
Prävention
Warum Kampagnen junge Migranten oft verpassen
Bis zu 40 Prozent der Jugendlichen mit Migrationsgeschichte erreicht Prävention in Deutschland nicht. Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede und fehlende Vorbilder lassen Kampagnen ins Leere laufen.
Montag, 29.09.2025, 0:29 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 30.09.2025, 16:34 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
In vielen deutschen Großstädten zeigen Statistiken der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dass bis zu 40 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei Themen wie Rauchen, Alkohol oder digitalem Konsum weniger erreicht werden als ihre Altersgenossen ohne Zuwanderungsgeschichte. Dieser Unterschied überrascht, weil sich Schulen, Kommunen und Bundesprogramme seit Jahren auf Prävention konzentrieren. Doch trotz gut gemeinter Kampagnen kommt entscheidende Information nicht dort an, wo sie gebraucht wird. Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede und fehlende Vorbilder erschweren den Zugang erheblich.
Kulturelle Unterschiede blockieren oft die Ansprache
Wer den Alltag in Schulklassen beobachtet, erkennt schnell, wie vielschichtig das Thema Prävention ist. In vielen Familien mit Migrationsgeschichte rangieren Sprachintegration, Arbeitsmarkt oder finanzielle Stabilität höher als die Frage nach Gesundheitsaufklärung. Jugendliche orientieren sich deshalb stark an ihren Freundeskreisen und greifen schneller zu aktuellen Trends. Ob Shisha-Bar, Energy-Drink oder moderne Alternativen wie eine Elfbar Vape – die Faszination entsteht aus dem Gefühl, dazuzugehören und etwas Neues auszuprobieren. Präventionsbotschaften, die nur allgemein gehalten sind, erreichen diese Realität nicht.
Besonders dann, wenn Eltern Informationsmaterialien ausschließlich in deutscher Sprache erhalten, fühlen sie sich übergangen. Forschungen der Universität Bielefeld zeigen, dass mehrsprachige Aufklärungskampagnen eine deutlich größere Wirkung entfalten. Gleichzeitig mangelt es vielen Kommunen an Kapazitäten, diese Angebote zu realisieren. Gerade Schulen sind jedoch Orte, an denen frühe Intervention entscheidend ist.
Schulen stehen im Zentrum der Verantwortung
Keine andere Institution erreicht so viele Jugendliche unabhängig von Herkunft und sozialem Hintergrund wie die Schule. Sie ist der Ort, an dem Aufklärung nicht nur stattfinden kann, sondern auch stattfinden muss. Viele Lehrkräfte fühlen sich dennoch überfordert, weil Prävention neben Fächern, Leistungsdruck und Integration nur als Zusatzaufgabe gesehen wird. Zahlreiche Programme laufen ins Leere, da sie zu theoretisch angelegt sind und kaum Bezug zum Alltag der Jugendlichen haben.
Damit Aufklärung wirkt, reicht die Schule alleine nicht. Wissenschaftlerinnen des Deutschen Jugendinstituts betonen seit Jahren, dass Elternarbeit entscheidend ist. Besonders in Familien, die kaum Kontakt zu schulischen Strukturen haben, müssen gezielte Brücken geschlagen werden. Informationsabende mit Dolmetschern oder Workshops, die von Vertrauenspersonen aus der Community geleitet werden, schaffen eine Verbindung, die Broschüren niemals erreichen könnten.
Digitale Prävention wird zur Schlüsselfrage
Die meisten Jugendlichen informieren sich heute nicht über Flyer oder Infoabende, sondern über soziale Medien. Dort sind Trends oft schneller, als Präventionsbotschaften reagieren können. Plattformen wie TikTok oder Instagram verbreiten Lifestyle-Inhalte in rasendem Tempo. Wer dort nicht präsent ist, verliert den Zugang. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind überdurchschnittlich aktiv in diesen Kanälen, wie eine Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest belegt.
Kampagnen, die die Sprache der Jugendlichen sprechen und ihre Kommunikationskanäle nutzen, haben eine realistische Chance. Professionell produzierte Kurzvideos, interaktive Formate und Influencer-Kooperationen können Inhalte transportieren, die in traditionellen Formaten untergehen. Wichtig bleibt, dass diese Maßnahmen wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden, damit Wirkung messbar bleibt.
Vertrauen aus der Community entscheidet über Akzeptanz
Viele Jugendliche folgen weniger den offiziellen Stellen als vielmehr den Stimmen aus ihrem direkten Umfeld. Gemeindevereine, Sportclubs oder auch Kulturzentren spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie genießen Vertrauen, das staatlichen Institutionen oft fehlt. Wenn dort über Gesundheit, Konsum oder Prävention gesprochen wird, hören Jugendliche eher zu, weil sie sich verstanden fühlen. Studien der Bertelsmann Stiftung zeigen, dass Programme, die in Kooperation mit Community-Strukturen umgesetzt werden, bis zu doppelt so erfolgreich sind wie rein schulische Maßnahmen.
Glaubwürdige Vorbilder aus der eigenen Community können Inhalte transportieren, die Jugendliche von außen nicht akzeptieren würden. Ob junge Sportlerinnen, Künstler oder Studierende mit Migrationshintergrund – sie verkörpern Perspektiven, die Hoffnung und Orientierung geben. Wenn sie offen über eigene Erfahrungen mit Gruppendruck, Konsum oder Risiken sprechen, entsteht ein Dialog auf Augenhöhe. (em) Panorama
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