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Yuliya Kosyakova im Gespräch

Forscherin: Politik baut Integrationshürden wieder auf

Für viele Geflüchtete von 2015 ist die Integration in den Arbeitsmarkt gelungen, sagt die Soziologin Kosyakova. Im Gespräch erklärt sie, was geholfen hat, was die Hürden waren und was die Politik nicht gelernt hat.

Von Montag, 25.08.2025, 12:01 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 25.08.2025, 12:01 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Zehn Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland sei für viele Geflüchtete von 2015 die Arbeitsmarktintegration gelungen, sagt die Soziologin Yuliya Kosyakova. Im Gespräch erklärt sie, was dabei geholfen hat, was die großen Hürden waren und inwiefern die Politik inzwischen dazugelernt hat. Kosyakova leitet den Forschungsbereich Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB).

Wie ist es mit der Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten von 2015 insgesamt gelaufen?

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Yuliya Kosyakova: Ich würde sagen, wir haben sehr viel geschafft, gerade angesichts der schwierigen Ausgangsbedingungen. Die Menschen, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, haben sich ja nicht wegen eines Jobs auf den Weg gemacht, sondern sie waren auf der Flucht. Insofern waren sie erstmal unvorbereitet für die Integration in den Arbeitsmarkt – sowohl sprachlich als auch institutionell. Viele litten unter den Folgen von Krieg und Vertreibung, verfügten über wenig Informationen, kaum soziale Netzwerke und hatten häufig Qualifikationen, die sich nicht ohne Weiteres übertragen ließen. Trotzdem lag die Beschäftigungsquote nach neun Jahren in Deutschland bei 64 Prozent. Das ist ziemlich gut – der Durchschnitt in Deutschland liegt bei 70 Prozent. Insgesamt beobachten wir eine deutlich positive Entwicklung – allerdings nicht in allen Gruppen gleichermaßen.

Wie meinen Sie das?

Es gibt zum Beispiel deutliche Geschlechterunterschiede. Bei Männern ist die Beschäftigungsquote nach neun Jahren mit 76 Prozent sehr hoch. Bei den Frauen kommen wir auf nur 35 Prozent, unter anderem wegen der Kinderbetreuung. Geflüchtete Frauen haben häufiger und mehr Kinder als der Durchschnitt, was ihre Erwerbsbeteiligung stark beeinflusst. Hinzu kommen geringere Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse, eine stärkere Konzentration auf reglementierte Berufe wie Pflege oder Erziehung, schlechtere gesundheitliche Voraussetzungen sowie eine spätere Teilnahme an Integrations- und Qualifizierungsmaßnahmen. Das ist deutlich weniger als bei den einheimischen Frauen. Schwierig ist auch die Altersgruppe über 50 Jahren. Für diese Menschen ist es einfach schwer, in unseren Arbeitsmarkt einzusteigen ohne Erwerbserfahrung in Deutschland. Das Bildungsniveau spielt auch eine Rolle und nicht zuletzt die Region, in der jemand in Deutschland lebt.

Was steckt hinter den regionalen Unterschieden?

Kosyakova: Zum einen gibt es natürlich strukturelle Unterschiede – in wirtschaftlich schwächeren Regionen ist es grundsätzlich schwerer, Arbeit zu finden. Zum anderen haben wir in einer aktuellen Studie rechtsextreme Demonstrationen auf Kreisebene ausgewertet – als Indikator für fremdenfeindliche Einstellungen in der Region. Das Ergebnis: Je stärker diese Ausprägung, desto schlechter gelingt die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten. Der Zusammenhang ist statistisch eindeutig.

Gibt es auch bürokratische Hemmnisse?

Ja, durchaus. Das Hauptproblem ist schlicht die Dauer der Asylverfahren. Unsere Daten zeigen, dass bei etwa einem Sechstel der Geflüchteten das Verfahren drei Jahre oder länger gedauert hat. Zu diesem Punkt gibt es auch sehr viel internationale Forschung, die deutlich zeigt, dass so eine Phase der Unsicherheit negative Effekte auf die Arbeitsmarktintegration und auch auf die späteren Löhne hat.

Die Betroffenen hängen in der Luft, haben wenig Zugang zu einem sozialen Umfeld, oft ist die Gesundheit beeinträchtigt. In Deutschland besuchen die Geflüchteten während des Verfahrens oft auch keine Integrations- oder Sprachkurse, die ihnen bessere Startmöglichkeiten geben würden. Bei der Arbeitsmarkt- und Berufsberatung passiert in dieser Zeit ebenfalls praktisch nichts.

Das hängt alles miteinander zusammen. Je länger sich das alles zieht, desto schlechter ist es am Ende für die Arbeitsmarktintegration.

Was sagen Sie zu dem Vorurteil, dass die Geflüchteten gar nicht arbeiten möchten?

Die Daten widersprechen diesem Bild eindeutig. In einer aktuellen Befragung gaben mehr als zwei Drittel der 2015 zugezogenen Geflüchteten, die noch nicht erwerbstätig waren, an, ganz sicher arbeiten zu wollen. Aus unseren Längsschnittdaten wissen wir außerdem, dass das nicht bloß leere Worte sind – wer gesagt hat, dass er unbedingt arbeiten will, ist später mit höherer Wahrscheinlichkeit tatsächlich erwerbstätig.

Helfen Geflüchtete auch bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels?

Natürlich. Von den 2015 zugezogenen Geflüchteten arbeiten überproportional viele in systemrelevanten Jobs: Nach sieben Jahren war das bei 61 Prozent der erwerbstätigen Frauen und 59 Prozent der erwerbstätigen Männer der Fall. 33 der Frauen und 26 Prozent der Männer waren in Engpassberufen beschäftigt. Die Quoten sind alle höher als bei den Deutschen. Auf diese Menschen und ihre Arbeit kann Deutschland nicht verzichten.

Welche Rolle spielt es für die Integration insgesamt, ob jemand einen Job hat?

Arbeit ist ein wichtiger Integrationsfaktor. Es geht ja nicht nur darum, für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Wer arbeitet, kann auch seine Sprachkenntnisse verbessern und ein soziales Netz knüpfen. Außerdem hat man im besten Falle eine Aufgabe, die erfüllend ist, und das hilft dabei, frühere traumatische Erfahrungen zu verarbeiten.

Welche Faktoren sind besonders wichtig, damit es mit der Arbeitsaufnahme klappt?

Sprachförderung ist zentral – sowohl allgemeine als auch berufsbezogene Sprachkurse wirken sich nachweislich positiv auf die Arbeitsaufnahme aus. Dasselbe gilt für Berufsberatung und gezielte Qualifizierungsangebote. Wichtig sind aber auch andere Faktoren, zum Beispiel die physische und psychische Gesundheit. Deshalb ist es so problematisch, wenn während des Asylverfahrens der Zugang zur Gesundheitsversorgung eingeschränkt ist. Das wird in verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich gehandhabt. Und nicht zuletzt: Die wahrgenommene Willkommenskultur macht einen Unterschied. Unsere Forschung zeigt, dass Menschen, die sich willkommen fühlen, schneller Arbeit finden.

Was hat der Staat aus Ihrer Sicht seit 2015 gelernt?

Leider nicht genug. Die Politik ist gerade auf einem Kurs, wo alle Hürden wieder aufgebaut oder erhöht werden, von denen wir wissen, dass sie die Arbeitsmarktintegration behindern. Unsere Forschung sagt klar, dass all diese Dinge den Weg in den Arbeitsmarkt erschweren: lange Asylverfahren, der lange Aufenthalt in Gemeinschaftsunterkünften, Sachleistungen und Bezahlkarten, Wohnsitzauflagen. Auch die Aussetzung des Familiennachzugs gehört dazu. Wer dauerhaft von seiner Familie getrennt ist, hat häufiger psychische Probleme, geringere Lebenszufriedenheit und geringere Motivation. Trotzdem setzen viele politische Entscheidungen wieder auf Abschreckung und Restriktion – statt auf das, was nachweislich wirkt. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

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