Integration im 16:9 Format

2010 – das Jahr der Integrationsde(bakel)batte

Ein Rückblick auf das Jahr des metallischen Tigers. Es war geprägt von Thilo Sarrazin, Christian Wulff, Mesut Özil, Rücktritten und anonymen Bewerbungen und Brückenbauern. 2011 ist das Jahr des Metall-Hasens.

Von Dienstag, 04.01.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 09.05.2020, 1:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Nachdem Mondkalender war 2010 das Jahr des metallischen Tigers. Im gregorianischen Kalender – nachdem Deutschland geht, kann man denselben Zeitraum, als das Jahr der blühenden Integration bezeichnen. Der vierte Integrationsgipfel fand statt, mit gleich zwei koreanischen Vertreterinnen.

Selbst ernannte Dichter und Vorzeigedenker verfassten ihre Integrationsgedanken in Buchform, wie Alice Schwarzer und Thilo Sarrazin. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch verkündete resigniert, seinen Rücktritt aus der Politik. Wahrscheinlich deshalb, weil man mit Ausländer keinen Wahlkampf mehr betreiben kann und Sarrazin ihm gezeigt hat, dass es marktwirtschaftlich profitabler gewesen wäre, diffamierende Äußerungen gegenüber ausländischen Mitbürgern, als Buch zu veröffentlichen. Nichtsdestotrotz wechselte Koch für ein Jahressalär von rund 1,5 Millionen in die Wirtschaft. Ein Unternehmen mehr, in der sich hoch qualifizierte Deutsche mit Migrationshintergrund kaum Hoffnungen machen sollten, eingestellt zu werden. Zu den prominenten Rücktritten aus der Politik gesellte sich auch Hamburgs erster Bürgermeister Ole von Beust und Bundespräsident Horst Köhler. Letzterer machte den Weg frei für den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Wulff schrieb Geschichte, indem er als Ministerpräsident Niedersachsens, die erste türkischstämmige Ministerin Aygül Özkan in sein Kabinett holte und für Furore sorgte, mit dem Statement, der Islam gehöre zu Deutschland.

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Mesut Özil wurde von der Politik instrumentalisiert. Er wurde auf Wunsch der Bundeskanzlerin in der Mannschaftskabine mit nacktem Oberkörper bei der Begrüßung fotografiert. Das Foto ging durch sämtliche Presseagenturen. Die Botschaft war klar – nicht Bildung und Sprache sind der Schlüssel zur Integration, sondern König Fußball. Gesellschaftliche Akzeptanz und Aufstieg durch Sport. Wer kein Fußball-Gen besitzt, dem kann ich trotz Fachkräftemangels in Deutschland nur nahe legen, darüber nachzudenken, im Land der Eltern sein Glück zu suchen. Ein Lichtblick in der Integrationsdebakelbatte war die neue PISA-Studie, die bescheinigt, dass die Migrantenkinder viel besser abschneiden als noch vor 10 Jahren.

Zu den vielen neuen Definitionen und Schlagwörtern im Integrationsdschungel gesellte sich auch das Wort „Deutschenfeindlichkeit“ der Familienministerin Kristina Schröder hinzu. Im Jahr des metallischen Tigers startete das von Schröder geführte Ministerium ein Pilotversuch mit anonymen Bewerbungen. Offiziell heißt es, dass Personal künftig nur noch nach Leistung und nicht nach Herkunft eingestellt werden soll. Nur sieben mickrige Unternehmen nehmen an diesem Pilotprojekt teil. Komischerweise nimmt keiner der vier Initiatoren Unternehmen (Daimler, BP Europa SE, Deutsche Bank und Telekom) der Charta der Vielfalt teil, die nun rund 900 Mitglieder zählt. Ich habe die Befürchtung, dass man mit dem Projekt nur den Beweis herstellen möchte, dass Ausländer beziehungsweise Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt nicht diskriminiert werden. Aber das möchte man der Öffentlichkeit vorenthalten, sowie das Manifest der Brückenbauer, ein bundesweites Netzwerk von deutschen Führungskräften mit Migrationshintergrund, die für ein neues Miteinander plädieren und der offene Brief an Alice Schwarzer. Die Medien blieben stumm. Das was Angst schürt verkauft sich eben besser, als das was eint.

Meine einheimische Freundin Dani ist der Meinung, dass die Integrationsdebatte, eine völlig unnötige sei. Ihrem Denken nach ist quasi jedes Land ein Einwanderungsland. Wenn die Menschen das endlich begreifen würden, dass wir eine Gesellschaft sind, dann könnten wir endlich damit anfangen uns viel wichtigeren Themen zu widmen, wie der Umweltproblematik. Stichwort: Plastikstrudel im Ozean. Wie viel unnötige Energie wird für die Integrationsdebatte verschwendet, die für weitaus wichtigere Themen zugutekommen könnten. Ich hatte Danis Aussage nichts mehr hinzuzufügen.

Ich blicke optimistisch in die Zukunft. 2011 ist schließlich das Jahr des Metall-Hasens. Im chinesischen Horoskop steht geschrieben, dass es im Jahr 2011 mit Gelassenheit und Liebe vorangeht. Das Spiel der Mächte muss weitergehen, mit den Städten voller Narren, wie Whitman eins sagte und so wie Sarrazin es mit seiner Büttenrede in Mainz tat. Aktuell Meinung

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  1. Ghostrider sagt:

    Sehr guter Beitrag von Martin Hyun! Daumen hoch!

    Ghostrider

  2. Umit sagt:

    Den vorletzten Abschnitt kann ich auch nur unterstützen. Die Integrationsdebatte ist unnötig, wenn man die in Deutschland lebenden Menschen einfach anerkennend behandelt. Aber hier der Verweis auf den Absatz davor: „Das was Angst schürt verkauft sich eben besser, als das was eint.“ Warum also durch Anerkennung vereinen?