Bildung

Noch (lange) nicht gleichauf – Chancen junger Migrantinnen

Nada: die erste mit einem Abitur in der Familie

Von Donnerstag, 04.03.2010, 8:04 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.09.2010, 17:24 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Nada liest den Artikel über die schlechte Bildung von MigrantInnen nicht zu Ende. Sie ärgert sich, sie hat in letzter Zeit mehrere solcher Berichte gelesen. „Natürlich stimmt es, dass viele Ausländer, die hier leben, keine gute Bildung haben. Aber sie sollen nicht immer nur diese Diagramme in den Zeitungen abdrucken. Sie sollen auch mal mit uns reden, uns zuhören, dann würden sie vielleicht ab und zu auch mal ein paar andere Geschichten schreiben.“

Sie ist 19 Jahre alt, die zweite von sechs Töchtern einer Palästinenserin und eines Halblibanesen und lebt in einem Bezirk, der in den Medien sehr verschrien ist, ihr aber sehr gut gefällt – Berlin-Neukölln. Nada ist das Gegenbeispiel zu den oft zitierten, schlecht integrierten MigrantInnen mit wenig Bildung. Sie hat ein gutes Abitur gemacht und fängt in einer Woche an, Jura zu studieren. Sie gehört zur aufstrebenden Gruppe der sogenannten zweiten Generation, die das erreichen will, was ihren Eltern oftmals verwehrt wurde: einen anerkannten Platz in unserer Gesellschaft. Deshalb wählen viele von ihnen Prestige versprechende Studiengänge wie Medizin, Jura oder BWL und können sich eher den Sprung in die Selbstständigkeit vorstellen als ihre deutschen StudienkollegInnen. Schade nur, dass der deutsche Staat so wenig tut, um Menschen wie Nada zu unterstützen. Laut einer Studie der OECD klafft in keinem Industrieland das Bildungsniveau von EinwandererInnen und einheimischer Bevölkerung so weit auseinander wie in Deutschland. Dabei ist das Land dringend auf gut ausgebildete MigrantInnen angewiesen, um den in den nächsten Jahren von Ökonomen erwarteten Fachkräftemangel auszugleichen.

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Wie kam Nada also dahin, wo sie heute steht? Mit einem Abitur in der Tasche und einem klaren Ziel vor Augen, was Studium und Beruf angeht? Es war wohl die Kombination aus einem positiven Umfeld, einem festen Willen, Talent und vor allem Glück. Letzteres ist besonders wichtig, wenn die anderen Ausgangsvoraussetzungen nicht so gut sind.

Ihre Eltern sind stolz auf sie. „Ich bin die erste in der Familie, die das Abitur gemacht hat“, erzählt sie. Ihre Mutter ist Hausfrau ohne Berufsausbildung, gerade lernt sie Deutsch an einer Sprachschule. Ihr Vater hat in verschiedenen Fabriken gearbeitet und wird bald in Rente gehen. Nicht gerade ein bildungsbürgerlicher Hintergrund, wie es so schön heißt. Trotzdem haben Nadas Eltern früh in die Zukunft ihrer Tochter investiert. Mit zweieinhalb wurde sie in einen deutschen Kindergarten und später in die Vorschule geschickt, wo sie perfekt Deutsch lernte.

Dass sie studieren will, wusste sie „schon immer“. „Ich wollte nie zu dem typischen Klischee einer Frau mit Migrationshintergrund gehören, die eine schlechte Bildung hat und zeitig Kinder bekommt“, sagt sie bestimmt. Die konkreten Vorstellungen von einem Studium, die sie heute hat, kamen aber auch nicht aus dem Nirgendwo. Der Auslöser war ein Schulpraktikum in einer Arztpraxis, das sie vor ein paar Jahren absolviert hat. „Hier habe ich gemerkt, dass ich unglaublich gern Medizin studieren würde. Mein Chef war total begeistert von der Idee und hat mich richtig unterstützt und mir ganz viel gezeigt.“ Sie machte die Arbeit so gut, dass ihr später ein Aushilfsjob in der Praxis angeboten wurde, dem sie immer noch nachgeht. Wenn man sie während ihrer Arbeit erlebt, kann man sich kaum vorstellen, eine 19-Jährige vor sich zu haben, so souverän und geduldig wie Nada mit den PatientInnen umgeht.

Dass sie nun Jura studiert, liegt am zu hohen Numerus Clausus für Medizin, den sie mit ihrer Abiturnote knapp verfehlt hat. Sie ist mit der zweiten Wahl jedoch sehr zufrieden, sieht sie doch auch hier gute Chancen, ihr Ziel umzusetzen und etwas für die Gesellschaft zu tun. „Familien- und Jugendrecht oder irgendwas mit Menschenrechten kann ich mir sehr gut vorstellen.“

Nada hat es geschafft, doch ihr Fazit bezüglich Chancengleichheit fällt nicht besonders gut aus. In der Studi VZ-Gruppe der Jura-Erstsemester an ihrer Uni haben von ungefähr 150 Leuten nur 10 einen ausländischen Namen. „Ich glaube nicht, dass das Zufall ist. Ich habe so viele Geschichten gehört und gelesen, in denen Menschen mit Migrationshintergrund deswegen Probleme in der Schule oder im Beruf hatten. Unsere Bildung ist nicht das Problem, ich glaube viele Altersgenossen sind sehr ehrgeizig und sehr erfolgreich, aber so lange uns nicht die Chancen gegeben werden, die wir verdienen, nützt der beste Abschluss nichts.“ Meinung

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  1. Gottfried sagt:

    Zuerst einmal: Hut ab vor Nada und Gratulation an sie und Ihre Eltern für die tolle Leistung. Diese hat Sie nicht […] in erster Linie ihrem Glück zu verdanken (was für mich eine Abwertung des Geleisteten darstellt), sondern Ihrem Fleiß, ihrer Zielstrebigkeit und der Unterstützung ihrer Eltern.
    Was aber soll denn das Gejammer der Autorin über fehlende Unterstützung von Migranten in Bezug auf Schul-/Ausbildung. Nada hat doch den Gegenbeweis geliefert, nämlich das Fleiß und das familiäre Umfeld die Hauptrolle spielen.
    Das Gegenstück zu Nada´s Entwicklung, wird mit dem Lebensweg von „Maya“ ja auch beschrieben. Da bricht ein junger Mensch innerhalb kürzester Zeit zwei Ausbildungsstellen ab, von denen ihm eine angeblich „aufgezwungen“(?!) wurde, und die andere wohl nur durch Vermittlung einer Förderin angetreten werden konnte. Ein in Deutschland geborenes Mädchen bekommt dabei einen Kulturschock, wenn es mit überwiegend oder ausschließlich deutschen Mitschülern in einer Klasse zusammen ist.(Kopfschüttel). Ach ja, und der Lernstoff wurde ja auch noch zu viel. Was so ein junger Mensch dann am dringendsten braucht, ist ein halbes Jahr Pause, um sich über seinen weiteren beruflichen Werdegang klar zu werden. Wie ich vermute, natürlich mit Hartz IV-Unterstützung.
    Und wieder ist es die böse Aufnahmegesellschaft, die solchen vielseitig interessierten Menschen, mangels Unterstützung und Anerkennung, ihre Zukunft versaut. Die deutsche Gesellschaft legt ihnen nun auch wirklich jeden möglichen Stein in den Weg. Und nur durch Glück oder Zufall schafft es ein/e Migrant/in aus diesem von uns Biodeutschen verursachten Teufelskreis. So das Fazit der Autorin und für mich kompletter Schwachsinn. Eine Herabwürdigung aller Migranten, die durch eigene Leistung (und davon gibt es auch genügend Beispiele), vorwärts gekommen sind.
    Abgesehen davon, liebe Autorin, an wem liegt es, wenn, wie von Ihnen behauptet, Migranten zur Unterstützung ihres Schulweges nicht wie deutsche Kinder, auf familiäre Strukturen zurückgreifen können. Des weiteren würde mich. als Vater von zwei Kindern, die z.Z. Abitur machen, noch brennend interessieren, was das für anderer Strukturen sind, die sie in den Raum stellen die deutschen Kindern angeblich im Gegensatz zu Kindern von Migranten zur Verfügung stehen.
    Mein Fazit:
    Ein […] tendenziöser Artikel, der wieder einmal die Aufnahmegesellschaft diffamiert und nur Forderungen an diese stellt ohne adäquates von Migrantenseite zu ,sich somit aber in die Reihe der auf diesen Seiten üblichen Artikel bestens einfügt.

  2. Sinan A. sagt:

    Ich meine, das ist ein klassisches Mißverständnis hier, quasi exemplarisch. PI-Leser […] verstehen Artikel wie diesen als Gutmenschentum und den Gutmenschen als Feind deutscher Interessen und Vertreter fremder, feindlicher Mächte. Aber dem ist sicher nicht so.

    Eigentlich liest man nur das übliche Programm. Berlin-Neukölln, viele Kinder, immer im Kiez, kein Deutsch, alle ungebildet. Und Nada als wundersame Exotin, die so ganz anders ist. Immer die gleiche Soße. Wo ist denn der deutsche Anteil an der Chancenungleichheit? Davon lese ich nichts. Der bleibt – wie immer – im Nebel, wenn Deutsche schreiben. Die unangenehmen Wahrheiten liest man nur von Migranten selbst, von Deutschen nie. Regine Schwab ärgert sich nicht über deutsche Presse. (Obwohl es dazu reichlich Gelegenheit gäbe.) Das überlässt sie der Migrantin. Sehr smart alles, sehr verständnisvoll und sooo hilfsbereit. Mit 23 schon Förderin in der Freizeit. Respekt. Das verspricht eine gute Karriere.

    • Gottfried sagt:

      Wie schon aus dem Namen dieser Webseite ersichtlich, geht es hier um Migranten bzw. Migration in Deutschland. Und da muß ich, bei aller Kritik, die Autorin verteidigen. Die Chancenungleichheiten von deutschen Jugendlichen und die Probleme von deutschen Schulabgängern stehen hier doch gar nicht zur Debatte. Wenn Sie darüber etwas lesen wollten, bräuchten Sie ja nur eine deutsche Zeitung aufzuschlagen. Es geht in diesem Kommentar doch wieder nur ums ewige Beleidigtsein, um die bösen Deutschen, Pi-Leser oder soll ich sagen […], die ja den armen Migranten nur Böses wollen und sie ständig verunglimpfen.
      Meiner Ansicht nach bringt es uns überhaupt nicht vorwärts, wenn unangenehme Wahrheiten nicht ausgesprochen werden dürfen und über real existierende Probleme das immerwährende, gutmenschliche Schweigen ausgebreitet wird. Man kann das auch als eine Form von positivem Rassismus sehen.

  3. Sinan A. sagt:

    Freut mich, wenn ich zur Versöhnung von PI und Gutmenschen beitragen kann. Im Grunde sind die Ziele beider auch gar nicht so verschieden. Ich teile die Deutschen in 3 Gruppen:

    Gruppe 1 – will unbedingt abschieben.
    Eine klare Position, mit der man was anfangen kann. Der Giftmüll, hier produziert, wird einfach exportiert. Das würde die prozentual gelungene Integration mit Sicherheit aufbessern. Nicht unbedingt ein modernes Staatsgefüge, aber immerhin zweckmäßig. Der Nachteil wäre vermutlich, dass viele der erwünschten oder geduldeten Ausländer von einem derartigen Klima verschreckt würden. Aber das ist ja bereits jetzt der Fall.

    Gruppe 2 – will unbedingt fördern.
    Klingt erstmal prima. Nur mit der Degradierung des Migranten zum Förderobjekt nimmt der Biodeutsche ihm die freie Entfaltung. Irgendeinen Mangel, irgendetwas fremdes findet der Förderer immer. Die Sprache, mit der der Förderer seine Zielgruppe beschreibt, verrät ihn sowieso. Der Bedarf steigt und die Förderer müssen alle versorgt werden. Das ist ihr Interesse. Wer hilft, ist sowieso per se der Gewinner. Der mit dem Migrantenstempel steht in diesem System immer eine Stufe tiefer.

    Gruppe 3 – leben und leben lassen.
    Mit Abstand die sympathischste Gruppe. Wird von Gruppe 1 und 2 gerne als gleichgültig denunziert. Aber in Wirklichkeit ist Gruppe 3 die einzige, die erträglich ist, bei der sich der Migrant unbeschwert entwickelt. Zwei bis drei Generationen in Gruppe 3 und der Migrant ist vom Biodeutschen nicht mehr zu unterscheiden. Sprache, berufliche Erfolge, einfach alles. Glaubt ihr nicht? Ist aber so. Oder besser gesagt, wäre so. Denn Gruppe 3 ist die kleinste.

    • Gottfried sagt:

      @SINAN A.: Wo Sie doch schon ein ganzes Volk in nur 3 Gruppen einteilen können – Alle Achtung!

      Vielleicht könnten Sie Ihrem Weltbild noch wenigstens eine Gruppe der Deutschen zufügen. Und zwar diejenige, die von Migranten ganz einfach grundlegende Dinge erwartet. Dazu gehört der Respekt vor den Gesetzen, der Kultur und den Menschen des Landes,in dem sie zu leben gewillt sind. Das erlernen der Landessprache, die Gleichbehandlung der Geschlechter und das eigenhändige Bestreiten des Lebensunterhalts auf legale Weise sollten Selbstverständlichkeiten sein. Wenn diese Punkte erfüllt sind, spielt für diese Gruppe weder Herkunftsland, Hautfarbe noch Religion eine Rolle. Andererseits sollten Menschen, die sich dazu nicht in der Lage
      sehen, sich doch die Frage stellen, ob sie sich das richtige Land für ihren Lebensmittelpunkt ausgesucht haben.
      Alles nur so vor sich hintreiben zu lassen, wie ihre dritte Gruppe – genau das machen wir doch ohne jedes Konzept seit über 40 Jahren, und genau das hat zu der Misere in manchen Großstädten unseres Landes geführt. Ich nenne da mal nur so: Paralellgesellschaften, Zwangsheiraten, Massenarbeitslosigkeit bei Migranten u.s.w..
      Und Untersuchungen zufolge spricht z..B. die 3. Generation von Migranten mittlerweile schlechter Deutsch als die 1. und 2. Generation.

  4. Kosmopolit sagt:

    @Gottfried
    Bei mir rennen Sie offene Türen ein. Ein Punkt fehlt noch, und zwar sollte eine bestimmte Gruppe mit ihrer Religion nicht versuchen, diese auf die Gesellschaft zu übertragen, andere Religionen tun dies auch nicht. Das gehört zum Thema Respekt und Toleranz gegenüber denen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben. Das das andere mittlerweile können muss nicht besonders betont werden.

  5. Marilin sagt:

    Wer nicht in Deutschland geboren ist,hat als Ausländer gleich Null Chancen. Ich denke, bei Deutschen ( oder bei den meisten) ist Rassismus tief in Ihren Gedanken und handeln verwurzelt. Ich konnte niemals vorwärts kommen.Ich bin immer vom Arbeitsamt blockiert worden. Mit 24 Jahren war ich nach deren Meinung zu alt für eine Ausbildung, während die Deutschen sogar mit 45 Jahre eine Ausbildung machen dürfen. Ich höre so oft, dass das Gleiche genau meinen Freundinnen aus verschiedenen Ländern passiert ist. Liebe Deutsche anstatt die Ausländer zu diskriminieren ,fängt an uns als Menschen mit gleichen Rechten,aber nicht nur in den Grund Gesetzen soll es gedruckt sein, sondern soll es in Tat umgesetzt werden: Weil wenn wir hier in Deutschland Ausländer sind,seid ihr auch Ausländer im Ausland. Fazit: Ihr seid definitiv nicht besser als Menschen,aber wenn ihr so denkt höchstens ignoranter und krimineller.

    Viele Grüße von eine Frau die hier seit 16 Jahre lebt!!!