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Nasim Ebert-Nabavi © privat, Zeichnung: MiG

New York, New York

Zohran Mamdani und die Rückkehr der Vernunft

Ein muslimischer Bürgermeister in New York, ein radikaler Gegenentwurf zu Trump und eine Antwort auf die Frage, was Demokratie noch sein kann.

Von Donnerstag, 06.11.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.11.2025, 9:42 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Zohran Mamdani ist der erste muslimische Bürgermeister von New York. Ein Sohn ugandischer Einwanderer, ein Sohn von Exil und Bildung, ein Mann, der den Mut hatte, die Stadt dort abzuholen, wo Politik sie längst verlassen hatte: im Alltag derer, die jeden Dollar zweimal umdrehen. Sein Sieg ist kein Zufall, kein Ausrutscher, kein „linkes Phänomen“. Es ist eine Antwort auf Trump, auf die Erschöpfung eines Systems, das seit Jahrzehnten den Markt vergöttert, aber den Menschen vergessen hat, auf die politische Sprachlosigkeit einer Ordnung, die lieber Billionen schützt als Leben. Während Donald Trump auf Angst setzt, setzt Mamdani auf das, was Trump zerstört hat: Solidarität.

Zwei Amerika, zwei Weltbilder

Hier ein Milliardär, der Macht als Beute versteht, der Rassismus als Werkzeug nutzt und Demokratie zur Bühne seiner Eitelkeit macht. Dort ein 34-jähriger Muslim, der Busse kostenlos machen will, Mieten einfriert, Kinderbetreuung zur öffentlichen Aufgabe erklärt. Der Superreiche stärker besteuern will, um das Leben der Vielen bezahlbar zu machen. Der Gerechtigkeit nicht als moralisches Ideal verkauft, sondern als infrastrukturelle Notwendigkeit. Trump verspricht Stolz durch Abgrenzung. Mamdani verspricht Würde durch Zugehörigkeit.

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Dass er damit gewann, grenzt an ein politisches Wunder oder eher: an die Rückkehr der Vernunft. Denn Mamdani steht für das, was Politik vergessen hat: dass Freiheit nur existiert, wenn Menschen sie sich leisten können. Er hat den Satz „Make America Great Again“ auf seine einfachste Wahrheit zurückgeführt: Ein Land ist nur so stark wie seine schwächsten Schultern.

Die Antwort auf Faschismus ist bezahlbares Leben

„Die entscheidende Frontlinie verläuft längst nicht mehr zwischen links und rechts, sondern zwischen Profit und Menschenwürde.“

„Meine Freunde, die Welt verändert sich. Es geht nicht darum, ob sie sich verändert – sondern wer sie anführt.“ Mit diesem Satz begann Mamdani seine Siegesrede. Ein Satz, der klingt, als hätte er in Berlin, Paris oder Wien fallen können. Denn was er beschreibt, ist universell: Die Welt steht am Kipppunkt zwischen demokratischer Selbstverteidigung und autoritärem Rückfall. Und die entscheidende Frontlinie verläuft längst nicht mehr zwischen links und rechts, sondern zwischen Profit und Menschenwürde.

Faschismus entsteht nicht nur aus Ideologie allein, sondern aus Verzweiflung. Aus der Erfahrung, dass Politik nichts mehr mit dem eigenen Leben zu tun hat. Trump verstand das und nutzte es. Er versprach Anerkennung und lieferte Erniedrigung. Er versprach Jobs und lieferte Steuererleichterungen für Milliardäre. Er versprach Schutz und brachte Hass.

Mamdani kehrt das Muster um: Er sagt, was Trump verschweigt – dass Ungleichheit kein Naturgesetz ist, sondern ein politischer Zustand. Und dass man ihn beenden kann. Nicht durch Parolen, sondern durch Politik.

Ein Mietendeckel. Kostenlose Busse. Kinderbetreuung als Grundrecht. Städtische Lebensmittelversorgung ohne Profitlogik. Finanziert durch höhere Steuern für Einkommen über einer Million Dollar. Das ist Mamdanis Revolution: die Entwaffnung des Populismus durch das Praktische.

Der Muslim, der keine Angst hatte

In den USA, wo Islamfeindlichkeit zur innenpolitischen Routine gehört, ist Mamdanis Sieg eine Zumutung: für Trumpisten, die den Islam zur Projektionsfläche des Bösen erklärt haben; für Medien, die seit 20 Jahren gelernt haben, Muslime nur im Kontext von Sicherheitspolitik zu erwähnen; für Politiker, die Antirassismus nur predigen – und nicht leben.

„Er machte nie ein Geheimnis daraus, dass er Muslim ist. Er versteckte seine Herkunft nicht.“

Doch Mamdani hat nichts versteckt. Er machte nie ein Geheimnis daraus, dass er Muslim ist. Er versteckte seine Herkunft nicht, er erklärte sie – davon kann sich so mancher Politiker gerne eine Scheibe abschneiden. Seine Kampagne sprach Menschen in vielen Sprachen an, von Spanisch über Urdu bis Arabisch, und vor allem in jener, die jeder versteht: der Sprache von Respekt und Menschlichkeit. Seine Religion wurde nicht zur Distanz, sondern zur Brücke.

Und natürlich kam die Reaktion, wie sie immer kommt: Anschuldigungen, Verzerrungen, Lügen. Trump nannte ihn „Kommunist“ und „Antisemit“. Sein Gegner Cuomo sprach von „Sympathien für Terroristen“. Teile der israelischen Regierung stellten ihn als Gefahr für die westliche Welt dar, weil er Israel Genozid vorwarf. Mamdani wich nicht aus, er sagte klar: Free Palestine. Ohne Klammern, ohne Disclaimer, ohne Angst. Das allein war schon Revolution. Denn er zeigte, dass moralische Klarheit keine politische Schwäche ist, sondern eine Voraussetzung für Glaubwürdigkeit.

Hoffnung als Gegenmacht

Mamdanis Erfolg ist auch das Scheitern einer alten politischen Klasse, die den rechten Aufstieg überall mit derselben Ausrede erklärt: Die Menschen seien „verunsichert“. Die Wahrheit ist: Sie sind nicht verunsichert. Sie sind erschöpft. Vom Stillstand, von leeren Versprechen, von Parteien, die ihre eigenen Ideale vergessen haben.

Mamdani hat sie zurückgewonnen, indem er Politik wieder fassbar machte. Nicht „Identitätspolitik“ im diffamierenden Sinn, sondern Identität als soziale Erfahrung: Wer sind wir, wenn wir uns den Alltag nicht mehr leisten können? Seine Kampagne war keine technokratische PowerPoint. Es war Nachbarschaft, Straße, Busdepot. Er fragte die Menschen, was sie wirklich brauchen und antwortete mit einer Programmatik, die einfach, aber tiefgreifend war: bezahlbares Leben als demokratische Verpflichtung.

„Mamdani zeigt, dass man Faschismus nicht mit Appellen besiegt, sondern mit Alternativen.“

Und plötzlich spürten Menschen, was Demokratie wieder bedeuten kann: nicht Repräsentation, sondern Rückgabe. Nicht von Wahl zu Wahl, sondern das Gefühl, wieder gemeint zu sein – gesehen, nicht verwaltet.

Während Trump die Welt in Angst organisiert, organisiert Mamdani Vertrauen. Während Trump Billionen in den Händen weniger konzentriert, verteilt Mamdani Chancen. Während Trump vom „Great Again“ träumt, denkt Mamdani vom Morgen aus. Er ist das Gegenmodell zu allem, was Trump groß gemacht hat: der Glaube, dass Ego Politik ersetzen kann, dass Hetze Programm sein darf, dass Macht wichtiger ist als Moral.

Mamdani zeigt, dass man Faschismus nicht mit Appellen besiegt, sondern mit Alternativen: mit Buslinien statt Barrikaden, mit Mietendeckeln statt Mauern, mit Kindergärten statt Waffen.

Er hat die Tür geöffnet für eine Politik, die nicht moralisiert, sondern organisiert.

Ein Satz, der bleibt

Vielleicht ist genau das die Botschaft, die weit über New York hinausreicht, auch nach Deutschland, wo die Demokratie sich wieder fragen muss, wofür sie steht: für den Schutz von Profiten oder für den Schutz von Menschen. Denn auch hierzulande verliert die Politik zunehmend den Mut zur Verteilungsgerechtigkeit. Eine Regierung, die nach unten verwaltet statt nach oben zu gestalten, riskiert, ihre eigene Mitte zu verlieren. Wer soziale Verantwortung delegiert und Gerechtigkeit auf den Sonntag vertagt, entkoppelt sich vom Leben derer, die sie tragen. Demokratie erschöpft sich, wenn sie nur noch reagiert, statt zu schützen.

„Vielleicht beginnt Veränderung immer so: mit jemandem, der nicht gefragt wurde, ob er darf, sondern einfach beschlossen hat, dass es nötig ist.“

Trump hat gezeigt, wie zerstörerisch Macht wird, wenn sie sich nur selbst dient. Mamdani zeigt, wie heilend sie sein kann, wenn sie sich endlich wieder den Vielen zuwendet. Und am Ende seines Wahlabends, als Jubel und Müdigkeit sich mischten, sagte er leise: „Sie haben gesagt, es sei unmöglich. Dann kam ich.“

Vielleicht beginnt Veränderung immer so: mit jemandem, der nicht gefragt wurde, ob er darf, sondern einfach beschlossen hat, dass es nötig ist.

Zohran Mamdani hat nicht nur New York gewonnen. Er hat den Glauben zurückgebracht, dass Politik mehr sein kann als Verwaltung des Mangels. Dass sie Hoffnung verteilen darf, wie Brot. Und dass am Ende nicht die Lautesten Geschichte schreiben, sondern die, die geblieben sind, um sie besser zu machen. Und vielleicht ist das die eigentliche Lektion seines Sieges: dass Demokratie dort überlebt, wo Menschen sich wiederfinden, nicht im Lärm der Macht, sondern im leisen Willen, es besser zu machen. (mig) Meinung

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