
Schlepperei oder humanitäre Hilfe?
EU-Gericht stärkt Rechte von Migranten
Ist es Schlepperei, wenn eine Mutter ihre minderjährige Tochter mit gefälschten Papieren ins Land holt? Der Europäische Gerichtshof entschied nun: Das ist humanitäre Hilfe und nicht strafbar. Asyl-Organisationen wittern Chance, restriktiven EU-Gesetze zu kippen.
Mittwoch, 04.06.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 04.06.2025, 9:39 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Urteil (C-460/23) zu den Grenzen zwischen Schlepperei und humanitärer Hilfe die Rechte von Migranten gestärkt. In dem Fall ging es um eine Kongolesin, die ihre minderjährige Tochter und ihre Nichte mit gefälschten Papieren nach Italien brachte und sich wegen Schlepperei verantworten musste. Der EuGH legte das EU-Recht in seinem Urteil deutlich zugunsten der Kongolesin aus – mit möglichen Folgen für ähnliche Fälle in anderen EU-Staaten. Über den konkreten Fall muss nun das italienische Gericht entscheiden.
Der Kongolesin wird in Italien vorgeworfen, zur unerlaubten Einreise von Ausländern beigetragen zu haben. Laut ihrer Anwältin drohte ihr deshalb eine mehrjährige Haftstrafe. Sie hatte bei der Einreise per Flugzeug sowohl für sich als auch für ihre Tochter und eine Nichte gefälschte Dokumente vorgezeigt. Später beantragte sie internationalen Schutz mit der Begründung, ihr früherer Partner habe ihrer Familie mit Mord gedroht. Das italienische Gericht wollte nun vom EuGH wissen, ob es strafbar sein kann, wenn Beschuldigte die Beihilfe zur unerlaubten Einreise aus humanitären Gründen leisten.
EU-Gesetze in der Kritik
Asyl-Organisationen sehen in dem Fall einen wichtigen Versuch, die aus ihrer Sicht zu restriktiven EU-Gesetze zu kippen. Insbesondere monieren sie, dass sich auch Angehörige oder Flüchtlingsorganisationen strafbar machen können, wenn sie Migranten und Migrantinnen bei der Flucht helfen. Ob jemand für diese Beihilfe Geld bekomme – wie es bei Schleppern der Fall wäre – werde dabei nicht ausreichend berücksichtigt.
Kritiker werfen EU-Staaten vor, den Begriff der Schlepperei in der Praxis so weit auszulegen, dass nahezu jede Hilfe für Geflüchtete an den Grenzen kriminalisiert werden kann. Selbst solidarische Begleitung zur Grenze, das Teilen von Informationen über sichere Routen oder das Bereitstellen von Transportmitteln werden teils strafrechtlich verfolgt – auch wenn Helfer kein Geld für ihre Leistung erhalten. In mehreren Fällen wurden sogar Geflüchtete selbst angeklagt, weil sie während der Flucht das Ruder oder das Steuer übernehmen mussten. Diese Auslegung führe nicht nur zur Einschüchterung von Helfern, sondern untergrabe auch zentrale menschenrechtliche Prinzipien, etwa den Schutz von Leben und Familie.
Laut Gerichtshof fällt es nicht unter den Tatbestand der Beihilfe zur unerlaubten Einreise, wenn Migrantinnen und Migranten Minderjährige mit sich führen, für die sie tatsächlich Sorge tragen. „Die gegenteilige Auslegung würde zu einem besonders schweren Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens und in die Grundrechte des Kindes führen“, teilte der EuGH mit. (dpa/mig) Aktuell Recht
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