
Wahlen in NRW
Ausländerbeirat wird zum EU-Bürger-Club
Kommunalwahlen in NRW. EU-Bürger dürfen mitwählen – auch bei den Integrationsbeiratswahlen. Das schwächt die Rechte von Nicht-EU-Ausländern. Ihr ohnehin schwacher Einfluss schwindet weiter.
Von Dr. Dr. Seyed Shahram Iranbomy Dienstag, 09.09.2025, 10:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.09.2025, 13:40 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Am Sonntag gibt es in Nordrhein-Westfalen Kommunalwahlen. An diesem Tag wird auch der sogenannte „Integrationsbeirat“ gewählt – in anderen Bundesländern heißt er bis heute „Ausländerbeirat“. Wie der Name nahelegt, ist dieses Gremium für Ausländer in Deutschland konzipiert – für Türken, Brasilianer, Menschen aus Afrika, aus Asien oder anderen Teilen der Erde. Es ist das einzige Gremium, das diesen Menschen ermöglicht, ihre Anliegen in die kommunale Politik einzubringen. Denn bei Kommunalwahlen sind Ausländer nicht wahlberechtigt.
Anders bei Spaniern, Italienern, Griechen, Schweden – oder EU-Bürgern: Sie dürfen wie deutsche Staatsbürger bei Kommunalwahlen an die Wahlurne gehen und ihren politischen Interessen Geltung verschaffen. Weil sie gleichzeitig auch Ausländer sind, dürfen sie zusätzlich bei den Wahlen zu den Ausländerbeiräten teilnehmen. Das führt dazu, dass in diesen Gremien der Republik immer weniger Menschen aus Nicht-EU-Ländern sitzen – dafür immer mehr Spanier, Italiener oder Griechen.
Massive Interessensverschiebung
Das verändert die Interessenvertretung in den Beiräten massiv und steht im Widerspruch zur Entstehungsidee dieser Gremien. Der Ausländerbeirat wurde ursprünglich geschaffen, um die politische Marginalisierung von Ausländern auszugleichen. Schon in den 1970er Jahren entstand die Idee, solche Gremien einzurichten, um Menschen ohne Wahlrecht eine Stimme zu geben und ihre Anliegen in die lokale Politik einzubringen. Dieses Ziel wird inzwischen untergraben. Für Nicht-EU-Ausländer bedeutet dies einen erheblichen Verlust an ihrer ohnehin spärlichen Mitsprache.
In Deutschland lebten Ende 2024 rund 12,4 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Davon waren weit mehr als fünf Millionen EU-Bürger. Zu dieser rein zahlenmäßigen Gewichtung kommen weitere Faktoren hinzu, die dazu führen, dass in vielen Ausländerbeiräten mehrheitlich EU-Bürger sitzen: Wer bei den Kommunalwahlen wahlberechtigt ist, geht eher zur Wahl – und wählt den Ausländerbeirat gleich mit. Wer hingegen kein EU-Bürger ist und nur den Ausländerbeirat wählen darf, bleibt mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit zu Hause. Schon die Wahlbeteiligung zwischen den konkurrierenden Interessen ist demnach ungleich verteilt und führt zu einer massiven Verschiebung der Mehrheiten. Damit verändert sich auch die Interessenvertretung in den Beiräten grundlegend.
EU-Bürger werden bevorteilt
So ist die Zusammensetzung des Ausländerbeirats in vielen Kommunen und Städten schon länger kein Abbild der Bedürfnisse derjenigen mehr, für die er eigentlich geschaffen wurde. Stattdessen spielen EU-Bürger eine zunehmend dominierende Rolle. Das führt dazu, dass Nicht-EU-Ausländer das ihnen zur Verfügung stehende einzige Gremium faktisch verlieren. Dadurch gehen wichtige Anliegen, die speziell die Lebensrealität von Ausländern ohne Wahlrecht betreffen, verloren und finden weniger Gehör in den politischen Entscheidungsprozessen. Mache behaupten, diese Verschiebung sei in Teilen sogar politisch gewollt, um sich nicht mit den Belangen von Nicht-EU-Ausländern beschäftigen zu müssen.
EU-Bürger wiederum werden bevorteilt, weil sie ihre Interessen sowohl über den Integrations- bzw. Ausländerbeirat als auch über die Kommunalwahlen geltend machen können – ein Privileg, das nicht einmal deutschen Staatsbürgern zur Verfügung steht. Diese Ungleichbehandlung führt mitunter auch dazu, dass Nicht-EU-Ausländer das Interesse an den Integrationsrats- bzw. Ausländerbeiratswahlen verlieren – und noch seltener wählen gehen.
Verfassungsrechtliche Konflikte
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach klargestellt, dass der Grundsatz der Wahlgleichheit ein elementares Prinzip der Demokratie ist: Alle Wähler müssen denselben Einfluss auf politische Prozesse haben. Wenn EU-Bürger sowohl bei Kommunalwahlen als auch bei den Wahlen zum Integrations- bzw. Ausländerbeirat mitbestimmen, erhalten sie doppelt so viele Möglichkeiten, ihre Interessen durchzusetzen wie andere Gruppen – etwa deutsche Staatsbürger oder Nicht-EU-Ausländer.
Diese Bevorteilung verschärft die Diskriminierung von Nicht-EU-Ausländern. Diese Gruppe, die ohnehin weniger politische Rechte besitzt, wird faktisch weiter marginalisiert, der Ausländerbeirat entwertet. Deshalb sollte das Wahlrecht von EU-Bürgern für den Ausländerbeirat abgeschafft werden.
Noch viel besser wäre natürlich: Deutschland gibt sich einen Ruck und ermöglicht allen Ausländern das kommunale Wahlrecht. Das Problem mit den Ausländerbeiräten wäre dann gleich mit obsolet. Meinung
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