wo ist euer Gesetzentwurf? – Gegenruf des Abg. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): In der Schublade!)

Zuwanderung nach Deutschland ist keine Zuwanderung in einen leeren Raum, sondern in eine gewachsene Kultur. Wer hierher zuwandert, muss sich auch hier integrieren wollen, das heißt sich unsere Sprache und unsere Grundwerte überzeugend zu eigen machen. Nur so eröffnet sich für sie die Perspektive, Deutsche zu werden und auch als solche anerkannt zu werden.

(Rüdiger Veit (SPD): Das klingt manchmal gar nicht so schlecht!)

Die Zukunft unseres Landes hängt davon ab, dass wir uns weiterentwickeln können, nicht stehen bleiben und die entsprechenden Kapazitäten dafür haben.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das geht gegen die Union, was Sie jetzt sagen!)

Dazu müssen wir das Problem des Fachkräftemangels dringend beheben. Lieber Herr Kollege Veit, Gewerkschaften und Arbeitgeber sind sich einig, dass der gesteuerte Zuzug von Fachkräften nach Deutschland nach klaren, transparenten und richtig gewichteten Kriterien einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei uns darstellt.

(Rüdiger Veit (SPD): Habe ich das bestritten?)

Der Einsatz jeder weiteren Fachkraft zieht weitere Arbeitsplätze nach sich.

(Rüdiger Veit (SPD): Sag? das mal denen von der Union!)

Es geht aber nicht um ein schlichtes Mehr an Zuwanderung, sondern es geht um ein System, das für den Deutschland-Interessierten durchschaubar ist, ihm seine Chancen aufzeigt und deutlich macht, wen wir brauchen. Es geht um eine Regelung, die auch den Menschen hierzulande das Gefühl gibt, dass diese Zuwanderer unsere Gesellschaft bereichern und uns alle gemeinsam voranbringen.

(Beifall bei der FDP – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wann kommen die denn? – Rüdiger Veit (SPD), an Abg. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gewandt: Josef, hast du die Rede geschrieben?)

Diese Koalition hat dies im Koalitionsvertrag vereinbart und wird noch in dieser Legislaturperiode die Weichen dafür stellen.

(Rüdiger Veit (SPD): Da sind wir aber neugierig!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollegin Sevim Dagdelen für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf der Internetseite meines geschätzten Kollegen Kilic von den Grünen

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich danke Ihnen!)

steht zum Punktesystem Folgendes:

Hier geht es um die Einwanderung von Fachkräften, die Deutschland in einigen Branchen dringend benötigt. Die in Arbeit stehenden ausländischen Fachkräfte werden mit ihren Steuerzahlungen dazu beitragen, unser Sozialversicherungssystem aufrechtzuerhalten.

Sie, Herr Kilic, und die Grünen insgesamt – so ist mein Eindruck – verstehen Einwanderinnen und Einwanderer anscheinend nur als Ware.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie redest du wohl erst über nicht geschätzte Kollegen? – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! Oh! – Sie sind aber gemein zu uns!)

Sie beurteilen Migration bzw. Migrantinnen und Migranten nämlich fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des volkswirtschaftlichen Nutzenkalküls.

Dieses Zitat hört sich für viele Menschen in Deutschland gar nicht so schlimm an. In den 90er-Jahren war es noch verpönt, unter Nützlichkeitserwägungen über Menschen zu sprechen. Damals, Anfang der 90er-Jahre, als viele Asylbewerberheime brannten,

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es geht doch jetzt nicht um Asylbewerber! Es geht um Arbeitsmarktzuwanderer!)

war es verpönt, darüber zu sprechen, ob Menschen für unsere Gesellschaft nützlich sind oder nicht. Heute ist das anders, weil der neoliberale Mainstream mittlerweile überall fest verankert ist.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Allerdings! Selbst bei Herrn Kilic, wie Sie sehen!)

Ich kann den Grünen nur sagen: Eine auf der Basis von Arbeitsmarktkriterien betriebene und nur ökonomisch legitimierte Migrationspolitik führt zu sozialer Exklusion und rechtspopulistischen Ressentiments gegen Einwanderer und Minderheiten à la Sarrazin & Co.

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Und à la Lafontaine!)

Das ist die Erfahrung aus Kanada, meine Damen und Herren.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist die Selbstdisqualifizierung der Linken! – Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Aha! Die Linken wollen sich also abschotten!)

Sie sagen: Es gibt einen Fachkräftemangel. Ich sage: Das ist ein Mythos. Das denkt übrigens nicht nur die Linke. So spricht zum Beispiel auch der Focus vom ?Mythos Fachkräftemangel?;

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh! Der Focus ist natürlich ein guter Kronzeuge! – Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt ja auch noch die Bild-Zeitung! Haben Sie da vielleicht auch etwas gelesen?)

der Focus ist wahrlich kein linkes oder linksliberales Blatt.

Hinzu kommt, dass es in Deutschland keinen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt, weder aktuell noch auf absehbare Zeit.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Bei den Linken ist der Fachkräftemangel am größten!)

Das sagt selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin; auch das ist kein linksliberaler oder linker Thinktank.

Lesen Sie sich ruhig einmal den Wochenbericht Nr. 46 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vom November letzten Jahres durch. Dann werden Sie erfahren, dass es für ein derzeit generell knappes Arbeitskräfteangebot keine Belege gibt. Weder die untersuchte Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt noch die Lohnentwicklung noch die Ausbildungssituation lassen den Schluss auf einen Fachkräftemangel zu. Die Studentenzahlen zeigen laut dieser Studie, dass der Bedarf in den akademisch-naturwissenschaftlich-technischen Berufen in den kommenden Jahren gedeckt werden kann.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und was machen wir jetzt? Müssen deshalb die Grenzen abgeschottet werden, oder was?)

Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit sieht keinen flächendeckenden Fachkräftemangel. Ich kann Ihnen aber sagen, woran es einen Mangel gibt: Es gibt einen Mangel an gut bezahlten Arbeitsplätzen in Deutschland. Der Bedarf an Fachkräften könnte in Anbetracht der hohen Erwerbslosigkeit problemlos gedeckt werden, wie selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sagt. Doch wollen die deutschen Unternehmen – auch das stellte dieses Institut fest – nicht den gerechten Preis für eine gute Arbeit bezahlen.

An dieser Stelle verweist das DIW zu Recht auf die Lohnentwicklung. Die Preise sind in Deutschland und anderswo nach wie vor Indikator für Knappheiten auf den Märkten.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Das ist auch gut so! Alles andere wäre Planwirtschaft!)

Wenn es also einen allgemeinen Fachkräftemangel gäbe, müsste er sich ja auch bei der Lohnentwicklung zeigen. Es zeigt sich aber, dass die Löhne in Deutschland immer noch sinken. Das heißt, die Lohnentwicklung in Deutschland macht deutlich, dass es diesen Fachkräftemangel so nicht gibt.

(Beifall bei der LINKEN – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diese Logik kannst du für dich behalten! Die kann nämlich kein anderer verstehen!)

Meine Damen und Herren von den Grünen, eines finde ich unerträglich:

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha! Kommt jetzt etwa der Vorwurf ?menschenverachtend??)

Mit dem Punktesystem sollen ausländische Fachkräfte angezogen werden, um das deutsche Sozialversicherungssystem am Leben zu erhalten. War es nicht Rot-Grün, die mit der Agenda 2010, durch den Abbau von Sozialleistungen und die Entlastung von Unternehmen mehr Arbeitsplätze schaffen wollten? War es nicht Rot-Grün, die durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Einführung von Hartz IV Hunderttausende in Armut und soziale Ausgrenzung getrieben haben,

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Falsches Thema!)

die die Beschäftigten durch eine drastische Kürzung des Arbeitslosengeldes und die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen erpressbar gemacht haben

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was hat das denn mit Zuwanderung zu tun? So ein Unsinn!)

und Lohndumping Vorschub geleistet haben, vor allen Dingen durch Leiharbeit?

(Beifall bei der LINKEN – Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach! Sie spielen doch den einen gegen den anderen aus!)

Sie tun so, als würden ausländische Fachkräfte jetzt das Problem beheben können, das Sie geschaffen haben. Sie sagen: Deutschland braucht Fachkräfte. Wir als Linke sagen: Deutschland hat Fachkräfte.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler (DIE LINKE) – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber scheinbar nicht in Ihrer Fraktion!)

Das Problem ist aber, Fachkräfte drehen Deutschland zunehmend den Rücken zu. Sie verlassen Deutschland. Wir haben gestern hier mit Herrn Bundesinnenminister de Maizière den Migrationsbericht 2009 beraten. Die bittere Erkenntnis aus diesem Migrationsbericht ist, dass Deutschland ein Auswanderungsland ist. Von den Deutschen, die aus Deutschland wegziehen und im Ausland erwerbstätig sind, hat etwa die Hälfte einen Hochschulabschluss,

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir können doch nicht wieder eine Mauer hochziehen!)

über 40 Prozent von ihnen besitzen einen mittleren Bildungsabschluss. Mehr als ein Drittel sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, knapp 20 Prozent Techniker und 17 Prozent Führungskräfte.

(Zuruf von der FDP: Weil wir so hohe Steuern haben!)

Mehr als die Hälfte der Deutschen, die im Jahr 2009 ins Ausland gezogen sind, war zwischen 25 und 50 Jahre alt, etwa ein Fünftel war jünger als 18 Jahre.

Es ist doch auch kein Wunder, dass diese Menschen gehen. Deutschland ist inzwischen ein Niedriglohnland geworden. Eine Ausbildung schützt längst nicht mehr davor, im Niedriglohnsektor zu landen. Laut Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen ist der Anteil der Betroffenen mit abgeschlossener Berufsausbildung zwischen 1995 und 2008 von 63,4 Prozent auf 71,9 Prozent gestiegen. Werden Erwerbstätige mit Hochschulabschluss dazugerechnet, sind vier von fünf ?Niedriglöhnern? so gut qualifiziert, um in Deutschland als Fachkraft oder auch als hochqualifiziert zu gelten.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb soll jetzt keiner mehr einwandern dürfen, oder was? Das ist eine komische Logik!)

Sie wandern aus, weil sie keine gut bezahlte Arbeit finden. Auch vielen Ostdeutschen ist es in den letzten 20 Jahren so ergangen. Und ein Ende ist mit Ihrer Politik einfach nicht in Sicht.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist Ihre Lösung?)

Für die Fachkräfte mit Migrationshintergrund, Herr Kilic, ist ein Land einfach unattraktiv, in dem nicht erst die Sarrazin-Debatte rassistische Spuren hinterlassen hat. In einem so ausländerfeindlichen gesellschaftlichen Klima wie in Deutschland möchten viele Fachkräfte mit Migrationshintergrund einfach nicht leben.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben sie Ihnen das erzählt? Stand das im Focus?)

Ja, Herr Winkler, das erzählen mir viele. Und was ist Ihr Problem damit?

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb darf keiner mehr einwandern, oder?)

Das erzählen mir nicht nur viele, sondern es ist auch in Studien mehrfach belegt worden, dass viele Menschen auswandern, weil sie die Diskriminierungen in diesem Land einfach satthaben.

(Beifall bei der LINKEN)

Das könnten Sie auch einmal bestätigen; denn Sie wissen sehr genau, dass das so ist.

Sie sagen, Deutschland brauche Fachkräfte, und Sie führen das auf die demografische Entwicklung zurück. Das ist moderne Kaffeesatzleserei. Wir werden uns jedenfalls nicht daran beteiligen, Prognosen über einen Zeitraum von knapp einem halben Jahrhundert abzugeben. Das ist einfach unseriös, und dies wird Ihnen jede Expertin oder jeder Experte bestätigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte vor allen Dingen noch einmal daran erinnern, dass Demografie auch immer wieder als Mehrzweckwaffe genutzt wird. Ich möchte daran erinnern, dass Anfang der 90er-Jahre viele Medien, aber auch viele Politikerinnen und Politiker die Demografie bemüht haben, um das Recht auf Asyl in Deutschland faktisch abzuschaffen. Damals hieß es: ?Das Boot ist voll!? Heute heißt es: ?Raum ohne Volk?, wie der Spiegel schon im Jahr 2000 in reichlich geschmackloser Art titelte. Ich finde: Demografie ist kein Problem, das man überhaupt nicht beeinflussen kann.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Linke will uns abschotten!)

Wenn es ein demografisches Problem gibt, liegt das daran, dass wir keine gute Familienpolitik, dass wir keine gute Arbeitsmarktpolitik und keine gute Bildungspolitik haben. Das alles ist veränderbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie von Demografie sprechen, dann müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass vor 100 Jahren auf einen über 65-Jährigen noch zwölf Erwerbstätige kamen, vor 50 Jahren waren es noch sieben, vor 20 Jahren waren es vier. Ein Problem war das nicht; denn ein Problem mit der Demografie besteht nur bei sinkender Produktivität. Die Produktivität in Deutschland ist jedoch steigend und bildet so die Basis für die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland, die nicht abgeschafft oder zerstört gehören wegen des Mythos des demografischen Wandels.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben den Braindrain angesprochen. Ich kann nur dazu ermuntern, sich auch einmal die Entwicklungsländer anzuschauen, die ganz klar und deutlich sagen, sie wollen keine Fachkräfte, die sie in ihren Ländern unter ganz schwierigen Bedingungen ausbilden und für ihr Land und ihre Zukunft nutzen wollen, in die Industriestaaten schicken, damit sie dort dazu benutzt werden können, die Länder des Südens noch mehr auszubeuten und von den Industriestaaten ausgeplündert zu werden. Das ist keine Entwicklungspolitik, an der sich die Linke beteiligen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Ja, ich komme zum Schluss. – Sie haben ein Problem mit Fachkräften in Deutschland? Ich fordere, endlich eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage zu beschließen – das hatte Rot-Grün vor Jahren einmal versprochen, aber nie eingeführt -,

(Rüdiger Veit (SPD): Doch, wir haben es gemacht! Das ist im Bundesrat gescheitert! – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist im Bundesrat gescheitert! Machen Sie keine Geschichtsklitterung!)

damit jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz findet. Beschließen Sie ferner einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro; denn wir wollen nicht, dass Solidarität, Gleichheit – –

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Ja, das ist mein letzter Satz, Herr Präsident.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Bitte kommen Sie zum Ende.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Wir wollen nicht, dass Solidarität, Gleichheit, Gerechtigkeit und Humanität hier im Säurebad der Konkurrenz verschwinden.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz (Spandau) (SPD): Glückwunsch!)

Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird niemand die Notwendigkeit bestreiten, dass wir uns um das Thema Fachkräfte kümmern müssen. Die Bundesregierung kümmert sich um dieses Thema. Das haben wir in der Vergangenheit gemacht, und das tun wir auch in der Zukunft.

Wir kümmern uns auch um die Qualifizierung. Noch nie wurde so viel Geld für Bildung ausgegeben wie zu Zeiten dieser Regierung. Wir sind offen für Hochqualifizierte, aber die Gewinnung von Fachkräften ist nicht alleine Aufgabe des Staates, nicht alleine Aufgabe der Regierung und auch nicht alleine Aufgabe des Parlaments. Sondern in einer sozialen Marktwirtschaft ist es natürlich auch Aufgabe der Unternehmen, sich um Qualifizierung zu kümmern

(Beifall bei der CDU/CSU)

und sich um die Qualifizierten auf dem inländischen und dem europäischen Arbeitsmarkt zu bemühen, aber natürlich auch offen zu sein für Fachkräfte auf dem weltweiten Arbeitsmarkt.

Wenn man die Diskussionen der letzten Wochen verfolgt hat, dann hat man manchmal den Eindruck gehabt, dass es alleine Aufgabe des Staates ist, den Unternehmen die Fachkräfte sozusagen frei zuzuführen. Das ist in einer sozialen Marktwirtschaft mit Sicherheit nicht der Fall, sondern es ist Aufgabe des Staates und der Unternehmen, einen attraktiven Standort zu schaffen.

Attraktivität schafft man natürlich auch mit anständigen Gehältern, die Fachkräften gezahlt werden müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Rüdiger Veit (SPD): Mindestlohn!)

Attraktivität schafft man daneben natürlich auch dadurch, dass auch in den Unternehmen darauf geachtet wird, dass Beruf und Familie miteinander vereinbar sind, dass eine Willkommenskultur für Fachkräfte von außen geschaffen wird, dass Beschäftigungsmöglichkeiten für den Ehepartner, der mitkommt, geschaffen werden und dass auch die Belange des Kindes mitberücksichtigt werden.

Einige behaupten nun, durch das Zuwanderungsrecht werden die Unternehmen daran gehindert, Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Das ist doch nicht der Grund dafür, weshalb zu wenige Fachkräfte nach Deutschland kommen.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immerhin haben Sie zugegeben, dass es zu wenige sind!)

Das hängt doch vom Gehalt ab, das gezahlt wird, und davon, ob eine Willkommenskultur in den Unternehmen vorhanden ist. Auch Sprachbarrieren spielen sicherlich eine wichtige Rolle.

In einem Punkt enthält unser Zuwanderungsrecht allerdings eine notwendige Filterfunktion. Wir wollen nicht, dass ausländische Arbeitnehmer zu Dumpinglöhnen und damit auf Kosten von inländischen Arbeitnehmern nach Deutschland geholt werden,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

wenn diese Arbeitsplätze auch durch Inländer oder Europäer besetzt werden können. Zu dieser Filterfunktion in unserem Zuwanderungsrecht bekennen wir uns ausdrücklich.

Natürlich haben die Unternehmen ein Interesse daran, aus einem möglichst großen Pool bzw. Angebot an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt auszuwählen. Selbstverständlich ist das das Interesse der Unternehmen. Wir holen Zuwanderer aber nur dann ins Land, wenn auch wirklich eine Nachfrage besteht.

(Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Sehr gut!)

Gemäß unserem Zuwanderungsrecht ist die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften schon heute zulässig, wenn Fachkräftemangel herrscht und die Zuwanderung eben nicht zu mehr Arbeitslosigkeit führt.

In welchem Maße unser Zuwanderungsrecht schon jetzt offen ist, ist offensichtlich vielen nicht bekannt.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist uns nicht bekannt!)

Es wird auch viel vernebelt. Ich gebe zu, unser Ausländerrecht ist nicht immer leicht verständlich. Aber wenn man die Regelungen genau liest, dann wird deutlich, dass Zuwanderung möglich ist.

Es wird beispielsweise immer wieder behauptet, dass die Einstellung ausländischer Hochqualifizierter mit einem Jahresgehalt unter 66 000 Euro nicht möglich ist. Das ist schlichtweg Unsinn. Es gibt keine feste Gehaltsgrenze. In bestimmten Fallgruppen, zum Beispiel bei Führungskräften, kann sogar auf die sogenannte Vorrangprüfung verzichtet werden. Das heißt, es kann komplett auf die Prüfung verzichtet werden, ob eine Stelle nicht auch von einem Inländer oder einem Unionsbürger besetzt werden kann.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben Sie davon Gebrauch gemacht?)

Die Gehaltsgrenze von 66 000 Euro ist nur für die Frage maßgeblich, ob von Anfang an ein unbefristetes Aufenthaltsrecht erteilt wird. Mit dieser Regelung, dass mit einem Jahresgehalt ab 66 000 Euro ab dem ersten Tag ein unbefristetes Aufenthaltsrecht gewährt wird, stehen wir in Europa an der Spitze, was Offenheit angeht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hochqualifizierte Wissenschaftler können sogar unabhängig von jeglicher Gehaltsgrenze nach Deutschland kommen und haben vom ersten Tag an den Anspruch auf ein unbefristetes Aufenthaltsrecht.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum kommen so wenige?)

Das deutsche Recht ist besser als sein Ruf. Auch Fachkräfte mit einem Jahresgehalt unter 66 000 Euro können kommen, wenn die Vorrangprüfung positiv beschieden wird. Sie erhalten dann aber zunächst eine auf maximal drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis. Das ist weltweit ähnlich geregelt. Denn wenn jemand nach kurzer Zeit arbeitslos wird und sich nicht integriert, dann müssen wir die Möglichkeit haben, die Aufenthaltserlaubnis nicht zu verlängern.

Wenn von dem Punktesystem die Rede ist, wird oft so getan, als wäre unser Zuwanderungsrecht mit einem Punktesystem modern und ohne dieses System total verstaubt. Das ist Ideologie. Es ist schlichtweg falsch.

(Rüdiger Veit (SPD): Das hat keiner gesagt!)

Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir mit einem Punktesystem eine bessere Steuerung erreichen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kilic?

Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Bitte schön.

Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Schröder, Sie gehen in Ihrer Rede davon aus, dass kein Zuwanderungsbedarf an Fachkräften existiert und mit den vorhandenen gesetzlichen Reglungen alles unter Dach und Fach ist. Als Regierungsmitglied müssten Sie wissen, dass die CDU vor ein paar Tagen in ihrer Mainzer Erklärung festgestellt hat, dass die CDU die Zuwanderung von Fachkräften steuern möchte. Das klingt so, als ob Handlungsbedarf besteht. Wo sehen Sie auf diesem Gebiet Handlungsbedarf, oder glauben Sie, dass alles von geltendem Recht gedeckt ist?

Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Selbstverständlich sind wir offen für Fachkräfte aus aller Welt,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

die zu uns kommen, um zu arbeiten, wenn dies nicht zulasten derjenigen geht, die hier einen Arbeitsplatz haben. Wir wollen keine Zuwanderung aus Drittstaaten außerhalb Europas, wenn dies zu höherer Arbeitslosigkeit führt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wollen wir auch nicht!)

Die Frage ist, woran es liegt, dass wir für Fachkräfte offensichtlich nicht so attraktiv sind, wie wir uns das vorstellen. Sie meinen, das löst sich dadurch, dass wir unser Zuwanderungsrecht ändern. Das Zuwanderungsrecht ist aber nicht unser Problem. Die Probleme liegen ganz woanders. Sie hängen mit einer Willkommenskultur zusammen. Sie hängen auch damit zusammen, dass wir ganz andere Sprachbarrieren haben als der angloamerikanische Raum. Diese Probleme müssen wir in Angriff nehmen, nicht das Zuwanderungsrecht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich meine, dass wir mit der Feinjustierung im bestehenden System besser in der Lage sind, die Zuwanderung zu steuern. Wir können damit viel besser arbeitsmarktorientiert steuern und präziser auf die Nachfrage der Unternehmen reagieren. Wenn jemand eine offene Stelle hat, die er nicht mit einem Inländer oder einem Unionsbürger besetzen kann, dann ist es nach geltendem Recht möglich, jemanden von außen zu holen und einzustellen.

Wir müssen aber sicherstellen, dass wir keine Fachkräfte nach Deutschland holen, die hier nicht gebraucht werden. Ein Punktesystem schafft am Ende mehr Bürokratie. Sie müssen Behörden aufbauen, die Auswahlkriterien schaffen und Auswahlverfahren in den Herkunftsländern organisieren. Unser jetziges System ist bürokratieärmer. Lassen Sie uns keine große Migrationsbürokratie aufbauen! Das macht keinen Sinn.

Stattdessen sollten wir unser jetziges System voranbringen. Wir sollten prüfen, ob die Vorrangprüfung im Rahmen des jetzigen Systems beschleunigt werden kann, zum Beispiel durch eine Genehmigungsfiktion. Wenn ein Unternehmen meint, eine Stelle nicht besetzen zu können und sich an die Bundesagentur wendet und nach drei, vier Wochen keinen Bescheid bekommt, wird eine Genehmigung fingiert, und es kann jemand von außerhalb der EU kommen. Wir müssen auch prüfen, ob wir in einigen Branchen auf die Vorrangprüfung verzichten können. Wenn die Vorrangprüfung bloße Förmelei ist, weil der Fachkräftemangel so offensichtlich ist, dann ist diese Prüfung nicht notwendig. Das ist jedoch schon auf der Grundlage des geltenden Rechts möglich. Dafür brauchen wir überhaupt keine Rechtsänderung.

Wir sollten auch einen Blick auf das Fachkräftepotenzial in Europa werfen, insbesondere auf das in den in letzter Zeit beigetretenen Staaten. Ab Mai haben alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ganz Europa, zum Beispiel aus Polen, Ungarn, Slowenien und Tschechien – außer aus Bulgarien und Rumänien -, die Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen, um hier zu arbeiten. Lassen Sie uns doch erst einmal abwarten, was dann passiert,

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist denn bei den letzten Beitritten passiert?)

welche Migrationsströme dann entstehen und wie diese auf den deutschen Arbeitsmarkt wirken, bevor wir solche Experimente durchführen, die Sie von uns verlangen!

Lassen Sie uns auch das Arbeitsmarktpotenzial der alten Mitgliedstaaten nutzen! In Spanien spricht man bereits von einer verlorenen Generation. Ich lese in der FAZ, dass dort die Arbeitslosigkeit bei den unter 25-Jährigen bei rund 40 Prozent liegt. Warum holen wir denn diese arbeitslosen Jugendlichen nicht nach Deutschland und bilden Sie aus? Das ist doch viel naheliegender, als auf anderen Kontinenten Anwerberstellen zu organisieren und ein Punktesystem einzuführen. Lassen Sie uns doch nach Europa schauen!

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was sind Ihre Vorschläge? Wie machen Sie das denn?)

Warum kümmern wir uns nicht um die arbeitslosen Jugendlichen in Spanien?

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dagegen hat niemand etwas!)

Warum bilden wir sie hier nicht aus, zumal wir mit Jugendlichen, die aus unserem Kulturkreis kommen, wesentlich weniger Integrationsprobleme haben, als mit solchen aus anderen Kulturkreisen?

(Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Das ist echt völkisch!)

Lassen Sie uns diese Chance nutzen! Lassen Sie uns den Menschen, die hier leben, eine Chance geben! Lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir attraktiv für Fachkräfte sind! Ein neues Zuwanderungsrecht, insbesondere ein Punktesystem, brauchen wir hierfür nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist der Fachkräftemangel, insbesondere im Zusammenhang mit Zuwanderung, eines der zentralen Themen im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Ich möchte gerne die Frage des Kollegen Veit aufgreifen. Ist es denn wirklich klug, gerade dieser Regierung den Auftrag zu erteilen, ein Konzept für ein Punktesystem vorzulegen? Ich kann mich gar nicht recht entscheiden, welches der schlimmere Worst Case wäre: wenn sich die CSU durchsetzt und wir dann überhaupt keine Zuwanderung mehr haben oder wenn sich die FDP durchsetzt, die sich in ihrer Politik einseitig an den Interessen der Unternehmen orientiert. Notwendig ist, ein gesamtgesellschaftlich ausgewogenes Konzept vorzulegen, das sowohl die Interessen der Unternehmen und der Wirtschaft in Deutschland als auch die Interessen der Menschen, die hier leben – ob mit oder ohne Migrationshintergrund -, berücksichtigt.

Die Bundesregierung ist nicht nur beim Thema Zuwanderung zerstritten, sondern auch komplett blank, wenn es darum geht, das Potenzial, das wir hier im Land haben, zu heben und hier für mehr Fachkräfte zu sorgen. Alles, was ich bisher zu diesem Thema gehört habe, waren Sonntagsreden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie über Bildung reden, dann sind das Sonntagsreden. Sie versuchen weiterhin, Ihre Ideologie durchzusetzen, konkrete Konzeptionsvorschläge haben Sie nicht.

Herr Bosbach – ich weiß nicht, ob er noch da ist – hat darüber gesprochen, dass man mehr für die Arbeitsvermittlung tun muss. Ich merke, dass ich bei diesem Thema richtig sauer werde. War es nicht die schwarz-gelbe Regierung, die die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik massiv zusammengestrichen hat? Oder ist mir etwas entgangen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel (CDU/CSU): Ist Ihnen aufgefallen, dass wir nicht mehr wie bei Ihnen 5 Millionen, sondern 3 Millionen Arbeitslose haben? – Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Was nicht sein kann, darf nicht sein!)

Lassen Sie mich zu einer Gruppe von Personen kommen, die in den Reden bisher noch nicht vorgekommen ist, nämlich die Menschen, die eingewandert sind, schon länger hier leben und ein nicht zu unterschätzendes Fachkräftepotenzial darstellen.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Der Grünen-Antrag lautet auf Zuwanderung!)

Wir erinnern uns: Die Ankündigungsministerin Frau Dr. Schavan hat uns versprochen, dass es ein Gesetz zur Anerkennung im Ausland abgeschlossener Berufsausbildungen oder akademischer Abschlüsse geben soll.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da warten wir schon lange drauf!)

Das ist jetzt über ein Jahr her. Wir warten und warten und bekommen Ankündigungen über Ankündigungen. Das ist schlecht für die Unternehmen, und ich hoffe, es ist Ihnen auch ein bisschen unangenehm, dass das so lange dauert. Versetzen Sie sich einmal in die Lage der Betroffenen. Überlegen Sie, wie frustrierend das für die 300 000 bis 500 000 Menschen ist, die in unserem Land leben, ohne dass ihre bisherigen Leistungen in irgendeiner Weise anerkannt werden. Das ist eine Katastrophe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Selbst wenn dieses Gesetz irgendwann verabschiedet wird – ich weiß nicht, ob es überhaupt irgendwann verabschiedet wird -: Frau Schavan hat deutlich gemacht, dass es eine Einschränkung geben wird, es wird nämlich kein Recht auf Anschlussqualifizierung geben. Was dann passiert, ist ziemlich klar: So wird zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrern aus der ehemaligen Sowjetunion teilweise nur das Abitur anerkannt, obwohl sie ein Lehramtsstudium absolviert haben. Zum Teil wird ihnen gesagt: Studieren Sie ein Fach noch einmal komplett nach; denn die meisten haben nur ein Fach studiert. Was passiert, wenn wir das so handhaben? Es wird vielen anderen Personengruppen auch so gehen, dass sie nur eine Teilanerkennung bekommen und dann im Regen stehen gelassen werden. Liebe Bundesregierung, entweder ist der Fachkräftemangel gar nicht so groß, oder Sie müssen an dieser Stelle kräftig nachregeln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein zweites Beispiel sind die ausländischen Studierenden, die ihr Studium in Deutschland absolviert haben. Gestern haben wir uns alle miteinander über den Migrationsbericht gefreut, der besagt, dass wir fast 250 000 Bildungsausländer im Land haben. Das sind eine Viertelmillion Menschen, die hier studieren. Das ist ein großes Kompliment und widerspricht der These, dass niemand Interesse daran hat, in unserem Land zu studieren.

Die Absolventinnen und Absolventen, die in Deutschland ihr Studium absolvieren, sind Topleute, das sind diejenigen, die wir unbedingt begeistern wollen, hierzubleiben und Arbeit aufzunehmen. Das hat schon Rot-Grün erkannt. Im Jahr 2005 haben wir im Zuwanderungsgesetz gemeinsam vereinbart, dass die Absolventinnen und Absolventen ein Jahr Zeit bekommen sollen, um einen Arbeitsplatz zu finden. Selbst in der Großen Koalition konnte sich die SPD noch durchsetzen. Olaf Scholz hat durchgeboxt, dass für die Absolventinnen und Absolventen die Vorrangprüfung nicht mehr gilt und dass sie auch wieder einreisen können, wenn sie später hier einen Arbeitsplatz finden. Das sind große Chancen, die den meisten kaum bekannt sind. Das spiegelt sich in den Zahlen wider. Nur wenige versuchen, überhaupt einen Arbeitsplatz zu finden, noch weniger schaffen es.

Was tut die Regierung? Immerhin diskutiert sie das Thema. Es ist gut, dass die Bundesregierung in die richtige Richtung diskutiert.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein!)

Das Problembewusstsein ist vorhanden, aber ich habe so meine Zweifel, ob etwas dabei herauskommt. Der Minister hat schon wieder etwas ausgeschlossen. Er sagt, dass die betroffenen Personen definitiv nicht länger als ein Jahr Zeit bekommen sollen, um Arbeit zu finden. Ich persönlich halte das für einen Fehler. Denn wenn wir betrachten, wie lange die Absolventinnen und Absolventen in Deutschland brauchen, um einen Arbeitsplatz zu finden, dann stellen wir fest, dass nach einem Jahr nur 50 Prozent der Absolventinnen und Absolventen eine reguläre Beschäftigung gefunden haben. Sie wissen alle, dass es Menschen aus Drittstaaten auf dem deutschen Arbeitsmarkt aus Gründen, auf die ich jetzt nicht eingehen möchte, bedeutend schwerer haben.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Das hat Ihr Parteikollege verursacht!)

Liebe Bundesregierung, insofern besteht auch hier Handlungsbedarf. Ihre Ankündigungen sind bisher nur vage. Außerdem gehen Sie mit Ihren Ankündigungen nicht weit genug.

Es ist also viel zu tun, um das Problem des Fachkräftemangels und des Hebens des Potenzials im eigenen Land anzugehen. Was ich dazu bisher gehört habe, hat überhaupt nichts mit dem Titel ?Fachkräftestrategie? zu tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Johannes Vogel für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Analysiert man die Lage, dann muss man doch klar sagen: Es gibt heute einen Wettbewerb um die klügsten Köpfe der Welt. Leider müssen wir hinzufügen: Deutschland partizipiert hieran nicht gut genug. Wir sind nicht gut genug aufgestellt.

Das sieht man an der Zahl der Hochqualifizierten, die derzeit über die Einkommensgrenze springen. Im vergangenen Jahr waren es gerade einmal 169 Personen. Das kann uns doch nicht zufriedenstellen.

Das sieht man außerdem am Anteil der Hochqualifizierten an den Zugewanderten insgesamt. Dieser Anteil liegt bei uns bei 22 Prozent. In den USA sind es 43 Prozent. In Kanada sind es sogar 59 Prozent. Unsere Mitbewerber sind also doppelt so gut wie wir.

Das sieht man auch am Saldo. Seit dem Jahr 2000 verließen unser Land pro Jahr im Schnitt 16 000 Hochqualifizierte mehr, als gekommen sind. Der Auftrag ist also klar: Wir brauchen mehr qualifizierte Zuwanderer, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt aber nicht nur aufgrund der heutigen Situation, sondern insbesondere aufgrund der Situation, die sich infolge des demografischen Wandels in der Zukunft zeigen wird. Bis 2030 werden uns 6 Millionen Erwerbspersonen – vor allem Fachkräfte – in Deutschland fehlen. Das ist so, als ob Hessen plötzlich einfach weg wäre. Das kann Deutschland nicht verkraften. Deshalb ist der Auftrag klar: Wir brauchen mehr qualifizierte Zuwanderer.

(Zuruf von der FDP)

– Dass Hessen einfach weg wäre, das macht natürlich besonders den hessischen Kollegen Sorgen. Das muss uns aber auch insgesamt Sorgen machen.

Liebe Kollegin Kolbe, das ist keine Sache, die nur die Unternehmen etwas angehen sollte. Das ist übrigens auch kein Gegensatz zur Qualifikation der leider arbeitslosen Menschen, die wir heute in diesem Land haben. Nicht Entweder-oder, sondern Sowohl-als-auch muss die Devise sein; denn jeder Hochqualifizierte, der kommt, schafft doch in Deutschland weitere Arbeitsplätze.

Liebe Kollegin Kolbe, dem Facharbeiter am Band bei BMW ist es vollkommen egal, ob der leitende Ingenieur ursprünglich aus Südamerika kommt oder in Deutschland geboren wurde. Wenn der Ingenieur jedoch fehlt und die Ingenieurstelle nicht besetzt werden kann, sind auch die Arbeitsplätze am Band gefährdet. Deshalb geht es hier nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. Es geht um Qualifikation im Inland und um mehr qualifizierte Zuwanderer aus dem Ausland.

(Beifall bei der FDP – Iris Gleicke (SPD): 29 000 arbeitslose Ingenieure! Vielleicht qualifizieren Sie die!)

Wir brauchen dafür ein einfacheres und transparenteres System, weil wir die Entwicklung anhand der Qualifikation der Zuwanderer und anhand der Bedürfnisse auf dem Arbeitsmarkt steuern müssen und vor allem weil das deutsche Kontensystem zu kompliziert ist.

Wenn sich ein junger Vietnamese beispielsweise dafür interessiert, in ein anderes Land zu gehen, dann ist es unrealistisch, dass er nach Deutschland kommt, wenn es auf der einen Seite ein System wie in Kanada gibt, wo er innerhalb von fünf Minuten auf der Homepage der Botschaft ermitteln kann, ob er zuwandern darf oder nicht, und wenn es auf der anderen Seite ein System gibt, wie wir es heute in Deutschland haben, bei dem er erst den Stellenteil einer deutschen Tageszeitung wälzen muss und dann noch möglicherweise anwaltliche Beratung braucht, um herauszufinden, wie er hierherkommen kann. Das kann nicht so bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb brauchen wir ein einfacheres System.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mir persönlich ist es ganz egal, wie das System heißt. Mich überzeugt ein Punktesystem, weil die Erfahrungen damit beispielsweise in Kanada so gut sind.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Rede!)

Deshalb halte ich das für einen guten Vorschlag. Mich überzeugt auch, dass zum Beispiel die Arbeitsplatzfrage dabei ganz smart in ein System integriert wird. Welches System dies ist, ist aber nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, dass es funktioniert, dass es steuert und dass es einfach ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, jetzt kommen wir zu den Unterschieden. Wir brauchen nämlich nicht nur ein gutes Zuwanderungssystem. Sondern wir brauchen – und darüber schweigen Sie sich leider völlig aus – das Bewusstsein, dass wir aktiv um die Fachkräfte in der Welt werben müssen. Natürlich geht es um die deutsche Wirtschaft. Es geht aber auch um die Politik. Wir müssen deutlich machen, dass wir diese Menschen zu uns holen wollen. Daran hapert es bisher. Dazu sagen Sie in dem Antrag leider überhaupt nichts.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das halten wir für so selbstverständlich, dass wir nichts hineingeschrieben haben!)

Darüber hinaus – dabei hat das Innenministerium vollkommen recht – brauchen wir eine Willkommenskultur. Wir brauchen eine Kultur, die deutlich macht, dass wir wollen, dass die Menschen hier auch anerkannt werden. Schauen wir uns doch einmal die Situation der Fachkräfte an, die heute schon in Deutschland sind. Uns berichtet nicht nur beispielsweise das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass es immer wieder Probleme mit deutschen Ämtern gibt. Die Betroffenen stehen vor der Situation, dass etwa ihre Qualifikation hier nicht anerkannt wird. Dazu kann ich nur sagen: Wir brauchen ein Ausländerrecht, das den Menschen deutlich macht, dass sie hier willkommen sind.

Eine Bekannte von mir ist eine junge Philippinin, die an einer amerikanischen Topuniversität gut ausgebildet wurde. Sie hat mir gegenüber nicht gerade den Eindruck vermittelt, dass sie von den deutschen Ausländerämtern besonders hofiert worden sei. Dabei ist es eindeutig eine junge Person, die unsere Gesellschaft bereichern könnte.

Außerdem müssen bei uns mehr Abschlüsse anerkannt werden. Da kann ich die Kritik der Opposition nicht verstehen; schließlich ist es doch diese Bundesregierung, die sich vorgenommen hat, dieses Thema jetzt anzugehen.

(Beifall bei der FDP – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Vogel, auch die Weichen richtig gestellt?)

Ganz klar ist: Wir brauchen drei W. Wir müssen erstens den Wettbewerb aufnehmen; durch ein kluges System müssen die klügsten Köpfe ausgewählt werden. Wir müssen zweitens Werbung für unser Land machen, und wir müssen drittens eine Willkommenskultur schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Formulierungshilfen von der Opposition, insbesondere von Ihnen, brauchen wir dafür nicht. Dieses Thema hat die Regierung sich längst vorgenommen; es ist bei der Koalition in guten Händen. Schwarz-Gelb schafft es am ehesten, die Zuwanderungssteuerung, die Werbung und die Willkommenskultur zusammenzubringen, eher als Sie jedenfalls. Das zeigt sich an den Zahlen. Schaut man sich einmal die Zahlen von 2009 an, stellt man fest, dass, wie ich eben schon gesagt habe, leider mehr hochqualifizierte Menschen aus- als zugewandert sind. Trotzdem sind viele gekommen.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die sind alle wegen Guido Westerwelle eingewandert, oder was? Das glauben aber nur Sie!)

Interessant ist, sich anzuschauen, in welche Bundesländer die Einwanderer im Jahre 2009 gegangen sind. Für mich nicht überraschend standen an der Spitze der Rangliste natürlich drei damals glücklicherweise schwarz-gelb regierte Länder: Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Das zeigt: Hochqualifiziertenzuwanderung und Fachkräftemangelbekämpfung sind bei Schwarz-Gelb in besseren Händen als bei Ihnen. Deshalb werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das zeigt, dass vor allem die FDP Zuwanderung braucht!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Jutta Krellmann (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich wiederhole, was meine Kollegen Sevim Dagdelen gesagt hat: Es gibt keinen Fachkräftemangel in Deutschland. Diese Aussage kommt nicht von mir – ich führe nämlich keine Untersuchungen durch -, sondern sie beruht auf einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben Sie im Focus gelesen!)

Wollen wir hinterher noch einmal reden? Rufen Sie jetzt nicht dazwischen, bitte.

(Beifall bei der LINKEN – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zitieren Sie jetzt die gleiche Studie noch einmal?)

Worum geht es, wenn führende Unternehmen über unbesetzte Ingenieurstellen klagen und sogenannte Experten schon eine Verlängerung der Arbeitszeit auf 50 Stunden in der Woche heraufbeschwören? Ich sage: Fachkräfte sind da; aber der Wirtschaft sind sie zu teuer. Persönlich habe ich mich die ganze Zeit über eine Diskussion über Fachkräftemangel gefreut, weil die Fachkräfte endlich einmal selbstbewusste Forderungen stellen konnten, zum Beispiel in Tarifrunden. Das geht nun nicht, weil die Wirtschaft jetzt im Grunde schaut, wie man dem Fachkräftemangel über Zuwanderung aus dem Ausland begegnen kann; sie hat die Diskussion darüber ganz einfach wieder entdeckt. Den Fachkräften aus dem Ausland kann man weniger Gehalt als den heimischen Beschäftigten zahlen, und darum drängen die Arbeitgeberverbände auf eine schnelle Lösung, die diesen Menschen einen leichten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht. Das wird der Wirtschaft gerecht, aber nicht den Menschen, weder denjenigen, die hier leben, noch denjenigen, die zu uns kommen.

Die Grünen fallen genau auf diesen Trick und diese Überlegung herein. Die Debatte um Fachkräftemangel ist nicht neu, die zweifelhaften Lösungen auch nicht. Waren es vor gut zehn Jahren die IT-Spezialisten, sind es heute Ingenieure und Techniker, und das auch nur in einigen Branchen. Wir erinnern uns an Rüttgers peinliche Debatte um ?Kinder statt Inder?. Die Greencard war ein Reinfall. Anstatt über gesteuerte Fachkräftezuwanderung mit Karten und Punkten zu sinnieren, müssen wir doch erst einmal über das eigentliche Thema reden, und das ist im Grunde die verkorkste Arbeitsmarktpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung und rund 4,1 Millionen Menschen ohne Arbeit. Dazu kommen viele verdeckte Erwerbslose; sie sind nicht mitgerechnet.

Jahrelang hat sich die herrschende Politik um die junge Generation nicht gekümmert. Betriebliche Ausbildungsplätze wurden abgebaut, und stattdessen wurden sinnlose Warteschleifen und Schmalspurausbildungen eingerichtet. Nicht einmal ein Viertel der Betriebe bildet aus. Die drei Viertel, die nicht ausbilden, schreien jetzt am lautesten nach Facharbeitern.

Die Unterzeichnung des Ausbildungspakts ist keine drei Monate her. Dort hätten Arbeitgeberverbände einfach die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze vereinbaren können. Das haben sie nicht getan. Es galt, lieber stillzuhalten und zu warten, ob es billige Fachkräfte aus dem Ausland gibt.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es geht ja nicht um billig!)

Dazu muss man ja keine eigenen Investitionen tätigen. Gerade für die 1,5 Millionen jungen Menschen, die sich qualifizieren wollen, ist das wie ein Schlag ins Gesicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei der Qualifizierung der Beschäftigten sieht es auch nicht besser aus. Dort haben viele Arbeitgeber in den letzten Jahren einfach geschlafen und zu wenig in die Weiterbildung investiert. Auch diese Betriebe rufen jetzt nach qualifizierten Facharbeitern. Als Gewerkschafterin sage ich den Betrieben: Übernehmen Sie endlich die Verantwortung und bilden Sie Ihre Beschäftigten weiter bzw. bilden Sie junge Menschen aus.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Solange darf keiner einwandern!)

– Mit Ihnen rede ich auch hinterher noch mal gerne. –

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist das beste Mittel gegen Fachkräftemangel.

Ich kenne einen jungen Industrieelektroniker, der sich zum Techniker weiterqualifiziert hat. Aber sein Betrieb hat ihn nicht entsprechend seiner höheren Qualifikation beschäftigt. Der hat lieber Mitarbeiter von außen geholt. Dieser junge Kollege hat sich dann entschieden: Ich gehe nach Norwegen und suche mir da einen Arbeitsplatz. Er hat dort eine Perspektive gefunden.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja rechtswidrig!)

Das kann ich absolut nachvollziehen. Ich sehe auch, dass das kein Einzelfall ist. Ich persönlich kenne noch mehrere Kollegen, die hochqualifiziert sind und heute überlegen, ins Ausland zu gehen, um ihre Qualifikation, die auch eine Halbwertzeit hat, entsprechend einzusetzen.

Deutschland ist mittlerweile – das ist auch schon gesagt worden – kein Einwanderungsland, sondern ein Auswanderungsland. Da bilden sich Menschen ohne staatliche oder betriebliche Hilfe weiter, und sie werden trotzdem ignoriert. Ich kann es den jungen Leuten nicht verdenken, wenn sie in Richtung Auswanderung denken. Wenn wir Facharbeiter haben wollen, müssen wir den Facharbeitern auch eine Chance geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Daneben gibt es noch Millionen von erwerbslosen Menschen, die auf eine Chance warten, auch ausgebildet zu werden. Gleichzeitig aber winkt die Bundesregierung ihr Sparpaket mit massiven Einsparungen bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten durch.

Die Erwerbssituation in Deutschland befindet sich in einer Schieflage. Ich gebe allen recht, die so darüber reden. Schuld daran ist eine verfehlte Arbeitsmarktpolitik, die eher bereit ist, aus fähigen Beschäftigten Leiharbeitnehmer zu machen, als sie anständig zu bezahlen. Ihre Arbeitsmarktpolitik macht Druck auf die Arbeitnehmer und versucht, sie gegeneinander auszuspielen. Anstatt junge und ältere Beschäftigte einzustellen, Frauen mit Kindern zu unterstützen, Menschen mit Behinderung eine Chance zu geben und nicht zuletzt den hier lebenden Migranten endlich ihre im Ausland erworbenen Abschlüsse anzuerkennen, werden nun wieder einmal internationale Fachkräfte gesucht.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es geht um qualifizierte Zuwanderung und ordentliches Gehalt!)

Hauptsache, sie sind schneller und billiger als hier zu bekommen. Die Linke spielt da nicht mit. Die Menschen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir brauchen keine Bewertung der Menschen nach Nützlichkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern freie Zugänge für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und den gleichen Lohn für gleiche Arbeit – egal ob sie zu uns kommen oder schon bei uns sind. Deshalb brauchen wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn sowie gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor allem brauchen wir eine Arbeitsmarktpolitik, die den Menschen und nicht die Maximalprofite in den Mittelpunkt stellt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich zitiere zunächst:

Der wachsende Fachkräftemangel ist in dieser Legislaturperiode das Megathema.

Er droht mittelfristig die gesunde wirtschaftliche Entwicklung abzuwürgen und zum Treiber für neue Arbeitslosigkeit zu werden. ?

Jetzt frage ich Sie mal: Von wem stammt wohl dieses Zitat?

(Max Straubinger (CDU/CSU): Von Brigitte Pothmer!)

– Das ist nicht von mir – Sie können jetzt nicht sagen: Pothmer übertreibt mal wieder -, sondern das stammt von Ihrer eigenen Arbeitsministerin Frau von der Leyen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, Frau von der Leyen hat recht. Sie werden ihr doch jetzt den Applaus nicht verweigern.

Obwohl die Erkenntnis in dieser Regierung ganz offenbar da ist – mindestens in Teilen der Regierung -, führt die Koalition hier eine richtige Geisterdebatte. Die Union verweigert jede Einsicht in die gesellschaftlichen Realitäten, und die FDP verleugnet sich.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Nein, nein!)

Sie teilen hier voll und ganz das Konzept, das wir Ihnen vorstellen, und gleichzeitig sagen Sie: Wir werden dem nicht zustimmen. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dann müssen Sie sich nicht wundern, dass der gelbe Balken bei den Wahlumfragen sozusagen im Nichts verschwindet.

Dabei ist eines doch wirklich längst klar: Es geht nicht um ein Entweder-oder; es geht um ein Sowohl-als-auch.

(Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Das stimmt! Aha! Sie haben gut zugehört, Frau Kollegin!)

Es geht auch um die Förderung Einheimischer. Sie dürfen nicht gegen Zuwanderer ausgespielt werden. Aber was für eine Politik betreibt diese Bundesregierung? Sie von der Bundesregierung betreiben nicht nur eine Politik des Entweder-oder; Sie betreiben eine Politik des Weder-noch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD[/efn_note]

Sie sperren sich gegen eine notwendige und sinnvolle Zuwanderung, und Sie tun nichts, aber auch gar nichts, um Arbeitslosen tatsächlich die Chance zu geben, auf die neu entstehenden Arbeitsplätze zu kommen.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Falsche Debatte!)

Herr Bosbach sagte gerade, das sei jetzt die wichtigste Aufgabe. Aber gleichzeitig kürzen Sie den Eingliederungstitel für Langzeitarbeitslose um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

(Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Weil viel eben nicht immer viel wirkt! – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist scheinheilig!)

Wie soll denn dann die Eingliederung gelingen? Genau in dem Moment, in dem das erste Mal die Arbeitsplätze da sind, für die wir die Leute qualifizieren könnten, streichen Sie diesen Titel zusammen, berauben die Menschen der Chancen und berauben die Wirtschaft der Chance, weiter zu wachsen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Aber auch die Potenziale der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund heben Sie nicht. Es gibt immer noch den Pizza ausfahrenden Ingenieur, und es gibt immer noch die Ärztin, die als Putzfrau arbeitet. Dazu sagt der Parlamentarische Staatssekretär Schröder: Wir kümmern uns. – Ja, Sie kümmern sich. In dieser Regierung sind fünf Ministerien damit beschäftigt, sich diesem Thema zuzuwenden. Das bekommt dem Thema ausdrücklich gar nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie streiten sich wie die Kesselflicker, und in der Sache bewegt sich nichts.

Ich will Ihnen einmal Folgendes sagen: Der Fachkräftemangel fängt in dieser Bundesregierung an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Sie waren schon mal richtig inhaltlich!)

Ein Gesetzentwurf zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse, Herr Schröder, wurde uns schon für das Jahr 2010 angekündigt.

(Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Sie hatten sieben Jahre Zeit!)

Jetzt ist 2011, und es liegt immer noch kein Gesetzentwurf vor.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was zu erwarten war!)

Sie kümmern sich, aber es passiert nichts. Hören Sie auf, sich zu kümmern! Tun Sie endlich etwas!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch einen Punkt nennen. Das Wachstum der Zukunft könnte weiblich sein. Wenn wir die Potenziale nutzen würden, die in den hochqualifizierten Frauen stecken, dann wäre es möglich, dass 2,4 Millionen Frauen mehr auf dem Arbeitsmarkt tätig werden. Sie könnten einen Beitrag leisten, auch zur Produktivität und zum wirtschaftlichen Wachstum. Wenn wir, wie skandinavische Länder auch, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich vorantreiben würden, hätten wir da ein immenses Potenzial. Aber um das zu erreichen, müssten wir natürlich auch die Kommunen besser ausstatten. Sie rasieren die Kommunen und fordern gleichzeitig mehr Kinderbetreuungseinrichtungen. Das funktioniert nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch das Potenzial Älterer wird in Deutschland bei weitem nicht genutzt. Es reicht aber nicht aus, einfach die Rente mit 67 zu beschließen. Sie brauchen auch ein Konzept, das es ermöglicht, die Älteren tatsächlich länger im Erwerbsleben zu halten. Auch da ist eine große Leerstelle.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wenn wir nichts unternehmen, dann laufen wir sehenden Auges auf das zu, was Frau von der Leyen immer ein Horrorszenario genannt hat: auf einen exorbitanten Fachkräftemangel bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit. Das ist das zentrale Versagen Ihrer Politik.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl für die Fraktion der CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Unbestritten ist, dass wir zwei Probleme haben. Wir haben zum Ersten ein demografisches Problem. Die Gesellschaft wird – glücklicherweise – immer älter, und die arbeitende Bevölkerung wird leider Gottes immer weniger. Das heißt, die Versorgung der Alten ist gefährdet. Zum Zweiten haben wir einen Fachkräftemangel, der – auch das ist erwiesen – zunimmt und nicht abnimmt. In der Beschreibung dieser beiden Probleme sind wir uns einig.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bis auf die Linke!)

Bei der Lösung dieser Probleme gehen die Wege allerdings weit auseinander. In der Debatte war von den Linken ein ganz einseitiger und wirtschaftsfeindlicher Ansatz zu spüren. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Linken sind für eine Abschottung, sie wollen zum Schutz der Arbeitslosen niemanden hineinlassen. Außerdem fordern sie eine Erhöhung der Löhne.

(Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Wir sind für Mindeststandards für alle Menschen!)

Auf der anderen Seite gibt es zu wirtschaftsfreundliche Töne. Es wird so getan, als könne der Staat diese Probleme alleine lösen, indem er für Zuwanderung sorgt, und die Wirtschaft müsse dann nur hochqualifizierte Arbeitnehmer einstellen.

Herr Veit, Sie als erfahrener Ausländerrechtler und Gutmensch sind natürlich der alten Meinung: ? Macht hoch die Tür, die Tor macht weit! Lasst möglichst viele Menschen herein! Die Qualifizierung überprüfen wir später.?

(Rüdiger Veit (SPD): Ein paar mehr, als wir haben!)

Die Probleme sind aber sehr vielschichtig. Herr Kilic, Sie sind ein Paradebeispiel für einen hochqualifizierten Menschen, der sein Land verlassen hat und jetzt bei uns ist.

(Rüdiger Veit (SPD): Das gilt für Bayern manchmal auch!)

Sie kommen aus einem Land, das durchaus Hochqualifizierte Ihres Schlages brauchen könnte.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist das jetzt eine Aufforderung zu gehen oder was?)

Wir haben in Deutschland – das ist das Problem – 3 Millionen Arbeitslose. Wir haben in der EU – wir müssen uns vorrangig um die dort lebenden Menschen kümmern – 20 Millionen Arbeitslose. Deshalb kann man nicht einfach die Grenzen öffnen. Man muss sich sehr kluge Gedanken machen, was die probaten Mittel der Steuerung sind. Darüber sollten wir ruhig streiten.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Das ist richtig!)

Wenn die Deutschen oder die EU-Bürger, die hier leben, Vorrang haben sollen, dann müssen wir sehr sorgfältig auswählen, wer in unser Land herein darf und wer nicht. Wenn wir das nicht tun, gefährden wir den sozialen Frieden. Der Herr Staatssekretär Schröder hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht allein Aufgabe des Staates, sondern auch Aufgabe der Wirtschaft ist, dafür zu sorgen, dass wir in diesem Bereich zu Lösungen kommen. Sie von Rot-Grün hätten auch darauf kommen können, dass das nicht alleinige Aufgabe des Staates ist.

Wir haben – das ist auch von Ihnen, Frau Pothmer, schon angesprochen worden – ein großes Potenzial an Arbeitslosen, an älteren Menschen, an Frauen und jungen Menschen, die nicht gut qualifiziert und ausgebildet sind, um das wir uns erst einmal kümmern müssen, bevor wir die Grenzen öffnen.

(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie müssen dafür auch Mittel zur Verfügung stellen!)

An dieser Stelle haben Sie uns viele Vorwürfe gemacht. Aber diese Vorwürfe richten sich auch gegen Ihre Partei, die Grünen, weil Sie in den sieben Jahren Ihrer Regierung auf diesem Gebiet nicht viel bewirkt haben.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben die Mittel erhöht!)

Das Problem zu erkennen, ist das eine, und das Problem zu lösen, ist das andere. Mir fallen aus den sieben Jahren keine Beispiele dafür ein, dass Sie erfolgreich an Lösungsvorschlägen gearbeitet hätten.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die vergangenen sieben Jahre haben Sie doch regiert!)

Ich möchte auf keinen Fall einer Abschottungspolitik das Wort reden. Wir in Deutschland schotten uns nicht ab. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Sie waren gestern nicht hier, als es um den Migrationsbericht ging!)

Einfältige Menschen behaupten allen Ernstes, man müsse 66 000 Euro verdienen, um nach Deutschland hereinzukommen. Das ist – mit Verlaub – dummes Zeug.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Viele Menschen – im letzten Jahr waren es übrigens 25 000 – sind nach Deutschland gekommen, obwohl sie weniger als 66 000 Euro verdienen. Wir haben eine sehr kluge Differenzierung: Herausragende Wissenschaftler sollen kommen. Lehrkräfte an Hochschulen sollen kommen, egal was sie verdienen. Führungskräfte mit hohem Einkommen sollen kommen. Es gibt eine weitere Personengruppe, über deren Qualifikation wir nicht viel wissen, die aber sehr viel verdient, nämlich mehr als 66 000 Euro. Wenn die Wirtschaft für Arbeitskräfte aus dieser Gruppe so viel Geld ausgeben will, dann müssen sie nützlich und wichtig für den Betrieb und damit auch nützlich und hilfreich für uns sein. Dann sollen sie kommen, egal welche Qualifikation sie haben.

Dieser Sonderfall von Menschen mit einem Verdienst von über 66 000 Euro, den wir mit einer Niederlassungserlaubnis belohnen – dem höchsten Status, den man bekommen kann -, wird hier zur Norm erklärt. Es wird erzählt, dass man 66 000 Euro verdienen müsste und nur dann kommen dürfte. Das – noch einmal – ist dummes Zeug.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer hat das denn gesagt?)

Lassen Sie mich einige Worte zur Vorrangprüfung sagen. Diejenigen, die weniger verdienen, die qualifiziert sind und bei denen ein Arbeitgeber sagt: ?Ich habe einen Arbeitsplatz für ihn, bitte lasst ihn rein!?, unterliegen einer Vorrangprüfung. Ich kann nur von München berichten, wo ich mich mehrfach erkundigt habe. Die Arbeitsverwaltung da sagt: ? Unsere Vorrangprüfungen dauern maximal vier Wochen, und unsere Vorrangprüfung endet zu über 90 Prozent positiv für den Arbeitgeber und für den Drittstaatler.?

Es mag in Deutschland andere Fälle geben. Dann ist es Aufgabe der Arbeitsverwaltung, da Abhilfe zu schaffen, aber nicht für uns als Gesetzgeber, Paragrafen zu ändern. Die Vorrangprüfung ist ein richtiges, wichtiges und gutes Instrument.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein bürokratisches Monstrum!)

Wenn es dann nötig sein sollte, irgendwelchen Arbeitsagenturen dazu zu verhelfen, dass sie etwas schneller arbeiten, dann kann man mit uns darüber reden, ob man eine Zustimmungsfiktion einführt. Wenn alle Unterlagen vom Betrieb bei der Arbeitsagentur angekommen sind, tickt die Uhr. Wer zwei, drei oder vier Wochen lang keine Antwort gibt, dem unterstellen wir die Zustimmung – eine Zustimmungsfiktion. Das kann man alles machen. Das ist gar kein Problem.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Machen wir das!)

– Machen wir das. Ebenso machen wir einige andere Dinge, die uns wichtig sind. Wir wollen kein Lohndumping. Wir wollen nicht massenhaft Drittstaatler reinholen, damit der Lohn gedrückt werden kann.

(Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Dann führen Sie den Mindestlohn ein!)

Es ist nicht Aufgabe einer Christlich Demokratischen und einer Christlich Sozialen Union, hier für sozialen Unfrieden zu sorgen. Mit uns geht so etwas nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Sevim Dagdelen (DIE LINKE[/efn_note]

Warum ist das Punktesystem, von dem die Grünen so verliebt berichten,

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und die FDP auch!)

kein gutes System? – Letztlich ist das Punktesystem ein klassisch sozialistischer Zuteilungsansatz.

(Lachen bei der SPD und der LINKEN)

Ja, natürlich. Das heißt, der Staat stellt fest, wofür man Punkte bekommt und ab wie vielen Punkten man ins Land darf. Das ist eigentlich ein klassisch sozialistischer Denkansatz – Zuteilung!

Nein, wir knüpfen am konkreten Arbeitsplatz in der Wirtschaft an. Wenn eine Firma einen Arbeitsplatz anbieten kann, dann schaut der Staat, ob es dafür einen deutschen oder einen EU-Bürger gibt. Und wenn es keinen gibt, dann kommt der Drittstaatler rein. Das ist individuell, konkret und arbeitsplatzbezogen. Der Kollege Bosbach hat es hervorragend dargestellt. Reden Sie einmal mit dem Zuwanderungsminister in Kanada.

(Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Ist der Sozialist?)

Ich habe es getan und ihn gefragt: Was ist mit dem, der die Punkte erfüllt hat, jetzt da ist und keinen Arbeitsplatz hat? Das ist ja nicht arbeitsplatzbezogen, sondern kanadabezogen. Wer hilft dem? – Der schläft unter der Brücke. Der Staat hilft dem nicht. Machen Sie so etwas einmal in Deutschland. Wer hier ist, bekommt alle Wohltaten dieses Staates. Darauf sind wir stolz. Wollen Sie so ein System nach Deutschland transferieren? – Wir wollen es jedenfalls nicht.

Wir wollen auch nicht die soziale Kälte der Länder, die das so machen: Wer keinen Arbeitsplatz hat, schläft unter der Brücke. Das ist nicht unsere Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, auf den wir sehr großen Wert legen. Ab dem 1. Mai dürfen sehr viel mehr Menschen aus Osteuropa zu uns kommen und bei uns arbeiten. Wir haben dann 200 Millionen Erwerbsfähige in Europa – 200 Millionen mit der genannten Zahl von 20 Millionen Arbeitslosen. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die 20 Millionen Arbeitslosen weniger werden. Es wurde schon auf Spanien und andere Länder hingewiesen.

Lassen Sie mich zusammenfassen:

Erstens. Das hier lebende Potenzial an Arbeitskräften besser nutzen – Junge, Alte, Frauen.

Zweitens. Abwanderung Hochqualifizierter ins Ausland stoppen.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie?)

Hochqualifizierte aus dem Ausland anwerben, Studenten anwerben, Studenten, die hier ausgebildet worden sind, in die Arbeitsverhältnisse bringen und schließlich im Ausland für qualifizierte Arbeitnehmer werben. Das ist die Aufgabe Deutschlands. Den Rest muss die Wirtschaft erledigen. Das ist der Punkt, um den es uns geht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Manfred Nink für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Manfred Nink (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Deutschland diskutiert den Fachkräftemangel. Wir diskutieren heute das Thema Einwanderung von Fachkräften. Dabei ist bei den meisten Vorrednern unschwer zu erkennen, dass Innenpolitiker hier die Federführung haben und in erster Linie Verfahren bezüglich der Zuwanderung im Blick haben. Ich möchte meine Ausführungen deswegen mehr auf die arbeitsmarkt- und berufsbildungspolitischen Aspekte und mögliche Lösungsansätze lenken.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs und anderer Faktoren wie der demographischen Entwicklung wird von verschiedenen Seiten ein Mangel an Fachkräften beklagt. Eine Auswertung der Deutschen Industrie- und Handelskammer aus dem Jahr 2010 kommt zu dem Ergebnis, dass derzeit 20 Prozent der Unternehmen generell und jedes zweite Unternehmen zum Teil Probleme mit der Besetzung offener Stellen haben. Dabei wird darüber hinweggesehen – einige haben es schon erwähnt -, dass nach wie vor 3 Millionen Bürgerinnen und Bürger arbeitslos sind, davon ein Drittel länger als ein Jahr. Andere Veröffentlichungen besagen, dass 2009 bei den Ingenieurberufen circa 34 000 offenen Stellen rund 25 000 arbeitslose Ingenieure gegenüberstanden. Der Verband Deutscher Ingenieure nennt hierzu noch mehrere Tausend Absolventen mit Technikerausbildung. Fachkräftemangel?

Die genannte Berufsgruppe zählt zu den Fachkräften. Also liegen möglicherweise doch andere Gründe vor. Wir sollten uns deswegen hüten, den pauschalen Alarmrufen einiger Verbände nach mehr Potenzialeinwanderung leichtfertig zu folgen. Neutrale Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, aber auch des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommen ebenfalls zu einem differenzierteren Urteil. Sie stellen fest, dass von einem allgemeinen Fachkräftemangel aktuell nicht gesprochen werden könne; vielmehr unterschieden sich Engpässe nach einzelnen Berufsgruppen und Regionen sowie nach kurz-, mittel- und langfristigem Bedarf.

Während in Zukunft mehr Fachkräfte im mittleren Segment und Hochqualifizierte nachgefragt werden, nimmt der Bedarf an Geringqualifizierten ab. Die demografische Entwicklung wird sich ebenfalls langfristig auf den Arbeitsmarkt auswirken; auch das ist schon genannt worden. Eine verantwortungsbewusste Politik zur Deckung des aktuellen und zukünftigen Fachkräftebedarfs muss deshalb in der Tat differenziert und vorausschauend sein.

Da oft eine mangelnde Ausbildung durch die Unternehmen beklagt wird, ist der Fachkräftebedarf in Zukunft in erster Linie durch bessere Berufsausbildung zu decken. Dieser Schritt hat für die SPD Vorrang vor der weiteren Öffnung des Arbeitsmarkts für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus anderen Ländern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zwei Gründe sprechen dagegen. Erster Grund – auch das wurde schon genannt -: Deutschland hat einen der offensten Arbeitsmärkte für Akademiker weltweit. Seit 2009 können Hochqualifizierte weitgehend ohne Beschränkungen in Deutschland arbeiten. Es wird lediglich überprüft, ob es geeignete Bewerber aus dem Binnenraum der EU gibt und ob die Arbeitskräfte einen für diesen Arbeitsplatz bei uns üblichen Verdienst erhalten werden. Diese Möglichkeit wird in dem vorliegenden Antrag wenig berücksichtigt.

Auch scheint mir der vorliegende Antrag ein weiterer Versuch zu sein, frühere Anträge doch noch umsetzen zu wollen; denn wenn man einen weiteren im thematischen Zusammenhang zu sehenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, die Bundestagsdrucksache 17/3039, ?Entwurf eines ? Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes?, betrachtet, wird das Ansinnen der Antragsteller vielleicht deutlicher. Auch in der Begründung zum damaligen Antrag ging es im Wesentlichen um die Bekämpfung des Fachkräftemangels. Mit dem damaligen Antrag wollte man seitens des Antragstellers die festgelegte Höhe des Gehalts für Hochqualifizierte von derzeit 66 000 Euro auf 40 000 Euro reduzieren, was damals im Übrigen von der FDP abgelehnt wurde und heute als Ankündigung hier dargestellt worden ist.

Jetzt müsste man den Begriff Hochqualifizierte vielleicht einmal genauer definieren. Wir jedenfalls verstehen darunter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit besonderen fachlichen Kenntnissen, Spezialisten oder Personen, die leitende Führungsaufgaben übernehmen können. Wir haben als Bundestagsfraktion den damaligen Antrag unter anderem deswegen nicht mitgetragen, weil uns die Höhe der geforderten Gehaltssenkung willkürlich erschien und nur ein Aspekt der Gesamtthematik betrachtet wurde. Auch barg der Antrag die Gefahr des Lohndumpings und widersprach unserer Forderung von gutem Lohn für gute Arbeit. Nach der Rede des Kollegen Wolff von der FDP sollten sich die Grünen vielleicht einmal überlegen, ob wir mit unserer damaligen Befürchtung nicht doch recht hatten.

Ein weiterer Grund – auch darauf wurde schon hingewiesen -: Dem vorliegenden Antrag fehlt völlig der Hinweis auf den erleichterten Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland, der bereits ab dem 1. Mai dieses Jahres mit Arbeitnehmerfreizügigkeit für fast alle Mitgliedstaaten der EU die Möglichkeiten für die Gewinnung ausländischer Fachkräfte deutlich zunehmen lässt. Diese Arbeitnehmerfreizügigkeit bietet allen Angehörigen der Europäischen Union neue Chancen. Sie bietet auch den hiesigen Unternehmen die Chance, zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen.

Wie kann man hier helfen? Wir alle wissen: Gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen mangelt es aufgrund fehlender personeller und finanzieller Ressourcen oft an einer mittel- und langfristigen Personalplanung. Diesen Unternehmen müssen wir mit Servicestellen, Beratungsangeboten und Unterstützungsleistungen helfen, eine langfristige Personalentwicklung zu betreiben. Eine qualifizierte Beratung für kleine und mittlere Unternehmen muss flächendeckend sichergestellt werden, damit der zukünftige Bedarf an Fachkräften richtig eingeschätzt und frühzeitig darauf reagiert werden kann. Damit würde der Zugriff auf den deutschen Arbeitsmarkt erheblich erleichtert. Solche Möglichkeiten gilt es zuerst zu nutzen. Wir brauchen kein neues System für die Einwanderung von Fachkräften. Vielmehr geht es zunächst darum, vorhandene Ressourcen zu nutzen.

Wie können diese Voraussetzungen zukünftig geschaffen werden? Die vorhandenen Potenziale müssen genutzt, die Erwerbsbeteiligung muss erhöht werden. Mit der Nutzung der Potenziale der Menschen, die bereits in Deutschland leben, wird Vollbeschäftigung tatsächlich möglich. Die Möglichkeit eines beruflichen Aufstiegs muss den Vorrang vor der Einwanderung von Fachkräften haben. Dafür sind Verbesserungen notwendig. Hier ist die Berufsbildung zu nennen; denn der Mangel an geeigneten Arbeitskräften mit klassischer Berufsausbildung beruht zum großen Teil darauf, dass nicht genug ausgebildet wird. Hier stehen einige Forderungen im Raum – Sie kennen sie sicherlich -; ich kann sie aus Zeitgründen jetzt nicht wiederholen.

Das heißt also: Die Stärken der Erwerbstätigen müssen erkannt und ausgebaut werden. Wer bereits einen qualifizierten Berufsabschluss hat, muss die Möglichkeit zu Aufstiegsfortbildungen oder zum Hochschulzugang bekommen. Die Bedingungen für ältere Fachkräfte müssen verbessert werden; flexible Arbeitszeiten und spezifische Weiterbildungsangebote sind notwendig. Weitere Voraussetzungen sind attraktive Arbeitsplätze und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt.

Ein sich verstärkender Mangel an Fachkräften vor allen Dingen im Bereich Pflege und Erziehung beruht auf vergleichsweise unattraktiven Arbeitsbedingungen, auf Arbeitsplätzen ohne Zukunftsperspektive. Diese Arbeitsplätze müssen attraktiver werden. Man erreicht das nicht mit Druck auf das Lohnniveau und mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Viele Unternehmen haben dies erkannt; sie stehen hier in der Verantwortung. Intelligente Arbeitszeitmodelle, vor allem für Familien und ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sowie eine bessere Weiterbildungs- und Qualifizierungsberatung durch die Unternehmen selbst, damit die Arbeitnehmer mit den beruflichen Anforderungen Schritt halten können, sind für viele Unternehmen kein Fremdwort.

Sicherlich brauchen wir auf bestimmten Berufsfeldern abgestimmte Fachkräfteoffensiven. Ich denke hier beispielsweise an die MINT-Berufe. Wie eingangs erwähnt, sehen wir, die SPD-Bundestagsfraktion, aktuell grundsätzlich keinen Handlungsbedarf, neue Einwanderungsregelungen zu schaffen. Lassen Sie uns zunächst Erfahrungen mit der neu geschaffenen Arbeitsnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Mai sammeln.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das habe ich bei Herrn Veit vorhin anders verstanden! – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das entspricht aber nicht eurer Beschlusslage, was Sie da erzählen!)

Tatsache ist: Eine starke Wirtschaft braucht gut ausgebildete Menschen. Es ist die vorrangige Aufgabe im Land, die Voraussetzungen für eine gute Ausbildung zu schaffen, damit der zukünftige Bedarf an Fachkräften gedeckt werden kann. Es gibt ein großes Potenzial in unserem Land; geben wir ihm eine Chance.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Martin Lindner.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):

Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich möchte als Erstes dafür werben, hier kein künstliches Gegeneinander zwischen der Qualifizierung einheimischer Arbeitskräfte auf der einen Seite und der benötigten Zuwanderung ausländischer Fachkräfte auf der anderen Seite zu schaffen; das bringt nichts. Wir brauchen beides; wir werden ohne beides nicht auskommen. Da können wir uns im Bundestag noch so viel Mühe geben und persönliche Beiträge leisten: Ohne die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte wird es nicht gehen.

Wenn wir eine seriöse Bestandsaufnahme vornehmen, dann stellen wir fest, dass wir bisher Zuwanderer hatten, die nicht in der Weise qualifiziert waren, wie wir uns das vorstellen und wünschen. Die Menschen mit Migrationshintergrund bilden einen weit überproportionalen Anteil der Gruppe der Erwerbslosen; sie bilden einen überproportional großen Anteil der Gruppe der Empfänger von Sozialleistungen. Darüber müssen wir uns nicht wundern. Schauen Sie sich das Ausländerrecht an: Es ist ein völliges Durcheinander von humanitärer Zuwanderung auf der einen Seite und Zuwanderung von Menschen, die hier ihr Glück machen wollen, auf der anderen Seite. Das müssen wir dringend sortieren.

Wir haben ein System, das falsche Anreize schafft. Wenn wir bedenken, dass eine Familie mit drei Kindern hier eine Sozialleistung von etwas über 2 000 Euro pro Monat bekommt – das ist der Betrag, den eine solche Familie in Ostanatolien für schwere körperliche Arbeit pro Jahr bekommt -, dann können wir uns vorstellen, welche Anreize wir setzen. Auf der anderen Seite machen wir es Menschen, die gut ausgebildet und qualifiziert sind, überproportional schwer, nach Deutschland zuzuwandern.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Es gibt hohe bürokratische Hürden. Wir behandeln Fachkräfte, Manager und andere in Ausländerbehörden teilweise so, als seien sie Bittsteller. Dies muss endlich in Deutschland sortiert werden.

Auf der einen Seite haben wir die Einwanderung aus humanitären Gründen.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch sortiert!)

Auf der anderen Seite muss für diejenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen zuwandern, eine klare Geschäftsgrundlage geschaffen werden. Die heißt: Komm hierher, mach dein Glück; aber Sozialunterstützung gibt es erst einmal keine. Komm hierher, wir machen es dir einfach, bring auch deine Familie mit. – Klar muss aber sein, dass Zuwanderung in Arbeit stattfindet, dass Steuerzahler nach Deutschland kommen, aber nicht Steuergeldempfänger. Das muss die klare Direktive unserer Zuwanderungspolitik sein: keine Zuwanderung in Hartz IV.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war unser Vorschlag!)

Dafür müssen wir Fachkräften die Zuwanderung erleichtern. Es geht doch schon in den Schulen los. Wir müssen für deutsche Schulen im Ausland werben. Dort gibt es oft Sprachbarrieren, dort müssen die Grundlagen für qualifizierte Zuwanderung gelegt werden. Wir müssen uns überlegen, ob wir an den großen deutschen Universitäten die ingenieurwissenschaftlichen und wirtschaftswissenschaftlichen Fächer auch in Englisch anbieten. Es gibt gerade von potenziellen Zuwanderern aus dem asiatischen Raum aus sprachlichen Gründen eine Zurückhaltung, die wir überwinden müssen.

Dann können wir die Zuwanderung über ein System regeln. Sie können das Punktesystem nennen oder nicht; das spielt gar keine Rolle. Die Kriterien für die Zuwanderung und die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft müssen aber sein: Ausbildung, Fachausbildung, Sprachkenntnisse und auch – das finde ich – in Deutschland gezahlte Steuern. Das müssen die Grundlagen für Zuwanderung sein. Wenn wir diese Grundlagen haben, kommen wir dahin, dass wir attraktiv für die Richtigen sind.

(Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Viele Leute ertrinken auf dem Weg nach Deutschland im Mittelmeer!)

Dann vermeiden wir, dass wir zwar hohe Zuwanderung haben, aber uns qualifizierte Menschen mit und ohne Migrationshintergrund – das ist in den letzten Jahren geschehen – wieder den Rücken kehren und diejenigen zurückbleiben, die in den Argen stehen. Letzteres kann nicht sinnvoll sein.

Deswegen meine Bitte auch an die Koalitionspartner: Wir müssen versuchen, eine Systematik zu finden und das Zuwanderungsrecht neu zu sortieren. Der Kollege Bosbach hat recht, wenn er sagt, dass man nicht einfach ein Punktesystem aufpfropfen kann, ohne diese Systematik geschaffen zu haben. Deshalb können wir dem Antrag der Grünen nicht zustimmen. Er hat den richtigen Ansatz und geht in die richtige Richtung; aber Sie lösen die anderen Probleme nicht und beseitigen die Unsystematik im deutschen Ausländerrecht nicht. Sie fangen schon wieder an – Kollege Wolff hat es thematisiert -, Ihre eigenen Vorstellungen aufzuweichen und Ausnahmen zu schaffen. Das ist das Problem des bisherigen Ausländerrechts. An sich führt der Zugriff auf die sozialen Sicherungssysteme zur Ausweisung. Durch die ganzen Ausnahmen, die auch Sie wieder schaffen wollen, kreieren Sie ein wunderbares Beschäftigungsprogramm für Rechtsanwälte,

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

aber Sie werden nie eine klare Regelung erreichen, die die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt garantiert und die in die Sozialsysteme verhindert.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann man so nicht zuspitzen, finde ich!)

Das aber muss unsere Zielrichtung sein. Dazu brauchen wir neue Ideen und eine ganz neue Stoßrichtung. Diese Regelung muss auch dazu dienen, dass Deutschland seine wirtschaftliche Prosperität erhalten kann.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Swen Schulz das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Swen Schulz (Spandau) (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir über Fachkräfte und über Zuwanderung reden, dann müssen wir mindestens genauso intensiv darüber sprechen, wie wir die Menschen, die bereits hier leben, besser fördern und ihre Potenziale besser nutzen können.

(Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Diesen Gedanken enthält der Antrag der Grünen. So hat auch die SPD immer agiert. Es geht um eine Balance zwischen Zuwanderung und Investition in Bildung. So haben wir unter der Regierung Schröder zum Beispiel das Zuwanderungsgesetz gemacht und gleichzeitig Ganztagsschulen gefördert. In der Großen Koalition hat unser damaliger Arbeitsminister, Olaf Scholz, den Zuzug von Fachkräften erleichtert und gleichzeitig die Qualifizierung von Jugendlichen und Arbeitsuchenden verbessert.

Dieses Prinzip der Ausgewogenheit von Zuwanderung und Bildung gilt in der jetzigen Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP leider nicht mehr.

(Beifall bei der SPD)

Ganz im Gegenteil: Der Kollege Lindner – ich sehe ihn leider nicht; er scheint den Saal schon wieder verlassen zu haben – und andere vor ihm haben gesagt, wir brauchten beides, Zuwanderung und Bildung. Doch das, was diese Koalition praktiziert, ist ein entschiedenes Weder-noch. Sie streiten über die Zuwanderung, bekommen aber nichts auf die Reihe, und Sie kümmern sich nicht um das Potenzial der Menschen, die hier leben.

(Beifall der Abg. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD[/efn_note]

Das will ich an einigen Beispielen zeigen. Wer den Fachkräftemangel beklagt, der muss sich intensiv um die Bildung, die Ausbildung und die Qualifizierung der Jugendlichen in Deutschland kümmern. Die Situation ist schlimm: Jährlich verlassen etwa 65 000 Jugendliche die Schulen ohne Abschluss. 1,5 Millionen Jugendliche sind ohne Berufsausbildung. In diesem Bereich muss viel mehr investiert werden. Der damalige Arbeitsminister Olaf Scholz hat das Recht auf Nachholen eines Schulabschlusses verankert. Wir wollen Menschen eine zweite Chance geben. Wir wollen ein entsprechendes Förderprogramm. Unser Ziel ist: Keiner darf ohne Abschluss bleiben; keiner darf ohne Ausbildung bleiben. Da müssen wir hin.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Doch, sehr geehrter Herr Staatssekretär Schröder, die Koalition streicht die Mittel für die Förderung im Arbeitsbereich zusammen. Bis 2014 sollen dort sage und schreibe 16 Milliarden Euro eingespart werden.

(Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Und zweieinhalb Millionen Arbeitslose weniger! Das ist das Ziel!)

Die Förderung soll dem Belieben der Agentur überlassen werden. Demnach soll nur noch nach Kassenlage finanziert werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, es passt nicht zusammen, dass Sie die Mittel für Qualifizierung in Deutschland zusammenstreichen, aber den Fachkräftemangel beklagen. Das merken die Bürgerinnen und Bürger, und wir werden sie auch immer wieder darauf hinweisen.

(Beifall bei der SPD)

Schauen wir uns die Schulen an. Wir als SPD haben ein Ganztagsschulprogramm auf den Weg gebracht. Was machen Sie? Sie lehnen unsere Initiativen rundweg ab. Ein aktuelles Beispiel ist die Diskussion über Bildungsteilhabe. Wir wollen erreichen, dass an allen Schulen Sozialarbeiter eingesetzt werden. Das wäre ein erster Schritt zu einer besseren Unterstützung und Förderung von Schülerinnen und Schülern.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Das müssen die Länder tun! Das ist Länderhoheit!)

Was macht die zuständige Ministerin von der Leyen? Sie zögert, sie ziert sich, sie taktiert und sucht Ausflüchte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, investieren Sie doch einmal in diesem Bereich. Das wäre ein Beitrag. Das wäre etwas anderes als die Ministeuersenkung, die Sie gestern beschlossen haben. Das wäre etwas, wodurch wir wirklich vorankämen.

(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann (FDP): Erzählen Sie doch einmal etwas von den Berliner Verhältnissen!)

Wer über den Fachkräftemangel redet, der muss sich auch einmal die vorschulische Bildung und Betreuung anschauen. Sie ist für Eltern, vor allem für Alleinerziehende, von großer Bedeutung, damit sie überhaupt arbeiten können.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Ich fürchte, er glaubt wirklich, was er da erzählt!)

Natürlich werden im vorschulischen Bereich Grundlagen für die Bildung und damit für die Fachkräfte von morgen gelegt. Wir von der SPD haben eine engagierte Politik für eine bessere und eine weiter gefasste vorschulische Bildung und Betreuung gemacht.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Nur keine Bezahlung!)

Diese Koalition hingegen macht nichts.

Seitdem die SPD aus der Regierungsverantwortung – leider – raus ist, passiert auf diesem Gebiet überhaupt nichts mehr. Die Arbeit ist eingestellt worden, mit einer Ausnahme – ein Punkt ist insbesondere der CDU/CSU wichtig -, dem Betreuungsgeld. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: In einer Zeit, in der wir über Bildungsprobleme und Fachkräftemangel reden, wollen Sie Eltern Geld dafür geben, eine Prämie dafür auszahlen, dass sie

(Max Straubinger (CDU/CSU): Kinder erziehen! Das ist gut angelegtes Geld!)

ihre Kinder nicht in eine Bildungseinrichtung schicken. Das ist Wahnsinn.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dann ist da noch die Sache mit der Anerkennung der Abschlüsse; dieses Thema spielte auch in dieser Debatte teilweise eine Rolle. In Deutschland leben bereits Zugewanderte, die qualifiziert sind, deren Qualifikation aber nicht anerkannt wird. Es gibt in Deutschland 300 000 bis 500 000 Fachkräfte, die nicht adäquat eingesetzt werden. Die SPD hatte mit ihrem Arbeitsminister Olaf Scholz bereits einen Vorschlag für ein Anerkennungsgesetz vorgelegt. Damals wollte die CDU/CSU davon überhaupt nichts wissen. Jetzt steht es sogar in der Koalitionsvereinbarung. Wunderbar! Es stellt sich die Frage: Was ist eigentlich passiert?

Ich habe ein paar Unterlagen mitgebracht. Am 9. Dezember 2009 hat Staatsministerin Böhmer gesagt:

Das Bundeskabinett hat grünes Licht für eine gesetzliche Regelung gegeben.

Wunderbar! In einem Zeitungsinterview sagte sie: Das Problem brennt uns wirklich auf den Nägeln. Daher wollen und müssen wir 2010 zu Ergebnissen im Gesetzgebungsverfahren kommen. – Dann ist erst einmal gar nichts passiert, sodass ich bei der Bundesregierung nachgefragt habe. Auf meine Frage hat mir Staatssekretär Rachel, der auch anwesend ist, am 7. Juli 2010 geantwortet:

Nach derzeitigem Planungsstand soll ein ? Referentenentwurf im auslaufenden Sommer 2010 vorgelegt werden.

Am 7. Oktober 2010 – man könnte sagen: das ist auslaufender Sommer – hat Staatsministerin Böhmer im Deutschen Bundestag gesagt: Wir brauchen dieses Gesetz schnell. Es soll bis Dezember vorliegen.

(Iris Gleicke (SPD): Ja! Sie hat aber nicht gesagt, in welchem Jahrzehnt!)

Bis heute liegt gar nichts vor, weder ein Referentenentwurf noch ein Gesetzentwurf noch ein Gesetz.

(Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Peinlich!)

Gestern haben wir hier im Deutschen Bundestag Innenminister de Maizière gefragt: Wann kommt der Gesetzentwurf? Er wusste es nicht. Er konnte uns keine Antwort geben. Was sind Sie für eine Chaostruppe?

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN[/efn_note]

Wenn Sie nur halb so viel Energie in die Lösung dieses Problems investieren würden wie in Ihren Streit um Zuwanderung, dann kämen wir tatsächlich weiter.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist der Kollege Albert Rupprecht für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Die Debatte um das Punktesystem ist in der Tat sehr symbolträchtig. Ich finde, es ist eine übersteigerte und verengte Debatte, die für Zeitungsüberschriften gut ist, uns aber aufgrund der Breite und Vielschichtigkeit des Themas Fachkräftemangel leider Gottes nicht wirklich weiterhilft.

Noch einmal zur Prioritätensetzung – es ist mehrfach gesagt worden, dass das für die Unionsfraktion die Grundlage ist -: An erster Stelle steht, das nationale Potenzial auszuschöpfen. Hier gibt es noch viel zu tun und viel Potenzial zu heben.

(Rüdiger Veit (SPD): Da sind wir uns einig! Also macht es doch endlich!)

Zum Zweiten geht es darum, die Abwanderung unserer gut ausgebildeten Deutschen zu stoppen. Erst an dritter Stelle kommt die Zuwanderung der besten Köpfe aus dem Ausland. Hier sind in der Tat punktuelle Verbesserungen im Ausländerrecht notwendig, aber es braucht keinen grundsätzlichen, radikalen Systemwechsel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zum ersten Punkt, zur Ausschöpfung des nationalen Potenzials. Ausbildung, Qualifizierung und Bildung unserer Bevölkerung haben die höchste Priorität. Herr Kollege Schulz, mit Verlaub gesagt: Das, was Sie hier erzählt haben, gehörte schlichtweg in eine Märchenstunde. Gemessen an 2005, als wir von Rot-Grün die Verantwortung übernommen haben, steigern wir den Bildungshaushalt auf Bundesebene um sage und schreibe 74 Prozent. Das ist unsere Prioritätensetzung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Rot-Grün hat geredet, und wir handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Herr Schulz, allein den Etat für die Studienfinanzierung, von der Sie ständig reden, haben wir gegenüber dem Endzeitpunkt von Rot-Grün bis heute um 53 Prozent gesteigert, und obwohl es nicht unsere originäre Aufgabe ist, unterstützen wir die Hochschulpolitik der Länder mit sage und schreibe 6 Milliarden Euro. Das ist unsere Prioritätensetzung in der Bildung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Erfolge lassen sich sehen: Mit 46 Prozent eines Jahrganges, die an eine Hochschule gegangen sind, haben wir die höchste Quote erreicht, die es je gab. Das ist eine dramatische positive Steigerung und bedeutet mehr Know-how und mehr Qualifizierung für unsere jungen Menschen.

PISA hat gezeigt, dass Deutschland durch viele Anstrengungen beim Lesen, beim Rechnen und bei den Naturwissenschaften Schritt für Schritt wieder an die Weltspitze zurückkehrt.

(Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weltspitze?)

Es wurde im Übrigen auch bestätigt, dass die Ergebnisse der Bildungspolitik in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen meilenweit besser sind als in den SPD-Ländern. Wir können gerne über Bildungspolitik auf Bundesebene reden; hier tun wir vieles. Es ist aber auch notwendig, die Diskussion darüber zu führen, was in den einzelnen Ländern getan wird und welche Modelle wirklich erfolgreich sind. Es ist eindeutig, dass die unionsgeführte Bildungspolitik wesentlich erfolgreicher ist.

(Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel (SPD): Sie haben PISA nie gelesen! Geben Sie es zu, Herr Rupprecht!)

Es geht an allererster Stelle um eine gute Politik, um die Stärken und die Fähigkeiten der Menschen in Deutschland zur Geltung zu bringen. Sie haben die Zahl erwähnt: 2,7 Millionen Deutsche sind ohne Schulabschluss. Das ist der eigentliche Skandal. Ich sage aber auch: Das SPD-geführte Bundesland Brandenburg hat eine doppelt so hohe Schulabbrecherquote wie beispielsweise die Länder Baden-Württemberg und Bayern.

(Jens Ackermann (FDP): Hört! Hört!)

Das ist der Unterschied. An den Ergebnissen zeigt sich letztendlich, welche Konzepte vernünftig sind, welche zu Erfolgen führen und welche nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir geben uns damit aber nicht zufrieden. Wir stemmen uns mit aller Kraft gegen die Tatsache, dass bis zu 20 Prozent unserer Kinder durchs Raster fallen. Deswegen werden wir die Länder durch Bildungsketten – dafür haben wir in diesem Jahr 100 Millionen Euro im Haushalt eingestellt – und viele andere Maßnahmen bei ihrer originären Aufgabe unterstützen. Wir geben hier vonseiten des Bundes erheblich Gas.

Wir sorgen dafür, dass die Berufsabschlüsse der in Deutschland lebenden Ausländer anerkannt werden.

(Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Wann?)

Man kann gerne darüber reden, ob Dezember, Januar, Februar oder März der richtige Zeitpunkt dafür ist; aber das ist nicht die entscheidende Debatte. Entscheidend ist, dass wir darüber in dieser Legislaturperiode beschließen. Das ist ein hochkomplexes Thema und muss mit hoher Qualität umgesetzt werden.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In welchem Jahr denn?)

– Mit Verlaub gesagt: Sie hatten elf Jahre Zeit und haben nichts gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden es machen. Ob das im Februar oder im März geschieht, ist nicht entscheidend. Es geht darum, hier für eine hohe Qualität zu sorgen.

Zum Zweiten. Wir müssen die Abwanderung unserer heimischen Leistungsträger stoppen. Es ist widersinnig, wenn unsere teuer ausgebildeten Ärzte in die Schweiz oder nach England gehen, weil wir sie aus dem Land vertreiben, und wir dann über ein Punktesystem Ärzte aus Russland und Afrika, die dort dringend gebraucht werden, nach Deutschland holen. Das ist absurd und widersprüchlich.

Deswegen ist es in der Tat richtig – darüber muss auch debattiert werden -: Wir brauchen Konditionen, Arbeitsbedingungen, Löhne sowie Abgaben- und Steuerstrukturen, mit denen Deutschland auch in Zukunft für die Leistungsträger attraktiv ist. Daran mangelt es zurzeit. Das ist in der Tat ein Riesenproblem. Daran müssen wir arbeiten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Dritten. Wir brauchen auch Leistungsträger aus dem Ausland und ein Stück mehr Willkommenskultur. Das ist richtig. Es gibt einen weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe. Das haben wir im Forschungsbereich seit 2005, als Annette Schavan Ministerin wurde, präzise und konkret angepackt, und wir haben bereits Erfolge erzielt. Über den DAAD, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und andere Einrichtungen holen wir Schritt für Schritt top ausgebildete, hochqualifizierte Wissenschaftler nach Deutschland. Wir sind in diesem Bereich wieder wettbewerbsfähig. Das kostet Geld und erfordert Mühe und Anstrengung, aber es ist erfolgreich.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber noch nicht ausreichend!)

– Das ist richtig. Aber all das, was ich gerade aufgeführt habe, ist im Grundsatz schon mit dem bestehenden Ausländerrecht ohne Probleme möglich.

Trotzdem müssen wir – auch das ist richtig – das Ausländerrecht punktuell nachbessern. Wir müssen es beispielsweise in folgendem Punkt nachbessern: Wenn nur 6 000 von 260 000 ausländischen Studenten in Deutschland nach ihrem Abschluss hierbleiben, dann ist das ohne Zweifel ein schlechtes Ergebnis. Das Ausländerrecht weist in der Tat in diesem Punkt Barrieren auf, die zu diesem schlechten Ergebnis beitragen. Deswegen haben wir in der Unionsfraktion vereinbart, dass wir in diesem Punkt nachjustieren wollen und das Ausländerrecht punktuell ändern wollen, weil wir die jungen Menschen, die in Deutschland ausgebildet wurden oder studiert haben und die deutsche Sprache beherrschen, im Land behalten wollen.

Wir brauchen punktuelle Änderungen des Ausländerrechts. Das ist richtig. Wir brauchen aber keinen grundsätzlichen Systemwechsel. Es geht in allererster Linie darum, die Kräfte zu mobilisieren, die wir im Land haben. Da ist in der Tat ein Riesenpotenzial gegeben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aktuell Politik Videos

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Pingback: PM: Migrationsbericht 2009: Deutschland ist nicht attraktiv genug - Memet Kilic - ist im Bundestag

  2. Pingback: Plenarrede zur Fachkräfte-Einwanderung - Memet Kilic - ist im Bundestag

  3. Pingback: Presseschau: Inland V – Memet Kilic - Memet Kilic - ist im Bundestag

  4. Sinan A. sagt:

    An Kanada kann man sehr schön sehen, wie verschieden Zuwanderung gestaltet wird. Ich habe da ein Beispiel aus erster Hand. Nicht Äpfel mit Birnen verglichen, sondern identische Gruppen von Einwanderern in zwei Ländern.

    Eine Gastarbeitergeschichte, die eine Hälfte der Großfamilie wanderte nach Kanada aus, die andere nach Deutschland. Reiner Zufall, dass es so kam, ein kleiner Wink des Schicksals. Die Männer waren allesamt robuste Naturen, gute Handwerker, studiert war niemand. Wie ging es also weiter?

    Die in Kanada haben sich ihren amerikanischen Traum erfüllt. Mit Haus, Garten und einigem Wohlstand. Bei denen in Deutschland steht eine Eigentumswohnung zu Buche.

    Die in Kanada wurden sofort aufgenommen und gut beraten. Die in Deutschland waren in Wohnheimen untergebracht. Einer starb dort, weil eine Stromleitung falsch verlegt war.

    Die Kinder der Kanadier machten ALLE ihren Abschluss an der Einheitsschule. Die Kinder der Deutschen bekamen ALLE eine Hauptschulempfehlung und kämpften sich dann zum Abi oder Fachabitur durch.

    Die in Kanada singen die kanadische Hymne. Die in Deutschland verziehen das Gesicht bei „Einigkeit und Recht und Freiheit“.

    Die in Kanada haben ALLE einen kanadischen Pass. Bei denen in Deutschland hat KEINER einen deutschen Pass, selbst die Kinder der 3. Generation nicht. Bürokratie, hohe Gebühren und die Anti-Haltung der Behörden haben sie abgeschreckt.

    Die in Kanada pflegen sehr traditionsbewußt ihre Herkunft, schon fast reaktionär, gleichzeitig sind sie überzeugte Kanadier. Sie berufen sich auf die Gemeinsamkeit, die Werte, die sie geschaffen haben. Bei denen in Deutschland ist es umgekehrt: Die Kinder sind weder herkunftspatriotisch noch überzeugt deutsch. Worauf sollten sie sich auch beziehen? Auf Goethe, Schiller? Auf den örtlichen Schützenverein?

    Die in Kanada sind in der Gemeinde aktiv und sehen auch optisch sehr amerikanisch aus. Die in Deutschland haben einen Aufenthaltstitel und einen Migrationshintergrund.

    Fazit: Wer nach Kanada ging, hat jetzt einen Platz an der Sonne. Wer nach Deutschland kam, hat die Arschkarte gezogen.

    PS: Die Geschichte ist wahr und ich behaupte exemplarisch.