Zuwanderungspolitik

Multikulti ist tot – es lebe die Zuwanderung

Die schwarz-gelbe Regierungskoaltion ist sich über die künftige Integrations- und Zunwanderungspolitik nicht einig. Selbst innerhalb der Union gehen die Meinungen weit auseinander - Seehofer und Merkel manövrieren sich ins Abseits.

Montag, 18.10.2010, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 30.01.2011, 12:25 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

„Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein – Multikulti ist tot“, erklärte CSU-Chef Horst Seehofer vergangenen Freitag bei seinem Auftritt auf dem Deutschlandtag der Jungen Union (JU) in Potsdam. Wer in Deutschland leben wolle, der müsse auch bereit sein, die Alltagskultur zu akzeptieren.

Bekräftigt wurde Seehofer von Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert“. Auch Seehofers Leitkultur-Vorlage verwandelte Merkel, die ihren Auftritt nach Seehofer hatte. „Wer das christliche Menschenbild nicht akzeptiert, ist fehl am Platze.“

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Zwei Begriffe – Multikulti und Leitkultur – die alles und nichts sagen. Ihre mittlerweile Jahrzehnte überdauernde Popularität verdanken sie ihrer inhaltlichen Leere. So können sie jederzeit aus der Schublade geholten werden, wenn Erklärungsnot herrscht.

Die rechten Spinner verhindern
Deutschland driftet ab. Nach rechts. Die jüngste Studie der Friedrich Ebert Stiftung attestiert Fremdenfeindlichkeit bis tief in die Mitte der Gesellschaft. Daher sind Politiker bemüht, die wachsende Zahl dieser Wählerschaft aufzufangen. Seehofer zeigt sich offen und ehrlich: Er sicherte zu, dass es einen „Rechtsdrall“ der Union nicht geben werde. Allerdings müsse man „die rechten Spinner verhindern“ indem man auf die Sorgen der Bürger eingehe.

Merkel hingegen agiert zweigleisig und zeigt sich bemüht, sowohl Sarraziner als auch seine Gegner in Stimmung zu halten. Multikulti sei zwar tot und das christliche Menschenbild die Leitkultur, doch die Aussage von Bundespräsident Christian Wulff, wonach der Islam ein Teil Deutschlands ist, richtig und der Zuzug von Spezialisten aus dem Ausland notwendig. Konsequent klingt das nicht.

Zuzug ausländischer Fachkräfte
An diesem Punkt sind sich die Spitzenpolitiker der Union nicht einig. Seehofer poltert in populistischer Manier, dass Deutschland auf gar keinen Fall „zum Sozialamt für die ganze Welt werden“ dürfe. Für hochqualifizierte Fachkräfte gebe es bereits eine Sonderregelung. Wohlgemerkt – Seehofer spricht von Sozialamt im Zusammenhang mit hochqualifizierten, die ein Mindestjahresgehalt von 66 000 Euro aufweisen müssen, um einwandern zu können. Der Zielgruppe dieser Aussagen scheint Seehofer intellektuell nicht viel zuzutrauen.

In einem Forderungskatalog konkretisiert Seehofer seine Vorstellungen. Er spricht sich klar gegen ein Punktesystem aus, wie es etwa die FDP fordert. Neben der Qualifizierung müsse als zusätzliches Kriterium die Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit eingeführt werden. Wie er vor allem die „Bereitschaft“ zu messen gedenkt, lässt er allerdings offen. Die Praxistauglichkeit scheint zweitrangig zu sein.

Nicht Ein-, sondern Auswanderung muss aufregen
So auch, wenn es um die Sonderregelung im Aufenthaltsgesetz zur Regelung von hochqualifizierten geht. Diese habe sich laut Seehofer „bewährt“. Anders sieht es Bundesbildungsministerin Anette Schavan (CDU). Sie sagte der Welt am Sonntag: „Nicht Einwanderung muss uns aufregen, sondern Auswanderung aus Deutschland.“ Laut Bundesamts für Statistik, wandern aus Deutschland seit 2008 mehr Menschen aus als ein. Schavan weiter: „Wenn wir dagegen nichts tun, wird sich der Fachkräftemangel zur größten Wachstumsbremse entwickeln.“

Diese Einschätzung deckt sich mit den Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Der deutschen Wirtschaft fehlen rund 400.000 Fachkräfte. „So geht uns rund ein Prozent Wirtschaftswachstum verloren“, sagte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann der Welt am Sonntag.

So sieht es auch Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU). Sie forderte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Wir müssen, wo immer es geht, die Eintrittsschwellen senken für die, die das Land nach vorne bringen.“ Die Wirtschaft brauche Fachkräfte aus dem Ausland.

Für Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) ist ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild die Lösung. Entscheidend dabei ist nach FDP-Generalsekretär Christian Lindner nicht das religiöse Glaubensbekenntnis oder die private Lebensführung, sondern die Akzeptanz der Rechtsordnung in Deutschland und die Bereitschaft zur Integration in Wirtschaft und Gesellschaft.

Unterstützung bekommt die FDP sogar von JU-Chef Philipp Mißfelder, der sich dafür ausspricht, Zuwanderung über ein Punktesystem zu regeln. Das bisherige Zuwanderungssystem in Deutschland sei gescheitert, sagte Mißfelder laut n-tv.de.

Schäbig, verantwortungslos und gefährlich
Als „schäbig“ und „verantwortungslos“ kritisierte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer die Erklärungen Seehofers in der Rheinpfalz scharf. Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sprach von einem „Schmierenstück“. Jürgen Trittin (Die Grünen) warf Seehofer vor, den Rechtsextremismus hoffähig zu machen. Petra Pau (Die Linke), Vizepräsidentin des Bundestags, wertete die Reden Seehofers und Merkels als Versuch, „die Lufthoheit über den Stammtischen für die Union zurückzugewinnen“.

Für Memet Kilic, integrationspolitischer Sprecher der Grünen sind die Aussagen Seehofers und Merkels gefährlich. „Ich habe ähnliche Debatten vor etwa 20 Jahren in Deutschland persönlich erlebt, die Folgen davon waren die Brände in Rostock, Hoyerswerda, Mölln und Solingen. Es wurden gezielt Migranten getötet“, so Kilic. Was gerade in Deutschland laufe sei „keine Integrationsdebatte“. Politik

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  1. Herr Seehofer nervt. Wie kann er so Äußerungen machen? Ist ja ekelhaft! Fällt Deutschland jetzt ins Mittelalter zurück? Rassismus ist sowas von unmodern! Aber wie kann er es auch besser wissen, er der doch nie aus seinem Heimatdorf rausgekommen ist. Klar, dass er da Angst vor Fremden hat. Vielleicht sollte er schnell eine Angsttherapie machen um darüber hinweg zu kommen. Leitkultur, was ist das denn? Selbst ich als deutsche wüsste das nicht zu erklären. Und diese Stammtisch Sprüche wie „Sozialamt für die ganze Welt bla bla bla“, fällt ihm nichts besseres sein?

  2. Reseller Berlin sagt:

    Es ist immer das Selbe; Integration sagen aber Ausgrenzung betreiben . Integration sagen aber Assimilation meinen .

    Immer die angeblichen Deutschen Gesetze fordern aber immer gegen die Prinzipien der Deutschen Verfassung argumentieren vonwegen Unantastbarekeit der Menschenwürde , Religions-Freiheit und Menschen-Rechte für alle .

    Ich empfehle jeden die „Juden-Frage“ oder „Assimilations-Debatte“ aus dem frühen Mittelalter bis 1840 bis zu den Weltkriegen zu studieren.

    Es sind die selben Ängste die geschürt werden ; Überfremdungs-Ängste , Verdrängungs-Ängste , angebliche Endzeits-Schreckens-Szenarios ( „Deutschland schafft sich ab“ , „Islamisierung“ Deutschlands , usw. ) .

    Ein Pearl-Habor-ähnlicher Angriff ( 11.09.2001 ) hat den neuen Feind – „das Islamtum“ und somit alle Muslime eingeläutet im sogenannten „Westen“ . Keine Gefahr mehr vom Warschauer Pakt also den Kommunisten , keine „Ausländer“-Feindlichkeit mehr ( Dunkelhäutige und Hispanics in den USA , Inder und Pakistanis in England , Nord-Afrikaner in Frankreich , Asiaten in Australien , Türken in Deutschland ) – jetzt gibt es nur noch „Islam-Kritik“ in Wahrheit : Islam-Feindlichkeit .

    Gleichzeitig wurden zwei mehrheitlich muslimische Länder kriegerisch attackiert und militärisch besetzt ( Aghanistan und Irak ) . Nun soll auch noch der Iran attackiert werden . Die Herrschaften , die das Islamtum zum Feind erklärt haben verfolgen also ganz konkrete militärisch-wirtschaftliche Ziele mit Schürung von Ängsten und Hass gegen „die Muslime“ . Diese bewusst geschürten Ängste und der Hass nutzen nur ganz wenigen Personen-Kreisen zum Schaden aller Menschen im „Westen“ .

    Von Bankern wie Sarrazin werden Rechnungen präsntiert wonach es um den wirtschaftlichen Nutzen „der Muslime“ geht … Ich frage mich ; was ist mit den 500.000.000.000 EUR , die allein in der letzten angeblichen Finanz-Krise dem Deutschen Steuerzahler abgezockt wurden ?

    Wie im Kasperle-Theater ; mit der einen Hand den Menschen einen Sündenbock – „die Muslime“ – präsentieren und mit der anderen Hand das Geld der Bevölkerungen ausrauben und sie von einem in den nächsten Krieg stürzen . Welch schäbige , verräterische Taktik den angeblich eigenen Bevölkerungen gegenüber …

  3. Deutschland Ihre Unternehmen und ihr Fachkräftemagel! Wenn Unternehmen begünstigt durch die Politik weiter daran arbeiten den Leiharbeiterpool auszuweiten, so dass ausgebildete Fachkräfte nur einen halbwegs gesicherten Lebenstandart durch HarzIV führen können, dann braucht es doch heute keine Verwunderung das gut ausgebildetes Personal ins Ausland geht statt in Deutschland für 6 Euro die Std. plus für Hartz zu arbeiten. Ohnehin ist für viele Ausländer Deutschland kein attraktives Land, sehr wohl aber für Interessenten mit viel Kapital, welche für Duminglöhne Produzieren wollen.

  4. arabeska sagt:

    Die derzeit offen zur Schau getragene Feindseligekit gegenüber Migranten dürfte kaum motivierend auf Einwanderer wirken, ob muslimisch oder nicht. Stattdessen sorgt die gegenwärtige Diskussion dafür, dass auch die Hochqualifizierten mit Migrationshintergrund sich an beruflichen Alternativen in Ländern orientieren, die aufgeschlossener sind.

    Selbst wenn das Ergebnis der schauerlichen Debatte post Sarrazin nun verbesserte INtegrationsgesetze sein sollten, die Wirkung auf die Motivation der hiesigen Migranten wie auf diejenigen, die vielleicht nach Deutschland kommen wollten, ist verheerend.