Sinus-Milieu-Studie
Große Vorurteile gegenüber Ausländer
Die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kürzlich herausgegebene Sinus-Milieustudie “Diskriminierung im Alltag” offenbart neben enormen Vorurteilen im Zusammenhang mit der Religion - insbesondere gegenüber Muslimen - auch viel Handlungsbedarf innerhalb der Mehrheitsgesellschaft, wenn es um die ethnische Herkunft oder um die Hautfarbe von Migranten geht.
Samstag, 11.04.2009, 16:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Laut Studie treten sowohl in den qualitativen Erhebungen als auch in der Repräsentativbefragung in nahezu allen Milieus starke, emotional getragene Vorbehalte gegenüber Ausländern und Migranten zutage. Diese äußern sich in Unbehagen, Misstrauen und irrationalen Ängsten („Ich würde auch nicht die Tür aufmachen, wenn ein Dunkelhäutiger davorsteht“), ebenso wie in den bekannten ressentimentgeladenen Negativklischees („Die wissen, wie man an Sozialgeld kommt“). Ursache dieser Grundeinstellung ist häufig das Gefühl einer umfassenden und nicht beherrschbaren Bedrohung durch die übergroße Zahl der ins Land strömenden Fremden („Das Problem sind die Massen“; „Immer mehr Ausländer kommen nach Deutschland, irgendwann ist Ende“). Das Bedrohungs-Szenario des „vollen Bootes“ führt dann, unterstützt durch den Hinweis auf allfällige Fehlentwicklungen (Migranten-Gettos in den Städten, Gewaltkriminalität bei ausländischen Jugendlichen, Belastung der Sozialsysteme etc.) rasch zu aggressiven Ausgrenzungstendenzen („Zuzug sperren“, „Die gehören abgeschoben“, „Schwarze Schafe raus“).
Insbesondere in den traditionellen und in den unterschichtigen Milieus ist blanker Hass gegenüber den Menschen anderer ethnischer Herkunft oder Hautfarbe zu spüren („Die werden immer mehr und immer frecher“; „Uns Deutsche behandeln sie wie Scheiße“), bis hin zu der gelegentlich von „DDR-Nostalgischen“ geäußerten Ansicht, man habe durchaus Verständnis dafür, wenn arbeitslose Jugendliche ihrem Frust Luft machen, indem sie „Fidschis klatschen“. In diesen Milieus ist die Überzeugung verbreitet, nicht die Migranten benötigten staatlichen Diskriminierungsschutz, sondern die „Einheimischen“, „das eigene Volk“ müsse vor den Folgen der als bedrohlich empfundenen Einwanderungswelle, die die Fundamente unseres Sozialstaats „unterspült“, geschützt werden. Viele Befragte aus diesen Milieus fühlen sich deshalb auch unmittelbar von der Ausländerpolitik des Staates diskriminiert („Die haben die Ausländer ins Land geholt, und jetzt kümmern sie sich nicht um die Probleme“).
In den gehobenen Milieus und in der gesellschaftlichen Mitte sind die Abgrenzungsmechanismen subtiler. Aber auch in diesem Segment ist man mehrheitlich der Ansicht, es seien zu viele Migranten im Land, die Dinge seien „nicht mehr im Gleichgewicht“, die Probleme würden verharmlost und seien inzwischen kaum mehr beherrschbar („Wir müssen das ernst nehmen, was da auf uns zukommt“). Gegenüber dem „staatlich verordneten“ Diskriminierungsverbot von Menschen fremder Herkunft oder Rasse sind deshalb auch viele Angehörige der gehobenen Milieus eher skeptisch. Nicht nur wird die als artifiziell empfundene Kultur der „political correctness“ abgelehnt – die es sogar verbietet, traditionelle Begriffe wie „Negerkuss“ oder „Mohrenkopf“ zu verwenden. Vielmehr wird darüber spekuliert, ob der deutsche Staat, infolge der historischen Erblast des Nationalsozialismus, nicht zu liberal, will heißen „zu lasch“ mit den Ausländern umgehe („Deutschland lässt sich zu viel gefallen“). Bekenntnisse zur Schutzwürdigkeit dieser Menschen werden daher auch im gehobenen Segment oft nur vordergründig im Sinne einer sozialnormativen Sollerfüllung abgegeben.
Allerdings ist das Plädoyer der „Postmateriellen“ für mehr Pluralismus und Offenheit vor dem Hintergrund der milieutypischen liberal-kosmopolitischen Weltsicht glaubwürdig. Am ehesten wird die Notwendigkeit eines Diskriminierungsschutzes von Menschen anderer Rasse oder Herkunft in den jungen Milieus der „Experimentalisten“, „Modernen Performer“ und teilweise auch der „Hedonisten“ gesehen – entweder im Sinne einer resignativen Toleranz wie bei den „Hedonisten“ („Wir leben halt in einer schlimmen Welt – aber keiner kann sich seine Pigmente aussuchen“) oder aus der Erfahrung heraus, dass Multikulturalität in unseren Städten längst zur Normalität geworden ist, wie bei den „Experimentalisten“, oder im Sinne einer zu bewältigenden Herausforderung wie bei den „Modernen Performern“ („Wir müssen mit ihnen zusammen leben, und es werden noch mehr Migranten kommen“).
Die in den qualitativen Erhebungen gesammelten Aussagen und Meinungen wurden für die Repräsentativerhebung in eine Batterie von Statements umgesetzt, die die Befragten anhand einer vierstufigen Antwortskala (von „stimmt ganz genau“ bis „stimmt überhaupt nicht“) beurteilen konnten. Dabei ergibt sich folgendes Bild, das zentrale Befunde der qualitativen Befragungen bestätigt (Prozentangaben sind Zustimmungsquoten):
- Jeder von uns muss den Ausländern helfen und ihnen Tipps geben, wie sie sich besser eingliedern können. 54 %
- Deutschland ohne Ausländer wäre ein langweiliges Land. 40 %
- Deutschland ist ein reiches Land, das sich seine Randgruppen leisten kann. 33 %
- Die Zuzugsregelungen für Einwanderer nach Deutschland sind unmenschlich und unzumutbar. 22 %
- Viele Ausländer, die in unserem Land leben, grenzen sich durch ihr Verhalten und ihr Auftreten selbst aus. 86 %
- Wer sich in Deutschland nicht anpassen kann, sollte das Land wieder verlassen. 84 %
- Wir müssen aufpassen, dass wir nicht von einer Einwanderungswelle überrollt werden. 75 %
- Ich finde, es geht zu weit, wenn man heute Begriffe wie „Mohrenkopf“ oder „Negerkuss“ nicht mehr verwenden soll. 61 %
- Ich glaube nicht an die Integration von Ausländern, denn wir verstehen ihre Welt nicht und sie verstehen unsere nicht. 55 %
- Mit Türken möchte ich nicht in einem Haus wohnen. 50 %
- Nicht die Ausländer werden diskriminiert, sondern die Einheimischen. 40 %
- Menschen mit schwarzer Hautfarbe passen nicht nach Deutschland. 26 %
- Ich habe Angst, wenn mir dunkelhäutige Männer auf der Straße begegnen. 24 %
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Ein Blick in und Schul-, aber auch, das muß sein, liebe Redaktion, in Kriminalstatistiken zeigt, daß sich manche Immigrantengruppen besonders erfolgreich integrieren. Vietnamesischstämmige Schüler sind in Deutschland im Schnitt erfolgreicher als deutschstämmige. Andere Gruppen integrieren sich dagegen weit schlechter. Falls also die deutsche Gesellschaft tatsächlich eine „ausländerfeindliche“ sein soll, so kann sie doch keineswegs in dem Grade „ausländerfeindlich“ sein, als daß sie Zugewanderten wirtschaftlichen Erfolg und Selbstverwirklichung verweigert. Der Schluß, daß im Vgl. zu Vietnamesen deutlich weniger erfolgreiche Zuwanderergruppen (besonders ärgerlich: nach 3 Generationen sich noch als nicht angekommen fühlend) im Schnitt irgendwas falsch machen, ist evident. Verweise auf tatsächliche oder vermeintliche „Ausländerfeindlichkeit“ als Grund für ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolg oder mangelnde Integration sind in diesem Zusammenhang irreführend.
@ ts
Dass manche Migrantengruppen erfolgreicher als andere sind, wird hier keinesfalls nicht in Abrede gestellt. Auch wird nicht unterstellt, dass die Gesamtgesellschaft ausländerfeindlich ist. Der Artikel oben gibt lediglich die Befunde der Studie wieder. Ein nicht unbeachtlicher Teil der Gesellschaft zeigt danach mindestens ausländerfeindliche Tendenzen, die man nicht damit wegreden kann, dass einzelne Migrantengruppen (bspw. Viatnemesen) oder selbst Einzelne Muslime – ja, auch die gibt es – erfolgreich sind. Darüber, wer in welchem Maße und weshalb besonders häufig diskriminiert wird, kann man sich unterhalten. Sicherlich gibt es viele Defiziete auf beiden Seiten, die hier nicht angesprochen wurden.
Ihre Formulierung „tatsächliche oder vermeintliche Ausländerfeindlichkeit“ erinnert mich aber an folgenden Befund aus der oben erwähnten Studie:
In Deutschland werden Ausländer diskriminiert mit Auswirkungen auf deren wirtschaftlichen Erfolg. Das belegen zahlreiche Studien: http://www.migazin.de/2009/03/31/ein-ganz-bitteres-kapitel-der-migrationsgeschichte-und-der-gegenwart/
Tatsächliche und nicht vermeintliche Verweise auf Ausländerfeindlichkeit als Grund für das ausbleiben des wirtschafltichen Erfolges sind insbesondere im Schulsystem nicht selten Ursache und keinesfalls irreführend. Ein Kind in eine Sonderschule zu schicken weil dieser Sprachprobleme hat, führt zwangsläufig dazu, dass dieser mit nicht unerheblich schlechteren Voraussetzungen seine Karriere startet als einer, der gefördert wird und eine gute schuliche Ausbildung genießen kann. Die Assoziationsketten aus der Studie
machen keinen Halt vor den Toren einer Schule oder in Ausbildungsbetrieben und bieten einen Anhaltspunkt dafür, welche Migrantengruppen am ehesten betroffen sind.
Auch wenn dieser Artikel und die Kommentare bereits einige Wochen alt sind, will ich besonders den ersten Kommentar nicht einfach so stehen lassen.
1. Die Tatsache, dass einige Migrantengruppen weniger auffällig sind, bedeutet nicht automatisch, dass sie sich erfolgreicher integriert haben. Es gibt vergleichsweise viel weniger vietnamesische Migranten (oder in meinem Fall koreanische) als türkische. Gäbe es 5 Millionen koreanischstämmiger Migranten und nur 100.000 türkischstämmige, wie sähe dann die Statistik aus?
2. Erfolgreich in der Schule zu sein, bedeutet nicht, dass man deswegen besser integriert sei (was ist denn Integration?). Die Chancen, von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden, steigen vielleicht. Aber eine gute Bildung schützt nicht vor Diskriminierung, wenn die „Hautfarbe“ eine andere ist. Fühlen sich vietnamesischstämmige Schüler denn integriert? Dass sie weniger auffallen, kann nicht als Hinweis auf ihre Gefühlslage interpretiert werden.
Wenn dem so wäre, könnte man die Zahlen ja auch so interpretieren:
26% der Deutschen meinen, Menschen mit schwarzer Hautfarbe passen nicht nach Deutschland.
Ergo meinen die übrigen 74% der Deutschen, Menschen mit schwarzer Hautfarbe passen sehr wohl zu Deutschland und begrüßen den Zustrom von Menschen aus Afrika.
3. Unsere Eltern haben uns angetrieben, in der Schule zu den Besten zu zählen. In ihrer Vorstellung haben wir nur dann eine Chance in Deutschland, wenn wir mindestens so gut sind wie deutsche Schüler.
4. Es gibt auch „positive“ Vorurteile: Asiaten seien ja immer höflich, zurückhaltend, freundlich, fleissig, intelligent, gebildet, etc. Ich weiß nicht, woher das kommt. Wir Asiaten (zumindest „wir Koreaner“) sind genauso höflich, intelligent, etc. wie Deutsche oder Türken.
5. Jede Migrantengruppe hat sich ihre eigene „Parallelgesellschaft“ aufgebaut. Die Vorstellung, nur weil sie nicht auffallen, gäbe es sie nicht, ist naiv. Das muss die Integration in Deutschland aber nicht zwangsläufig behindern, denn sonst müsste und würde man über jede Zuwanderungsgruppe schlecht sprechen.
6. „Fremdenfeindlichkeit“ kommt sowohl in der deutschen Gesellschaft als auch in diesen Parallelgesellschaften vor. Nur weil Migranten Opfer von Ausländerfeindlichkeit werden, heißt das nicht automatisch, dass Migranten deswegen keine „ausländer“feindlichen Einstellungen hätten. Genausowenig gibt es einen Automatismus, dass Migrantenkinder automatisch interkulturelle Kompetenzen hätten, nur weil sie mit zwei Kulturen aufwachsen.
Fazit:
Es gibt so viele Faktoren, die Integration beeinflussen, dass man in solchen Studien nicht mehr hinein interpretieren sollte, als erforderlich.
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