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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Die Iden des Merz

Ein halbes Jahr Regierung reicht für kompletten Verschleiß: ein Kanzler mit Rededrang, ein CSU-Chef auf Erbfolgekurs und eine Koalition im Selbstzerlegungsmodus. Statt Führung gibt es Dauerfremdschämen – frohe Weihnachten.

Von Montag, 15.12.2025, 11:44 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 15.12.2025, 11:44 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Bundesregierung ist nach einem halben Jahr praktisch am Ende. Merz ist nicht nur angeschlagen, weil es ihm mal um mal nicht gelingt, stabile Mehrheiten zu organisieren – während er noch darüber fabuliert, dass man in Angola gar kein anständiges deutsches Brot bekommt, bringt sich auch Söder bereits in Stellung. Jener stellt sich zwar immer wieder rhetorisch hinter Merz, wenn es ihm opportun erscheint, doch ebenso opportun verkündete er ohne Zögern beispielsweise, die Kollaboration mit der AfD Anfang des Jahres sei wohl doch ziemlicher Bockmist gewesen. Das tut er nur, weil er sich damit bereits öffentlich absetzen kann, um gegebenenfalls nicht mit Merz unterzugehen – oder, um ihn womöglich gar noch zu beerben.

Gerade erst ist Söder mit dem schlechtesten Ergebnis seiner Karriere beim Parteitag zum Parteivorsitzenden wiedergewählt worden. Er erreichte mit nicht einmal 84% nicht nur das schlechteste Ergebnis seiner eigenen Karriere, sondern das schlechteste Ergebnis eines Kandidaten ohne Gegenkandidaten seit den 50ern überhaupt. Etwa ein Sechstel, über hundert Abgeordnete, hätten also lieber gar keinen Vorsitzenden gehabt, als Markus Söder.

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Trotzdem – oder gerade deswegen – macht Söder wie gewohnt weiter. Und trotz seiner öffentlich zumindest implizit geäußerten und sicherlich korrekten Annahme, dass er zum Kanzler einfach nicht tauge (schafft er es doch schon jetzt kaum, sich neben seiner Influencer-Tätigkeit für die deutsche Fleischindustrie auch noch Zeit für den Job des Ministerpräsidenten freizuräumen), tut er weiter so, als hätten er und seine Partei mit der regierenden Koalition wenig zu tun.

„Krankte die Ampel noch daran, dass dem Kanzler oft genug mit Recht vorgeworfen wurde, nichts zu sagen zu haben, hofft der Großteil der Republik heute nur, der Neue möge doch einfach mal den Mund halten.“

In seiner Parteitagsrede äußerte Söder die bekannten Floskeln: Natürlich ist alles schlecht, was die Koalition beschließt – es sei denn, es ist kommt von der CSU. Natürlich steht er unbestritten hinter Merz. Natürlich kann Deutschland nur funktionieren, wenn es sich dem bayrischen Primat unterwirft.

Er zeigt auf die diese Weise auf, dass die schwarz-rot-blaue Koalition nach kaum mehr als einem halben Jahr bereits an akutem Ampel-Syndrom im Endstadium leidet. Einziger wesentlicher Unterschied ist, dass Lindners Egotrip sich damals halt vor allem am Spardiktat festmachte, während der Franke Söder meint, dass alles nicht-bayrische von Grund auf schlecht ist – kurios genug für jeden, der schon einmal einen Franken einen Bayern nannte.

Wobei, natürlich ist es nicht wirklich der einzige wesentliche Unterschied, immerhin entzündet sich die Unzufriedenheit an der Regierung ja auch im Besonderen an der Person des Kanzlers. Krankte die Ampel noch daran, dass dem Kanzler oft genug mit Recht vorgeworfen wurde, nichts zu sagen zu haben, hofft der Großteil der Republik heute nur, der Neue möge doch einfach mal den Mund halten und nicht schon wieder ungefragt seine latent rassistoide Logorrhoe über Brot, den Regenwald, das deutsche Stadtbild oder Töchter in die Welt zu kotzen.

„Ich verabschiede mich und wünsche allen, die Weihnachten feiern ein frohes Fest, allen, die Weihnachten feiern müssen ausreichend Geduld und allen anderen ein paar angenehm ruhige Tage.“

Den Anlass des Parteitags nutzte die CSU dann auch, um eine besonders braune Welle in die Welt tragen – offenbar will man dem Kanzler in Sachen Diskriminierung in Nichts nachstehen. Neben der menschenverachtenden Forderung, zukünftig auch Frauen in die vollständige Rechtlosigkeit nach Afghanistan zu schicken, will sich die CSU jetzt nämlich auch noch der ganz großen Probleme annehmen: Bei der Zeugnisvergabe sollen zukünftig Bayernhymne und Nationalhymne (wahrscheinlich gleich alle drei Strophen) gespielt werden müssen. Das, so die CSU, mache uns nämlich alle zu aufrechten Deutschen, und der Deutsche – das hat die Welt in den letzten gut 100 Jahren erfahren – ist halt einfach ein besserer Mensch.

Tja, und damit ist für dieses Jahr irgendwie auch genug gesagt. Die letzten Worte überlasse ich darum dem Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg: „Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: es muß anders werden, wenn es gut werden soll.“

Ich verabschiede mich und wünsche allen, die Weihnachten feiern ein frohes Fest, allen, die Weihnachten feiern müssen ausreichend Geduld und allen anderen ein paar angenehm ruhige Tage. (mig) Meinung

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