
Rückkehr der Diaspora
Warum immer mehr Bosnier nach Hause wollen
Rund 34 Prozent der Bosnier leben heute im Ausland – doch immer mehr von ihnen denken über eine Rückkehr nach. Warum? Ein Blick auf die Veränderungen in Bosnien, die die Heimat zunehmend attraktiv machen.
Von Erdin Kadunić Montag, 04.08.2025, 14:45 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.08.2025, 14:45 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Bosnien und Herzegowina zählt zu den Ländern mit der größten Diaspora weltweit. Rund 34 Prozent der im Land geborenen Menschen leben heute im Ausland – ein Wert, der das Land auf Platz zwei der globalen Rangliste bringt, direkt hinter Guyana und noch vor Albanien. Nach Schätzungen des Weltdachverbands der Diaspora sind es insgesamt rund zwei Millionen Bosnier, die über mehr als 50 Länder verteilt leben.
Der Blick auf diese Zahl lässt vermuten, dass die Zukunft des Landes vor allem im Ausland liegt. Doch immer häufiger hört man Stimmen, die von einer Rückkehr sprechen – nicht nur aus nostalgischen Gründen, sondern aus einer nüchternen Abwägung zwischen Chancen und Lebensqualität. Während ein Teil der bosnischen Diaspora weiterhin das Ziel verfolgt, in Deutschland oder Österreich Fuß zu fassen, gibt es eine wachsende Minderheit, die sich fragt: Lohnt es sich, zurückzukehren?
„Als ehrlicher Mann kann man hier kaum Geld verdienen“
Ein Beispiel für dieses Umdenken ist Miralem Hodžić. Vor 15 Jahren kam er nach Deutschland und baute sich hier als Bauunternehmer eine solide Existenz auf. 30 Angestellte arbeiten in seinem Betrieb, er gilt als Erfolgsgeschichte der klassischen „Gastarbeiter-Generation“. Doch Hodžić ist unzufrieden: „Die politische Stimmung ist vergiftet, der Aufstieg der AfD macht mir Sorgen. Im Baugeschäft wird nur noch über den Preis gedrückt. Als ehrlicher Mann kann man hier kaum Geld verdienen, und tricksen will ich nicht“, sagt der 50-Jährige. Seine Entscheidung steht bereits fest: „Ich gehe zurück. In Bosnien kann ich meine Erfahrung einsetzen und werde respektiert.“
Hodžić ist kein Einzelfall. Vor allem Unternehmer, Handwerker und Fachkräfte mit Erfahrung und Eigenkapital beginnen zu hinterfragen, ob Deutschland noch das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ ist, das es für viele einst war.
Deutschland verliert an Attraktivität
Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass 26 Prozent der Migrantinnen und Migranten in Deutschland innerhalb der letzten zwölf Monate über eine Auswanderung nachgedacht haben. Zwar wollen 57 Prozent dauerhaft bleiben, aber Gründe wie politische Unzufriedenheit, hohe Steuerlast, Bürokratie und steigende Lebenshaltungskosten führen dazu, dass viele über Alternativen nachdenken.
Für viele Bosnier ist die Rückkehr ins Heimatland auch eine wirtschaftlich logische Option. Wer ein eigenes Haus oder Grundstück in Bosnien besitzt, spart nicht nur die hohen Mietkosten, sondern profitiert auch von einem langsam wachsenden lokalen Markt, der Fachkräfte dringend benötigt.
Bosnien verändert sich – langsam, aber spürbar
Bosnien und Herzegowina hat in den vergangenen Jahren kleine, aber entscheidende Fortschritte gemacht. Besonders im Gesundheitswesen ist eine Veränderung zu spüren. Private Kliniken und Krankenversicherungen ermöglichen eine deutlich schnellere Versorgung als in Deutschland. „In Deutschland muss ich sechs Monate auf einen Kardiologen warten. In Sarajevo bekomme ich einen Termin innerhalb von zwei Wochen, beim Augenarzt sogar in zwei Tagen“, erzählt Hodžić. Auch das Gehaltsniveau entwickelt sich nach oben. Während früher viele Branchen kaum überleben konnten, sorgen Investitionen in IT, Energie und Tourismus mittlerweile für neue Jobmöglichkeiten. Paradoxerweise leidet nun auch Bosnien an einem Fachkräftemangel, der bislang typisch für Deutschland oder Österreich war.
Milliardentransfers aus der Diaspora
Trotz der Rückkehrgedanken bleibt die Diaspora ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Überweisungen von Bosniern im Ausland tragen mehr als 14 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei – das entspricht jährlich rund 2,5 Milliarden Euro. Allein im ersten Quartal 2025 flossen 931 Millionen KM (rund 480 Millionen Euro) ins Land, wie die Zentralbank von Bosnien und Herzegowina mitteilt.
Ein Blick nach Kroatien zeigt, welches Potenzial diese Überweisungen bergen. Dort machen Geldtransfers aus dem Ausland 7,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus – mehr als in jedem anderen EU-Land. Zum Vergleich: Deutschland liegt bei nur 0,5 Prozent. Während Kroatien zunehmend Programme auflegt, um Rücküberweisungen gezielt in Bauprojekte, Unternehmensgründungen oder Start-ups zu investieren, fehlt in Bosnien bislang ein klares Konzept.
Kroatien unterstützt Rückkehrer
Ein aktuelles Beispiel liefert Kroatien: Für 2025 wurde ein öffentlicher Förderaufruf gestartet, der Projekte zur Rückkehr von Kroaten nach Bosnien und Herzegowina mit bis zu 80.000 Euro pro Projekt unterstützt. Das Programm zielt darauf ab, bessere Lebensbedingungen für Rückkehrer zu schaffen, sei es durch Investitionen in Infrastruktur, soziale Projekte oder die Förderung kleiner Unternehmen. „Wir wollen nachhaltige Strukturen schaffen und nicht nur symbolische Maßnahmen setzen“, erklärte der kroatische Minister Branko Bačić. Kroatien setzt damit ein Zeichen für die Bedeutung der eigenen Diaspora – ein Ansatz, der auch in Bosnien Schule machen könnte.
Politisches Desinteresse – und verpasste Chancen
Die bosnische Politik behandelt ihre Auslandsbürger bislang eher stiefmütterlich. Es gibt kein Ministerium für die Diaspora, keine speziellen Förderprogramme oder Kreditangebote für Rückkehrer. Die Bankenlandschaft ist ebenfalls wenig innovativ.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist das neu eröffnete Diaspora-Büro des Kantons Sarajevo, das den Kontakt zu den im Ausland lebenden Bosniern verbessern und ihnen bei Investitionen oder Rückkehrprojekten helfen soll. Ob dieses Büro tatsächlich ein Motor für Rückkehrinitiativen wird oder nur eine symbolische Maßnahme bleibt, ist unklar.
„Vrati se kući“ – eine Rückkehrkampagne
Einen anderen Weg geht die Bürgerbewegung „Pokret Snaga domovine“, die mit der Kampagne „Vrati se kući“ („Komm zurück nach Hause“) für Aufmerksamkeit sorgt. Auf großen Plakaten, die an Grenzübergängen und Hauptstraßen hängen, ist zu lesen: „Liebe Diaspora, kehrt zurück, damit wir gemeinsam die Heimat aufbauen.“
„Bosnien erlebt seit Jahren eine Abwanderungswelle. Wir glauben, dass es Zeit ist, den Trend zu stoppen“, sagt Ahmed Husagić, Vorsitzender der Initiative. „Die Lebensqualität in Bosnien verbessert sich langsam. Und auch im Westen ist das Leben nicht mehr so einfach wie noch vor zehn Jahren. Hohe Mieten, Inflation, politische Unsicherheit – all das spielt eine Rolle.“
Der Faktor Eigentum und Tourismus
Ein nicht zu unterschätzender Vorteil vieler Bosnier ist der Besitz von Immobilien. Häuser am Meer, Ferienwohnungen in den Bergen oder Grundstücke in ländlichen Regionen werden zunehmend als Grundlage für neue Geschäftsideen genutzt – etwa im Öko- und Ethnotourismus, der in Bosnien großes Potenzial hat.
Wer zurückkehrt, kann nicht nur seine Lebenshaltungskosten senken, sondern oft auch aus bestehenden Immobilienprojekten ein nachhaltiges Einkommen erwirtschaften. Eine Hürde bleibt jedoch: die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen und Qualifikationen. Der Prozess der Nostrifikation von Diplomen dauert zwischen sechs und neun Monaten. Gewerkschaften kritisieren zudem, dass die Arbeitsbedingungen und Löhne im Land verbessert werden müssten, um Rückkehrer dauerhaft zu halten.
Die Rückkehr nach Bosnien ist längst nicht mehr nur eine romantische Vorstellung, sondern für viele eine realistische Option. Steigende Lebenshaltungskosten und politische Spannungen in Deutschland treffen auf ein sich stabilisierendes Bosnien, das zwar noch weit von europäischen Standards entfernt ist, aber kleine Fortschritte macht. Das Beispiel von Miralem Hodžić zeigt, dass die Rückkehr wahrhaftig eine ernstzunehmende Option wird. (mig) Aktuell Gesellschaft
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