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Vietnam feiert 50. Jahrestag vom Ende des Vietnamkrieges © MANAN VATSYAYANA / AFP

Flucht per Hubschrauber

Vor 50 Jahren endete der Vietnamkrieg

Im April 1975 endet der Vietnamkrieg – die USA haben sich schon zwei Jahre zuvor zurückgezogen. Als Kommunisten das südvietnamesische Saigon stürmen, versuchen viele Vietnamesen verzweifelt, sich ausfliegen zu lassen. Die Bilder erinnern an Kabul.

Von Mittwoch, 30.04.2025, 18:11 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 30.04.2025, 18:47 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Seit Tagen drängen sich Menschen vor der US-Botschaft in der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon, wollen an Bord eines der Hubschrauber, die im Abstand von je zehn Minuten Menschen ausfliegen. Vor der Stadt stehen nordvietnamesische Truppen und rüsten sich zum Sturm.

Das Ende des Vietnamkriegs kommt am späten Vormittag des 30. April 1975, als zwei Panzer durch die Tore des südvietnamesischen Präsidentenpalasts walzen. Vorher schon, um 7:53 Uhr, war der letzte US-Helikopter abgehoben, an Bord die Wachmannschaft der Botschaft.

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Ein berühmtes Foto aus jener Zeit zeigt Menschen, die an Bord eines Hubschraubers auf einem Dach gelangen wollen. Schauplatz ist allerdings nicht die Botschaft. Das Bild entstand schon einen Tag zuvor in der Gia Long Street, einen Kilometer von der Botschaft entfernt.

Saigon-Bilder erinnern an Truppen in Afghanistan

Die Bilder aus Saigon ähneln jenen, die 2021 beim Rückzug der westlichen Truppen aus Afghanistan zu sehen waren. Der emeritierte Hamburger Historiker Bernd Greiner sieht Ähnlichkeiten nicht nur in den Bildern. Sowohl in Vietnam als auch in Afghanistan seien die USA in einer Glaubwürdigkeitsfalle gewesen, erklärt er: „Obwohl sie wissen, dass sie nicht gewinnen können, zögern sie den Abzug hinaus, weil sie ihre Glaubwürdigkeit nicht beschädigen wollen.“

Schon einige Tage vor dem 30. April 1975 ist der deutsche Botschafter in Südvietnam, Heinz Dröge, zusammen mit den Botschaftsangehörigen mit einem Charterflug nach Thailand geflogen. „Wir verließen Saigon inmitten des großen Exodus“, berichtet er später. „Zum Flugplatz bewegte sich eine riesige Karawane landflüchtiger Vietnamesen. Den Regierungsbeamten an den verschiedenen Stationen stand die Nervosität in den Gesichtern. Am Flughafen trafen wir hohe Funktionäre mit gepackten Koffern. Der Staat war am Ende.“

Kurz vor Mittag am 30. April 1975 flattert die blaurote Fahne mit dem gelben Stern der Rebellentruppe des Vietcong über dem Präsidentenpalast in Saigon. Einige Stunden später wird im Radio Südvietnams bedingungslose Kapitulation verlesen. Der Vietnamkrieg ist vorbei.

„Ein Widerspruch in sich selbst“

Für die USA ist er schon mehr als zwei Jahre lang zu Ende gewesen. Am 27. Januar 1973 hatten sie mit Nordvietnam einen Waffenstillstand geschlossen und ihre Truppen abgezogen. Zugleich hatten sie Südvietnam enorm aufgerüstet. Das Ziel sei gewesen, dass der Süden noch lange genug kämpfe, damit es so aussehe, als sei es keine US-Niederlage, sagt Greiner: „Es ging um ein ‚decent interval‘, einen ‚angemessenen zeitlichen Abstand‘.“ US-Außenminister Henry Kissinger hatte nach Vertragsabschluss gesagt, die Südvietnamesen könnten noch „wenn sie Glück haben, anderthalb Jahre“ durchhalten.

Greiners emeritierter Innsbrucker Kollege Rolf Steininger erläutert: „Die Gründe für die Niederlage waren vielfältig: keine klare Taktik, ein ‚begrenzter totaler Krieg‘ – ein Widerspruch in sich selbst -, eine korrupte Führungsclique in Südvietnam und keine klare Antwort auf die Frage des einfachen GI und der Öffentlichkeit, warum man überhaupt in Südvietnam war und Opfer brachte.“

Im März 1975 startet Nordvietnam eine letzte Offensive, überrennt die Truppen Südvietnams und stößt in Richtung Saigon vor. Die Führung des Südens richtet verzweifelte Bitten um Hilfe an die USA. Am 23. April antwortet US-Präsident Gerald Ford auf die Bitten, allerdings nicht so wie von den Südvietnamesen erhofft. In einer Rede an der Tulane University in New Orleans sagt er: „Heute kann Amerika den Stolz zurückgewinnen, der vor Vietnam da war. Aber er kann nicht erreicht werden, indem man einen Krieg noch einmal führt, der beendet ist, soweit er Amerika betrifft.“

Viele bleiben zurück

Allerdings bringen die USA nun Amerikaner und Vietnamesen außer Landes, die während des Kriegs mit ihnen kooperiert haben. Doch die Zeit reicht nicht mehr. Zwar schaffen es so gut wie alle Amerikaner und 51.000 Vietnamesen heraus. Aber viele Einheimische bleiben zurück – ähnlich wie in Afghanistan.

Die Sieger benennen Saigon in Ho-Chi-Minh-Stadt um. Sie richten Zehntausende Kollaborateure hin – oder jene, die sie dafür halten. Sie verhaften bis zu 400.000 weitere Menschen und sperren sie in Umerziehungslager. Dort müssen viele der Verhafteten Folter, Hunger, Krankheiten und harte Arbeit erdulden.

Unter diesen Umständen fliehen viele Vietnamesen auch nach Kriegsende aus dem Land, viele von ihnen als „boat people“ aufs Meer hinaus. Unter anderen retten der Journalist Rupert Neudeck und sein Team mit dem Schiff „Cap Anamur“ zahlreiche dieser Flüchtlinge. Dennoch kommen allein während der ersten Fluchtbewegung rund 50.000 Vietnamesen ums Leben. Immerhin fast 60.000 schaffen es ins Exil und bauen sich dort eine neue Existenz auf. (epd/mig) Aktuell Ausland

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