Verwaltungsgericht Berlin
Keine visafreie Einreise türkischer Staatsangehöriger bei Besuchsaufenthalten
Das Verwaltungsgericht Berlin hat am 25.03.2009 erstmalig über die Frage der visumfreien Einreise türkischer Staatsangehöriger entschieden. Danach brauchen türkische Staatsangehörige ein Visum, wenn sie lediglich zu Besuchszwecken einreisen.
Von GastautorIn Donnerstag, 26.03.2009, 8:02 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.09.2010, 3:06 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Das Verwaltungsgericht Berlin hat am 25.03.2009 (Az. 19 V 61.08) [pdf] 1 erstmalig über die Frage der visumfreien Einreise türkischer Staatsangehöriger entschieden.
Sachverhalt
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er begehrt die Einreise in die Bundesrepublik, „um seine vier Kinder zu besuchen und Dienstleistungen in Empfang zu nehmen“. Der Kläger ist unter ausführlicher Darlegung seiner Rechtsauffassung der Ansicht, dass er nach den assoziationsrechtlichen Regelungen EWG/Türkei für diesen Aufenthalt keines Visums bedarf, weil er von seiner passiven Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machen wolle. Er begehre die Einreise in die Bundesrepublik, um Dienstleistungen gegen Entgelt in Empfang zu nehmen. Hierzu benennt er Zoobesuche, Ausflüge, Anmietung eines PKW, Bahnfahrten und Ähnliches. So sei bereits die Entgegennahme der Leistungen der Flughafenangestellten, einen Reisekoffer vom Flugzeug zur Gepäckausgabe zu verbringen, von der passiven Dienstleistungsfreiheit erfasst.
Die Entscheidung
Der Kläger kann sich nach Ansicht des VG Berlin trotz der Soysal-Entscheidung des EuGH nicht auf eine Visumfreiheit berufen, denn der von ihm angestrebte Besuchsaufenthalt sei nicht von der Standstillklausel des Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll umfasst. Die frühere Visumfreiheit für türkische Staatsangehörige über die Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs hinaus, also außerhalb der wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten nach EU-Recht, unterliege nicht der Beschränkung durch das assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbot. Dies gelte namentlich für Besuchsaufenthalte bei Verwandten.
Die zur Gewährleistung wirtschaftlicher Betätigung garantierte Dienstleistungsfreiheit schütze auch den Dienstleistungsempfänger, also denjenigen, der sich zu Zwecken der Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat begebe. Eine solche auf eine wirtschaftliche Betätigung ausgerichtete Zweckbestimmung weise ein Besuchsaufenthalt bei Verwandten oder Freunden nicht auf. Der Empfang von Dienstleistungen erfolge in diesen Fällen fast denknotwendig und lediglich gelegentlich eines anderen Zwecken dienenden Besuchsaufenthalts und könne daher auch bei einem weiten Verständnis der passiven Dienstleistungsfreiheit nicht die Ratio des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls berühren. Ein Besuchsaufenthalt bei Verwandten oder Freunden sei auch nicht mit einem touristischen Aufenthalt gleichzusetzen.
Kommentierung
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts [pdf] wirft eine Reihe von praktischen Fragen auf. Wie soll die Motivforschung an der Grenze erfolgen? Reicht es aus, wenn ein türkischer Staatsangehöriger eine Rundreise gebucht hat? Ist der Besuch visumfrei, wenn ein Hotel in dem Ort, in dem die Verwandten leben, gebucht wurde? Da der türkische Staatsangehörige den visumfreien Zweck seiner Einreise belegen können muss, wird er nicht umhin können, Dokumente beim Grenzübertritt mit sich zu führen, aus denen sich ergibt, dass er nicht nur einen Besuchsaufenthalt plant.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts [pdf] geht deutlich über den Bereich hinaus, den der parlamentarische Staatssekretär Altmaier 2 dem Urteil zumessen will. Denn das Verwaltungsgericht sieht durchaus die Möglichkeit, dass die passive Dienstleistungsfreiheit in Form touristischer Aufenthalte die Einreisefreiheit begründen kann.
Dr. Dienelt, Migrationsrecht.net
- Link zur Entscheidung: http://www.migrationsrecht.net/index.php?option=com_docman&task=cat_view&gid=177&Itemid=127
- Rede des parlamentarischen Staatssekretärs Peter Altmaier: http://www.youtube.com/watch?v=dBTGKIfCdVo
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Neue Behörde Ukrainer sollen arbeiten oder zurück in die Heimat
- Rheinland-Pfalz-Studie Jeder zweite Polizist lehnt muslimfeindliche…
- Der Fall Prof. Dr. Kenan Engin Diskriminierung an deutschen Hochschulen kein Einzelfall
- Drama im Mittelmeer Seenotretter bergen hunderte Geflüchtete
- Kaum Auslandsüberweisungen Studie entlarvt Lüge zur Einführung von Bezahlkarten
- Einstiegsdroge: Ausländerfeindlichkeit AfD zur politischen Säule von Rechtsextremen geworden
Ad-hoc Gedanken zu Folgen des Urteils:
Wenn man das Urteil des Gerichts bewertet, ist es insgesamt dennoch ein großer Punktsieg!
Die Beschwerde wurde zugelassen Seite 5 oben: „…Danach ist die die Versagung eines Visums zu touristischen Zwecken unanfechtbar. Dieser Rechtsbehelfsausschuss gilt nicht für Besuchsvisa“. Damit steht der Rechtszug frei. Ein anderes Gericht soll noch über diesen Rest der Frage, des Besuchs, lösen. Denn aus dem Urteil des Gerichts geht eigentlich schon klar hervor, dass die Einreise als Tourist ohne ein Visum möglich ist!
Weiterhin wird im nächsten Absatz, auf Seite 5, ein Umschwenken auf ein Touristenvisum nicht gestattet, weil der Kläger ja bereits – offensichtlich genug – ein Besuch bei Verwandten zuerst begehrt hatte, bzw. dadurch auch auf die Freistellung von der Verpflichtung zu einem Sichtvermerk vom Gericht bestätigt haben wollte.
Damit muss ein Jeder sich vorher lieber als Tourist anmelden und dies explizit auch dies dann nachweisen. Ein Konjunkturprogramm für das deutsche Gaststätten und Hotelgewerbe, die aber gar nicht eingestellt ist. Das fängt schon mal bei der Esskultur an!
Was aber im Grunde zu einer Notlüge die betroffenen Menschen, treiben könnte. Denn werden sie demnach im Kontakt mit anderen hier lebenden türkischen Staatsbürgern von der Polizei angetroffen, wird dann nachträglich ein Verstoß des wahren Grundes womöglich zunächst auch noch unterstellt bzw. ihnen dann vorgehalten. Damit könnten sie strafrechtlich behandelt werden. Vor deutschen Verwaltungen, ist vielleicht dann auch noch ein Abgleich eines DNA-Test eventuell zu erbringen. Nur wie will man dies bei nachrangigen Verwandten nachweisen können?
Wie das so sieht wird dies ganze spitzfindige Sicht der Dinge, zu vielen Gerichtsurteilen noch führen, und alle auf trapp halten. Die Definition der passiven Dienstleistung, in der Unterscheidung zwischen Besucher und Touristen, ist konkret ein Schildbürgerstreich erster Güte, solange sich eine Stock rechtskonservativer Politiker, samt seinem in voreiligem Gehorsam oder aus Opportunitätsgründen willfährige Gefolgschaft, den BMI führt!
Das ist eine Gelegenheit den Rechtsbehelf zu verwirklichen und in die Beschwerde zu gehen, die ja auch zugelassen wurde! Dabei muss eben die Praxisuntauglich den Richtern erläutert werden, dass die Auffassung der unteren Instanz letztendlich nicht dem EuGH Urteil in der Rechtssache C-C‑228/06 vom 19.03.2009, in Sachen Soysal/Savatli, nicht entspricht.
Und diese und andere Argumente in der Sache, zu einer weiteren eindeutigen und gezielten Stigmatisierung von türkischen Staatsbürgern in der Öffentlichkeit führen würde. Weil, dann zukünftig türkische Staatsbürger, und auch andere Menschen, die irgendwie nach Türkisch ausschauen würden, stets einer ständigen, immer währenden und grundlosen Kontrolle, durch die Polizei und Zielfahndern der Bundespolizei, ausgesetzt wären!
Und damit nicht genug, auch noch jedesmal ihre höchstpersönliche Grundrechte so vorsätzlich verletzt werden würden, in der Hoffnung der Polizei wenigstens einen Treffer am Tage zu erreichen, was aber vorsätzlichen Absicht gleich käme, nämlich einer Nötigung oder auch schon mal einem versehentlichen Festhalten in der Kammer der Polizei, durch eine Verhaften, wegen einer Gefahr im Verzug, und damit zu einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung, wonach auch der Versuch strafbar ist!
Ständig würde dann Polizeibeamte angezeigt werden müssen, was ja nicht gerade den bürokratischen Aufwand nicht gerade abbauen hilft! Bei Häufung dieser Delikte, kann damit ein Polizist auch vom Dienst ausgeschlossen werden, auch durch ein Gerichtsurteil, weil es auch dem Missbrauch Tor und Bogen öffnet!
Obwohl sie schon das Gesetz zur Anwendung bringen müssten, begeben sich deutsche Polizisten, aber dennoch eventuell auf dem Feld einer möglichen Strafbarkeit ihres Tuns!
Gemäß Art. 234 EG Teil 3, ist aber das Gericht der Beschwerde, verpflichtet beim EuGH diese Frage endlich klären zu lassen, mit den möglichen Auswirkungen und angepasst an die Lebenswirklichkeit!
„…Türkischen Staatsbeamten dagegen bleibt der Papierkrieg erspart. …“, aus der „F.A.Z.-Community“ online gefunden!
Das ist sicherlich auch einer der vielen Gründe, warum eine nicht mehr hinnehmbare Situation eingetreten ist, diese zum Himmel schreiende unsägliche passivität der türkischen Regierung.
Nach dem Motto: Was geht mich das Ganze an, wenn meine Bediensteten mit einem „grünen Pass“ versehen, durch alle Passkontrollen, auch in Deutschland kommen. Es ist ein Privileg der türkischen Bürokratie, dass man wohl absolut nicht missen will! Schließlich gibt es ja das Unten und wir da Oben Prinzip! Nur auf der Strecken bleibt dann wohl der große Rest der eigenen Bevölkerung!
Wenn sich also die türkische Regierung endlich bequemen könnte, diesen abtrusen Ritterschlag, aufzuheben, dann würden sich wohl auch die Leichtsfuss-Diplomaten, gedrängt sehen, endlich von ihrem Dornröschenschlaf aufzuwachen, und ihre eigene Bevölkerung, nicht so im Regen stehen lassen, wie es schon beinahe zur Tradition geworden ist! Siehe auch bisherige Klagen in jeder Stufe eines Rechtszuges und beim EuGH! Obwohl das alles nur zum Vorteil der ganzen Türkei sein könnte, mal die Faustauf dem EU-Tisch zu schlagen!
Dazu mehr bei der FAZ:
„Türken ohne Visum?
26. März 2009, 10:28 Uhr
Wer möchte das nicht: Seine Familie besuchen, die vor Jahren die Heimat verlassen hat, und gucken, wie es sich in dem fremden Land so lebt. Doch auf Türken die ihren Urlaub in Deutschland verbringen wollen, wartet eine Prozedur, die so anstrengend ist, dass viele die Reise nach Deutschland scheuen: Eine Verpflichtungserklärung der Verwandten oder Einladenden aus Deutschland, dass sie finanziell für den Gast bürgen, muss dem deutschen Konsulat vorgelegt werden. Außerdem werden Formulare verlangt, die belegen, dass der Reisende nicht illegal bleiben will. Hinzu kommen Grundbuchauszüge, Sparbücher oder Einkommensnachweise. Wer arbeitslos ist, hat keine Chance, ein Visum zu bekommen. Türkischen Staatsbeamten dagegen bleibt der Papierkrieg erspart. …
Quelle: http://faz-community.faz.net/blogs/haymat/archive/2009/03/26/tuerken-ohne-visum.aspx
Immerhin wurde die Thematik in einem FAZ-Blog aufgegriffen. Mal sehen, wie lange die großen Zeitungen die Visa-Entwicklungen der Öffentlichkeit noch vorenthalten wollen.
Das Verwaltungsgericht Berlin und die Regierung arbeiten sowieso zusammen,deswegen hat mich das Urteil nicht überrascht. Wichtig ist immer,was die europäischen Gerichtshöfe sagen.Deswegen sollten die türkischen Staatsangehörige ihr Recht vor den europäischen Gerichtshöfen suchen.
Pingback: Dagdelen: Verwaltungsgerichtsurteil widerspricht Rechtsauffassung des Innenministeriums | MiGAZIN
Es ist kein Urteil gefällt worden, sondern im Rahmen einer vorläufigen Einschätzung der Erfolgsaussichten der Klage ein Beschluss über die Prozesskostenhilfe. Dies sollte nicht verwechselt werden. Ob das OVG dies anders sieht, hängt davon ab, ob auch der Beschluss angefochten wurde. In der Hauptsache könnte das VG vorlegen an den EuGH. Allerdings sieht es selbst ja die Frage der passiven Dienstleistunsgfreiheit für geklärt an, so dass es fraglich ist, ob es vorlegt.
Pingback: Visafreiheit für Türken - Linke fragen konsequent nach | MiGAZIN
Hallo…ich finde es nicht gut,das türkische staatsbürger nur mit visum nach deutschland einreisen dürfen…Mir würde es besser gefallen,wenn sie ohne visum einreisen dürfen,da mein freund auch türke ist und in zwei monaten wieder zurück in die türkei muss,nur weil der deutsche staat,dieses blöde gesetzt nicht vefallen lassen will.
lg
Ja, ich würde mich natürlich persönlich durchaus freuen, wenn der Visa-Zwang fallen würde – aber vielleicht gibt es doch einen Grund, es nicht zu tun?! :-( Könnte dahingehend DE aber überhaupt autark agieren – ´wir` sind doch im Schengen-Abkommen irgendwie gebunden ???
Aber es wäre schon ein sehr großer Schritt nach vorne (d.h. in die richtige Richtung), wenn man wenigstens ohne quasi-vorab-Kriminalisierung ganz einfach ein Visa beantragen/bekommen könnte, wenn dem nichts Konkretes entgegensteht (z.B. poliz. Führungszeugnis)! Noch soll es ja ein aufwändiges Lotteriespiel (Zeit+Geld) sein, ein Visa zu erhalten – wenn es nicht sogar allein wegen relativ unwichtiger Gründe der Antrag schon sinnlos erscheint (z.B. kein Vermögen oder ohne aktuelle Arbeitsstelle)
Es müßte doch tatsächlich für Besuche <3 Monate eigentlich absolut hinreichend sein, eine Einladung ("Verpflichtungserklärung") und eine Krankenversicherung zu haben!!! Damit wäre auch ein Abtauchen des Reisenden für den dt. Staat doch weitgehend kostenneutral…
Jetzt wird aber wohl noch faktisch jeder Eingeladene als potentieller Illegaler und jeder Einladende als Schleuser vor-kriminalisiert – allein das aber ist schäbig und auch für ´uns` Deutsche zutiefst beschämend!
btw.: es ist aber auch unverschämt, was der türkische Staat bei einem Reisepaß für Normal-Ali/-Aishe an Kosten verlang! Da kostet ein 6 Monate gültiger Paß mehr als hier ein 10-Jahre-EU-Paß (mit ID-Chip)!! Das ist echt krass!