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Dr. Zeyneb Sayılgan © bearb. MiG

Islamophobie im Klassenzimmer

Erinnerungen einer muslimischen Schülerin

Es war für mich kaum zu begreifen, wie Lehrkräfte, die mir das Tagebuch der Anne Frank in die Hand gaben, blind für ihr eigenes Fehlverhalten sein konnten.

Von Donnerstag, 13.11.2025, 10:40 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 13.11.2025, 10:40 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

In der Schule gemobbt zu werden, ist eine schmerzhafte Erfahrung. Wenn diese Verletzung jedoch von Lehrkräften ausgeht, erreicht sie eine andere Dimension. Das Vertrauen in Erwachsene, die einen eigentlich fördern, leiten und schützen sollen, wird zutiefst erschüttert. Eine Begebenheit ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben:

Am ersten Tag an meiner neuen Schule drohte mir der Schulleiter vor der gesamten Klasse, ich würde Ärger bekommen, wenn ich mein Kopftuch nicht abnehme. Ich war verängstigt, gedemütigt und rannte weinend auf die Toilette. Die Einschüchterung setzte sich fort, indem er mich mit verletzenden Worten beschimpfte: Ich sei eine „böse Hexe“, die andere „manipuliere“. Es war für mich kaum zu begreifen, wie Lehrkräfte, die mir das Tagebuch der Anne Frank in die Hand gaben, blind für ihr eigenes Fehlverhalten sein konnten.

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Als muslimische Schülerin in Deutschland erlebte ich Islamophobie – die irrationale Angst und den Hass gegenüber Musliminnen und Muslimen. Trotz allem fühlte ich mich als Erstakademikerin meiner Familie unglaublich gesegnet, eine hervorragende und deutsche Bildung zu erhalten. Viele meiner Lehrer waren wunderbare Menschen. Dennoch kam anti-muslimischer Rassismus häufig vor – nicht nur im Schulsystem, sondern auch im Berufsleben und in vielen anderen Bereichen meines Lebens.

Und ich war keine Ausnahme, wie Studien belegen und wie meine Familie und Freunde bis heute bestätigen. Abwertende Kommentare, verbaler und emotionaler Missbrauch im Klassenzimmer sind immer noch verbreitet. Lehrkräfte sind nicht ausreichend darauf vorbereitet, einer Schülerschaft gerecht zu werden, die zunehmend vielfältiger wird. Viele islamfeindliche Beleidigungen hallen weiterhin durch die Klassenzimmer – und die folgenden Beispiele zeigen, wie unbegründet sie sind:

„Muslime sind gewalttätig.“

„Ihr Muslime seid alle Terroristen“ – ein Satz, den mir eine Lehrkraft an den Kopf warf und der nach den schrecklichen Anschlägen vom 11. September zu einem Stigma wurde. Mitschuld durch Zugehörigkeit. Allzu oft vergessen wir, dass Muslime ebenfalls Opfer solcher Gräueltaten sind. Während die Ursachen komplex sind, wurden Millionen afghanischer, irakischer und syrischer Muslime zu Geflüchteten, die vor islamistischem Extremismus flohen.

Doch über fast 1500 Jahre hinweg lebten Muslime überwiegend friedlich mit unzähligen anderen Gemeinschaften zusammen. Während meiner Studienreisen in Ländern wie Malaysia, Myanmar, Syrien, Ägypten, Jordanien, Tansania und der Türkei war ich tief beeindruckt von den archäologischen Spuren: Kirchen, Synagogen und Moscheen wurden nicht trotz, sondern wegen des islamischen Glaubens geschützt, wie der folgende Vers aus dem Koran verdeutlicht: „Wenn Gott nicht die einen Menschen durch die anderen zurückhielte, wären viele Klöster, Kirchen, Synagogen und Moscheen, in denen Gottes Name oft erwähnt wird, gewiss zerstört worden. Gott hilft gewiss denen, die Ihm helfen. Gott ist stark und mächtig.“ (Koran 22:40)

„Muslime haben kein Monopol auf Extremismus und Fanatismus. Diese zerstörerischen Impulse existieren in jeder Gemeinschaft.“

Muslime schützten auch hinduistische und buddhistische Tempel. Das islamische Reich respektierte die Sprachen, Kulturen und Traditionen dieser vielfältigen Gemeinschaften und bestätigte, dass Vielfalt göttlich gewollt ist, wie es im Koran heißt: „Zu Seinen Zeichen gehören die Erschaffung der Himmel und der Erde und die Verschiedenheit eurer Sprachen und Farben. Darin sind wahrlich Zeichen für die Wissenden.“ (Koran 30:22)

Während sich der Islam anfangs auch durch militärische Mittel ausbreitete, blieben Konflikte doch die Ausnahme. Der muslimische Gelehrte Bediüzzaman Said Nursi argumentierte, dass die Zeit des physischen Kampfes vorbei sei. In einer Ära der Vernunft und des intellektuellen Austauschs brauchen Menschen Räume, in denen sie respektvoll, zivilisiert und konstruktiv über verschiedene Ideen diskutieren können. Das Klassenzimmer kann ein solcher Ort sein. Muslime haben kein Monopol auf Extremismus und Fanatismus. Diese zerstörerischen Impulse existieren in jeder Gemeinschaft. Gewalttaten werden von der großen Mehrheit der Muslime verurteilt und müssen gemeinsam bekämpft werden.

„Muslime sind ungebildet.“

„Du solltest Schneiderin werden, nicht Ärztin. Du bist geschickt mit den Händen, aber nicht klug genug für ein Medizinstudium“, sagte mir eine Lehrerin, als ich meinen Traum äußerte, Kinderärztin zu werden. Deshalb hat mich eine Kindheitserfahrung von Malcolm X mit seinem Lehrer besonders berührt. Trotz meiner hervorragenden Noten durfte ein muslimisches Migrantenkind wie ich keine großen Träume haben.

„In meinem Studium fiel mir auf, dass die islamische Zivilisation in der Menschheitsgeschichte völlig unsichtbar war. Kein Schulbuch erwähnte die reichen Beiträge islamischer Wissenschaft und Gelehrsamkeit.“

Später in meinem Studium fiel mir auf, dass die islamische Zivilisation in der Menschheitsgeschichte völlig unsichtbar war. Kein Schulbuch erwähnte die reichen Beiträge islamischer Wissenschaft und Gelehrsamkeit. Muslime waren unsichtbar. Kein Wort über Algebra, Algorithmus oder Almanach, die von muslimischen Gelehrten stammen und über ihre bahnbrechenden Erkenntnisse in Physik, Chemie, Medizin, Mathematik, Astronomie und Optik. Weder der Geschichts- noch der Philosophie- oder Biologieunterricht beschäftigte sich eingehend mit der Zeit des europäischen „Goldenen Zeitalters“, in dem Juden, Christen und Muslime gemeinsam aufblühten. Auch wenn es keine Zeit völliger Gleichheit war, so argumentiert der jüdische Historiker David J. Wasserstein, dass „der Islam das Judentum gerettet“ habe und anderen Gemeinschaften die Möglichkeit bot, nach Wissenschaft zu streben.

„Muslime unterdrücken Frauen.“

„Zwingt dich dein Vater (oder Bruder, Onkel, Ehemann), dein Kopftuch zu tragen?“ – Fragen wie diese begleiteten mich mein Leben lang. Die Vorstellung, dass viele muslimische Frauen ihren Glauben aus freiem Willen und aus Liebe praktizieren, ist für viele Menschen noch immer unbegreiflich. Der Prophet Muhammad tadelte einst einen Mann, der seinen Sohn küsste und umarmte, aber nicht dieselbe Zuneigung gegenüber seiner Tochter zeigte. Er fragte ihn, warum er sie nicht gleich behandle. Andere Überlieferungen versprechen Vätern, die ihre Töchter mit Liebe und Fürsorge großziehen, Belohnung in Jenseits.

Solche Überlieferungen zeigen mir die höchsten ethischen Maßstäbe des Islam. Wert und Würde gründen sich nicht auf Geschlecht, Hautfarbe oder sozialen Status, sondern auf Frömmigkeit, Hingabe und gutes Verhalten. Jede Form von Fehlverhalten gegenüber Mädchen und Frauen muss an diesem prophetischen Ideal gemessen werden. Frauen kämpfen weltweit gegen patriarchale, ungerechte und ausbeuterische Systeme und Haltungen, die sie zur Ware oder Objekten degradieren – sowohl innerhalb als auch außerhalb der muslimischen Gemeinschaft. Ein Weg, diese Zustände zu verändern, besteht darin, die prophetischen Lehren über die Rechte der Frau stärker zu betonen – Lehren, die zur Zeit des frühen Islam revolutionär waren.

Negatives Mainstream-Bild

Diese und andere islamfeindliche Äußerungen prägen weiterhin das negative Mainstream-Bild des Islam. Sie schüren anti-muslimische Stimmungen in Europa und den Vereinigten Staaten, die zunehmen: antimuslimische Krawalle, öffentliche Koranverbrennungen, Schmähkampagnen gegen den Propheten Muhammad, Angriffe auf Moscheen und Flüchtlingsunterkünfte – all das sind für Muslime keine fremden Erfahrungen.

Ich bin nicht naiv. Jeder Mensch erlebt in seinem Leben Ungerechtigkeit. Heute, prägen diese Kindheitsnarben meine eigene Pädagogik und mein Streben, Lernräume zu schaffen, in denen sich alle zugehörig fühlen, ihre Überzeugungen ausdrücken, gemeinsam lernen und kritische Fragen stellen können.

In unserem Fortbildungsprogramm lernen Lehrkräfte, wie sie Schüler:innen unterstützen können, die als „Anders“ wahrgenommen werden. Das Teilen persönlicher Erfahrungen im Klassenzimmer bieten eine willkommene Möglichkeit, gegenseitiges Verständnis zu fördern, Zusammenarbeit zu stärken und gesellschaftliche Spaltung und Konflikte frühzeitig zu verhindern. (mig) Meinung

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