
Plötzlich frei?
Medienfreiheit als Herausforderung für Neuankömmlinge
Viele Geflüchtete kommen aus Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit. In Deutschland treffen sie auf eine vergleichsweise sehr freie Medienwelt – doch die neue Informationsvielfalt birgt Risiken. Ohne Bildung bleibt der Zugang zur Wahrheit oft verstellt.
Montag, 26.05.2025, 0:35 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.05.2025, 17:38 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Deutschland gilt als demokratischer Rechtsstaat mit freier Presse und vielfältiger Medienlandschaft. Für viele Zuwanderer, die aus Ländern mit staatlich kontrollierten oder zensierten Medien stammen, bedeutet dies eine völlig neue Realität. Doch wie erleben sie diesen Wandel? Und welche Herausforderungen bringt die neu gewonnene Informationsfreiheit mit sich?
Manche Zuwanderer stehen in Deutschland erstmals einer nahezu unbegrenzten Medienlandschaft gegenüber: Streaming-Plattformen wie Netflix, Prime oder YouTube, soziale Netzwerke wie Instagram, TikTok oder X, Podcasts zu allen erdenklichen Themen, Newsportale in Echtzeit, interaktive Lernplattformen und vieles mehr – die Vielfalt ist gewaltig. Das gilt auch für iGaming-Dienste, die in vielen Herkunftsländern verboten sind, in Deutschland aber oft frei verfügbar. Wer keine Erfahrung hat und Überblick über Anbieter läuft Gefahr, sich in eine Abhängigkeit zu begeben.
Diese Fülle an Informations- und Unterhaltungsquellen ist Chance und Herausforderung zugleich – besonders, wenn bisher kaum Erfahrungen mit pluralistischen Medien oder kritischer Quellenbewertung bestehen. In Ländern mit eingeschränkter Medienfreiheit fehlt es oft an Bildung im Hinblick auf kritisches Denken und Medienkompetenz. Zuwanderer haben daher häufig Schwierigkeiten, zwischen verlässlichen Informationen und Desinformation zu unterscheiden. Dies macht sie anfällig für Fake News, insbesondere in sozialen Medien wie Telegram oder TikTok.
Laut der Rangliste der Pressefreiheit 2025 von Reporter ohne Grenzen gehören Länder wie Eritrea, Nordkorea und China zu den Schlusslichtern. Auch Syrien, Iran, Russland und Afghanistan weisen erhebliche Einschränkungen auf. Viele Geflüchtete und Zuwanderer in Deutschland stammen aus diesen Regionen. Ende 2024 lebten laut Statistischem Bundesamt rund 975.100 syrische Staatsbürger:innen in Deutschland – viele von ihnen kamen auf der Flucht vor Krieg und staatlicher Repression.
Zwischen Misstrauen und Orientierungslosigkeit
Zuwanderer aus repressiven Mediensystemen bringen oft ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber Medien mit. In ihren Herkunftsländern waren Medien häufig Propagandainstrumente der Regierung. Diese Erfahrungen führen dazu, dass viele Neuankömmlinge auch in Deutschland zunächst skeptisch gegenüber Medienberichten sind. Zudem besteht oft die Angst, durch das Teilen oder Konsumieren bestimmter Inhalte verfolgt zu werden.
Laut Studien sind Migrant:innen grundsätzlich gut über die Medien der Aufnahmegesellschaft erreichbar, nutzen aber auch Angebote in ihrer Muttersprache. Jüngere mit guten Deutschkenntnissen tendieren eher zu deutschsprachigen Medien, während ältere oder weniger gebildete Personen häufiger muttersprachliche Angebote nutzen.
Medienbildung als Schlüssel zur Integration
Um Menschen den Umgang mit der deutschen Medienlandschaft zu erleichtern, gibt es verschiedene Initiativen:
- Nachrichtentag (5. Juni 2025)
Ein bundesweiter Aktionstag, bei dem Teilnehmende Redaktionen besuchen und selbst journalistisch aktiv werden können. Im Fokus stehen das Erkennen verlässlicher Quellen, faktenbasierter Informationen und KI-generierter Inhalte. - Digitaltag 2025 (27. Juni 2025)
Der bundesweite Digitaltag steht unter dem Motto „Digitale Demokratie: Mitreden. Mitgestalten. Mitwirken.“ Es finden Workshops, Seminare und Diskussionen statt, die digitale Teilhabe für möglichst viele Menschen verständlich und zugänglich machen sollen. - Medientrixx 2025/2026
Ein Programm für Schulen, das Kindern ab der dritten Klasse helfen soll, sich sicher und selbstbewusst im Netz zu bewegen. Auch Lehrkräfte erhalten Materialien und Schulungen zur Medienbildung.
Mit der Zeit entwickeln viele Zuwanderer ein besseres Verständnis für die Funktionsweise freier Medien und bauen Vertrauen auf. Durch Bildung, Arbeit und soziale Kontakte lernen sie, Informationen kritisch zu hinterfragen und sich sicherer in der deutschen Medienlandschaft zu bewegen. Einige engagieren sich sogar selbst in Medienprojekten oder gründen eigene Plattformen, um ihre Erfahrungen zu teilen.
Fazit: Freiheit braucht Bildung
Medienfreiheit ist keine Selbstverständlichkeit – und keine Garantie für Orientierung. Wer jahrzehntelang unter Zensur gelebt hat, braucht Zeit, um sich an eine offene Informationskultur zu gewöhnen. Es braucht Bildung, Vertrauen und konkrete Unterstützung, damit Medienfreiheit nicht nur ein formales Recht bleibt, sondern gelebte Realität wird. (bg) Panorama
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