
Nach Gerichtsbeschluss
Union will Rechtsbruch an Grenzen fortsetzen – SPD will prüfen
Obwohl ein Gericht sie für rechtswidrig hält, wollen Innenminister Dobrindt und Kanzler Merz an den Zurückweisungen von Asylsuchenden festhalten. Pro Asyl wirft den Unionspolitikern „offenen Rechtsbruch“ vor. SPD kündigt Prüfung an. Ob und wie der juristische Streit weitergeht, ist offen.
Dienstag, 03.06.2025, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.06.2025, 19:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Eine Gerichtsentscheidung, wonach Zurückweisungen Asylsuchender rechtswidrig sind, scheint innerhalb der schwarz-roten Regierungskoalition eine neue Debatte über die umstrittene Maßnahme zu entfachen. Die SPD meldete am Dienstag Gesprächsbedarf an. „Möglicherweise schränkt dieses Urteil die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ein“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch in Berlin. Das müsse geprüft werden. Auch Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) forderte Klärung innerhalb der Bundesregierung. Vertreter der Union wollen dagegen in jedem Fall an den Zurückweisungen festhalten.
Das Berliner Verwaltungsgericht hatte in mehreren Eilverfahren entschieden, dass die von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) forcierten Zurückweisungen von Asylsuchenden rechtswidrig sind. Dobrindt hatte unmittelbar nach der Entscheidung erklärt, dennoch an den Zurückweisungen festhalten zu wollen. Er habe ein Interesse daran, dass es nach der Eilentscheidung ein Hauptsacheverfahren gibt, sagte er am Dienstag in Berlin und kündigte an, dafür „eine ausführliche Begründung“ liefern zu wollen.
Verfahrensverlauf ungewiss
Ob es zu diesem Verfahren aber überhaupt noch kommt, ist offen. Wie eine Gerichtssprecherin am Dienstag auf Anfrage erläuterte, könnte das Verfahren auf Antrag der Klägerseite für erledigt erklärt werden, weil bereits im Eilverfahren das Hauptziel erreicht worden sei. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, die die Klagen unterstützte, teilte auf Anfrage mit, dass über den Fortgang noch nicht entschieden sei. Die Betroffenen würden das nun mit den Anwälten beraten und dann entscheiden, sagte Geschäftsführer Karl Kopp und betonte: „Herr Dobrindt entscheidet es jedenfalls nicht.“ Kopp sagte, er finde es „zutiefst beunruhigend, dass Dobrindt eine solche Rechtsauffassung vertritt“. Er warf dem Innenminister „Tricks“ vor, um Zeit zu gewinnen.
Trotz des Berliner Richterspruchs findet Dobrindt grundsätzlich Unterstützung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin habe „die Spielräume hier möglicherweise noch etwas einengt“, sagte Merz beim Deutschen Kommunalkongress, ergänzte aber auch: „Aber die Spielräume sind nach wie vor da.“ Man könne nach wie vor Zurückweisungen vornehmen, sagte er.
Mirsch widerspricht Spahn
Noch deutlicher unterstützten der CSU-Landesgruppenführer Alexander Hoffmann und Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn (CDU) Dobrindts Kurs. Laut Hoffmann geht es um individuelle Einzelfälle. Spahn indes warnte vor einem schwindenden Vertrauen in die Politik, sollten Asylsuchende nicht mehr zurückgewiesen werden. Kritiker wiederum hatten Unionspolitikern im Wahlkampf vorgeworfen, mit rechtswidrigen Versprechen das Vertrauen der Menschen zu verspielen. Spahn bekräftigte, die Bundesregierung halte an ihrer Rechtsauffassung fest.
Dem widersprach Miersch: „Natürlich ist das eine grundsätzliche Entscheidung“, sagte er. Eine letztinstanzliche Entscheidung sei es aber nicht, fügte er hinzu. Dobrindt hatte zuvor gesagt, dass er ein Interesse an einer Klärung im Hauptsacheverfahren habe. Ob es dazu kommt, ist aber offen. Weil die Klägerseite bereits mit der Eilentscheidung ihr Ziel maßgeblich erreicht hat, könnte das Hauptverfahren auf Antrag der Klägerseite für erledigt erklärt werden. Nach Angaben der Organisation Pro Asyl, die die Klagen unterstützt hatte, wird darüber mit den Anwälten beraten.
Auch die Oppositionsparteien Grüne und Linke sowie die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sehen in der Eilentscheidung einen Grundsatzbeschluss über die Einzelfälle hinaus. „Das ist offener Rechtsbruch“, sagte Pro Asyl-Geschäftsführer Karl Kopp dem Evangelischen Pressedienst mit Blick auf Dobrindts Umgang mit dem Gerichtsbeschluss. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann sagte, Recht sei gebrochen worden „und das kann auf keinen Fall so fortgesetzt werden“. Die Linken-Politikerin Clara Bünger sagte: „Wer die Rechte von Geflüchteten missachtet, gefährdet die Rechte aller.“
Entscheidung schlägt auch Wellen in Bundesländern
Bundesjustizministerin Hubig (SPD) sagte dem Podcast „Table.Today“, man werde jetzt in der Bundesregierung über das Thema reden, „aber keine Streitigkeiten offen austragen“. Es sei wichtig, die Gerichtsentscheidung zu befolgen, sagte Hubig. Das Gericht habe verlangt, dass die Kläger das Dublin-Verfahren durchlaufen, aber nicht entschieden, dass alle Asylbewerber ins Land gelassen werden müssten, sagte die Ministerin.
Wellen schlug die Gerichtsentscheidung auch in den Bundesländern. Der Flüchtlingsrat Brandenburg bezeichnete die Haltung der Bundesregierung als „beschämend“ und forderte Landesinnenminister René Wilke zum Handeln auf. „Damit werden nicht nur Menschen in unsägliches Leid gestürzt, sondern wird auch willentlich rechtsstaatlicher Boden verlassen.“ Innenminister Wilke solle sich für ein Ende dieser europarechtswidrigen Praxis an den Brandenburger Grenzen und für Rechtsstaatlichkeit einsetzen. (epd/dpa/mig) Aktuell Politik
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