Uni Bremen
Fachkräftemangel ist ein hausgemachtes Problem!
Das Problem Fachkräftemangel ist in Deutschland hausgemacht sagt Professor Georg Spöttl von der Universität Bremen. Das Übergangssystem, das Jugendliche auf die berufliche Bildung vorbereiten soll, blockiere wervolles Potenzial.
Montag, 22.11.2010, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 24.11.2010, 2:42 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Betriebe und Jobportale versprechen Prämien von bis zu 20.000 Euro für den Vorschlag eines geeigneten Bewerbers und Personalchefs schicken Headhunter auf die Jagd nach Facharbeitern wie Zerspanungsmechaniker. Der Bundeswirtschaftsminister denkt über Begrüßungsgelder nach – eine Lockprämie als Mittel der Unternehmen zum Ködern ausländischer Experten, und die Regierung diskutiert eine Änderung des Zuwanderungsgesetzes, um qualifizierte Arbeiterinnen und Arbeiter ins Land zu holen.
„Das Problem ‚Fachkräftemangel‘ ist größtenteils hausgemacht. Jedenfalls in Deutschland“, sagt Professor Georg Spöttl, Leiter des Instituts Technik und Bildung (ITB) an der Universität Bremen. Zur Situation hierzulande meint er: „Es gibt ein großes Potenzial, doch es wird nicht genutzt. Dabei haben gerade wir beste Möglichkeiten, das Problem zu lösen.“
Schuld am Fachkräftemangel seien vor allem die demografische Entwicklung sowie die schlechte Schulausbildung, klagt die Industrie. „Beides spielt sicher eine große Rolle, wird aber derzeit überbewertet“, sagt Spöttl. „Die wesentlichen Gründe für den aktuellen Mangel liegen anderswo. Zum Beispiel im Übergangssystem, das Jugendliche auf die berufliche Bildung vorbereiten soll. Es blockiert wertvolles Potenzial.“
Jugendliche in betriebliche Praxis integrieren statt im Übergangssystem parken
„Statt sie nach der Schule im Rahmen einer betrieblichen Ausbildung in die Praxis zu integrieren, werden zeitweise bis zu 700.000 der bis 25-Jährigen im Übergangssystem und in Qualifizierungssubsystemen geparkt, also in Maßnahmen, die nicht die berufliche Erstausbildung betreffen“, sagt Spöttl. Von den deutschen Ausbildungsinteressenten ohne Hauptschulabschluss mündeten 2008 drei Viertel ins Übergangssystem ein. Von denen mit Hauptschulabschluss ist es immerhin noch die Hälfte (48 Prozent). Bei den ausländischen Jugendlichen waren es 88 Prozent mit und 67 Prozent ohne Hauptschulabschluss, die laut Bildungsbericht 2010 im Übergangssystem verweilen. Die Situation für Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss ist prekär, für ausländische Jugendliche mehr noch als für deutsche.
„Es landen nicht nur zu viele Jugendliche in berufsvorbereitenden Maßnahmen, sondern sie bleiben dort auch zu lange. Damit tauchen sie in keiner Arbeitslosenstatistik auf und verbringen wertvolle Zeit in einem System mit zu vielen nicht miteinander verknüpften, unkoordinierten und teilweise ineffektiven Einzelmaßnahmen.“ Der Bremer Forscher fordert ein Aufräumen und Gesundschrumpfen des Übergangssystems sowie ein nachhaltiges Implementieren erfolgreicher Maßnahmen. „Dadurch werden dann Mittel frei, die viel effektiver zur Förderung des dualen Berufsbildungssystems eingesetzt werden können – indem man beispielsweise Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen unterstützt, damit keine Qualifizierung mehr ohne betriebliche Anbindung stattfindet“, meint Spöttl.
Nun mit Macht die Meister an die Hochschulen holen? Das ist der falsche Weg!
Angesichts der Arbeitsmarktlage habe die Politik auch das Thema „Durchlässigkeit“ neu für sich entdeckt, sagt Spöttl. Hochschulen sollen sich mehr für Praktiker mit Berufsausbildung öffnen und Meister zu Ingenieuren ausbilden. „Ich begrüße den weiteren Abbau von Hürden, aber zur Lösung des Problems ist das der falsche Weg. Jedenfalls in der Weise, wie er nun beschritten wird.“ Er beanstandet „vor allem das undifferenzierte Vorgehen“. Ohne Vorbereitung auf ein Studium sei der Erfolg noch lange nicht gesichert.
Dazu Prof. Dr.-Ing. Bernd Kuhfuß vom Fachbereich Produktionstechnik der Uni Bremen: „Indem wir jetzt verstärkt Berufspraktiker für ein Ingenieurstudium gewinnen, verlagern wir das Problem doch nur. Mit dem Stopfen des einen Loches reißt ein anderes auf, denn damit werden dem Arbeitsmarkt hochqualifizierte Fachkräfte entzogen, und den Betrieben gehen so die knappen, erfahrenen Topleute verloren.“
Politik und Schulen sind gefordert. Auch die Unternehmen müssen erheblich mehr tun.
Spöttl hält er eine größere, inhaltliche Öffnung der beruflichen Bildung für unbedingt erforderlich und bemängelt die fehlende Flexibilität im Berufsbildungssystem. Auch die schwächeren Jugendlichen müssten dort ausgebildet und dürften nicht ins Übergangssystem abgeschoben werden. Defizite sieht der Bildungsforscher jedoch nicht nur in Politik, den etablierten Systemen, bei Verbänden und Bildungseinrichtungen, sondern auch in der Industrie.
„Mit Leiharbeit, Zeitverträgen und Praktika bindet man kein Personal. Die Menschen wollen feste Arbeitsplätze, anständige Verträge, Zukunftsaussichten sowie die Möglichkeit, beruflich voranzukommen, und die Jugendlichen brauchen echte Perspektiven“, sagt der ITB-Leiter und fordert von den Unternehmen eine langfristige Personalplanung sowie in der Berufsbildung eine Orientierung an Geschäfts- und Arbeitsprozessen. „Das beginnt schon bei den Berufsanfängern und mit einer höheren Beteiligung an der Berufsausbildung. Nur 25 Prozent der Unternehmen bilden bisher aus.“ In produzierenden Betrieben sieht Spöttl derzeit eine Ausbildungsquote von ungefähr 10 Prozent als „gesund“ an, doch die meisten kämen nicht einmal auf 4 Prozent.
Ungenutzte Reserven erschließen und den Nachwuchs motivieren
„Darüber hinaus gibt es noch einige andere, ungenutzte Reserven, die mit relativ geringem Aufwand erschlossen werden können“, ergänzt ITB-Wissenschaftler Dr. phil. Lars Windelband. „Über bessere Betreuungsmöglichkeit für Kinder lassen sich zum Beispiel hochqualifizierte Frauen wieder in das Berufsleben einbinden. Die Politik und auch die Unternehmen können da noch mehr tun“, meint der Berufsbildungsforscher und kritisiert weiter: „Es wird auch nicht genug in ältere Arbeitnehmer investiert, und die Unternehmen setzen bei Einstellungen leider nach wie vor auf die Jüngeren.“
„Ein großes Problem in Deutschland ist auch der Mangel an Interessenten für die technischen Ausbildungsberufe und Ingenieur-Studiengänge“, sagt Windelband. „Häufig fehlt es den Kindern an Anregungen, sich mit Technik zu beschäftigen. Wir müssen versuchen, sie mehr dafür zu begeistern und für eine Ausbildung in dem Bereich zu motivieren.“ Ein Beispiel sei die Initiative „mikromal“ des Sonderforschungsbereiches „Mikrokaltumformen“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Bremer Uni. Die Wissenschaftler haben ihre komplexen Forschungsinhalte für das Verständnis von Grundschülern aufbereitet, gehen in die Klassen und regen sie zum Mitforschen an. Das Ergebnis: So einige der Kinder hegen inzwischen den Berufswunsch „Erfinder“. (etb) Aktuell Wirtschaft
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²„Ich begrüße den weiteren Abbau von Hürden, aber zur Lösung des Problems ist das der falsche Weg“
das ist nicht ernstgemeint, oder? Abbau von Hürden muss in der Sekundarstufe 2 erfolgen.
ein Meister hat bereits einen tertiären Bildungsabschluss.
The right of access to higher education is mentioned in a number of international human rights instruments. The UN International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights of 1966 declares, in Article 13, that „higher education shall be made equally accessible to all, on the basis of capacity, by every appropriate means, and in particular by the progressive introduction of free education“