Fachkräftemangel

Deutschlands Mittelstand blickt noch zu wenig in die Ferne

2013 sind gut 430.000 Menschen mehr nach Deutschland gekommen als wegzogen. Ein Grund: Deutsche Unternehmen suchen zunehmend direkt im Ausland nach qualifizierten Fachkräften. Die meisten mittelständischen Unternehmen gehen diesen Weg aber noch nicht, obwohl sie von Fachkräfteengpässen betroffen sind.

Von Christoph Metzler Donnerstag, 30.10.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 19.01.2016, 9:40 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Sonderauswertungen von Unternehmensbefragungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie aus den Jahren 2012 und 2013 zeigen, dass nur 6 Prozent aller Unternehmen in den letzten fünf Jahren Fachkräfte aus dem Ausland rekrutiert haben. Auffällig ist: Fast jedes dritte große Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern hat mindestens eine internationale Fachkraft eingestellt, aber nur 6 Prozent der Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern. Eine mögliche Erklärung für dieses unterschiedliche Verhalten ist, dass insbesondere in kleinen Unternehmen das Alltagsgeschäft stärker im Vordergrund steht und eine Rekrutierung von internationalen Fachkräften mehr Aufwand darstellt als die Rekrutierung am heimischen Arbeitsmarkt.

Ausländische Zeugnisse, Behördengänge und Überbrückung von vermeintlichen oder tatsächlichen Sprachbarrieren können auf den ersten Blick abschrecken. Für diese These spricht, dass nur in knapp 22 Prozent der kleinen Unternehmen ein Mitarbeiter beschäftigt ist, der sich vorrangig um Angelegenheiten des Personalmanagements kümmert. Hingegen gibt es einen solchen Mitarbeiter in 86 Prozent der großen Unternehmen. Dabei könnte die Rekrutierung von Fachkräften im Ausland bei der Überwindung von Fachkräfteengpässen helfen: Bereits heute stoßen 60 Prozent der kleinen Unternehmen auf mittlere bis schwere Probleme bei der Rekrutierung von Fachkräften mit Berufsabschluss. Damit treten bei der Suche nach neuen Elektrikern, Rohrleitungsbauern oder Automatisierungstechnikern in kleinen Unternehmen fast doppelt so häufig Schwierigkeiten auf wie in großen Unternehmen.

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Für zwei Drittel aller Unternehmen, die internationale Fachkräfte rekrutiert haben, war für die Rekrutierungsentscheidung ausschlaggebend, dass entsprechende Fachkräfte – wie zum Beispiel Ingenieure oder Heizungstechniker – auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht verfügbar waren. Daneben gab es aber auch weitere Gründe: 45 Prozent aller Unternehmen versprachen sich eine bessere Erschließung ausländischer Märkte, zum Beispiel durch Sprachkenntnisse oder persönliche Kontakte ihres neuen Personals. Und für 37 Prozent war auch der Wunsch nach Diversity mitentscheidend. Sie strebten eine Mischung aus deutschen und ausländischen Beschäftigen an, um beispielsweise ein kreatives Arbeitsklima zu erzeugen.

Um kleinen und mittleren Unternehmen die Rekrutierung internationaler Fachkräfte zu erleichtern, sind Informationsangebote sehr wichtig. Neben einer Übersicht der harten Faktoren, wie zum Beispiel rechtliche Rahmenbedingungen, sind auch die vermeintlichen weichen Faktoren wichtig. Ein Beispiel hierfür ist die Etablierung einer Willkommenskultur im Unternehmen. Nur wenn die neue internationale Fachkraft sich im Unternehmen auch wohl fühlt, wird sie dort bleiben und nicht zur Konkurrenz abwandern oder zurück in ihr Herkunftsland gehen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat mit dem Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung unter www.kompetenzzentrum-fachkraeftesicherung.de ein Portal für kleine und mittlere Unternehmen geschaffen. Dort können Unternehmen in Schritt-für-Schritt Anleitungen nachlesen, wie sie gezielt internationale Fachkräfte rekrutieren und an sich binden können. Beispiele aus kleinen und mittleren Unternehmen zeigen darüber hinaus, wie andere Betriebe sich der Herausforderung der Rekrutierung ausländischen Personals und dessen Integration in den (Arbeits-)Alltag erfolgreich gestellt haben.

Dass sich dieser Aufwand lohnt, zeigt auch ein anderes Ergebnis der Unternehmensbefragungen: Für mehr als drei Viertel aller Unternehmen spielt es keine Rolle, ob ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Berufsausbildung im Inland oder im Ausland gemacht haben. Beide bringen ihrer Erfahrung nach eine vergleichbare Leistung. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den Bewertungen von Akademikern. Die überwältigende Mehrheit der Unternehmen hat also sehr gute Erfahrungen mit internationalen Fachkräften gemacht.

Aber auch wird hier noch Potenzial verschenkt. So manche internationale Fachkraft lebt seit Jahren in Deutschland, hat aber keine passende Stelle für ihre Qualifikation und arbeitet als An- oder Ungelernter. Dies liegt zum Teil daran, dass viele Unternehmen ausländische Qualifikationen nicht einschätzen können. Dadurch stellen sich Fragen wie: „Hat der Elektroniker mit einem polnischen Abschluss dieselben Sicherheitszertifikate absolviert wie ein Elektroniker mit einem deutschen Abschluss und falls nein, welche Weiterbildungen braucht er?“ Knapp 42 Prozent aller Unternehmen wünschen sich hier mehr Unterstützung, um die Zeugnisse und Abschlüsse besser beurteilen zu können. Doch auch hier gibt es schon Informationsangebote: Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln betreut – gefördert durch das Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie – eine Internetseite mit dem Schwerpunkt ausländische Berufsqualifikationen. Unter www.bq-portal.de können Unternehmen auf 864 Berufsprofile aus 54 Ländern zugreifen und so zum Beispiel überprüfen, welche Qualifikationen ein Bäcker aus Bulgarien oder ein Elektroinstallateur aus Kasachstan mitbringt.

Mehr Informationen alleine reichen allerdings nicht immer aus, denn in einigen Berufen gibt es auch besondere rechtliche Voraussetzungen. Ohne einen Abschluss als Geselle kann ein Handwerker in Deutschland in der Regel kein Meister werden. Sehr zum Leidwesen vieler Unternehmen, die händeringend Meister suchen, verdiente Mitarbeiter mit einem ausländischen Abschluss aber nicht ohne Weiteres auf den passenden Lehrgang schicken können. In diesem Fall kann eine Anerkennung der ausländischen Berufsqualifikation Abhilfe schaffen. Die ausländische Fachkraft stellt diesen Antrag direkt bei der zuständigen Kammer. Seit April 2012 ist dieser Prozess wesentlich einfacher geworden, davon profitieren auch Unternehmen. Allerdings sehen 48 Prozent den bürokratischen Aufwand nach wie vor als zu hoch an.

Alles in allem zeigt sich, dass internationale Fachkräfte von deutschen Unternehmen durchaus geschätzt werden. Im Rahmen des demografischen Wandels wird diese Zielgruppe noch wichtiger werden. Allerdings sehen sich insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bei der Rekrutierung internationaler Fachkräfte besonderen Herausforderungen gegenüber und benötigen gezielte Unterstützung. Denn viele haben bislang wenig Erfahrungen mit der Rekrutierung internationaler Fachkräfte gemacht und nur geringe Ressourcen dafür, sich in die Materie einzuarbeiten. Die Ergebnisse zeigen aber: Wer erst einmal den Schritt gemacht hat, bereut ihn nicht. Aktuell Wirtschaft

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