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Eine Frau im Ganzkörperschleier © Patrick Denker @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Burka-Verbot

Keine Ausnahme für muslimische Touristinnen

Im Schweizer Kanton Tessin ist seit Juli die Vollverschleierung verboten, Religionsvertreter und Hotelbesitzer protestieren. Eine Initiative sammelt Unterschriften, um das Verbot im ganzen Land durchzusetzen. Von

Von Jan Dirk Herbermann Dienstag, 12.07.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.07.2016, 18:05 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Augen der Frau gucken durch einen Schlitz, Kopf und Oberkörper sind mit schwarzem Tuch verdeckt. Noch ist das Bild des Initiativkomitees „Ja zum Verhüllungsverbot“ überwiegend im Internet zu sehen. Doch schon bald dürfte es an vielen Plätzen der Schweiz hängen. Denn das rechtskonservative Initiativkomitee sammelt die benötigten 100.000 Unterschriften, um eine Volksabstimmung durchzusetzen. „Kein freier Mensch verhüllt sein Gesicht“, so das Komitee. „Niemand darf in der Schweiz, dem Land der Freiheit, gezwungen werden, sein Gesicht zu verhüllen.“

In einem der 26 Schweizer Kantone gilt das Verhüllungsverbot schon. Seit dem 1. Juli ist im Tessin das Tragen von Burka (Ganzkörperschleier) und Niqab (Gesichtsschleier) im öffentlichen Raum untersagt: Wer erwischt wird, muss mindestens 100 Franken (umgerechnet 92 Euro) zahlen. Im Wiederholungsfall können gar 10.000 Franken (9.200 Euro) fällig werden. Der italienischsprachige Kanton, in dem sich in den vergangenen Jahrzehnten etliche Deutsche niederließen, ist somit zu einem Testgebiet für ein Gesetz geworden, das sich bewusst gegen die Kleidungsregeln für bestimmte muslimische Frauen richtet.

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Prinzipien

Und schon nach wenigen Tagen wühlt das Gesetz das Tessin gehörig auf – ein Vorgeschmack auf das, was auf die gesamte Schweiz zukommen dürfte. Der Tessiner Justizminister Norman Gobbi von der rechtsgerichteten Lega will, dass die Behörden das Gesetz ohne Wenn und Aber anwenden. „Auch für Touristen wird es keine Ausnahmen geben“, droht Gobbi. Schon stöhnen Hoteliers und Gastwirte in Lugano, Locarno und Ascona. Sie befürchten einen Besucherschwund. Zahlungskräftige Kunden aus den Golfstaaten dürften die sogenannte Sonnenstube der Schweiz nicht mehr aufsuchen und anderswo in Nobelherbergen absteigen und in Edelboutiquen einkaufen.

Doch die Verluste im Tourismusgeschäft können die Befürworter des „Burka-Verbots“ nicht beeindrucken. Ebenso wenig interessiert es sie, dass im südlichsten Kanton bislang nur äußerst selten eine verschleierte Frau zu sehen war. Ihnen geht es ums Prinzip. „Ich kämpfe gegen religiösen Fanatismus“, betont Giorgio Ghiringhelli, der als Vater des Verschleierungsverbots im Tessin gilt. Er erzwang eine Volksabstimmung über die Anti-Burka-Vorschrift, 2013 stimmten fast zwei Drittel der Tessiner dafür. Das Tessin hatte sich auch für das Bauverbot für Minarette ausgesprochen – die Volksabstimmung von 2009 in der gesamten Schweiz sorgte weltweit für Schlagzeilen. Und für Protest.

Religionsfreiheit

Auch das Verschleierungsverbot ruft Protest hervor. Am lautesten widersetzt sich die Interessenvertretung der schätzungsweise 350.000 Schweizer Muslime, die in dem Acht-Millionen-Land nach den Christen die zweitgrößte Religionsgemeinschaft bilden: „Ob die Taliban Frauen nötigen, eine Burka zu tragen oder die Tessiner Regierung sie dazu zwingt, den Niqab abzunehmen, darin besteht in der Sache kein Unterschied”, schreibt der Islamische Zentralrat Schweiz. Das Niqab-Verbot stelle eine Verletzung der Religionsfreiheit dar und sei „ein massiver und unrechtmäßiger Eingriff in die persönliche Freiheit der betroffenen Frauen“. Die Musliminnen würden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

Die katholische Schweizer Bischofskonferenz sieht das Verschleierungsverbot im Tessin mit Bedauern. Das öffentliche Tragen religiöser Zeichen „gehört zur Religionsfreiheit und ist insofern geschützt”, heißt es aus der Zentrale. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund nahm keine Position ein. Allerdings dürften staatliche Regeln die Religionsfreiheit nicht unterhöhlen, diese müsse geschützt werden, teilte eine Sprecherin des Kirchenbundes in Bern mit.

Immerhin können die Frauen, die eine Buße wegen Verschleierung bekommen, auf Beistand zählen. Der algerische Unternehmer und gläubige Muslim Rachid Nekkaz will alle Bußen aus eigener Tasche zahlen – und so das Gesetz aushöhlen. Nach eigenen Angaben kam Nekkaz schon für mehr als 1.000 Bußen in Frankreich auf, wo landesweit ein Verschleierungsverbot gilt. (epd/mig) Aktuell Ausland

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