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Wohnhaus an der Gasstraße in Solingen nach dem Brand im Eingangsbereich

Polizei schweigt

Staatsschutz ermittelt nach Hausbrand in Solingen – Bewohner Syrer und Ukrainer

Ein Hausbrand, 13 Menschen entkommen nur durch Glück. Die Polizei schweigt. Erst auf Nachfrage wird bekannt, dass auch der Staatsschutz ermittelt – und dass in dem Haus mehrheitlich Syrer und Ukrainer leben.

Von Dienstag, 02.09.2025, 12:55 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 02.09.2025, 12:55 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Solingen, Mittwoch, 20.8.2025, mittags. Bei der Feuerwehr gehen mehrere Notrufe ein: Brand in einem Wohnhaus, auf der Gasstraße 17 – einer Wohnstraße mit kleinen Gewerbeeinheiten südlich der Stadt. Sofort rücken die Berufs- und die Freiwillige Feuerwehr mit einem Großaufgebot aus.

Beim Eintreffen der Einsatzkräfte stehen Möbelstücke für den Sperrmüll im Eingangsbereich des Hauses in hohen Flammen. Den Bewohnern ist der Weg nach draußen versperrt. Sie warten an den Fenstern auf Hilfe. Das Treppenhaus ist voller Rauch. Nur durch den schnellen Einsatz der Rettungskräfte greift das Feuer nicht auf den Treppenraum über.

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Feuerwehr spricht von Glück

Die Bewohner werden über Drehleiter in Sicherheit gebracht – insgesamt 13 Personen. Die Feuerwehr spricht von „Glück“, dass nichts Schlimmeres passiert ist, niemand muss ins Krankenhaus gebracht werden. Nach Belüftung des Gebäudes kehren die Bewohner noch am selben Tag in ihre Wohnungen zurück. Der Eingangsbereich ist weiterhin nahezu vollständig mit Ruß überzogen.

Zur Brandursache verweist die Feuerwehr auf die Ermittlungen der Polizei. Die Medienresonanz bleibt überschaubar. Einige lokale Medien berichten knapp: Spezialeinheiten der Polizei hätten am Brandort Spuren gesichert. Die Ermittler gingen von Brandstiftung aus – ein technischer Defekt sei nach Angaben der Polizei ausgeschlossen. Unklar sei, ob das Feuer vorsätzlich oder fahrlässig ausgelöst wurde; ob Brandbeschleuniger eine Rolle spielten, sei offen. Angaben zu möglichen Spuren gebe es keine. Weitere Medienberichte in den Folgetagen gibt es nicht.

Syrer und Ukrainer im Haus, Staatsschutz ermittelt

Eine Presseerklärung zum Vorfall gibt die Polizei, die die Öffentlichkeit nahezu täglich über einfache Diebstähle und Verkehrsunfälle informiert und Zeugenaufrufe startet, nicht heraus. Auf MiGAZIN-Anfrage erklärt das zuständige Polizeipräsidium Wuppertal, es seien Medienanfragen lokaler Medienvertreter beantwortet worden. „Eine darüberhinausgehende Pressemeldung erschien nicht zielführend, da sämtliche zu diesem Zeitpunkt bekannten Informationen bereits der Öffentlichkeit zugänglich waren.“

Was die Öffentlichkeit allerdings nicht wusste und MiGAZIN erst nach erneuter Nachfrage vom Polizeipräsidium erfuhr, ist: Das Haus wird von acht Syrern, drei Ukrainern und einem Niederländer bewohnt. Bei einer Person sei die Staatsangehörigkeit ungeklärt. Alter: Kleinkind bis Senioren. Der polizeiliche Staatsschutz sei in die Ermittlungen eingebunden. Er ermittelt „ergebnisoffen“, so die Polizei.

Polizei: Zigarettenkippe oder Kinder?

Aufgrund welcher Erkenntnisse der bei politisch motivierten Straftaten ermittelnde Staatsschutz eingebunden worden sei, teilt das Polizeipräsidium nicht mit. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Brandlegung gegen bestimmte Personen oder die Bewohner allgemein gerichtet haben könnte. Auch die Uhrzeit des Brandausbruchs spricht nach Einschätzung der Polizei dagegen.

„Durch Befragungen und Angaben im Umfeld des Brandortes gibt es Hinweise auf zündelnde Kinder und vorbeikommende Personen. Eine achtlos weggeworfene Zigarettenkippe kommt ebenso wie der unachtsame Umgang mit Feuer durch Kinder als ursächlich in Betracht“, teilt die Polizei weiter mit. Aus ermittlungstaktischen Gründen könnten keine weiteren Angaben gemacht werden. „Aufgabe der Kriminalpolizei ist es, sämtliche objektiven und subjektiven Spuren zusammenzutragen und entsprechend auszuwerten“, erklärt die Polizei.

Polizei: Zeugenaufruf nicht nötig

Warum es im aktuellen Fall kein öffentlicher Zeugenaufruf gab, obwohl Hinweise aus der Bevölkerung für die Ermittlungen entscheidend sein könnten, erklärte das Polizeipräsidium dem MiGAZIN: „Durch die Erhebung des subjektiven Befunds (Zeugenaussagen) und den daraus gewonnenen Erkenntnissen war ein Zeugenaufruf nicht indiziert“, was so viel bedeutet wie „nicht nötig“.

Erinnerungen an vierfachen Feuertod türkischer Familie

Dabei erinnert das Feuer an der Gasstraße an den tödlichen Hausbrand vom März 2024 an der Grünewalder Straße 69 – ebenfalls Solingen, nur 300 Meter beziehungsweise fünf Gehminuten vom aktuellen Brandort entfernt. Dort kam eine türkeistämmige Familie aus Bulgarien mit zwei kleinen Kindern ums Leben. Im Laufe des Prozesses kamen zahlreiche Hinweise zutage, die auf eine rassistische Gesinnung des Brandstifters deuten. Das Landgericht Wuppertal sah eine rechtsextreme Tatmotivation trotz erdrückender Indizien nicht als erwiesen an. Am 30. Juli 2025 – drei Wochen vor dem Brand an der Gasstraße – verurteilte es den Täter dennoch zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung.

Gegen die Ermittler wurden schwere Vorwürfe erhoben. Sie hatten schon wenige Tage nach dem Brandanschlag eine mögliche rechtsextreme Tat ausgeschlossen. Umfangreiches Neonazi-Material, das im Umfeld des Täters gefunden wurde, berücksichtigten sie nicht oder nur unzureichend. Diese Funde wurden erst nach Recherchen und Intervention der Nebenkläger in den Prozess eingebracht. Beobachter warfen der Stadt und den Ermittlern vor, nicht ergebnisoffen ermittelt zu haben. Ihr Eindruck: Man habe alles darangesetzt, ein ‚Solingen 2.0‘ zu vermeiden.

Polizei sieht keine Parallelen zwischen den Bränden

Gemeint ist der rassistisch motivierte Brandanschlag auf das Haus der türkischen Familie Genç in Solingen im Jahr 1993. Bei dem Brand wurden fünf Mitglieder der Familie ermordet, weitere schwer verletzt. Die Untat hatte international hohe Wellen geschlagen und gilt als eines der schlimmsten rechtsextrem motivierten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte. An die Opfer dieses Verbrechens erinnert die Stadt jedes Jahr mit einer Gedenkveranstaltung.

Wie das Polizeipräsidium dem MiGAZIN mitteilt, gibt es zwischen dem Brand vom 20. August auf der Gasstraße und den vorangegangenen Brandanschlägen keinen Zusammenhang. „Parallelen“ ließen sich „zurzeit nicht erkennen“, teilt die Polizei mit. Wann das Brandgutachten vorliegen werde, könne sie nicht einschätzen. (mig) Leitartikel Panorama

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