Fatih Köylüoğlu
Ja, mein Lebensbild stimmt mit dem der Union überein
Fatih Köylüoğlu, ein muslimischer Deutsch-Türke und Arbeitskreisleiter „Migranten in der Union“ in Siegburg, über seine und die Werte der Union – Er möchte aufklären, sagt er im Gespräch mit MiGAZIN.
Freitag, 22.10.2010, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 16.01.2011, 23:59 Uhr Lesedauer: 9 Minuten |
MiGAZIN: Sie sind aktives Mitglied der CDU. Was macht ein türkischstämmiger Muslim in der christlich-demokratischen Partei?
Fatih Köylüoğlu: Ich werde oft auf der Straße und in der Politik von Deutschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte mit diesen Fragen konfrontiert. Die politische und soziale Selektion in unserer Gesellschaft ist stark vertreten. Die Zementierung von Vorurteilen ist signifikant. Die Tatsache, dass man nur aufgrund der Parteizugehörigkeit verurteilt wird, ohne jegliches Hintergrundwissen, ist missverständlich und inakzeptabel. Um das Problem des Schubladen-Denkens entgegenzuwirken, bestand für mich ein dringender Handlungsbedarf. Als Christdemokrat und vor allem als ein Teil dieser Gesellschaft, habe ich die Verantwortung, Aufklärungsarbeit zu leisten.
MiG: Inwieweit und wen möchten Sie aufklären?
Köylüoğlu: Ich versuche alle Menschen zu erreichen, auch parteiintern. Nur wenige wissen oder können sich daran erinnern, dass die CDU als erste Partei im Juni 1977 ein umfassendes Konzept für die Bundes-Integrationspolitik vorgelegt hat. Die Union lehnte entschieden eine „Zwangsrotation“ ab, wonach Gastarbeiter nach einer bestimmten Zeit die Bundesrepublik verlassen und durch andere ersetzt werden sollten.
Das Auswechseln der Gastarbeiter sei unmenschlich. Die CDU forderte eine soziale Gleichstellung und Eingliederung der damals 1,9 Millionen ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien und ging vom Prinzip der freiwilligen Rückwanderung aus. Dieses Konzept wurde jedoch, vor allem von den anderen Parteien abgelehnt, die sich für die Zwangsrotation und gegen die soziale Eingliederung ausgesprochen hatte.
MiG: Hat sich die CDU damals aus humanitären Gründen gegen die Zwangsrotation ausgesprochen oder doch auf Druck der Wirtschaft, die mühsam angelernte Arbeitnehmer nach zwei Jahren nicht ziehen lassen wollten?
Köylüoğlu: Die CDU hat sich damals aus humanitären Gründen, klar gegen eine Zwangsrotation ausgesprochen. Zwar müsse der Anwerbestopp von ausländischen Arbeitnehmern, aufgrund der Arbeitsmarktlage beibehalten werden, aber das Prinzip der Zwangsrotation wurde in dem CDU-Konzept abgelehnt, weil es mit dem von der Union vertretenen Menschenbild unvereinbar sei, den ausländischen Arbeitnehmer zum bloßen Objekt der Arbeitsmarktpolitik zu machen.
MiG: Stimmt Ihr Lebensbild mit dem der Union überein?
Köylüoğlu: Ja, mein Lebensbild stimmt mit dem der Union überein. Für mich war es selbstverständlich, dass die CDU ja nicht voraussetzt, dass man als Mitglied Christ sein muss. Das „C“ steht für die Werte wie Toleranz, Tradition, Familie und Zusammenhalt, die ich selbst lebe und praktiziere. Man findet sie in verschiedenen Glaubensrichtungen wieder. Dementsprechend hat das „U“ einen ganz besonderen Stellenwert. Es ist nicht nur die Bezeichnung der Parteien CDU/CSU in Deutschland, sondern steht vor allem für die gemeinsamen Werte, die uns verbinden und vereinen.
Konservativ zu sein, bedeutet nicht, dass man den Fortschritt und die Entwicklung ablehnt. Er ist nicht ein Hängen an dem, was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt. Der Grundsatz lautet: Man ersetze Altes erst dann durch Neues, wenn sich das mögliche Neue als besser erwiesen hat.
Modernität heißt, dies im Kontext des Zeitalters zu betrachten. So ist beispielsweise das aktuelle Thema Familie von ganz anderen Problemen berührt als vor 50 Jahren.
Die Einzigartigkeit der CDU ist darin begründet, dass sie keine rein interessengeleitete, sondern eine wertegeleitete Politik betreibt. Ich bin wertebewusst und weltoffen. Das kann ich in der CDU wiederfinden.
Fatih Köylüoğlu, geboren am 14.8.1984 in Siegburg ist VWL-Student an der Uni-Bonn, stellvertretender Vorsitzender des Integrationsrates und Arbeitskreisleiter „Migranten in der Union“ in Siegburg. Neben der Jungen Union ist er Mitglied bei der Mittelstands-und Wirtschaftsvereinigung der CDU sowie Delegierter der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen Nordrhein-Westfalen (LAGA NRW).
MiG: Von welchen Werten reden wir?
Köylüoğlu: Wie gesagt, Werte wie Toleranz, Familie und Zusammenhalt sind mir wichtig. Sie gehören zu meinem Alltag.
MiG: Gibt es irgendetwas in der CDU, womit Sie sich nicht identifizieren können?
Köylüoğlu: Ich kann mich mit dem Ausschließen der hier lebenden Menschen mit Zuwanderungsgeschichte vom kommunalen Wahlrecht und das Verweigern der doppelten Staatsbürgerschaft nicht anfreunden.
Demokratie bedeutet, dass das Volk entscheidet! Bürgerinnen und Bürger mit Zuwanderungsgeschichte sind ein Teil dieser Gesellschaft. Sie sollen aktiv am politischen, kulturellen und sozialen Leben teilnehmen. Sie sollen mitwirken und mitentscheiden können, das wiederum die soziale Interaktion zwischen den verschiedenen Gruppen fördert, denn man bleibt unter sich, das zusätzlich die gegenseitige Unsicherheit und den Umgang miteinander manifestiert. Hier sind die Grünen wesentlich fortschrittlicher.
MiG: Bundespräsident Christian Wulff hat die Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland in seiner Rede am 3. Oktober ausgesprochen. Aus Ihren eigenen Reihen wurde dies jedoch dementiert. Wie stehen Sie dazu?
Köylüoğlu: Ich kann die Aussage, dass der Islam zu Deutschland gehört, nur bekräftigen!
Deutschland ist zwar christlich und jüdisch geprägt, aber der Islam gehört zwangsläufig dazu.
MiG: Was meinen Sie mit „zwangsläufig“?
Köylüoğlu: Damit meine ich, dass der Islam auf denselben Werten basiert, wie das Christentum und Judentum. Diese Religionen haben sehr viele Gemeinsamkeiten.
MiG: Was halten Sie von der Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel, das Bild des Islam sei geprägt von der Scharia, die Ungleichheit von Mann und Frau und durch Ehrenmorde?
Köylüoğlu: Diese Aussage ist pauschalisierend. Beispielsweise wurde der Koran noch nie buchstabengetreu gelebt. Der Islam hat sich verschiedenen Kulturen angepasst. Die Grundlagen des islamischen Glaubens müssen sich nicht ändern, auch nicht sein Menschenbild. Die Masse der Muslime hat die modernen Werte der Menschenrechte weitgehend verinnerlicht, der offizielle orthodoxe Islam hat diese Entwicklung allerdings nicht begleitet.
Ehrenmorde und die Ungleichheit von Mann und Frau sind Bestandteile, der längst überholten, traditionellen und kulturellen Lebensweisen, die oft mit der islamischen Lebensweise verwechselt werden. Ich komme aus einem muslimischen Elternhaus und meine Mutter hat die Hose an und trifft die wichtigen Entscheidungen. Dies ist kein Einzelfall! Außerdem gibt es Ehrenmord und Ungleichheit von Mann und Frau, auch in nicht-muslimischen Ländern.
Im Grunde gekommen, gibt es keine schlechte Religion. Die Religion ist in ihrem Kern gut. Es gibt nur Menschen, die die Religion falsch interpretieren und für ihre eigenen Interessen und Nutzen missbrauchen.
MiG: Die meisten Deutschtürken wählen SPD und Grüne. Provokativ gefragt: Sind Sie damit nicht in der falschen Partei?
Köylüoğlu: Die CDU hat in den letzten Jahren eine rasante Aufholjagd hingelegt. Mit der Einführung der Islamkonferenz, um den Dialog mit den Muslimen in Deutschland intensiver und erfolgreicher als bisher zu führen und dem Integrationsgipfel wurde zum ersten Mal überhaupt systematische Integrationspolitik gemacht.
Wir haben das Amt der Integrationsbeauftragten im Bundeskanzleramt angesiedelt und der Integrationsaufgabe damit einen höheren Stellenwert gegeben. Wir haben einen Nationalen Integrationsplan mit klaren Zielen beschlossen. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass uns die Haltung zum Thema Integration und das Engagement für die Förderung eines Miteinanders, denen wir durch eine aktive Integrationspolitik begegnen, endlich auch in der Öffentlichkeit auf die Fahnen geschrieben wird.
MiG: Insbesondere die Islamkonferenz steht wegen der Zusammensetzung massiv unter Kritik. Fühlen Sie sich von den aktuellen Teilnehmern auf muslimischer Seite vertreten?
Köylüoğlu: Ich fühle mich durch die jetzigen Mitglieder vertreten, obwohl manche vielleicht umstritten oder unbekannt sind. Es zeigt doch, dass die muslimische Gesellschaft vielfältig ist und nicht nur aus Verbänden, Imamen oder Islamwissenschaftlern besteht, sondern auch aus Kritikern.
MiG: Die Aufgaben des Integrationsbeauftragen sind gesetzlich klar formuliert. Unter anderem muss sie nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen entgegenwirken. Glauben Sie, dass auf diesem Gebiet genug getan wird?
Köylüoğlu: Wenn sich diese Frage auf die Aufgaben des Bundesintegrationsbeauftragten bezieht, würde ich mir wünschen, dass sie auf diesem Gebiet noch viel mehr tun sollte, als sie bis jetzt getan hat. Dadurch, dass ihre Position hoch angesiedelt wurde, erwartet man, dass sie stärker die Interessen und Anliegen der Migranten vertritt.
MiG: Die Junge Union-Siegburg, steht vor der Entscheidung, den Posten eines Integrationsbeauftragten zu schaffen. Wie stehen die Chancen und was halten Sie davon?
Köylüoğlu: Es steht schon fest, dass die Junge Union-Siegburg einen Posten des Integrationsbeauftragten schaffen wird. Die strukturelle Integration hat hier einen besonderen Stellenwert. Es besteht die Notwendigkeit eines Integrationsbeauftragten, des Brückenbauers zwischen Autochthonen und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte, weil eine Identifikationsfigur noch Mangelware ist.
MiG: Sie wollen einen Integrationsbeauftragten für die Junge Union, weil Sie sich Sorgen um die Zukunft der CDU machen?
Köylüoğlu: Aufgrund des demographischen Wandels und der Politikverdrossenheit ist die JU, als die erste Vereinigung der CDU, vom Mitgliederschwund betroffen. Wenn wir nicht schnell handeln und vor allem Jugendliche mit und ohne Zuwanderungsgeschichte in die Jugendpolitikarbeit mit einbinden und deren Interesse an gesellschaftliche Verantwortung wecken, sehe ich die Gefahr, dass die Mutterpartei künftig nur wenige Entscheidungsträger haben wird.
MiG: Was verstehen Sie unter dem Begriff „Integration“?
Köylüoğlu: Die Verwendung des Begriffs „Integration“ ist mittlerweile inflationär. Integration bedeutet Einbindung und Zusammenführung. Oft wird dieser als die völlige Anpassung, also Assimilation verstanden und dementsprechend angewendet. Dies ist jedoch falsch!
MiG: Politiker welcher Parteien verwenden Ihrer Meinung nach den Begriff Integration am meisten und meinen eigentlich Assimilation?
Köylüoğlu: In jeder Partei gibt es Politiker, die ein falsches Verständnis über den Begriff „Integration“ haben und dies mit „Assimilation“ verwechseln, wie die aktuelle Debatte um Horst Seehofer bestätigt.
MiG: Ist Integration für Sie eine Bringschuld der Migranten?
Köylüoğlu: Nein. Integration ist keine Einbahnstraße. Für eine erfolgreiche Integration sind Anstrengungen beider Seiten erforderlich: Integration ist ein gesellschaftlicher Prozess, in den alle im Land Lebenden mit einbezogen sind. Sie soll der Bildung von „Parallelgesellschaften“ entgegenwirken und ist als eine Aufgabe an die gesamte Gesellschaft gerichtet.
Die aufnehmende Gesellschaft muss den Migrantinnen und Migranten durch entsprechende Rahmenbedingungen zeigen, dass sie willkommen sind. Eine nachhaltige und zukunftsorientierte Integrationspolitik verfolgt das Ziel der dauerhaften sozialen und beruflichen Eingliederung sowie der faktischen Gleichstellung. Es geht insbesondere um die Realisierung von Möglichkeiten zur gleichberechtigten Teilhabe in der Gesellschaft, der Arbeitswelt und der Partizipation an den politischen Entscheidungen.
Migrantinnen und Migranten sind ihrerseits gefordert, Deutsch zu lernen. Das Erlernen der deutschen Sprache ist ein wichtiges Instrument für die soziale Interaktion und Voraussetzung für das Gelingen der Integration. Ein möglichst rascher und fundierter Spracherwerb liegt sowohl im Interesse der Migrantinnen und Migranten als auch der Autochthonen. Diese Wechselseitigkeit ist in dem Grundsatz „Fördern und Fordern“ verankert.
MiG: Glauben Sie, dass die Union genug Integrationsarbeit auch aufseiten der Aufnahmegesellschaft leistet?
Köylüoğlu: Nein, es ist noch ausbaufähig! Deswegen wurde der Arbeitskreis „Migranten in der Union“ gegründet, um die Aufnahmegesellschaft zu sensibilisieren.
MiG: Abschließend, welche Rolle spielen für Sie die Medien in der aktuellen Integrations-und Religionsdebatte?
Köylüoğlu: Der Einfluss der Medien ist enorm. Viele Menschen bilden ihre Meinung in Bruchteilen von Sekunden, durch raffiniert eingesetzte Schlüsselwörter und dazu passenden Bildern. Die Meinung wird größtenteils schon vorgegeben.
Die Medien üben daher einen erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung über die aktuelle Situation in Deutschland. Sie können Vorurteile schüren und dadurch eine negative Stimmung erzeugen oder auch die Gemeinsamkeiten hervorheben, statt Unterschiede, um das „Wir“ Gefühl und ein harmonisches Miteinander zu begünstigen.
Hier stützte ich mich an die Aussage von Frau Aygül Özkan: „Wir brauchen eine integrationsfördernde Medienbedienung!“ Aktuell Interview Politik
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Interessantes Interview, danke sehr.