
„Tut unserem Land gut“
Deutsch-Türke wird neuer Verfassungsschutz-Chef
Sinan Selen, Sohn ehemaliger „Gastarbeiter“ aus der Türkei, soll an die Spitze des Inlandsgeheimdienstes. Innenminister Dobrindt bescheinigt ihm „beeindruckende Expertise“, Beobachter erhoffen sich Vertrauensaufbau.
Von Anne-Béatrice Clasmann Dienstag, 16.09.2025, 11:44 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.09.2025, 11:46 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Nach rund zehn Monaten ohne Chef soll das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) einen neuen Präsidenten bekommen. Die Wahl von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) fiel nach Angaben seines Ministeriums auf Sinan Selen, den langjährigen Vizepräsidenten der Sicherheitsbehörde mit Hauptsitz in Köln.
Damit steht an der Spitze des mit der Bekämpfung von Spionage, Extremismus und Terrorismus betrauten Amts erstmals ein Beamter mit Migrationsgeschichte. Allerdings ist seine Herkunft – Selen wurde in der Türkei geboren und kam als Vierjähriger nach Köln – nichts, worüber der künftige Behördenchef viel spricht. Innenpolitiker unterschiedlicher Parteien schätzen ihn wegen seiner unaufgeregten, sachlichen Art.
Der 53-Jährige hat den Inlandsgeheimdienst seit dem Ausscheiden des früheren BfV-Präsidenten, Thomas Haldenwang, in den vergangenen Monaten interimsmäßig gemeinsam mit Vizepräsidentin Silke Willems geleitet. Wie aus Koalitionskreisen zu hören war, zählt der Posten des BfV-Präsidenten, der seit dem Herbst vergangenen Jahres vakant war, zu einer Reihe von Spitzenposten, über deren Besetzung Union und SPD vorab miteinander ins Gespräch kommen wollten.
Dobrindt bescheinigt Selen „beeindruckende Expertise“
Selen bringe „eine beeindruckende Expertise in der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung sowie der Spionage- und Cyberabwehr mit“, sagte Dobrindt, der die Mitarbeiter des BfV am Montag offiziell über seine Entscheidung informierte. „Ich bin überzeugt, dass Herr Selen das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Umsicht und Entschlossenheit erfolgreich weiterentwickeln wird“, sagte er laut einer Mitteilung.
Die Personalie soll voraussichtlich in der nächsten Kabinettssitzung beschlossen werden. Zuvor hatten mehrere Medien berichtet.
Seit 2019 Vizepräsident des Verfassungsschutzes
Selen ist seit Anfang 2019 Vizepräsident des BfV. Zuvor hatte sich der Kölner, der auf eine lange Karriere in verschiedenen Sicherheitsbehörden und im Bundesinnenministerium zurückblickt, während eines dreijährigen Ausflugs in die Privatwirtschaft um Sicherheitsfragen beim TUI-Konzern gekümmert. Zu den Bereichen, mit denen er sich im BfV schwerpunktmäßig beschäftigt hat, gehören unter anderem Fragen der Cybersicherheit und sogenannter „islamistischer“ Terrorismus.
„Sinan Selen ist ein kompetenter und viel geachteter Spitzenbeamter“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete, Hakan Demir, der ihn aus dem Innenausschuss kennt. „Menschen mit Migrationsgeschichte sind heutzutage selbstverständlich auch Politiker, Beamte und Unternehmer – das tut unserem Land gut“, sagt Demir, der ebenfalls als Kind mit seiner Familie aus der Türkei nach Deutschland kam.
Kann Selen Vertrauen wiederherstellen?
Selen bringe viel Erfahrung und Kompetenz mit, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Konstantin von Notz, dem „Handelsblatt“. „Ich freue mich, dass er diese Position in sicherheitspolitisch schwierigen Zeiten übertragen bekommt.“
Beobachter erhoffen sich durch die Personalie Selen einen weiteren Effekt: Das Vertrauen der Bevölkerung mit Migrationserfahrung in das Sicherheitsapparat könnte zumindest ein Stückweit wiederhergestellt werden. Es hatte im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex massiven Schaden genommen. Dem Inlandsgeheimdienst wurden massives Versagen bis hin zu Mitwisserschaft vorgeworfen.
Haldenwang folgte auf Maaßen
Der frühere Präsident des Bundesamtes, Thomas Haldenwang, hatte im November angekündigt, dass er eine Kandidatur für die CDU bei der Bundestagswahl anstrebt. Dass Haldenwang bald in den Ruhestand gehen wollte, war schon länger bekannt. Die Ankündigung, für die CDU als Direktkandidat in Wuppertal antreten zu wollen, kam für viele überraschend. Erfolgreich war seine Kandidatur nicht.
Auch Haldenwang war vor seiner Ernennung zum BfV-Präsidenten 2018 Vizepräsident gewesen – unter Hans-Georg Maaßen, der aufgrund rechtsextremer Bestrebungen und Anfang 2024 selbst in den Blick des Verfassungsschutzes geriet. Zuvor hatte sich Maaßen einen Namen gemacht als Hardliner in der „Ausländerpolitik“. (dpa/mig) Aktuell Politik
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