
Belastungsprobe
Rechtsruck in Polen: Konservativer wird neuer Präsident
Ein Kopf-an-Kopf-Rennen hat in Polen über den neuen Staatschef entschieden: Die Rechte siegt, die Liberalen verlieren. Welche Rolle hat die deutsche Migrationspolitik dabei gespielt? Für Deutschland könnte es nun schwieriger mit dem Nachbarn werden.
Von Doris Heimann Montag, 02.06.2025, 14:03 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 02.06.2025, 15:10 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Der Sieg des Rechtskonservativen Karol Nawrocki bei der Präsidentenwahl in Polen ist nicht nur für Regierungschef Donald Tusk eine schlechte Nachricht, sondern auch für Brüssel, Berlin und Kiew. Polen rückt wieder nach rechts. Und der neue Präsident kann mit seinem Vetorecht Tusk dabei stoppen, die Beschädigungen der Demokratie rückgängig zu machen, die acht Jahre amtierende rechtskonservative PiS-Regierung hinterlassen hat.
Der politisch unerfahrene 42-jährige Historiker Nawrocki verdankt seinen Aufstieg dem mächtigen PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, einem Erzfeind von Tusk. Das Ziel für die ersten Monate von Nawrockis Amtszeit ist klar: Die Regierung Tusk zu Fall zu bringen. Bereits am Tag nach der Wahl munkeln polnische Medien, der in Bedrängnis geratene Regierungschef werde noch in dieser Woche die Vertrauensfrage stellen. Die Reformprojekte seiner Mitte-Links-Koalition seien mit Nawrockis Siegs „zusammengefallen wie ein Kartenhaus“. Neuwahlen werden nicht ausgeschlossen.
Das könnte bedeuten, dass in dem EU- und Nato-Land Polen eine Zeit des Wirrwarrs und der politischen Grabenkämpfe droht. Zudem ist der Wahlausgang in dem bevölkerungsstärksten, wirtschaftlich und militärisch bedeutendsten Land in der Region ein Zeichen, dass rechte und populistische Kräfte in diesem Teil Europas auf dem Vormarsch sind.
Polen steht ein Machtkampf bevor
Im zentralistischen Polen hat der Präsident deutlich mehr Macht als in Deutschland. Er darf die Linien der Außenpolitik mitbestimmen, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und kann vom Parlament beschlossene Gesetze mit seinem Vetorecht stoppen. So kann er zwar nicht mitregieren, aber das Regieren erheblich erschweren.
Diese Machtfülle bekommt nun ein Mann, den der Warschauer Politologe Antoni Dudek ein „klassisches Beispiel für eine autoritäre Persönlichkeit“ nennt. Nawrocki leitete zuletzt das Institut für Nationales Gedenken (IPN), das in etwa der inzwischen aufgelösten Behörde für Stasiunterlagen entspricht.
Der gebürtige Danziger stammt aus einfachen Verhältnissen, war in seiner Jugend Amateurboxer und jobbte als Türsteher in einem Luxushotel. Er hat Kontakte ins Rotlichtmilieu und zur Hooliganszene. 2009 war er auch selbst an einer Massenschlägerei von Fußballfans beteiligt. Im Wahlkampf prahlte Nawrocki damit, dass er eine in Polen schwer erhältliche Genehmigung zum Tragen einer Schusswaffe habe.
Der Mann gilt als nicht zimperlich. Er könnte mit harter Gangart alles torpedieren, was der proeuropäische Regierungschef Tusk unternimmt, um Rechtsstaatlichkeit und demokratische Prinzipien in seinem Land wiederherzustellen.
Spannungen mit der EU könnten wiederkehren
Die PiS, deren Name Prawo i Sprawiedliwosc „Recht und Gerechtigkeit“ bedeutet, regierte Polen von 2015 bis 2023. In dieser Zeit schränkte sie die Medienfreiheit ein und baute das Justizwesen um. Unter anderem brachte sie ein Gremium unter ihre politische Kontrolle, das über die Besetzung von Richterstellen entscheidet. Die EU-Kommission sah darin einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung und sperrte am Ende sogar Fördergelder in Milliardenhöhe.
Inzwischen wurden die Gelder wieder freigegeben, aber nur, weil der seit Dezember 2023 regierende Tusk Brüssel zusicherte, die Justizreformen rückgängig zu machen. Doch dieser Prozess ist bislang nicht richtig vorangekommen. Der Grund: Der bisherige Präsident Andrzej Duda, der aus den Reihen der PiS stammt, blockierte die entscheidenden Gesetze mit seinem Veto. Und Tusks Regierung hat im Parlament nicht die erforderliche Mehrheit von 60 Prozent, um das präsidiale Veto aufzuheben. Setzt Nawrocki diese Blockade-Politik fort, kommt Polen nicht vom Fleck. Die Spannungen mit der EU könnten wieder zunehmen.
Deutsch-polnisches Verhältnis vor Belastungsprobe
Auch dem deutsch-polnischen Verhältnis steht vermutlich eine Belastungsprobe bevor. Gerade standen die Zeichen auf Entspannung mit der Antrittsvisite von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Warschau und der gemeinsamen Reise von Merz und Tusk nach Kiew.
Doch das in Polen zu erwartende innenpolitische Chaos könne sich auch auf die Außenpolitik auswirken, glaubt Agnieszka Lada-Konefal vom Deutschen Polen-Institut. „Die Regierung wird hauptsächlich mit dem Kampf gegen den Präsidenten beschäftigt sein und außenpolitisch wenig Platz für Manöver haben.“ Tusk sei unter Druck und werde jede positive Bewegung Richtung Deutschland vermeiden. Große deutsch-polnische Initiativen seien deshalb nicht zu erwarten.
Nawrocki habe schon im Präsidentschaftswahlkampf betont, dass man Deutschland nie vertrauen dürfe, so die Expertin weiter. „Das wird die deutsch-polnischen Beziehungen nicht erleichtern.“ Der parteilose Historiker hatte auch angekündigt, er werde als Präsident für Weltkriegs-Reparationen von Deutschland kämpfen. Als Staatsoberhaupt könne er dazu zwar keine konkreten Schritte einleiten, aber mit seiner Rhetorik die Atmosphäre in den bilateralen Beziehungen beeinflussen, sagte Lada-Konefal.
Die PiS-Regierung hatte seinerzeit mehr als 1,3 Billionen Euro Entschädigung von Deutschland für die im Zweiten Weltkrieg erlittenen Schäden gefordert und damit das Verhältnis zu Berlin gründlich zerrüttet.
Linke: Deutsche Migrationspolitik half Nawrocki
Die Linke sieht die deutsche Migrationspolitik als einen der Gründe für den Wahlsieg des rechtskonservativen Präsidentschaftskandidaten Karol Nawrocki in Polen. Damit habe die Bundesregierung „aktiv auch Wahlkampfhilfe für diesen rechten Präsidenten gemacht“, sagte Parteichefin Ines Schwerdtner in Berlin. Die Zurückweisungen von Asylbewerbern seien in Polen ein großes Thema gewesen. Sie hätten dem rechten Kandidaten genutzt.
„Damit hat Friedrich Merz vielleicht sogar das Ende einer EU-freundlichen Tusk-Regierung eingeleitet und eben mit seiner Politik dafür gesorgt, dass weitere EU-Feinde an die Macht kommen“, fügte Schwerdtner hinzu. „Damit macht Friedrich Merz, ob er das will oder nicht, am Ende europafeindliche Politik. Er stärkt die Feinde Europas.“
Auch Grünen-Chefin Franziska Brantner warf die Frage auf, ob die Bundesregierung Nawrocki mit ihrer Politik gestärkt habe. Sie wies auf die verstärkten Grenzkontrollen und Gedankenspiele verschiedener Politiker zur Zukunft der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 hin. „Antieuropäisches Handeln“ könnte auch anderswo „antieuropäische Kräfte stärken und vielleicht am Ende auch einen Unterschied machen“.
Nawrocki ist auf Distanz zur Ukraine
Mit Unbehagen dürfte die Ukraine verfolgen, welche Schwerpunkte Nawrocki in der Außen- und der Verteidigungspolitik setzt. Polen ist einer der wichtigsten Verbündeten der von Russland angegriffenen Ukraine. Es hat eine große Zahl von Flüchtlingen von dort aufgenommen und dient als Drehscheibe für die Militärhilfe des Westens für Kiew. Diese Linie wurde bislang von Regierungschef Tusk und Präsident Duda gleichermaßen verfolgt, auch wenn beide aus verfeindeten politischen Lagern stammen.
Nawrocki hat jedoch im Wahlkampf eine Konzession an den Rechtsextremen Slawomir Mentzen gemacht, der mit 15 Prozent der Wählerstimmen in der ersten Runde ausgeschieden war. Er unterschrieb dessen Acht-Punkte-Plan und verpflichtete sich unter anderem, kein Gesetz zu unterzeichnen, das den Beitritt der Ukraine zur Nato ratifiziert. Dass die Ukraine dem Militärbündnis nicht betritt, ist eine Forderung des Kremls – und eine klare Abweichung von der bisherigen polnischen Staatsräson. (dpa/mig) Aktuell Ausland
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