Fall Marva
Politik und Medien mitverantwortlich?
Zum Auftakt des Prozesses gegen den mutmaßlichen Mörder der Ägypterin Marwa El-Sherbini in Dresden hat die für Integration zuständige Staatsministerin Maria Böhmer dazu aufgerufen, mit ganzer Kraft gegen Gewalt und Rassismus einzutreten. Unterdessen zeigten die Verteidiger des Beschuldigten, welche Rolle dabei der Politik und den Medien zukommt.
Dienstag, 27.10.2009, 8:11 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 21.08.2010, 15:55 Uhr Lesedauer: 1 Minuten |
„Die schreckliche Tat hat in Deutschland und Ägypten sowie in weiten Teilen der arabischen Welt Trauer und Entsetzen ausgelöst. Millionen Menschen verfolgen den Prozess mit großer Aufmerksamkeit. Umso wichtiger ist es jetzt, auf die Unabhängigkeit der deutschen Justiz zu vertrauen und diese zu respektieren. Auch mich hat die Mordtat fassungslos gemacht. Sie hat gezeigt: Wir müssen tagtäglich mit ganzer Kraft für ein friedliches Zusammenleben und gegen Gewalt und Rassismus eintreten“, erklärte Staatsministerin Böhmer.
Unterdessen zeigten die Verteidiger des Beschuldigten, welche Rolle der Politik und den Medien dabei zukommt. Der Anwalt des Täters sagte: „Wir müssen fragen, warum dieser Angeklagte getötet hat. Dazu darf man nicht die Augen vor den gesellschaftlichen Umständen in diesem Land verschließen. Ist der Mandant ein fanatischer Einzeltäter mit Ausländerhass? Vielleicht. Aber da ist auch das Bild des Islam in Politik und Medien.“
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Ein Mensch wurde getötet. Das ist sehr traurig und der Täter gehört nach allen Maßstäben der deutschen Rechtssprechung verurteilt.
Jedoch verurteile ich auch die türkischen Verbände, den Zentralrat der Muslime – der die Debatte in seinem Sinne instrumentalisiert und versucht hieraus politische Vorteile zu erlangen.
Ich denke nicht, dass es um „politische“ Vorteile geht, sondern darum, Umstände zu beleuchten, welche die Tat möglicherweise begünstigt hatten.
Während beispielsweise jeder sogenannte Ehrenmord bei WELT-online in der Rubrik „Politik“ Seite an Seite mit Terroranschlägen und Titeln wie „Wir bräuchten mehr Sarrazins in der Politik“ behandelt wird, wird der Dresdener Mord in der Rubrik „Vermischtes“ behandelt – neben Sarah Palins Memoiren und Andre Agassis Drogenkonsum.
Durch eine solche Gewichtung der Themen wird dem Leser natürlich auch ein bestimmtes Gesellschaftsbild vermittelt. Man sollte sich zudem vergegenwärtigen, dass der Täter eine Frau ermordet, jedoch den Islam gemeint hat. Und der Verteidiger fragt zurecht, wie denn das Weltbild des Täters zustandekommt, und ob er mit diesem Weltbild denn wirklich ganz alleine steht, wie es die „Einzeltäter“-These suggeriert. Das ist eine Frage, die man völlig berechtigt auch z.B. bei einem Ehrenmord stellt.
Was in den Kommentarbereichen insbesondere bei Welt-Online abgeht, spricht bei vielen Themen Bände. Ich habe mich im Gegenzug mal umgeschaut, was zu dieser Geschichte in den Kommentarbereichen türkischsprachiger oder arabischsprachiger Zeitungen steht. Leider funktioniert der Google-Übersetzer nicht richtig, wenn türkische Kommentatoren mit deutschen Tastaturen schreiben. Recht gut funktioniert er aber bei arabischsprachigen Websites:
Sehr viele bekunden Beileid mit den Hinterbliebenen, viele sprechen von einer Märtyrerin. Einige sind wütend, einer rief dazu auf, „Wege zu tauschen“(es ihnen bez. Umgangs mit Minderheiten gleichzutun), ein anderer sprach bezüglich der Islamfeindlichkeit eher von einer „Meinungsverschiedenheit auf einer Schaukel“, betont also die Wechselseitigkeit solcher Entwicklungen und empfiehlt, aus Sicherheitsgründen dort hinzuziehen, wo viele Moslems leben. Einige sprachen von Vergeltung, Einer bedauerte wie schwer es ist, den Westen zu heilen. Mehrere machen die gegen den Islam gerichtete Berichterstattung verantwortlich. Einer entgegnete, dass Bin Laden und Sarkawi für die Berichterstattung verantwortlich sind.
Mehrere betonen die Wichtigkeit, dass das Verfahren nicht zu lange dauern sollte, da das Urteil sonst seine Signalwirkung nicht entfaltet, und einige bedauern, dass es keine Todesstrafe gibt.
Man spricht unterm Strich nicht anders, als man es von Menschen erwarten würde.