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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Don’t panic!

Während Drohnen über der Ostsee surren, stürzen Demokratie, Pressefreiheit und soziale Sicherheit im Sturzflug ab. Angst ersetzt Argumente – und wer zittert, stimmt zu.

Von Montag, 06.10.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 06.10.2025, 8:50 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Seit Tagen und Wochen dominieren ominöse Drohnensichtungen die nationale Presse. Während in den USA die Demokratie abgeschafft wird, gibt es in Deutschland Weniges, das wichtiger scheint als Drohnen, die schon seit Jahren immer wieder unterwegs sind, von denen weder klar ist, was genau sie tun, noch, wer sie steuert, und schon gar nicht, mit welchem Ziel.

Allgemeiner Tenor: Jemand will die Deutschen verunsichern. Und das kann für viele natürlich erstmal nur Russland sein. Denn, mit seinen Mitteln auf absehbare Zeit in der Ukraine gebunden, die sie ums Verrecken nicht besiegen kann, will uns unsere Regierung weismachen, dass eine Invasion der NATO durch Russland auf absehbare Zeit direkt bevorsteht: Noch vor Ende dieses Jahrzehntes könnte es so sein. Was läge da für Russland also näher, als jetzt schon die deutschen und europäischen Zuständigen auf die dann anstehenden Gefahren aufmerksam zu machen und ihnen genug Zeit einzuräumen, um ausreichend Mittel gegen diese neue Bedrohung aufzubauen, Zuständigkeiten zu klären, Maßnahmenpläne und Strategien zu entwickeln, wenn man im Gegenzug dafür immerhin schon einmal einige unwichtige Informationen sammeln kann, die schon in wenigen Jahren wieder veraltet und somit völlig wertlos sind? Das immer mehrere Züge im Voraus denkende Genie, als das uns Putin immer verkauft wird, scheint er dann doch nicht zu sein, oder?

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Ein Verdacht drängt sich daher auf. Der Verdacht, dass die Deutschen zwar durchaus verunsichert werden sollen, eben nicht aus Richtung Moskaus, sondern von Berlin und Brüssel aus. Doch warum?

„Nur, wenn wir alle glauben, dass der Russe schon an der Grenze die Messer wetzt, dann kann das eine historisch hohe Schuldenaufnahme rechtfertigen.“

Die Deutschen sind, nach zwei verlorenen Weltkriegen, die uns noch immer in den Knochen stecken, eigentlich kriegsmüde. Eine massive Aufrüstungskampagne, wie die, die wir gerade erleben (und deren Zweck uns immer als rein defensiv verkauft wird), lässt sich daher nur durch massive Einschüchterungstaktiken legitimieren. Nur, wenn wir alle glauben, dass der Russe schon an der Grenze die Messer wetzt, dann kann das eine historisch hohe Schuldenaufnahme rechtfertigen, während Sozialhilfeempfänger hungern. Ab fünf Uhr fünfundvierzig wird zurückgeschossen.

Nur, wenn ein Land im Innern völlig verunsichert ist, überall Feinde sieht, vor allem immigrierte natürlich, dann lassen sich die anstehende Chatkontrolle, die das Briefgeheimnis de facto aufheben wird und dem Staat erlaubt, sämtliche digitale Kommunikation zu überwachen und mitzulesen, beschließen, die in den vergangenen Jahren stets gescheitert war – weil wir eben nicht genug Angst hatten. Vermutlich haben viele nicht einmal mitbekommen, dass ihre Regierung in Brüssel genau diese Massenüberwachung forciert. Für die Presse waren freifliegende Drohnen an der Ostsee schließlich die größere Nachricht, als der hierdurch ebenfalls kompromittierte Quellenschutz.

„Nur, wenn wir eingeschüchtert sind, lassen sich Außengrenzen ohne großen Protest schließen.“

Nur, wenn wir eingeschüchtert sind, lassen sich Außengrenzen ohne großen Protest schließen, können wir Afghanen, die uns bei unserem völkerrechtswidrigen Krieg gegen ihr Land ausgeholfen haben, einfach ihrem Schicksal überlassen. Wobei, jetzt habe ich wieder „Krieg“ gesagt; dabei war es ja eigentlich nur eine „militärische Spezial-Operation“, kein Krieg. Wir dürfen eigentlich nicht von Krieg sprechen. Wer den Afghanistan-Krieg einen Krieg nennt, verstößt gegen deutsches Recht – denn wäre es ein Krieg gewesen, hätten die Wahlen in Deutschland seit dem Einmarsch ausgesetzt werden müssen. Also: Die westliche Spezialoperation in Afghanistan, nach deren Scheitern wir die Menschen einfach ihrem Schicksal überlassen haben.

Natürlich erklärte sich mit dem Zweck der Verunsicherung, dass die Berichterstattung über solche Drohnenzwischenfälle mittlerweile so massiv erhöht hat. Hat die vorhergehende Regierung die Zwischenfälle noch eher zurückhaltend behandelt, ist es offenbar im Sinne dieser neuen rechtsgerichteten Administration, mit Angst und Verunsicherung zu regieren, um Vorstellungen eines starken Repressionsstaats, der sich nach innen abschottet und nach außen Stärke projiziert, zu realisieren, um Überwachungsmöglichkeiten und Polizeibefugnisse zu erhöhen, um den Kulturkampf zu nähren und marginalisierte Gruppen weiter marginalisieren zu können, die als Gefahr für die Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden. Für eine Demokratie, die nur durch innere Stabilität und Sicherheit, durch Pluralismus und Diversität – und eben nicht durch Uniformismus – florieren kann, ist das aber hochgefährlich. Diverse Fallbeispiele aus aller Welt zeigen das.

Wohin Merz damit wirklich will – wer weiß das schon. Merz fehlen das Charisma und die Führungsstärke, um sich erfolgreich zum deutschen Autokraten aufzuschwingen. Auch seine vor allem entweder durch fetischhaftes Wurstgefresse oder inkompetenteste Korruption auffallenden Diadochen können nicht ernsthaft glauben, der neue starke Mann in Europas Zentrum zu werden. Wobei so ein bisschen Größenwahn in der Politik ja auch immer mit dazu gehört – obwohl andererseits die Einsicht, dass die Leute einen lieber beim Essen als beim Regieren sehen, natürlich auch ein erstaunliches Maß an Demut offenbart.

„Merz hat die AfD stets mehr kopiert als konfrontiert. Dies härter zu tun, wird ihr nur noch härter Wähler in die Pranken treiben.“

Was sicher ist: Wenn Merz nun nicht mehr nur gegenüber Ausländern, Eingewanderten, Queeren, Linken, Frauen und Armen, sondern auch gegenüber der AfD eine „härtere Gangart“ fahren will, dann ist das natürlich in mehrerlei Hinsicht Bullshit. Diese massive Verunsicherungskampagne, der anstehende „Herbst der Reformen“ und die bereits verschobenen Reformen darüber hinaus werden der AfD alles andere als schaden. Fehlende Perspektiven, fehlende Chancen, fehlende soziale Sicherheit sind genau die Umstände, in denen eine Partei wie die AfD aufblüht – und in denen sie mühelos an der Union vorbeiziehen wird. Zudem hat Merz die AfD stets mehr kopiert als konfrontiert. Dies härter zu tun, wird ihr nur noch härter Wähler in die Pranken treiben. Und so ist es womöglich nur noch eine Frage der Zeit, bis Alice Weidel dem Södermaggus sein Schnitzel wegnimmt.

Von wem die Verunsicherungskampagne nun tatsächlich ausgeht, werden wir hier natürlich nicht klären können – aber es lohnt, bestehende Narrative zu hinterfragen. Denn auch das ist sicher: Wenn die AfD und ihr politisches Vorfeld im Kanzleramt, wenn Russland und nicht zuletzt der gefährliche Clown im Weißen Haus von dieser Unsicherheit profitieren, dann ist es egal, von wem sie ausgeht, dann bleibt uns erstmal nur eine Form des Widerstands: Ruhe bewahren. (mig) Meinung

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