Bundesverfassungsgericht

Traditionen einer anders geprägten Mehrheit sind grundsätzlich zumutbar

Das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen, dass die mit dem Schulbesuch verbundenen Spannungen zwischen der religiösen Überzeugung einer Minderheit und einer damit in Widerspruch stehenden Tradition einer anders geprägten Mehrheit grundsätzlich zumutbar sind.

Montag, 10.08.2009, 6:35 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.08.2010, 16:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen, dass die mit dem Schulbesuch verbundenen Spannungen zwischen der religiösen Überzeugung einer Minderheit und einer damit in Widerspruch stehenden Tradition einer anders geprägten Mehrheit grundsätzlich zumutbar sind. (1 BvR 1358/09).

Die Eltern – Mitglieder einer baptistischen Glaubensgemeinschaft – wollten nicht, dass ihre zwei Grundschulkinder an einem Theaterprojekt in der Schule teilnehmen, das die Kinder für das Thema „sexueller Missbrauch“ durch Fremde oder auch Familienangehörige sensibilisieren sollte. An diesem Tag fand in der Schule auch eine Karnevalsveranstaltung statt. Alternativ dazu hätten die Kinder auch den Schwimmunterricht besuchen oder eine in der Turnhalle aufgebaute Bewegungslandschaft nutzen können. Die Kinder der Beschwerdeführer kamen an den dafür vorgesehen Tagen nicht in die Schule. Eine Befreiung für den Schulunterricht lag nicht vor.

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Deshalb wurde gegen die Eltern jeweils eine Gesamtgeldbuße von 80 Euro festgesetzt. Dagegen haben sie Verfassungsbeschwerde erhoben, da sie sich in ihrer Religionsfreiheit und ihrem Erziehungsrecht verletzt sehen.

Karnevalsveranstaltung vs. Neutralität der Schule
Sie sind der Ansicht, eine Pflicht zur Teilnahme an einer Karnevalsveranstaltung verletze die religiöse Neutralität der Schule, da Fastnacht ein Fest der katholischen Kirche sei. Es werde heute so gefeiert, dass Katholiken sich vor der Fastenzeit Ess- und Trinkgelagen hingäben, sich maskierten und meist völlig enthemmt – befreit von jeglicher Moral – wie Narren benähmen.

Das Theaterprojekt erziehe die Kinder zu einer „freien Sexualität“. Ihnen werde vermittelt, dass sie über ihre Sexualität allein zu bestimmen hätten und ihr einziger Ratgeber dabei, der sie niemals täusche, ihr Gefühl sei. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht hinreichend dargelegt hätten.

Beschränkungen des elterlichen Erziehungsrechts
„Das Grundrecht auf Glaubensfreiheit unterliegt selbst keinem Gesetzesvorbehalt, ist aber Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteilte Erziehungsauftrag. Infolge dessen erfährt das elterliche Erziehungsrecht durch die allgemeine Schulpflicht eine Beschränkung. Im Einzelfall sind Konflikte zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem Erziehungsauftrag des Staates im Wege einer Abwägung nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen. Zwar darf der Staat auch unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen, dabei muss er aber Neutralität und Toleranz gegenüber den erzieherischen Vorstellungen der Eltern aufbringen. Diese Verpflichtung stellt bei strikter Beachtung sicher, dass unzumutbare Glaubens- und Gewissenskonflikte nicht entstehen und eine Indoktrination der Schüler etwa auf dem Gebiet der Sexualerziehung unterbleibt.“, so die Verfassungsrichter.

Mit der Präventionsveranstaltung – sexueller Missbrauch – habe die Schule das Neutralitätsgebot nicht verletzt. Die baptistische Glaubensüberzeugung der Eltern sei durch die Theatervorstellung nicht infrage gestellt worden, weil diese die Kinder nicht dahin beeinflusst habe, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen.

Traditionen einer anders geprägten Mehrheit sind grundsätzlich zumutbar
Auch verstoße die Karnevalsveranstaltung nicht gegen das Neutralitätsgebot, da diese nicht mit religiösen Handlungen verbunden sei und die Kinder weder gezwungen worden seien, sich zu verkleiden noch aktiv mitzufeiern. Karneval oder Fastnacht sei kein katholisches Kirchenfest und heutzutage als bloßes Brauchtum der früher etwa vorhandenen religiösen Bezüge weitgehend entkleidet.

Schließlich geböten auch die Grundrechte der Eltern aus Art. 4 und 6 GG nicht, ihren Kindern eine Konfrontation mit dem Faschingstreiben der übrigen Schüler zu ersparen.

Die Bundesverfassungsrichter weiter: „Denn die mit dem Schulbesuch verbundenen Spannungen zwischen der religiösen Überzeugung einer Minderheit und einer damit in Widerspruch stehenden Tradition einer anders geprägten Mehrheit sind grundsätzlich zumutbar.“ Dies gelte umso mehr, als vorliegend die Schule einen schonenden Ausgleich zwischen den Rechten der Eltern und dem staatlichen Erziehungsauftrag auch dadurch gesucht habe, dass sie mit einem Schwimmunterricht und der Bewegungslandschaft in der Turnhalle zwei alternative Angebote zur Verfügung gestellt habe. Recht

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  1. Hans Albers sagt:

    „Traditionen einer anders geprägten Mehrheit sind grundsätzlich zumutbar “

    Hä?? Wirklich??
    Ist das jetzt ein 1.April-Scherz?